Untergang des römischen Reiches

Ashigaru schrieb:
Zum Tacitus: er war ein Gegner des Prinzipats, war selbst Senator. Ich denke, es wäre falsch, hier mit Begriffen wie "nationaler Selbsthass" zu operieren; auch die von Dir zitierte Textzeile würde ich nicht so interpretieren, denn immerhin beschreibt Tacitus hier eine Tätigkeit des von ihm verehrten Onkels. Abgesehen davon, geht aus den ersten Abschnitten des Agricola wohl schon hervor, dass er das Reich kulturell überlegener hielt. Gleichzeitig lässt sich zu seiner Zeit kaum vom nationalstaatlichen Denken sprechen - in der Welt zur Zeit des Tacitus gab es nur das aus damaliger Sicht riesige Reich und ein paar unbedeutende Barbarenstämme an dessen Grenze bzw. das Partherreich an der Ostgrenze. In der Tat zeigte Tacitus aber die Vorliebe, seine Kritik an der Politik des Reiches in Barbarenreden zu verpacken.

PS: die römische Geschichte kann auch nicht dafür herhalten, um sie für ausländerfeindliche Theorien zu verwenden.

Es stellt sich aber auch die Frage, inwieweit die Gegnerschaft des Tacitus am Prinzipat real war oder ob sie eher 'akademischer' Natur war. Denn immerhin ist die Biographie des Tacitus nicht oder nur ganz schwer vereinbar mit einer derartigen Einstellung. Prätur unter Domitian, Organisation an den Jahrhundertspielen unter Domitian, wahrscheinlich cos. des. unter Domitian und Konsul unter Nerva. Statthalter unter Trajan, nicht in einer x-beliebigen Provinz, sondern in einer der beiden Provinzen, die die Krönung der senatorischen Laufbahn darstellten.
Ich habe mal gelesen - im kl. Pauly, neuen Pauly oder so - dass Tacitus dem Prinzipat zwar schon eher reserviert gegenübersteht, andererseits aber auch keine Alternative zum System anzubieten hat. Die Republik jedenfalls zählt auch für Tacitus nicht dazu. Würde er das senatorische Regime der Republik als non plus ultra ansehen, dann könnte man vielleicht meinen, dass er auch die Senatoren der Kaiserzeit in einem etwas besseren Licht darstellt. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist dies in keinem seiner WErke der Fall.

Tacitus ist meiner Meinung nach viel zu komplex, um für ihn - nach Aussage seiner Werke - einfache Aussagen zu treffen, ihn in irgendwelche Schablonen zu pressen.
 
gerthans schrieb:
Also, meine Zitate bezeugen eine schrumpfende Bevölkerung für Griechenland und Italien.

Nur dass dein Polybios-Zitat doch wohl aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt. Oder gibts noch einen Polybios, der mir bislang entgangen ist??? :grübel:

Und mit diesem Zitat dann ein Bevölkerungsproblem in der Spätantike beweisen zu wollen, ist methodisch mehr als nur ein kleines bischen fragwürdig. :motz:
 
zur Tetrachie:
unter Nichtberücksichtigung der kleinen Querelen am Anfang und Ende, kann man die Dauer auf die Regierungszeit Diokletians begrenzen, das sind 20 Jahre. Nicht wirklich sehr erfolgreich.

zu Tacitus:
Tacitus seh ich eher als Kritiker am Verfall der mos maiorum. Das Thema zieht sich relativ unscheinbar, jedoch immer wieder präsent durch sein Werk. Von nationalem Selbsthass ist jedoch allein durch die Teilnahme am C.H. nicht zu sprechen.

Forschungsliteratur von 1841, ist einfach nicht mehr zu gebrauchen, dass ist einfach zu lange her für ne Aussage.

Die verwaisten Grundstücke sind sicher ein Problem, jedoch hat die Ansiedlung von Germanen nichts damit zu tun, dass man die Kinder der leute haben wollte oder die Acker bestellen sollte, sondern dass man die Germanen an Rom binden wollte.
 
gerthans schrieb:
@Heinz: Verweichlichung durch Wohlleben war natürlich auch eine Ursache für den Untergang. Auch hier wäre ein Vergleich mit Westeuropa reizvoll...

Lieber Gerthans,
ich meine mit der Verweichlichung ist es in Europa noch nicht so weit her. Vielmehr hatte Europa und Deutschland an den beiden Weltkriegen bis in jüngster Zeit zu knabbern, die von Deutschland angezettelt wurden.:motz:
 
Wie schon die Vorschreiber erwähnt haben, hat die Tetrachie
nicht allzu lange gehalten, obwohl ja Teile ihrer Struktur für
die konstantinische Dynastie übernommen worden sind,
z.b. die regionale Aufteilung usw...
Auf die Konstantiner folgten die Valentianer. Wenn ich die Biografie
von Valentian I. lese, dann habe ich immer noch das Gefühl,
daß hier ein sehr fähiger Kaiser versucht, sein noch einigermaßen
intaktes Reich zu schützen, z.B. durch den Ausbau der Grenzen (Burgi).
Könnte man bezügl. der Regierungszeit von Valentian I. noch
ein letztes Mal von einem einigermaßen gefästigten und zusammen
gehaltenen Imperium sprechen oder war hier bereits das römische
Riech zu sehr geschwächt und nicht mehr zukunftsfähigkeit (im Sinne
seiner damals bisherigen Tradition)? Es geht mir wohlgemerkt um
den Zeitraum vor 378. Es ist mir klar, daß die Schlacht bei
Adrianopolis wie ein Dolchhieb für den römischen Organismus gewirkt
hat. Hmmh, was meint Ihr denn so, interessiert mich brennend.
:grübel::confused::grübel:
 
Die Desintegration des Römischen Reiches setzt meines Erachtens nach Theodosius (379–95) ein. Er war der letzte Kaiser, der die Zügel des gesamten Reichs in seiner Hand hielt, obgleich seine Alleinherrschaft kaum ein Jahr gedauert hatte. Auf seinen Tod fogte der Prozess des Niedergangs, der nie wieder rückgängig gemacht werden konnte. Insofern steht Theodosius "der Große" an einer ganz anderen Stelle der Entwicklung als Diokletian und Konstantin.

Die von Theodosius hinterlassene Dynastie regierte im Westen bis 455, im Osten bis 450. Die Herrscher dieser Zeit erwiesen sich als politisch unfähig: Honorius (395–423) und Valentinian III. (423–455) im Westen sowie Arcadius (395–408) und Theodosius II. (408–450) im Osten zählten als politische Potenzen überhaupt nicht, sondern waren Nullen. Zudem gelangten sie alle als Kinder und Jugendliche zur Regierung. Zeitlebens kamen sie kaum über die Gemächer ihres Palastes, geschweige denn über ihre Resiedenzstadt hinaus, also über Ravenna im Westen und Konstantinopel im Osten.

Ganz fern lag ihnen der Gedanke, an die Spitze eines Heeres zu treten, und das zu einer Zeit, als der Feind nicht mehr an der Grenze stand, sondern sein Lager mitten auf dem Reichsboden aufgeschlagen hatte.– Dieser unfähigen Familie war das Geschick des Römischen Reichs in der kritischsten Phase anvertraut, die es jemals erlebt hatte.

Zu dieser politischen Unfähigkeit – ja Lähmung – an der Staatsspitze kamen die verheerenden ökonischen Daten hinzu. Die Reichsbewohner sahen sich einer unerträglichen Steuerlast gegenüber, was besonders die Landpächter, die Kolonen, traf. Zwar hatte sie der Staat durch Gesetze an die Scholle gefesselt, doch flüchteten immer mehr Menschen, sodass um 400 weite Landstriche verödet waren.

Nimmt man das alles zusammen, so standen Wirtschaft und Gesellschaft am Rande Zusammenbruchs, oder befanden sich bereits mitten darin. Die finanzielle Situation des Reichs wurde immer hoffnungsloser und die Staatsflucht äußerte sich in einer völligen politischen Apathie der Bevölkerung.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Germanenreiche auf römischem Boden – Burgunder, Ostgoten, Westgoten, Wandalen usw. – den Sturz beschleunugten, da Widerstandskräfte kaum noch vorhanden waren. Die Absetzung des letzten (west)römischen Kaisers durch Odoaker im Jahr 476 markiert eigentlich nur noch das unspektakuläre Ende eines langjährigen Prozesses.
 
Dieter schrieb:
Die Desintegration des Römischen Reiches setzt meines Erachtens nach Theodosius (379–95) ein.
...
Die Absetzung des letzten (west)römischen Kaisers durch Odoaker im Jahr 476 markiert eigentlich nur noch das unspektakuläre Ende eines langjährigen Prozesses.

Dann dauerte der Niedergang also 80 Jahre lang.

Es ist interessant, wie lange man aus der Substanz zehren kann, bevor alles zusammenbricht.
 
Also hätte ein fähiger Herrscher wie z.B. Augustus, Trajan oder Aurelian
den raschen Zusammenbruch nach dem Tode des Theodosius verhindern
bzw. verzögern könnnen?
Es ist schon so, daß der radikale Schnitt nach Theodosius geschah,
allerdings dachte ich immer, daß dies mittel oder langfristig nach der
Schlacht bei Adrianopolis so kommen musste? Schließlich wurde
da doch ein Großteil der militärischen "Resourcen" vernichtet?
Irgendwie kamen beim ohnehin sich entwickelnden Niedergang
solche "Dolchhiebe" vor wie 378 die bereits erwähnte vernichtende Niederlage, der Zusammenbruch der Rheingrenze 406/407, die Plünderung Roms in 410.
Natürlich gab es viele Faktoren, die zum Untergang des römischen Reiches
geführt haben, aber das waren halt die auch für die damalige Bevölkerung
greifbaren Katastrophen, welche auch die nicht direkt Betroffenen ereilt haben.
 
Klaus schrieb:
Dann dauerte der Niedergang also 80 Jahre lang.

Es ist interessant, wie lange man aus der Substanz zehren kann, bevor alles zusammenbricht.
Es gibt Leute, die der Ansicht sind, daß der Niedergang bereits während
der Soldatenkaiserzeit begann, so um 260. Diese Meinung kann ich jedoch nicht teilen...
:grübel:
 
Also hätte ein fähiger Herrscher wie z.B. Augustus, Trajan oder Aurelian den raschen Zusammenbruch nach dem Tode des Theodosius verhindern bzw. verzögern könnnen?

Verzögern vielleicht - aber vermutlich nicht grundsätzlich verhindern. Das politische System des Prinzipats wies einen entscheidenden Makel auf, nämlich den, dass der Kaiser trotz all seiner Rechte nur schwach gegen Usurpationen geschützt war (die, so wird es zumindest in der aktuellen Forschung häufiger betont, mit den damit verbundenen Bürgerkriegen wahrscheinlich noch schädlicher waren als die äußeren Einfälle).
Im Grunde konnte im römischen Reich jeder Kaiser werden, für dieses Amt bedurfte es keiner besonderen Legitimation. De facto stammten nahezu alle Kaiser natürlich aus der Oberschicht, doch sind die Herkunftsbiografien und ihre sozialen Milieus viel vielfältiger als später etwa bei den deutschen (Adels-)Kaisern.
Die zweite große Schwäche der Kaiser war, dass sie angesichts der stark dezentralisierten Verwaltung (was ja in der Spätantike noch forciert wurde), stets auf der Hut sein mussten, was ihre Machtbasis betrifft. Wenn die Befehlshaber sich in den stark militarisierten Grenzprovinzen verschworen, konnte der Kaiser in Rom dies nur schwer frühzeitig kontrollieren und unterbinden.
Dies war ein Problem, dass niemals wirklich gelöst werden konnte. Die Tetrarchie war eine Reaktion darauf und zu einem gewissen Grad der richtige Ansatz. Doch bauten auch Diokletian und die anderen Tetrarchen kein geeignetes Sanktionsmittel ein, dass vor Staatsstreichen schützen konnte.

Schließlich wurde
da doch ein Großteil der militärischen "Resourcen" vernichtet?

In den vergangenen Jahren haben sich viele Aufsätze mit dem Problem der Grenzsicherung befasst und viele Forscher kommen zum Ergebnis, dass die römische Armee weder durch Adrianopel noch den Rhein-Übergang vieler Stämme 406 und die Plünderung Roms durch Alarich 410 so vollständig vernichtet wurde, wie man bisher annahm (jetzt sehe ich gerade, dass du diese Ereignisse auch erwähnt hast). So geht man unter anderem heute davon aus, dass die Rheingrenze noch etwa bis 450/60 ihre Gültigkeit hatte (auch wenn die dortigen Truppen nur noch sehr schwach waren).

Wie Dieter schon richtig bemerkt hatte, war es aber unter den Valentinianern schon zu einem Niedergang des Kaisertums gekommen. Die politische und vor allem militärische Führung gingen im Westreich an den "magister militum" über, eine Position, die häufig auch von Germanen übernommen wurde. Das ging auf Dauer nicht gut - die magistri und die Politik des Kaiserhofes strebten vielfach auseinander, was sich am dramatischsten wohl an der eigenhändigen Ermordung des Aetius 454 durch Kaiser Valentinian III. ablesen lässt.
 
Dem pflichte ich bei. Mir ging´s bei der Plünderung in 410 eher um
die demoralisierende Auswirkung "Wenn Rom fällt..."
Ashigaru schrieb:
So geht man unter anderem heute davon aus, dass die Rheingrenze noch etwa bis 450/60 ihre Gültigkeit hatte (auch wenn die dortigen Truppen nur noch sehr schwach waren).
Stimmt, schließlich wurde erst 455 Köln von den Franken erobert...

Also war im Prinzip Eurer Meinung nach das weströmische Reich
bereits lange vor 395 dem Untergang geweiht? :grübel:
 
Während man früher den Untergang Roms allein aus militärischer Sicht begründete, ist die Forschung heutzutage davon weit abgerückt. Wie oben mehrfach dargelegt, waren es vor allem wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die die tieferen Ursachen für den Verfall des Römischen Reich darstellten.

Katastrophen wie Adrianopel und ähnliche Niederlagen hätte ein intaktes Römisches Reich, wie es z.B. unter Augustus bestand, ohne große Mühe überstanden, desgleichen wäre wohl auch die Abwehr der Germanen damals schon im Vorfeld gelungen. Erst der innere gesellschaftliche und ökonomische Verfall lähmte Roms Widerstandskräfte so sehr, dass die Germanen zur existentiellen bedrohung wurden – was noch 300 Jahre zuvor kaum möglich gewesen wäre.

Vielleicht gibt es wirklich ein ungeschriebenes Gesetz, dass solchen Großreichen ähnlich einem Lebewesen Geburt, Aufstieg, Höhepunkt und Tod bringt. Da wären wir dann bei Spenglers "Untergang des Abendlandes", was man hier besser nicht thematisieren sollte.
 
Bei den vielen Beiträgen habe ich mir jetzt nur die letzten Seiten angeschaut. Zuerst möchte ich betonen, daß das römische Reich eben nicht mit Odoaker unterging, sondern mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken rund 1000 Jahre später. Wenn wir vom Untergang des Römischen Reiches sprechen, so bezieht sich das halt nur auf die Westhälfte. Aber auch hier wäre es falsch von einem Untergang durch Odoaker zu sprechen, herrschte Theoderich doch nicht als rex Gothicus oder ähnliches, sondern als rex romanorum. Sein Reich war als de facto dem Ostreich unterstellt. Auch das Westgotenreich in Aquitanien war offiziell Reichsgebiet. Viele Germanenreiche auf römischem Boden stellten sich als Föderaten zumindest offiziell in römische Tradition.
Es ist hier schon mehrfach angeklungen, daß der Untergang der Wsthälfte eine Reihe von Faktoren hatte. Dazu gehörten wirtschaftliche, soziale und politische Probleme. Es war in Teilen so, daß es der römischen Bevölkerung unter Germanenherrschaft besser ging als unter römischer Herrschaft. Die Steuerlast nahm ab, die Bevormundung ging zurück etc. Eine Schwäche war das politische System. Eine Staatsform, die auf Erbschaft setzt, scheint von vornherein ihr Ende schon programmiert zu haben. Eine weitere Schwäche war die Größe des Reiches, das wohl die administrativen Kräfte des Reiches überspannte. Dies erklärt z.B. warum oft Gegenkaiser akzeptiert wurden. Es war der Zentralmacht gar nicht mehr möglich überall präsent zu sein. Kinderarmut hingegen halte ich für keinen Grund, wenn es um den Untergang des Reiches geht. Ich habe es oben bereits erwähnt, die meisten Reichsbewohner standen trotz unterschiedlicher ethnischer Herrkunft in römischer Tradition. Um trotz Hyokkoses Bitte nicht in die Neuzet abzugleiten, mal ein Beispiel aus heutiger Zeit aufzugreifen, wenn die Bevölkerung der USA z.B. in 100/200 Jahren zum überwiegenden Teil aus Afroamerikanern und Mestizen/Latinos bestünde, wäre dies trotzdem nicht zwingend ein Gründ dafür, vom Untergang der USA zu sprechen. Diese Menschen sprächen sehr wahrscheinlich Englisch, würden weiterhin Republikaner oder Demokraten wählen und zum Sternenbanner die US-Hymne singen. Ein Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Reichszerfall besteht also nicht.
 
Hallo Beorna,

beorna schrieb:
...Zuerst möchte ich betonen, daß das römische Reich eben nicht mit Odoaker unterging, sondern mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken rund 1000 Jahre später. ......

und der Nachfolgestaat des heiligen römische Reich deutscher Nation wurde erst 1806 aufgelöst und der letzte Rest Roms, das Papsttum existiert heute noch. Mit etwas Chuzpe könnte man auch behaupten, das römische Imperium exitiere immer noch.

Aber von mir aus, wann ging Byzanz unter ? Doch nicht Mitte des 15.Jhd., da war es doch schon lange nur noch ein Stadtstaat, kaum machtvoller als heute der Vatikan.

Nein, ein Staatswesen, und hier speziell ein Imperium geht in dem Moment unter, wo es dauerhaft seine weltpolitische Vormachtstellung nicht mehr ausüben kann. Ob sich danach noch irgendein Gebilde Imperium nennt oder nicht spielt da keine Rolle, das Imperium ist dann Geschichte.

Und eins ist imho in dieser Diskussion etwas zu kurz kommen, nämlich folgendes:

Es hier vorwiegend gefragt "Warum ging das römische Imperium unter?". Die eigentlich richtige Frage wäre aber gewesen: "Warum überlebte das römische Imperium so ungewöhnlich lange ?"

Denn eins ist sicher: ALLE Imperien gehen unter !

Es hat noch nie und es wird auch nie ein Imperium ewig leben. Nicht der Untergang, nein der Zeitpunkt ist fraglich.

Und diese Untergänge haben eine gewisse volkswirtschaftliche Gesetzmässigkeit, kaum mal fällt ein Imperium durch rein äussere Faktoren, es ist meist die langfristig kaum zu vermeidende innere volkswirtschaftliche Zerrüttung.

Beste Grüsse, Trajan.
 
Dieter
“Während man früher den Untergang Roms allein aus militärischer Sicht begründete, ist die Forschung heutzutage davon weit abgerückt. Wie oben mehrfach dargelegt, waren es vor allem wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die die tieferen Ursachen für den Verfall des Römischen Reich darstellten.

Katastrophen wie Adrianopel und ähnliche Niederlagen hätte ein intaktes Römisches Reich, wie es z.B. unter Augustus bestand, ohne große Mühe überstanden, desgleichen wäre wohl auch die Abwehr der Germanen damals schon im Vorfeld gelungen. Erst der innere gesellschaftliche und ökonomische Verfall lähmte Roms Widerstandskräfte so sehr, dass die Germanen zur existentiellen bedrohung wurden – was noch 300 Jahre zuvor kaum möglich gewesen wäre.”

Mit dieser Aussage von Dieter bin ich völlig einverstanden. Die Hauptgründe für den Untergang der großen Staaten oder Imperien wie das Römische Reich sind immer die innerpolitischen Fehlentwicklungen und nicht die militärischen Niederlagen durch einen ausländischen Feind.
Die Kinderarmut der Römer war eine Nachfolge von diesen Fehlentwicklungen. Im Gegensatz zu Berona, finde ich, dass es zwischen der Kinderarmut und dem Untergang des Staates (und zwar nicht nur von dem Römischen Staat) einen sehr klaren Zusammenhang gab.

Die Kinderarmut ist der andere Name der Verödung und der dauerhaften Lähmung der wirtschaftlichen und militärischen Kräfte des Staates. In Verbindung mit den neu gekommenen “Barbaren” stand das Problem der “Integration” auch vor den damaligen Römischen Behörden, die sich am Ende als extrem unfähig erwiesen haben. Die von Dieter erwähnte Katastrophe bei Adrianopol (9.August 378) und ihre Vorgeschichte sprechen klar für sich selbst.
 
@ Kiprian

Ich sprach von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, aber es wäre unsinnig, das alles auf eine "Kinderarmut" zu reduzieren.

Das Römische Reich war ein multiethnischer Staat und das schon seit Mitte des 3. Jahrhunderts, als es die Apennin-Halbinsel unter seine Herrschaft gebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits die Griechen im Süden, die Etrusker in der Mitte, die Ligurer und Veneter im Norden integriert worden, ganz zu schweigen von der Vielzahl verwandter italischer Stämme wie z.B. Samniten, Volsker, Sabiner, Umbrer usw.

Die Integration dieser sprachlich und kulturell unterschiedlichen Völker brachte Rom reichen kulturellen Gewinn und trug wesentlich zu seiner künftigen Stärke bei. Dass "Kinderarmut" Roms Niedergang bewirkt hätte, wird sich durch keine seriöse Dokumentation nachweisen lassen. Wenn Felder verödet waren und das Städtewesen einen Einbruch erlebte, so lag das an den verheerenden ökonischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, nicht aber an "Kindearmut".

Im gesamten Imperium ist die Bevölkerungszahl denn auch nicht zurückgegangen, denn der oströmische Reichsteil erfreute sich weiterhin wirtschaftlicher und militärischer Stabilität. Das lag daran, dass Ostrom sowohl die größeren finanziellen Reserven hatte und die von ihm beherrschten Gebiete weiter entwickelt und reicher waren.

Die Mär von der "Kinderarmut" ist ein Konstrukt der Jahrhundertwende, das der amerikanische Historiker Tenney Frank im Jahr 1916 in den Vordergrund rückte. Schon der Titel seines Buchs "Rassenmischung im Römischen Reich" ist bezeichnend für die unterschwelligen rassistischen Tendenzen. Später haben es dann faschistische Staaten wie Nazi-Deutschland und Italien aufgegriffen und das Argument der "Kinderarmut" erfreut sich bis heute bei rassistischen Schwärmern großer Beliebtheit.
 
Salve. Ich vertrete auch die Meinung, daß auch Imperien
ihren Lebensyklus haben. So an sich, hat das (west)römische Reich
schon sehr lange gehalten. Natürlich kann man auf andere Hochkulturen
verweisen, jedoch hatten die nicht diese bemerkenswerte gut
funktionierende Infrastruktur, in der es nicht nur den Herrschenden
gut ging. Vielleicht fing ja die Uhr bereits bei der Etablierung des
Prinzipats an zu ticken, denn bereits in den frühen Jahren
waren Inflation und Rückgang der Landwirtschaft zu vermerken.
Was mich gerade ein wenig wundert, dürfte etwas off topic sein,
daß in der relativen Friedensphase des Pax Romana es keine
so voran treibenden Erfindungen gegeben hat wie z.B. während
der Renaissance, obwohl ja die Ausgangslage für neue Inovationen
idealer war als im kirchlich domierten Spätmittelalter.
Was meint Ihr, eine interessante Frage, derer wegen man ein neues
Thema starten sollte?

Gruß vom Augustus, der viele Fragen stellt... :confused::friends::grübel:
 
Ich sprach von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, aber es wäre unsinnig, das alles auf eine "Kinderarmut" zu reduzieren.

Bei einem derart umfassenden Gebilde wie dem Reich wäre es auch vermessen, auf einen einzigen kausalen Faktor alles zurückzuführen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sich wirklich eine Kinderarmut feststellen lässt und ob nicht die Sterblichkeit anstieg (wäre ja die andere Seite der Medaille). Für die Rheinprovinzen steht ein massiver Bevölkerungsrückgang, einsetzend schon ab dem 4. Jahrhundert, fest, der auch nicht ohne Folgen bleiben sollte. Ich denke, dass dadurch letztendlich auch der starke Kulturbruch im 6./7. Jahrhundert bedingt ist, der auch das gesamte linke Rheinufer umfasste, mit Ausnahme des stärker romanisierten Moseltales und den wenigen überlebenden Kirchenorten. Für die nachfolgenden germanischen Siedler war das römische Erbe damals wohl zu schwer zu wuchten, weshalb sich eben völlig andere Herrschafts-, Bewirtschaftungs- und Siedlungsformen entwickelten. Insbesondere konnten sie wohl die Steinbauten nicht weiter erhalten, es fehlten ihnen aber auch die Ingenieursfähigkeiten der Römer, was etwa die Bewässerung betrifft.
 
Octavianus schrieb:
Ich vertrete auch die Meinung, daß auch Imperien ihren Lebensyklus haben.

Schon. Aber das ist mir zu mystisch. Das Römische Reich war kein Schmetterling.

Daher möchte ich meine Frage aus Beitrag #146 wiederholen :

Wie ist die "Choreographie" (logische Abfolge von Schritten) des Niedergangs ?
Gibt es eine Zwangsläufigkeit, der sich niemand widersetzen kann / will ? Wo kommt die her ?
Gibt es ein Muster, das man bei auch bei anderen sozialen Systemen am "Ende des Lebenszyklus" findet, also verallgemeinern kann ?

Also : Kann man aus der Geschichte lernen oder sie nur beschreiben ?
 
Dieter
Dass "Kinderarmut" Roms Niedergang bewirkt hätte, wird sich durch keine seriöse Dokumentation nachweisen lassen.

Wenn ich mich nicht irre, unternahm schon Oktavian verschiedene Maßnahmen gegen die Folgen der Kinderarmut. Das Problem wurde nicht gelöst und später, als Folge der katastrophalen Sozial- und Wirtschaftslage, spitzte sich wieder zu.
Trotzdem, ich nehme an, dass es vielleicht nicht richtig ist über „Kinderarmut” zu sprechen, sondern über einen “massiven Bevölkerungsrückgang”, wie Ashigaru gesagt hat. Das ändert aber gar nichts. Übrigens, wer Tenney Frank ist, weiß ich nicht.

Dieter
Im gesamten Imperium ist die Bevölkerungszahl denn auch nicht zurückgegangen, denn der oströmische Reichsteil erfreute sich weiterhin wirtschaftlicher und militärischer Stabilität. Das lag daran, dass Ostrom sowohl die größeren finanziellen Reserven hatte und die von ihm beherrschten Gebiete weiter entwickelt und reicher waren.

Das ist nicht ganz korrekt. Eine der Hauptursachen, die die erfolgreiche slawische Einwanderung im 6. Jahrhundert ermöglichte, war nämlich die Verödung (aus verschiedenen Grunde) der weiteren Teile von dem Oströmischen Reich. Das Land südlich von Donau war buchstäblich fast leer.
 
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