Das Hauptproblem, das wir damit haben, ist wohl, dass wir bei dem Begriff "Hure" die sexuelle Komponente als primäres Merkmal sehen. Dabei waren ja die dauerhafteren (auch bisweilen bürgerlichen) Mätressen eher eine Art von Ehepartnerersatz, einige Herrscher lebten mit ihren Mätressen in einer eheähnlichen Beziehung, welche uns ganz anders als das übliche Verhältnis zwischen einer Kurtisane und ihrem Kunden zukommt. Auf der anderen Seite haben wir bisweilen bei den Mätressen genauso wie bei den Kurtisanen eine Art Zuhälter. Bei den Mätressen waren dies einzelne Personen, welche eine Dame ihrer Wahl in den Umkreis des Herrschers zu platzieren versuchten, um entweder eine missliebige vorhande Mätresse zu vertreiben oder um einfach mehr Einfluss beim Herrscher zu gewinnen, denn viele Mätressen vergaßen es diesen Gönnern ja ihr Leben lang nicht und hievten sie durch das offene Ohr ihres fürstlichen Liebhabers in hohe Positionen.
Ich denke, die große Schwierigkeit hierbei ist, dass wir mit heutigen Maßstäben messen. In Zeiten, wo sich auch eine unverheiratete Frau selbst erhalten kann, sind Affären tatsächlich zumeist rein sexueller Natur. Das Mätressenwesen dient jedoch (zudem) einem anderen Zweck: sie ermöglichen einem Menschen, der in einer arrangierten Ehe gefangen ist, oder der nicht nach Belieben heiraten darf, wen er möchte, trotz seiner Situation soetwas wie Liebe und menschliche Nähe zu erleben.
Das Thema hatten wir schoneinmal, ich weiß, aber es ist nunmal Fakt, dass es bis ins 19. Jahrhundert hinein eben nicht jedem freistand, zu heiraten, wen er/sie wollte. Eine Ehe war ein Geschäft, ob nun politischer oder Wirtschaftlicher Art und war dazu da, die Macht oder den Wohlstand zu erhalten. Da ranghöhere Frauen gar nicht erst arbeiten durften, ohne ihren Ruf zu verlieren, war das Mätressenwesen bzw. Protektion durch einen Liebhaber manchmal der einzige Weg, sich am Leben zu erhalten bzw. die Standards aufrecht zu erhalten, die die Gesellschaft voraussetzte.
Daher wäre ich mit Begrifflichkeiten wie "Hure" sehr vorsichtig, wir können uns ja kaum eine Vorstellung davon machen, wie es damals zuging (die meisten Quellen stammen nunmal von Männern - *wie ich das meine, erkläre ich gleich). Mag sein, dass das eine oder andere hübsche bürgerliche Mädchen sich für ein besseres Leben "verkauft" hat, dennoch ist das mitnichten mit heutiger Prostitution vergleichbar. Heutzutage hat man streng genommen die WAHL ob man Prostituierte wird oder nicht... früher war das nicht so einfach. Wer nur die Wahl hat, jeden Winter kurz vor dem Verhungern zu sein oder in einem warmen Zimmer zu sitzen und immer genug zum essen zu haben steht nicht wirklich vor einer Wahl.
Und machthungrige Menschen gab es schon immer und zu jeder Zeit. Bei Frauen, die einfach nur Macht wollten, fällt es mir ebenso schwer, ihnen das Etikett "hure" zu verleihen. In einer Welt in der Frauen eigentlich keine Chance auf wirklich Machtpositionen haben, kann dies einfach dazu führen, dass sie skrupellos werden und ihren Körper für die Macht opfern. Ob das nun als Prostitution zu verstehen ist... da bin ich mir ehrlich gesagt, nicht sicher.
Und dann gabs da noch die finanziell abgesicherten Frauen, die sich mit Herrschern eingelassen haben, ohne Macht zu wollen oder ohne sich irgendwie finanziell absichern zu müssen. Bei denen würde ich tatsächlich von Liebesbeziehungen sprechen. Wie ich bereits oben schrieb, wenn man nicht die freie Wahl des Ehepartners hat, sucht man sich menschliche Nähe eben anderswo. Was für mich durchaus menschlich und nachvollziehbar ist. Frauen, die sich deshalb mit einem höherrangigen einließen würde ich das Etikett der "Hure" schon ganz und gar nicht verpassen wollen.
* jetzt zu der Erklärung, was die Quellen angeht. Tatsächlich ist es so, dass Männer ihr Augenmerk auf andere Dinge richten als die Gefühlswelten ihrer Monarchen. In einer Welt in der der Glaube und die Lehren der Kirche einen stabilen Wegweiser fürs Leben stellen, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn jede außereheliche Verbindung - zumindest hinter vorgehaltener Hand - verteufelt wird.
Hinzu kommt eventuell dann noch der Neid einiger Zeitgenossen auf den König, der sich eine so schöne Frau nebenbei hält. Einfach weil diese Frau dann "vom Markt" ist. Vielleicht ist noch dazu der König keine Schönheit und ein Flegel. Das nährt Neid und Unverständnis noch mehr.
Aber da sich kaum jemand wagt, den König zu kritisieren, wird dann lieber auf der Frau "herumgehackt", sie wird als "Hure" diffarmiert, obwohl sie wahrscheinlich bei dreivierteln der gesamten Männerwelt ihrer Zeit der Traum durchwachter Nächte ist. Nur kann sie eben niemand haben, weil sie mit dem König zusammen ist.
Frauen, die eine Mätresse als "Hure" bezeichnen, machen auch ihren Neid deutlich. Entweder weil besagte Frau mehr Einfluss auf den König hat als dessen Angetraute, oder weil sie sich besser kleidet, oder vielleicht gar, weil sie klüger ist. Oder weil man gern an ihrer Stelle stünde.
Daher denke ich, man sollte mit dem Begriff "Hure" sehr, sehr vorsichtig sein, gerade im Bezug auf Mätressen und Kurtisanen. Beispiel: eine japanische Geisha ist auch nicht bloß eine "Hure" in einem seidenen Kimono gewesen...
Aus unserer heutigen Sicht ist das Mätressenwesen nicht mehr so einfach zu verstehen, einfach weil wir es so gewohnt sind, selbst zu wählen, wen wir lieben, wen wir heiraten. Und Frauen heutzutage brauchen keinen Mann, um sich am leben zu erhalten, was meiner Ansicht nach (s.o.) ebenfalls ein wichtiger Aspekt des Ganzen ist.
Was die jeweiligen Günstlinge angeht: auch heute gibt es Speichellecker und die wird es auch noch geben, wenn wir alle nicht mehr da sind. So ist es nunmal. Und es wird auch immer Menschen geben, die Wissenschaftler und Künstler privat protegieren.