Stamm der Chatten

Zudem klingt es weitaus sinniger, für die Expeditionen des Drusus ins innere Germaniens (10./9. v.Chr.) anzunnehmen, dass er von Mainz, die Wetterau durchquerend, zuerst ins Gebiet der Chatten kam (Mittel- und Oberlahn), dann über das Gebiet der Sueben in Nordhessen (Becker vermutet hier Quaden) zu den Chersukern an die mittlere Weser gelangte.

Kleiner Nachtrag: Tacitus erwähnt ja, dass die Chatten mehr als alle anderen rechtsrheinischen Barbaren Bergbewohner gewesen seien. Nun weiß ich nicht, ob dies ein antiker topos ist, um das von Tacitus besonders hervorgehobene kriegerische Wesen der Chatten (Mannbarkeitsriten, Berufskriegertum, hierarchische Heeresordnung, Verschanzen über Nacht) zu erklären (tac. ger. 30,31). Jedenfalls würde es dann auf das Siedlungsgebiet der Chatten, geht man davon aus, dass sie nach 10 v.Chr. im mittleren und oberen Lahntal saßen, zutreffen, dass sie auch im umliegenden Bergland dieser Gegend anzutreffen waren, jedenfalls zum erwähnten Zeitpunkt.
 
Tacitus Bevorzugung der Chatten in der Geschichtsschreibung liegt an der Germanienpolitik zu Lebzeiten des Autors.
Caesar Domitian führte den sogenannten Chatten-Krieg, eroberte die Wetterau und behauptete ganz Germanien besiegt zu haben. Die Chatten waren in den 80er Jahren der Gegner Roms.
Mit Domitian verbindet Tacitus eine besondere Feindschaft, denn der Kaiser verbannte Tacitus Schwiegervater Agricola.
Den Chatten nun, die Domitian glaubt besiegt zu haben, schildert Tacitus als unbesiegbare und tugendreiche Barbaren, den Kaiser Domitian als den Lügner, der vorgaukelt, er habe sie besiegt.
Die geografische Eingrenzung der Chatten in der Germania entspricht wahrscheinlich der des Chattenkrieges. Beachtenswert ist hier noch die beschriebene Nachbarschaft von Chatten und Chauken. Die Sache mit dem Hügelland der Chatten sehe ich als Kontrast zur im Chattenkrieg verlorenen Wetterau und zur norddeutschen Tiefebene, die laut Tacitus ja Nord- und Südgrenze des chattischen Gebietes sein dürften.
Tacitus beschreibt hier nicht den unbedeutenden Stamm von vielen der augusteischen Zeit, sondern eine dominierende Macht.

Die Bedeutung der Chatten hat sich im Lauf des ersten Jahrhundert erheblich erhöht. Quasi hier eine Gegenüberstellung der augusteischen Verhältnisse mit denen zu Zeiten Tacitus.
Tacitus: So werden die Cherusker, die einst die guten und gerechten hießen, jetzt Tölpel und Toren genannt; den siegreichen Chatten rechnet man das Glück als Klugheit an.

Natürlich täuscht die Germania, wenn man sie nicht als Zeitfenster in 1. Jahrhundert betrachtet. Eine herausragende Bedeutung haben die Chatten nur in wenigen Jahrzehnten gab. Danach schwindet ihre Macht und ihr Einfluß wieder auf den Status des Lokalmatadors.
Für kurze Zeit waren sie eben das, was zu Caesars Zeiten die Sueben, zu Augustus Zeiten Markomannen und Cherusker, später Allemannen, Goten und Franken, eben die als Stamm fokussierte germanische Gefahr. Ein Zufall eben, dass die bedeutendste Quelle zu Germanien eben in genau die Jahre fällt, in der die Chatten die Schlagzeilen dominierten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Den Chatten nun, die Domitian glaubt besiegt zu haben, schildert Tacitus als unbesiegbare und tugendreiche Barbaren, den Kaiser Domitian als den Lügner, der vorgaukelt, er habe sie besiegt.
Sicherlich ist Tacitus die Intention nicht abzusprechen, dass er die Herrschaft Domitians herabzusetzen versuchte. Letztlich stimmt aber auch, dass es Domitian nicht gelang, die Chatten in ihrem Kernsiedlungsbereich zu schwächen.

Die geografische Eingrenzung der Chatten in der Germania entspricht wahrscheinlich der des Chattenkrieges. Beachtenswert ist hier noch die beschriebene Nachbarschaft von Chatten und Chauken.
Dabei ist allerdings zu beachten, dass Domitian wohl lediglich chattische Gruppen im Gießener Becken angriff und das Waldgebiet mit Schneisen (sog. limites) kontrollierbar machte, so dass ein Rückzug dieser Chatten in undurchdringlichere Waldgebiete erschwert wurde. Domitian wird aber wohl kaum in den Kern des Stammesgebiets am Zusammenfluss von Eder, Schwalm und Fulda vorgestoßen sein.

Die Sache mit dem Hügelland der Chatten sehe ich als Kontrast zur im Chattenkrieg verlorenen Wetterau und zur norddeutschen Tiefebene, die laut Tacitus ja Nord- und Südgrenze des chattischen Gebietes sein dürften.
Tacitus beschreibt hier nicht den unbedeutenden Stamm von vielen der augusteischen Zeit, sondern eine dominierende Macht.

Könnte aber auch ein topos sein, der zu Tacitus Argumentation bezüglich der zugeschriebenen Attribute der Chatten passen könnte. Gerade weil sie Bewohner des Mittelgebirges gewesen seien, sind sie kriegerischer und wilder (Haartrachtritus) als andere Germanen. Tacitus könnte hier auf Poseidonios von Apameia zurückgegriffen haben.

Die Bedeutung der Chatten hat sich im Lauf des ersten Jahrhundert erheblich erhöht. Quasi hier eine Gegenüberstellung der augusteischen Verhältnisse mit denen zu Zeiten Tacitus.
Tacitus: So werden die Cherusker, die einst die guten und gerechten hießen, jetzt Tölpel und Toren genannt; den siegreichen Chatten rechnet man das Glück als Klugheit an.
Ja, so sehe ich auch. Als sich die Cherusker durch interne Fraktionskämpfe (Italicus, Chariomerus) mehr und mehr schwächten, stießen die Chatten in dieses Vakuum, was durch verwandschaftliche Bindungen zum cheruskischen Adel vermutlich noch unterstützt wurde. Die Chatten bildeten dann eine kurze Zeit lange den Kopf des römischen Widerstand am Mittelrhein und wurden im 3. Jahrhundert von neuen Entwicklungen (Herausbildung von Großstämmen) "überrollt".


Ein Zufall eben, dass die bedeutendste Quelle zu Germanien eben in genau die Jahre fällt, in der die Chatten die Schlagzeilen dominierten.

Ja, wobei ich denke, dass die Ausführungen Tacitus' zu den Chatten trotz aller kritischen Betrachtung nicht nur das typische Germanenbild der Zeit bedienen sollen, sondern eben auch brauchbare Nachrichten zu diesem schwer fassbaren Stamm liefern können.
 
Wo sind all die Chatten hin? Wo sind sie geblieben?

Ich frage mich immer wieder,ob die Chatten als germanischer Stamm Realität,oder einfach Tacitus Pseudonym war, für für den unbekannten ,unbesiegbaren Germanen in den nördlichen Wäldern des von ihm nie betreten freien Germaniens .Ich hab sogar Angst ,dass seine Phantasie bisweilen mit ihm durchging.
Mehr noch.Ich hoffe er hat nicht gänzlich phantasiert was die Stammesnamen und die Geographie angeht,um sich eine beschwerliche und gefährliche Reise zu ersparen.
 
Die Chatten wurden ja nicht nur von Tacitus erwähnt, und er war auch nicht der erste, der sie erwähnt hat. Sie wurden auch schon von Strabon erwähnt.
 
Strabon hatte das gleiche Problem

Strabon hatte das gleiche Problem.Vielleicht hat Tacitus einfach Strabons Idee übernommen?
Die Chatten müssten was hinterlassen haben,was Fassbares,Materielles.Als Naturwissenschaftler folgt man dem Historiker so lange ,wie er die Spuren seiner Geschichten aufzeigen kann.
Ich glaube was ich nachvollziehen,was ich sehe und befühlen kann.
 
Was genau erwartest Du denn? Ein Fundstück, auf dem steht: ""Ich wurde von einem Chatten angefertigt"? Die Zuordnung von Funden im germanischen Raum zu einzelnen Stämmen ist meist ein Problem, und die Stammesnamen kennen wir meist nur aus römischen und griechischen Quellen.
 
Ja, wobei ich denke, dass die Ausführungen Tacitus' zu den Chatten trotz aller kritischen Betrachtung nicht nur das typische Germanenbild der Zeit bedienen sollen, sondern eben auch brauchbare Nachrichten zu diesem schwer fassbaren Stamm liefern können.

Ich frage mich immer wieder,ob die Chatten als germanischer Stamm Realität,oder einfach Tacitus Pseudonym war, für für den unbekannten ,unbesiegbaren Germanen in den nördlichen Wäldern des von ihm nie betreten freien Germaniens .Ich hab sogar Angst ,dass seine Phantasie bisweilen mit ihm durchging.

Das ist die Grundfrage, die wir heute kaum noch beantworten können: Wen meinten die Römer, wenn sie von Chatten, Cherusker, Brukterern etc. sprachen? Stimmte das mit Selbstbezeichnungen der genannte Stämme überein? Wie konstituierten sich die Stämme? Gab es sie überhaupt? Alles Aspekte der gleichen Frage. Ich habe den Verdacht, dass die Römer mit Stammesnamen "staatsähnliche" Strukturen verbunden haben, die in Wahrheit gar nicht vorhanden waren. Denkbar wäre folgendes Szenario: Die Legionen marschierten in einem Jahr in einen Landstrich ein und trafen dort Leute, die sich selbst als Sugambrer bezeichneten. Zwei Jahre später marschierten sie in denselben Landstrich ein und trafen auf dieselben Leute - aber wegen "innenpolitischer Verschiebungen" nannten die sich plötzlich nicht mehr Sugambrer sondern Chatten. Und wir schließen heute daraus, dass Chatten ins Sugambrergebiet eingerückt seien (Namen beliebig austauschbar).

Meiner Ansicht nach waren die germanischen Stämme nicht so fest gefügte Gebilde, wie wir uns das heute gern vorstellen. Es gab damals keine Methode, wie die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Stamm "überprüft" werden konnte. Keine Melderegister, keine Sanktionsmöglichkeiten. So können sich Stammesgebiete verlagert haben, ohne dass ein einziger Mensch sich von seinem Wohnort wegbewegt hat. Keine Bewegung von "Völkern", sondern eine Verscheibung von "Loyalitäten".

Nehmen wir als Beispiel die Sugambrer. Die Archäologen grenzen deren Siedlungsgebiet heute auf den gesamten Bereich zwischen Lippe- und Sieg-Mündung ein. Das ist auch plausibel, wenn man den Schriften Caesars glaubt. Die Sugambrer waren zu jener Zeit auf jeden Fall ein Machtfaktor. Aber das Gebiet ist einfach zu groß, um an einen homogenen Stamm denken zu können. Es gibt inzwischen Untersuchungen von Völkerkundlern, die den Schluss nahelegen, dass es germanische Stammesgebiete von solcher Größe nicht gegeben haben kann. Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich eine "Bürokratie" herausbildet, wenn der Radius eines Stammesgebiets so groß wird, dass man die Strecke nicht mehr an einem Tag zufuß zurücklegen kann. Und für das Vorhandensein von "Bürokratie" haben wir bezüglich der germanischen Stämme keine Belege. Leider kann ich hier keine Quelle nennen, da ich von den Untersuchungen in einer Tageszeitung gelesen habe (FR? Süddeutsche?). Ich weiß nur noch, dass es um einen amerikanischen Völkerkundler ging, der frühe Stammesgesellschaften in Asien, Südamerika und Afrika oder Europa untersucht hat.

Wenn man das als gegeben hinnimmt, dann wären die Bevölkerungsstrukturen, die wir heute als "Stämme" bezeichnen, nur mehr oder weniger feste Zusammenschlüssen von Sub- und Subsub-Stämmen, die jederzeit zerfallen oder sich neu formieren konnten. Das würde auch die zahllosen Stammesnamen erklären, die in der Literatur aufscheinen und zum Teil nach ein paar Jahren wieder spurlos verschwinden.

Daraus könnte man dann wieder schließen, dass es für den Stamm der Chatten keine Ethnogenese gab, sondern nur eine zeitweilige Verschiebung von Machtstrukturen.

MfG

P.S.: Das würde auch erklären, dass sich einzelne Stämme archäologisch nicht unterscheiden lassen. Man kann elbgermanische Einflüsse von rhein-weser-germanischen unterscheiden, mehr aber auch nicht.
 
Da die Römer über Jahrzehnte mit germanischen Stämmen zusammenarbeiteten ist es eigentlich nicht denkbar, dass sie nicht mitbekommen haben sollten, dass dieser oder jener Stamm sich bloß umbenamt haben sollte. Sicher ist die Stammeszugehörigkeit eine Frage von Loyalitäten, aber der einzelne Angehörige war in ein Netz familiärer Abhängigkeiten eingebunden. Desweiteren kann man anhand archäologicher Kulturen Wanderungsbewegungen festmachen (etwa von der Elbe nach Südwestdeutschland) was auch eher für engere las losere Stammesbindungen spräche.
Was halt problematisch war, war, dass die Stämme nicht unbedingt politische Einheiten bildeten.
 
aber wegen "innenpolitischer Verschiebungen" nannten die sich plötzlich nicht mehr Sugambrer sondern Chatten
Wieso sollten sie sich einfach so umbenennen? Ein Stammesname ist doch ein Identitätsmerkmal, das man nicht so einfach ändert, bloß weil die politische Führung wechselt.

Meiner Ansicht nach waren die germanischen Stämme nicht so fest gefügte Gebilde, wie wir uns das heute gern vorstellen. Es gab damals keine Methode, wie die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Stamm "überprüft" werden konnte. Keine Melderegister, keine Sanktionsmöglichkeiten.
Da hast Du natürlich recht, aber die Menschen lebten normalerweise entweder in Sippenverbänden oder im Gefolge eines Adligen. Irgendwelchen dahergelaufenen Fremden, die niemand kannte und die vielleicht sogar einen abweichenden Dialekt sprachen, hätte man wohl kaum so einfach über den Weg getraut.

Es gibt inzwischen Untersuchungen von Völkerkundlern, die den Schluss nahelegen, dass es germanische Stammesgebiete von solcher Größe nicht gegeben haben kann. Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich eine "Bürokratie" herausbildet, wenn der Radius eines Stammesgebiets so groß wird, dass man die Strecke nicht mehr an einem Tag zufuß zurücklegen kann.
Große Gebiete können auch aufgrund persönlicher Abhängigkeiten und Loyalitäten funktionieren. Ein Stammesführer braucht nicht unbedingt einen Beamtenapparat, wenn er loyale Verwandte oder Freunde hat. Außerdem: Dann hätten sich auch im Mittelalter keine Stammesherzogtümer herausbilden dürfen, denn eine Bürokratie hatten die genausowenig.
 
Was genau erwartest Du denn? Ein Fundstück, auf dem steht: ""Ich wurde von einem Chatten angefertigt"? Die Zuordnung von Funden im germanischen Raum zu einzelnen Stämmen ist meist ein Problem, und die Stammesnamen kennen wir meist nur aus römischen und griechischen Quellen.
Allen Ernstes wurde ein solcher Gegenstand: In Form eines Grabsteines, der offenbar einem Chatten gehörte mit folgender Inschrift:
Priscus Flanalli f. Cattus eques alae Paniio...
Der Chatte Priscus, Sohn des Flanallus, Reiter der pannonischen Ale...
Für die Römer ritt also einer, der sich für einen Chatten hielt und solches auf dem Grabstein stehen hatte.

Wieso sollten sie sich einfach so umbenennen? Ein Stammesname ist doch ein Identitätsmerkmal, das man nicht so einfach ändert, bloß weil die politische Führung wechselt.
Genau das ist aber mit den Chatten passiert!:grübel:
Nämlich die Trennung der Bataver von Chatten.
Dazu Tacitus: Von allen diesen Stämmen sind die Bataver am tapfersten. Sie bewohnen einen Streifen am linken Ufer und in der Hauptsache die Rheininsel. Ursprünglich ein Zweig der Chatten, zogen sie wegen inneren Zwistes in die jetzigen Wohnsitze, wo sie dem römischen Reiche einverleibt werden sollten.

Andererseits scheinen politische und militärische Einheit bei den Stämmen keine Große Rolle zu spielen.
So zeigt es das Beispiel der Cherusker, über die ja einiges mehr überliefert. Die einzelnen "Fürsten" der Cherusker arbeiten offenbar nicht zusammen, obwohl sie verwandt waren. Arminius kämpfte gegen die Römer, sein Bruder Flavius für die Römer, Schwiegervater Segestes wechselte hin und wieder, Onkel Inguiomerus kämpfte gegen Arminius auf seiten des Markomannenkönigs Maroboduus, der neben der cheruskischen Gefolgschaft auf Langobarden, Semnonen usw. auf seiner Seite hatte.
Der Cheruskerstamm taucht nicht als politische Einheit auf, wird jedoch von einer einzigen Familie dominiert, deren Mitglieder eigene Herrschaft aufbauen und einander bekämpfen. (Ähnliches Phänomen Jahrhunderte später: Die Merowinger bei den Franken.)
Loyale Verwandte und Stammesbrüder, nichts liegt ferner.
Bei den Chatten scheint es ähnlich gewesen zu, zumal ja die Chatten-Fürsten gleich mehrfach mit den Cherusker-Fürsten verschwägert waren. Zumindest sind für die wenigen Jahre um die Varus-Schlacht mehr als eine Hand voll Fürsten überliefert.

Was diese "Stämme" nun eigentlich bedeuten, bleibt unklar. Es gab offensichtlich Ober- und Untergruppierungen, deren genaue Bedeutung schwer zu fassen ist, vor allem ethnische Bedeutung hatten und keine politische.
Eine interessante Sache sind da die vielfältigen Abstammungsmythen der Germanen. Sie stammten von einander ab oder bildeten es sich wenigstens, praktische Bedeutung für politische Einheit und Bündnisse hatte es offenbar nicht. Auch die Abstammung der Bataver vn den Chatten, für die es auch ärchäologische Argumente gibt, bleibt in der Politik ohne Bedeutung.
Bei den überlieferten Kriegen bleibt auch unklar, wer die Chatten sind, die da die z. B. die Provinz Belgica überfallen. Ein einzelner Chattenfürst mit seiner Gefolgschaft, das wohlmöglich noch zum größten aus Sueben, Cheruskern, Hermunduren usw. besteht?
Wie auch immer, an der Existenz des Chatten-Stammes ändert es nichts, nur an seiner Relevanz.
 
Zuletzt bearbeitet:
Allen Ernstes wurde ein solcher Gegenstand: In Form eines Grabsteines, der offenbar einem Chatten gehörte mit folgender Inschrift:
Priscus Flanalli f. Cattus eques alae Paniio...
Der Chatte Priscus, Sohn des Flanallus, Reiter der pannonischen Ale...
Für die Römer ritt also einer, der sich für einen Chatten hielt und solches auf dem Grabstein stehen hatte.
Interessanter Hinweis, danke!
Allerdings ist das auch nur eine römische Erwähnung. Es ist schließlich nicht gesagt, dass Priscus oder ein Angehöriger den Grabstein selbst in Auftrag gab, das können auch nichtgermanische Kameraden gewesen sein.

Genau das ist aber mit den Chatten passiert!:grübel:
Nämlich die Trennung der Bataver von Chatten.
Dazu Tacitus: Von allen diesen Stämmen sind die Bataver am tapfersten. Sie bewohnen einen Streifen am linken Ufer und in der Hauptsache die Rheininsel. Ursprünglich ein Zweig der Chatten, zogen sie wegen inneren Zwistes in die jetzigen Wohnsitze, wo sie dem römischen Reiche einverleibt werden sollten.
Da kam es aber zu einer Abspaltung, da ist nicht weiter erstaunlich, dass sich der neue Stamm einen neuen Namen zulegt - so wie auch umgekehrt sich später die entstehenden Großstämme neue Namen verpasst haben. Beides ist aber etwas anderes als wenn sich ein Stamm trotz äußerlicher und innerlicher Kontinuität umbenennt.
 
Die Dominanz einer einzigen Familie sehe ich bei den Cheruskern so klar nicht. Ob die Familie um Segimer/Arminius/Flavius/Inguiomer mit Segestes/Segimund etwas zu schaffen hat, wissen wir nicht. Erst das für die Segestier unfreiwillige Schwiegerverhältnis macht sie historisch erkennbar zu "Verwandten".
 
Da die Römer über Jahrzehnte mit germanischen Stämmen zusammenarbeiteten ist es eigentlich nicht denkbar, dass sie nicht mitbekommen haben sollten, dass dieser oder jener Stamm sich bloß umbenamt haben sollte.
Auf eine mögliche Umbenennung ganzer Stämme wollte ich an der Stelle nicht hinaus. Nur auf den Umstand, dass einzelne Sippen, meinetwegen auch "Dorfgemeinschaften" oder "Gaue" oder wie auch immer man das definieren will, ihre Loyalität gewechselt haben könnten. Nehmen wir als Beispiel wieder die Sugambrer. Die sind von Drusus besiegt und als Stamm zerschlagen worden, viele wurden umgesiedelt. Danach existierte der Stamm nicht mehr - jedenfalls taucht er in der Geschichtsschreibung nicht mehr auf. Aber es deutet nichts darauf hin, dass Drusus die gesamte Region zwischen Lippe und Sieg entvölkert hätte. Wie haben sich die "Zurückgebliebenen" in der Folgezeit genannt? Haben sie einen neuen Stamm gebildet? Oder sich benachbarten Stämmen "angeschlossen"?

Auch Umbenennungen ganzer Stämme sind denkbar, sogar wahrscheinlich. Wieder die Sugambrer: Wolters hat die Theorie geäußert, dass der Reststamm der Sugambrer in der Folgezeit unter dem Namen Marser in Erscheinung getreten ist; die Umgesiedelten nannten sich fortan vermutlich Cugerner.

Und dann die Franken. Dazu gleich mehr...

Wieso sollten sie sich einfach so umbenennen? Ein Stammesname ist doch ein Identitätsmerkmal, das man nicht so einfach ändert, bloß weil die politische Führung wechselt.
So interpretieren wir das heute. Aber genau das könnte der Denkfehler sein. Zwei Jahrhunderte lang hatten die Römer es an der Rheingrenze mit germanischen Stämmen zu tun, die in der Literatur immer wieder benannt werden. Immer wieder tauchen dabei auch plötzlich neue Namen auf und verschwinden wieder. Aber das nur am Rande. Man sollte jedenfalls annehmen, dass die Römer nach 200 oder 300 Jahren ziemlich genau wussten, mit wem sie es da zu tun hatten. Und dann tauchen plötzlich aus dem Nichts die Franken auf. Wie wir heute wissen, gab es diese Franken anfangs eigentlich gar nicht. Es handelte sich offenbar um Kriegergruppen, die sich aus unterschiedlichen Stämmen rekrutierten - und die sich willkürlich selbst einen neuen Namen gegeben haben. So "identitätsstiftend" kann die Stammeszugehörigkeit also nicht gewesen sein.

Sicher ist die Stammeszugehörigkeit eine Frage von Loyalitäten, aber der einzelne Angehörige war in ein Netz familiärer Abhängigkeiten eingebunden. Desweiteren kann man anhand archäologicher Kulturen Wanderungsbewegungen festmachen (etwa von der Elbe nach Südwestdeutschland) was auch eher für engere las losere Stammesbindungen spräche.
Was halt problematisch war, war, dass die Stämme nicht unbedingt politische Einheiten bildeten.
Eben. Loyalität und familiäre Abhängigkeit (Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung), aber keine politische Einheit. Alles weitere ist nur noch ein Wort, ein Name, den Menschengruppen sich selbst geben. Das ist bis heute so. Sind wir Europäer, Deutsche, Hessen, Westfalen...?

Die von Dir angesprochenen Wanderungsbewegungen gehören in die Diskussion eigentlich nicht rein. Archäologisch nachweisbar ist ja schließlich auch, dass die Wandernden keinesweg nur einem einzigen Stamm angehörten. Da haben sich Kleinstämme zu Großstämmen zusammengefunden und sind unter neuem Namen aufgetreten (oder sind von den Römern so betrachtet und angesprochen worden).

Das alles ist natürlich nur meine Meinung. Die stützt sich aber auch auf die Erkenntnisse, die uns über die heute noch existierenden Stammesgesellschaften vorliegen. Und über die kann man zusammenfassend sagen: Keine dieser Stammesgesellschaften weist eine zentrale Struktur auf. Kernstück der Gesellschaften ist die Sippe, integrierendes Element ist Verwandtschaft beziehungsweise Verschwägerung. Zwischen nahe beieinander wohnenden Gruppen von Sippen, gibt es relativ enge Beziehungsgeflechte, die zum Beispiel auf Handel oder auch auf Einheiraten in der Vergangenheit beruhen können. Mehrere solcher "Sippen-Gruppen" bilden Sub-Stämme, mehrere solche Sub-Stämme finden sich zum Stamm zusammen. Je höher man in der "Hierarchie" geht, desto fragwürdiger und brüchiger werden die Loyalitäten. Eine zentrale "Führung" gibt es nicht. Es gibt deshalb auch keine "Sanktionierung". Niemand hindert eine Sippe daran, Kontakte zu Sippen eines anderen Stammesgeflechts zu unterhalten. Das ist keine Frage der Stammesstruktur. Es hat nur was mit geografischer Nähe zu tun.

MfG
 
Und dann tauchen plötzlich aus dem Nichts die Franken auf. Wie wir heute wissen, gab es diese Franken anfangs eigentlich gar nicht. Es handelte sich offenbar um Kriegergruppen, die sich aus unterschiedlichen Stämmen rekrutierten - und die sich willkürlich selbst einen neuen Namen gegeben haben. So "identitätsstiftend" kann die Stammeszugehörigkeit also nicht gewesen sein.
Die Franken entstanden aber auch nicht durch Umbenennung eines Stammes, sondern durch den Zusammenschluss (wie auch immer der konkret gelaufen sein mag) mehrerer vorhandener Stämme. Das der neue Stamm nicht einfach den Namen eines der Gründerstämme übernahm, ist dabei wohl nicht weiter erstaunlich, das hätte den anderen nicht gepasst.
 
Und jetzt sind sie sogar aus diesem Thread verschwunden:motz:

Und ich bin schuld :red:. Vergib mir. Ich lebe zwar im Chattenland, bin im Herzen aber offenbar immer noch Westfale. Von mir war nichts anderes zu erwarten :pfeif:. Aber keine Sorge, auch ich will die Chatten nicht wegdiskutieren. Ich frage mich nur, ob der Name immer und zu allen Zeiten dieselben Leute bezeichnet hat.

Die Franken entstanden aber auch nicht durch Umbenennung eines Stammes, sondern durch den Zusammenschluss (wie auch immer der konkret gelaufen sein mag) mehrerer vorhandener Stämme. Das der neue Stamm nicht einfach den Namen eines der Gründerstämme übernahm, ist dabei wohl nicht weiter erstaunlich, das hätte den anderen nicht gepasst.
Zusammenschluss. Das ist das Stichwort. Aus heutiger Sicht wissen wir nur, dass sich das Siedlungsgebiet der Chatten von Nordhessen bis an den Rand des späteren Limes ausgedehnt hat (die Hermunduren haben da auch noch drin rumgefuhrwerkt, aber die lassen wir jetzt mal außen vor), aber: War das eine Bevölkerungsbewegung? Sind da Familien von Nordhessen nach Mittelhessen gewandert und haben auf ihrem Weg andere Familien verdrängt? Archäoligisch gibt es keine Hinweise auf so eine Verdrängung. Könnte es nicht auch so gewesen sein, dass sich mittelhessische Familien/Sippen/Clans, die sich zuvor als Angehörige z.B. der Ubier bezeichnet hatten, nach dem Verschwinden der Ubier ihre Loyalität zu den Chatten erklärt haben - weil die als einziger Stamm noch in erreichbarer Nähe waren?

Ich verweise nochmal darauf, dass die Stämme keine zentralen Strukturen hatten. Sie wussten nicht mal genau, welche konkreten Menschen sich ihnen zugehörig fühlten. Es gab keine Bevölkerungslisten. Folglich kann es auch niemanden gegeben haben, der einen "Abfall" vom Stamm "sanktioniert" hätte. Die Frage, welchem Stamm sich eine Sippe zugehörig fühlte, lag allein in der Entscheidungsbefugnis der Sippe. Oder der Gruppe von Sippen, die engere Kontakte unterhielt.

Es gibt einfach keine Hinweise darauf, dass die Chatten von Nordosten nach Südwesten ziehend Hessen erobert hätten. Sie haben bloß ihren Einflussbereich nach Südwesten ausgedehnt. Das kann auch einfach dadurch geschehen sein, dass die im Südwesten lebenden Leute sich ihnen zugehörig erklärt haben. Aus welchen Gründen auch immer.

Aus diesem Grund sagt Wolters, dass die Germanen im Kontakt mit den Römern eine "erschreckende Mobilität" an den Tage gelegt hätten. Sie konnten sich jederzeit zu neuen Stämmen zusammenschließen. Und in keinem dieser Stämme konnten die Römer einen Verhandlungspartner finden, der allgemeinverbindlich für den ganzen Stamm hätte sprechen und seine Entscheidungen allgemeinverbindlich hätte durchsetzen können. Deshalb ist es für uns heute genauso schwer, die Stämme zu identifizieren und zu fassen, wie das damals für die Römer war.

Nein. Nicht genauso schwer. Für uns ist die Frage ja nicht mehr mit dem Einsatz von Schwertern verbunden...

MfG
 
Zusammenschluss. Das ist das Stichwort. Aus heutiger Sicht wissen wir nur, dass sich das Siedlungsgebiet der Chatten von Nordhessen bis an den Rand des späteren Limes ausgedehnt hat (die Hermunduren haben da auch noch drin rumgefuhrwerkt, aber die lassen wir jetzt mal außen vor), aber: War das eine Bevölkerungsbewegung? Sind da Familien von Nordhessen nach Mittelhessen gewandert und haben auf ihrem Weg andere Familien verdrängt? Archäoligisch gibt es keine Hinweise auf so eine Verdrängung.

Wie Du schon richtig erwähnst, ist eine Wanderungsbewegung "chattischer" Gruppen von Nordhessen nach Mittelhessen archäolgisch nicht beweisbar. Schon die Tatsache, dass den um 10 v. Chr. noch unbedeutenden Chatten im Neuwieder Becken ehemals ubisches Siedlungsland zugewiesen wird, spricht gegen ein Verortung des Stammes zu dieser Zeit in Nordhessen. Erst im Laufe der folgenden 25 Jahre (10 v.Chr. - 15 n.Chr.) lässt sich anhand der Quellenlage ein Wanderungsbewegung "chattischer" Gruppen von Südwesten nach Nordosten rekonstruieren. Stationen wären dabei gewesen:
1. Neuwieder Becken, 2. Auswanderung zu den Sugambrern (zwischen Lippe und Sieg), 3. Mittleres und oberes Lahntal (als "chattisch" angesehen Trinkhornbeschläge am Dünsberg), 4. Nordhessen (nach Abzug suebischer Gruppen nach Böhmen)

Könnte es nicht auch so gewesen sein, dass sich mittelhessische Familien/Sippen/Clans, die sich zuvor als Angehörige z.B. der Ubier bezeichnet hatten, nach dem Verschwinden der Ubier ihre Loyalität zu den Chatten erklärt haben - weil die als einziger Stamm noch in erreichbarer Nähe waren?
So siehts aus! Nach der Umsiedlung der Ubier müssen wir für den mittelhessischen Bereich von einer Ausdünnung der Bevölkerung ausgehen. Im Kontext der gestiegenen römischen Aktivitäten im rechtsrheinischen Bereich könnte eine Identifikationsstiftung zwischen diesen "Rest-Ubiern", "Chatten" und Sueben stattgefunden haben, um sich der neuen Lage zu erwehren. Interessanterweise fällt in diesen Zeitraum auch das "letzte Gefecht am Dünsberg" zwischen römischen Truppen und nicht näher identifizierbaren Verteidigern (ca. 5. v.Chr.).

Ich verweise nochmal darauf, dass die Stämme keine zentralen Strukturen hatten. Sie wussten nicht mal genau, welche konkreten Menschen sich ihnen zugehörig fühlten. Es gab keine Bevölkerungslisten. Folglich kann es auch niemanden gegeben haben, der einen "Abfall" vom Stamm "sanktioniert" hätte. Die Frage, welchem Stamm sich eine Sippe zugehörig fühlte, lag allein in der Entscheidungsbefugnis der Sippe. Oder der Gruppe von Sippen, die engere Kontakte unterhielt.

Cassius Dio berichtet aber doch von einem gescheiterten Versuch des römischen Befehlshaber Lucius Domitius Ahenobarbus, cheruskische Adelige zurück in ihr Stammesgebiet zu führen. Dass dieses Unternehmen scheiterte, ist doch ein klarer Beweis dafür, dass der Abfall gewisser Gruppen saktioniert werden konnte, auch wenn der Stamm über keine eigene "Verwaltung" verfügte.

Es gibt einfach keine Hinweise darauf, dass die Chatten von Nordosten nach Südwesten ziehend Hessen erobert hätten. Sie haben bloß ihren Einflussbereich nach Südwesten ausgedehnt. Das kann auch einfach dadurch geschehen sein, dass die im Südwesten lebenden Leute sich ihnen zugehörig erklärt haben. Aus welchen Gründen auch immer.
Sie haben ihren Einflussbereich in umgekehrter Richtung nach Nordosten in die niederhessische Senke ausgedehnt. Mit dem Abzug suebischer Gruppen aus diesem siedlungsfreundlichen Raum nach Böhmen und der Einwanderung von Chatten in dieses Gebiet eine "zweite Stammesbildung" statt, in der auch die spätlatenezeitliche, vorgermanische Bevölkerung und verbliebene Sueben eine Rolle spielen. 15 n.Chr. beweisst die Zerstörung Mattiums, des Hauptortes oder Zentralheiligtums (caput gentis) der Chatten, durch Germanicus, dass deren Machtzentrum nun nördlich der Eder lag und nicht mehr im Lahntal.
 
Ich frage mich immer wieder,ob die Chatten als germanischer Stamm Realität,oder einfach Tacitus Pseudonym war, für für den unbekannten ,unbesiegbaren Germanen in den nördlichen Wäldern des von ihm nie betreten freien Germaniens .Ich hab sogar Angst ,dass seine Phantasie bisweilen mit ihm durchging.
Mehr noch.Ich hoffe er hat nicht gänzlich phantasiert was die Stammesnamen und die Geographie angeht,um sich eine beschwerliche und gefährliche Reise zu ersparen.

Um auf deine Frage zurückzukommen, Andrix:
Archäologisch sind die Chatten natürlich genauso wenig fassbar, wie andere "germanische" Stämme, v.a. im Mittelgebirgsraum. Aber das weißt Du ja sicherlich besser als ich.;) Man kann nur hoffen, dass Tacitus' Phantasie nicht zu lebhaft war und ihm ein paar authentische, einheimische Quellen zur Verfügung standen. Selbst bei den vier namentlich erwähnten Adeligen weiß man heute nicht, ob es sich eigentlich um nur zwei Personen handelte, deren Namen falsch verstanden wurden...
 
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