Unsinnige Lehrerfragen z.B. "Gründung des Kaiserreichs - Anfang des deutschen Übels?"

Lehrer sollen heute Schüler zu denkenden Menschen erziehen, die eben nicht einfach Faktenwissen abspulen, sondern Geschichte rekonstruieren, dekonstruieren und bewerten; die Schüler sollen also kritisch mit Geschichtsdeutungen umgehen, auch mit denen ihrer Lehrer und ihrer Lehrbücher. Dazu sind polarisierende Ausgangshypothesen ganz hilfreich.
Aber besteht da nicht erst recht die Gefahr, dass da das Ergebnis des "eigenständigen" Denkens schon vorgegeben wird? Wenn ein Schüler eine solch tendenziöse Fragestellung erhält, könnte er meinen, dass der Lehrer von ihm erwartet, dass er herausarbeitet, dass die Reichsgründung zwangsläufig zu den Weltkriegen und dem Holocaust geführt hat.
 
Aber besteht da nicht erst recht die Gefahr, dass da das Ergebnis des "eigenständigen" Denkens schon vorgegeben wird? Wenn ein Schüler eine solch tendenziöse Fragestellung erhält, könnte er meinen, dass der Lehrer von ihm erwartet, dass er herausarbeitet, dass die Reichsgründung zwangsläufig zu den Weltkriegen und dem Holocaust geführt hat.
Wieso? Die Behauptung "Reichsgründung = Wurzel allen Übels" wird doch gerade in Frage gestellt. Der Schüler ist nun aufgefordert, Argumente zu finden, entweder für oder gegen die These und schließlich die gefundenen Argumente gegeneinander abzuwägen.
 
Mir fällt beim lesen der obigen beiträge nur "geschichtskonstruktion" ein.

wozu dient denn geschichte? - ganz einfach ausgedrückt: um aktuelle zustände zu legitimisieren und kontinuitäten zu sich selbst rausgepickten (rosinen)ereignissen zu legen.

Da kommt mir das Zitat Napoleons in den Sinn: "Geschichte ist eine Lüge, auf die man sich geeinigt hat".

Das Thema Geschichte ist wohl ein Dauerbrenner; und es gibt immer wieder neue Erkenntnisse (ich denke da z.B. an die Pfahlbauten, die eben meist am Wasser standen, aber nur in ganz seltenen Fällen im Wasser). Gerade bei den Kulturen, die keine (oder sehr wenige) schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, ist die Rekonstruktion schwierig, man muss sich aus archäologischen Funden (oder ggf. aus Schriften von Reisenden wie z.B. Plinius etc. schlau machen, wobei auch solche Schriften sehr kritisch zu betrachen sind. Abgeschrieben wurde auch schon in der Antike; und Greuelpropaganda, womit man den anderen herabzusetzen versuchte, gab es auch schon damals).

Im übrigen finde ich die Fragestellung im vorliegenden Fall insofern gut, dass man fast gezwungen ist, Fluch und Segen der Kaiserreichgründung resp. deren Folgen aufzuzeigen. Die Fragestellung schliesst übrigens auch nicht aus, dass man ihre quasi negative Suggestion pulverisiert, indem man z.B. argumentiert, dass ein starkes Reich durchaus seine Vorteile hat gegenüber einem zwar vielleicht einem etwas demokratischeren Staat, der in Krisenfällen (wie z.B. Hegemoniegelüsten von Nachbarn) wohl etwas schwerfälliger gewesen wäre. Ein straff geführtes Reich braucht nicht per se schlecht zu sein, ein Herrscher kann sich auch z.B. für soziale Wohlfahrt einsetzen, oder eine rechtsstaatliche Justiz einführen, fördern, eine gute Infrastruktur erstellen bzw. instandhalten, etc.. Man müsste dann die Geschichte des deutschen Reiches detailliert analysieren, um sich ein Bild zu machen - somit wäre wohl die Zielsetzung resp. Absicht des Fragestellers erreicht.
 
Ich kann die Auffassung, dass es sich um einen "billigen Knalleffekt" handele nicht teilen. Die Frage ist doch, ob die Formulierung pädagogisch-didaktisch angemessen ist. Und wenn sie den Schüler anregt, sich mit der Geschichte des Deutschen Reichs von 1871 bis 1945 zu beschäftigen und dabei verschiedene Geschichtstheorien, wie etwa die vom deutschen Sonderweg kritisch zu beleuchten, zu beurteilen und zu bewerten, dann ist die Formulierung angemessen.

Sehe ich genau so, das wäre ein Ansatzpunkt.

Und anhand des Beitrags #1 im Thema würde ich anmerken, dass die kritische Befassung auch in die außenpolitische Richtung gehen kann, wo sie anhand der Wahrnehmung anderer Großmächte im Verlauf Ansätze finden kann (german peril, german danger usw.).

Dies hier, insbesondere "erinnern":
...Was macht denn das "deutsche Übel" aus?...
Solche Kontinuitäten, die an die Diskussion vom deutschen Sonderweg erinnern, halte ich für gefährlich. ...
würde ich daher als Verengung der Betrachtung verstehen.
 
Aber besteht da nicht erst recht die Gefahr, dass da das Ergebnis des "eigenständigen" Denkens schon vorgegeben wird? Wenn ein Schüler eine solch tendenziöse Fragestellung erhält, könnte er meinen, dass der Lehrer von ihm erwartet, dass er herausarbeitet, dass die Reichsgründung zwangsläufig zu den Weltkriegen und dem Holocaust geführt hat.
Genauso habe ich diese Frage verstanden. Vielleicht, weil ich die Apo (Außerparlamentarische Opposition, eine Sammlung teils Autonomer Linker) , RAF (Rote Armee Fraktion zum Teil eine deutsche Terrorgruppe) noch in Aktion erlebt habe. Und diese Sprache die Sprache der APO war.

{Erklärungen für die Nachgeborenen, man bin ich alt]
 
@Ravenik und Wilfried:

Ihr interpretiert zuviel in die Fragestellung hinein. Die ist nämlich gar nicht tendenziös.:p Stellt Euch vor: die kann man sogar verneinen.:autsch: Es bedarf keiner Lenkung der Schüler durch die behütende Aufgabenstellung "Erklärt warum die Reichsgründung nicht der Anfang allen Übels war". He Leute, warum sollte man im Unterricht nicht über "Gründung des Kaiserreichs - Anfang des deutschen Übels?" diskutieren können?:motz:

Interessant aber ist schon, welche Assoziationen bei dieser Frage aufsteigen. Das erinnert mich irgendwie an meine Lehrer der 80er, die überall nur Tendenzen, die APO und Kommies sahen.:still:
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich auch nicht. Das ist ein Fall für den Psychologen, vielleicht auch noch für den Sprachforscher. "Die Sprache" "der APO" bzw. "des SDS" klang doch ganz anders.
 
Lehrer sollen heute Schüler zu denkenden Menschen erziehen, die eben nicht einfach Faktenwissen abspulen, sondern Geschichte rekonstruieren, dekonstruieren und bewerten; die Schüler sollen also kritisch mit Geschichtsdeutungen umgehen, auch mit denen ihrer Lehrer und ihrer Lehrbücher. Dazu sind polarisierende Ausgangshypothesen ganz hilfreich.

Sehe ich auch so.
Die Fragestellung läßt sich nicht durch bloßes abschreiben aus einem Lehrbuch erledigen, und kann damit nicht zu reiner "Fleißarbeit" verkommen, die aber nicht erkennen läßt, ob ein Schüler sich mit dem Thema beschäftigt, gar es verstanden hat.

Grüße
excideuil
 
Ich wüsste nicht, was an dieser Frage auffällig "links" sein sollte.

Ich finde den APO-Bezug gar nicht mal so unpassend; alleine vom "deutschen Übel" reden zu können, ohne als "Vaterlandsverräter" darzustehen, ist v.a. den Enwicklungen seit den 60ern zu verdanken.

Ich kann Dir daher im Prinzip nur zustimmen: Die Frage ist mE durchaus geeignet, durch ihre provokante, aber nicht grundsätzlich tendeziöse Fragestellung zu einer Auseinandersetzung mit der deutschen geschichte anzuregen; der "Anfangsverdacht", den es kritisch zu untersuchen gilt, ist einfach da... ;)
 
Also, ich kann mich auch noch daran erinnern, dass meine Lehrer manchmal Fragen betont schwammig oder provokant gewählt haben, um uns zum Lernen bzw. Nachforschen zu animieren. Fand ich als Schülerin gar nicht so verkehrt, zumal wir nach Beantwortung der Frage meistens darüber diskutiert haben, ob die Frage nicht anders hätte heißen müssen. Zumindest bei den Lehrern, die noch gerne unterrichtet haben und uns zu DENKENDEN Individuen erziehen wollten :D Da gabs auch ein paar Andere, die keine Denker, sondern Mitläufer wollten, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich kann die Kritik nachvollziehen, dass man klare Sprache verwenden sollte, allerdings muss man den Unterschied zwischen einem Universitätsdozenten (der kriegt ja im Normalfall bereits denkende junge Individuen) und einem Gymnasiallehrer sehen.

Wenn ein Lehrer eine 11. Klasse übernimmt, bekommt er einen Haufen Jugendlicher, die meistens von den anderen Lehrern im Vorfeld "versaut" wurden, gelinde gesprochen (ich war eine der wenigen an der Schule, die wirklich Glück mit ihren Geschichtslehrern hatte, ausgenommen das 7. & 8. Schuljahr). Ich meine damit, dass diese Kids mit dem Gefühl in den Unterricht gehen, dass Geschichte ein dröges Fach ist und dass außer dem 2. Weltkrieg nichts Wichtiges passiert ist.

Um diese Menschen wieder für das Fach zu begeistern, erfordert es ein gesundes Maß an Provokation, wie ich finde. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Als ich in der 12. Klasse war, begann gerade Bush Juniors Krieg gegen den Irak. Unser Lehrer war der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, diesen Krieg zwischen zwei Themenblöcke zu schieben, um die Begeisterung für aktuelle Tages- und Weltpolitik zu fördern. Am Ende dieser Betrachtung (von geographischen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten des Landes) stand ein schriftliches Referat, welches wir in einer Präsentation zuvor vorstellen mussten.
Die Themen waren alle reißerisch, ich erwischte "Christentum vs. Islam - die neuen Kreuzzüge" (soviel zur Provokation). Ich fand die Fragestellung, die hinter diesem plakativen Titel steckt, mehr als nur interessant und hab ungefähr zwei Wochen allein in der Bibliothek verbracht um Infos zu suchen.

Bei meinen anderen Klassenkameraden war es nicht anders. Und daher denke ich, ein wenig Pathos oder eben Provokation gehört zum Unterrichten von Schülern eben dazu. Natürlich wurde von uns erwartet, die Referate in dem Unterricht angemessener Sprache zu verfassen, aber die Referatsthemen haben die Leute überhaupt erst dazu gebracht, sich in das Thema versenken zu wollen und sich damit zu befassen.

Von daher bin ich ganz bei den Lehrern, die sowas machen. Allerdings sollte das auf die Oberstufe bzw. Abschlussklasse beschränkt werden. Einem Schüler in der 7. oder 8. Klasse so ein Thema zu geben ist utopisch - diese Kids müssen erst lernen, Informationen zu suchen und Thesen zu formulieren, da sind klare Anweisungen notwendig.
 
Eine unsinnigere und den Schüler überfordernde Lehrerfrage wie hier:

http://www.geschichtsforum.de/f82/zufriedenheit-des-volkes-35624/

ist kaum denkbar.

M.
Ich wette mit dir um nen Kasten dass der Müll mit der "Zufriedenheit" auf Schülerchens Mist gewachsen ist. Ich gebe nicht umsonst einen eindeutigen Hinweis zur Zufriedenheit und Unzufriedenheit in dem Zusammenhang. Die eigentliche Frage stellt er ja in seinem Beitrag und dort steht ganz eindeutig
Diskutieren Sie anhand der Verfassung der DDR und einer anderen deutschen Verfassung des 19. und 20. Jahrhunderts, wie stark die Akzeptanz des politischen Systems dadurch beeinflusst wurde, ob die Verfassungsgebung durch das Volk erfolgt ist!
Herangehensweise normalerweise: woran kann man die Akzeptanz eines politischen Systems grundsätzlich messen? Und dann: Akzeptanz der Verfassung der DDR - Akzeptanz der Wahlverfassung - Vergleich der beiden sowie beantworten der Leitfrage, sofern man anfangs eine stellt, bspw. "Ist die Akzeptanz eines politischen Systems höher, wenn die Verfassungsgebung durch das Volk erfolgt?" Das ist nichts anderes als eine Erörterung eines historischen Themas. Was soll daran unsinnig sein?
 
Ich wette mit dir um nen Kasten dass der Müll mit der "Zufriedenheit" auf Schülerchens Mist gewachsen ist. Ich gebe nicht umsonst einen eindeutigen Hinweis zur Zufriedenheit und Unzufriedenheit in dem Zusammenhang. Die eigentliche Frage stellt er ja in seinem Beitrag und dort steht ganz eindeutig

Herangehensweise normalerweise: woran kann man die Akzeptanz eines politischen Systems grundsätzlich messen? Und dann: Akzeptanz der Verfassung der DDR - Akzeptanz der Wahlverfassung - Vergleich der beiden sowie beantworten der Leitfrage, sofern man anfangs eine stellt, bspw. "Ist die Akzeptanz eines politischen Systems höher, wenn die Verfassungsgebung durch das Volk erfolgt?" Das ist nichts anderes als eine Erörterung eines historischen Themas. Was soll daran unsinnig sein?

@Lili

Danke für Deinen Widerspruch, den ich so in etwa antizipiert hatte.

Bei der Analyse totalitärer Machtausübung kann eben nicht von dem gesetzten Recht ausgegangen werden. Das vermittelt nicht die historische Wirklichkeit in der DDR oder anderen totalitären Staaten.

Beispiel:

Ein relativ harmloses Punkkonzert wird durch die Polizei aufgelöst. Da ist nie etwas dramatisches passiert, mal kam es zur Auflösung, mal eben nicht. (Rechtsunsicherheit). Jetzt beschreibe ich Dir eine Vernehmung.

Vopo: M. sie haben ein nicht genehmigtes Konzert besucht.
M.: Ja.
Vopo: Wer hat sie den zu dem Konzert mitgenommen? Sie sind ja kein Punker.
M.: *Nachdenken, welche Namen nennst du*
Vopo: Sie brauchen Zeit, bräuchte ich auch.
Vopo: Ich hab mal nachgeforscht, sie lernen bei der... und wollen studieren, ich kenne den Kaderleiter ihrer ...
M.: *Sch...*
Vopo: Ihr Freund S. macht Ärger, der will einen Rechtsanwalt, sie auch?
M.:* In Abwägung*, nein, Genosse Oberleutnant.
Vopo: Gut.
Vopo: Beschreiben Sie den Abend.
M.: Wir wollten einfach nur Spaß, S. hat mich nicht überredet, wir wollten wirklich nur Spaß, der S. ist halt ein Kumpel.
Vopo: Spaß können sie in Jugendclubs haben.
M.: Ja, was ist mit S.?
Vopo: Nehmen sie ihn mit und bringen sie ihn nach Hause. Ihre Verantwortung.
M.: Gibt es eine Mitteilung an die Kaderleitung?
Vopo: Wahrscheinlich nicht, verp... dich.
M.: Hallo S., alles ok
S.: Ja, ich habe Sch... gebaut, ich hab gesagt in der Verfassung wäre Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst garantiert, da hat der Vopo gesagt, mit diesen Seiten kannst du dir den A... abwischen.
M.: Bist du wahnsinnig????????????????
M.: Hast Du was unterschrieben?
S.: Das Protokoll.
M.: Ja ich auch.
M.: S. Du siehst Sch... aus.
S.: M., frag bitte nicht.

Und nun zu rechtshistorischen Themen.


M.:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
@Lili

Danke für Deinen Widerspruch, den ich so in etwa antizipiert hatte.

Bei der Analyse totalitärer Machtausübung kann eben nicht von dem gesetzten Recht ausgegangen werden. Das vermittelt nicht die historische Wirklichkeit in der DDR oder anderen totalitären Staaten.
Ja, und das wäre die Kurzfassung der Lösung sofern Schülerchen seine Hausaufgaben anständig macht. Er soll halt selbst denkend und abwägend (=erörternd) draufkommen und es eben nicht vorgekaut bekommen. Bleibt so dann auch besser hängen. Also wie gesagt, Unsinn sehe ich in der Fragestellung an sich nicht, den Unsinn sehe ich mehr in den Assoziationen zur "Zufriedenheit".
 
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