Ursachen der Weltkriege

silesia schrieb:
Die "vorbehaltlose" Rückendeckung Rußlands für Serbien ist Wien doch nicht verborgen geblieben! Mit der eindeutigen Positionierung, Drohgebärden, etc. kann man von der Erwartung des Eingreifens ausgehen. Oder gibt es plausible Analysen, die in Wien die Erwartung geweckt haben könnten, Rußland bleibe letztlich passiv?

Aber warum hatte man dann in Wien immer noch die naive Hoffnung ja fast schon Überzeugung, das Rußland nicht militärisch eingreifen würde? Und die Rückendeckung in den Balkankriegen läßt sich auch u.a. mit den damals in Rußland grassierenden Panslawismus und der spätestens seit 1908 feindselig gegenüberstehenden Österreich-Ungarn und Rußlands erklären. Auch meinte man in Wien, die russischen Rüstungen seien noch nicht so weit gediehen, das es sich schon einen größeren Krieg leisten könne.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Information vom 12.Juli des deutschen Botschafters Tschirschkys, das der Zeitpunkt für einem Krieg gegen Serbien günstig sei, da die deutshe Reichsleitung zu dem Schluss gelangt ist, das Russland seine Rüstungen noch nicht vollendet habe und deshalb nicht militärisch aktiv werden würde, dürfte nicht ganz unwesentlich die Meinung des ungarischen Ministerpräsidenten Tisza beeinflusst haben, nunmehr doch für den Krieg zu stimmen.
 
Bevor ich mein Selbstgespräch hier endgültig beende, noch ein paar kurze Anmerkungen.

Die "vorbehaltlose" Rückendeckung Rußlands für Serbien ist Wien doch nicht verborgen geblieben!
Am 10.Oktober machten die Großmächte den Balkanstaaten in Form von diplomatischen Noten deutlich, dass sie Veränderungen des Status Quo, die durch militärische Gewalt erzwungen werden würde, nicht zulassen würden. (1)

Als der russische Außenminister Sasonow sich im Oktober 1912 in Berlin auf der Durchreise befand, verurteilte der ausdrücklich die Mobilmachung der Balkanstaaten. Sasonow befürchtete am meisten nämlich eine Niederlage Bulgariens.(2)

Auch stimmte Russland 1913 der Bildung eines albanischen Staates zu, obwohl Serbien dies ausdrücklich nicht wünschte, da es unbedingt über einen eigenen Zugang zum Meer verfügen wollte. Schon nach den ersten militärischen Erfolgen drängte es Serbien zur Adria und ging Russland dabei um Unterstützung an. Russland aber winkte ab. (3)


(1) Jahrbuch des Völkerrechts, 2.1, S.21-26
(2) Simmons, German Balkan diplomacy, S.372
(3) Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers
 
Ich habe nicht recht verstanden, worauf Du hinaus willst:

Soll gezeigt werden, dass Russland möglicherweise einem österreichisch-ungarischem Angriff auf Serbien tatenlos zugesehen hätte?

Dass damit das ö-u Ultimatum auf einer Fehlkalkulation beruhte und man sich des Ernstes der Lage nicht bewusst war?

Wenn das so ist, finde ich die gewählten Hinweise noch nicht ganz überzeugend. Es muss doch politisch-diplomatische Analysen zur ö-u Lagebeurteilung für Juli 1914 geben?
 
Die Unterstützung Russland für Serbien war eben nicht vorbehaltslos und nicht unbedingt. Die Russen haben im Balkankrieg mal die Bulgaren, mal die Serben unterstützt. Das dürfte Glaubwürdigkeit gekostet haben. Das ist auch dem Ballhausplatz nicht verborgen geblieben. Des Weiteren haben sich Berchthold, Conrad und Co. ganz gewaltig verkalkuliert. Tisza war der einzige, der Russlands Reaktion eigentlich richtig eingeschätzt hat, sich aber durch deutsche Aussagen hinsichtlich des russischen Rüstungsstandes irre machen ließ. Er gab schließlich seine Zustimmung zum Ultimatum und dem Krieg.
 
Demnach wäre die Zuspitzung wesentlich auf eine Fehlkalkulation bzw. Falschinformation zurückzuführen, und man bewegte sich in der Hoffnung, es allein mit Serbien zu tun zu haben?

Noch ein Hinweis:

Leuer: Die Mission Hoyos - zur Rolle österreichisch-ungarischer Diplomaten während der Juli-Krise 1914
http://othes.univie.ac.at/11119/1/2010-09-10_0448764.pdf
Wien, 1,5 MB

Dort insbesondere S. 112 - die Entscheidung zum Krieg/Ministerkonferenz vom 7.7.1914, auch mit Hinweisen zum Verhalten Rußlands.
 
Dankeschön für den sehr interessanten Link. Der Autor begründet aber leider nicht, weshalb ein russisches Eingreifen in jedem Falle erfolgen würde. Interessant ist auch, dass der Kriegsminister Krobatin zunächst eine Mobilisierung nur gegen Serbien empfiehlt, das dürfte mit Conrad abgesprochen worden sein, und gegen Russland erst, wenn die Haltung von Petersburg klar sei.

Das Hoyos und auch ausgerechnet Berchthold und Tschirschky ein ganz übles Spiel gespielt haben, ist mir geläufig.
 
Serbien war zwar keine militärische Großmacht, allerdings auch auf keinen Fall zu unterschätzen.
In vorherigen Kriegen hatte Serbien Erfahrungen sammeln können, die man nicht außer Acht lassen darf. Im Serbisch-Bulgarischen Krieg (Schlacht bei Sliwniza) war Serbien noch hoffnungslos unterlegen, aber in den beiden Balkankriegen gehörte es zu den Siegern.
Auch besaß Serbien fähige Befehlshaber, so z.B Živojin Mišićdar und Radomir Putnik. Im Angesicht der österreichischen Überlegenheit, konzentrierten die sich gleich auf die Defensive und ließen die k.u.k Truppen sozusagen ins Messer laufen. Die geographischen Gegebenheiten waren dafür bestens geeignet.
Das zumindest letzteres die Österreicher nicht vorsichtiger vorgehen ließ, darf man als groben Fehler werten.
Vor allem im Nahkampf (Schlacht am Jadar) zeigte sich, dass die Serben nicht nur moralisch höher motiviert waren, sondern auch mehr Erfahrungen besaßen und dadurch geringere Verluste zu verbuchen hatten. Sie agierten auf Grund ihrer Erfahrungen 1912/13 einfach geschickter.

Der Bulgarisch-Serbische Krieg ist mit dem 1. Weltkrieg nicht zu vergleichen. Serbien setzte auf ein Berufsheer und die motivation war Nahe 0. Man sah die Bulgaren noch als Verbündete an gegen die Türken.

Aber wenn wir uns die Medienberichte über die Schlacht von Cer anschauen dann wird klar wie überrascht die Weltöffentlichkeit war.
 
silesia schrieb:
Dann ist also das frz. Vorgehen nichts anderes als eine Bestätigung der gültigen Verträge?

In diesem Zusammenhang nicht uninteresasnt ist das Folgende:

Im Artikel I der Militärkonvention zwischen Frankreich und Russland sichert Frankreich Russland militärische Unterstützung für den Fall zu, wenn dieses vom Deutschen Reich oder von einer anderen Macht, nach Lage der Dinge konnte nur Österreich-Ungarn gemeint sein, mit Unterstützung des Deutschen Reiches angegriffen wird. Artikel II sieht eine französische Mobilmachung für den Fall vor, dass eine der Dreibundmächte mobil macht. Des Weiteren war die Verlegung der Truppen an die Grenze, hier aufgrund der geographischen Lage an die des Deutschen Reiches, vorgesehen. Das war schon bedenklich, für den Fall wenn beispielsweise Österreich-Ungarn mobil macht. Eine Mobilmachung ist keine friedliche Handlung mehr.

Schon George Kennan kam zu dem Schluss, dass damit das Zarenreich in der Lage versetzt war, „einen großen europäischen Krieg zu entfesseln, wann immer es ihnen in den Kram paßt.“ (1)

Den Franzosen war dies auch sehr bewusst und deshalb ist man dann auch davon stückweise abgerückt.

Es war Poincaré, der den Dingen eine nicht zu verachtende Wendung gab.

Am 12. September 1912 brachte Poincaré gegenüber Iswolsky zum Ausdruck, „….könne selbstverständlich Rußland nicht gleichgültig lassen und werde wahrscheinlich zu einem allgemeinen Krieg führen. (2) Er gebe sich vollste Rechenschaft darüber, daß das eine oder andere Ereignis, zum Beispiel […] ein Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien, Rußland zwingen könnte, seine passive Rolle aufzugeben, und zunächste seine Zuflucht zu einer diplomatischen Aktion und dann zu einer militärischen Intervention gegen […] Österreich zu nehmen, […]. Wenn aber der Konflikt mit Österreich ein bewaffnetes Eingreifen Deutschlands nach sich ziehen würde, so erkenne die französische Regierung dies im voraus als casus foederis an und würde nicht einen Augenblick zögern, die Verpflichtungen, die sie Rußland gegenüber übernommen auf sich genommen hat, zu erfüllen. (3)

Das liest sich schon fast wie ein Drehbuch für den Juli 1914.

Hervorhebung durch meine Wenigkeit.


(1) Kennan, Schicksalhafte Allianz, S.337
(2) Iswolsky an Sasonow, 12.09.1912, Iswolsky Schriftwechsel II
(3) Schmidt, Französische Außenpolitik in der Julikrise 1914
 
In dieser Schlußfolgerung geht Schmidt mE eben zu weit, siehe meinen Hinweis weiter oben.

Poincare skizziert als (1.) conditio sine qua non das Szenario eines österreichischen Angriffskriegs gegen Serbien, was (2.) kausal zum Eingreifen Russlands führt. Dieser Kriegszustand führte nach allseits damals bekannter Bündnislage (3.) zum Eingreifen des Deutschen Reiches an der Seite Ö-Us, was wiederum (4.) nach den bereits gültigen vertraglichen Vereinbarungen - casus foederis - zum Kriegseintritt Frankreichs führen würde. Er beschreibt hier eine Wirkungskette, an deren Beginn eine Aktivität Ö-U steht.

Das entspricht auch dem eingetretenen Szenario.

Kennans Schluss - nur auf Basis des Zweiverbandes - geht das entsprechend auch zu weit. So aus der Errinnerung finden sich dazu nun wieder Stellen bei Schmidt, die die eindeutig reservierte Haltung Frankreichs gegen evt. russisch initiierte Kriege/Krisen 1892/1912 belegen.
 
Ist ja alles richtig. Nur hat Poincaré diese schwer wiegenden Äußerungen zu einem Zeitpunkt getätigt, als es eigentlich nicht not tat. Er ging ja noch weiter und ließ Iswolsky wissen, das nach Meinung des französsischen Generalstabs die Aussichten für einen Sieg gut seien.

Während die Vorgänger von Poincaré sich eigentlich nicht für russische Balkaninteressen "schlagen" wollten, hat Poincaré den Dingen eine andere Wendung gegeben. Mit diesen Wissen ließ es sich für das Zarenreich in der Julikrise entsprechend "entspannter" operieren.
 
In der Summe kann man wohl konstatieren, dass Frankreich es nicht nur versäumt hat Russland zu mäßigen, sondern das der französischen Präsident dies auch gar nicht wollte.

Ihm ging es wohl nur um die unbedingte Bündnistreue Frankreichs. Den ersten Vermittlungsvorschlag Greys hat er auch entschieden abgelehnt. Auch Petersburg hatte kein Interesse an einer Vermittlung. Poincaré wollte auf keinen Fall in einen Gegensatz zum russischen Verbündeten geraten.

Poincarè stand aber im Gegensatz zum Ministerpräsidenten und Außenminister Vivani, der durchaus bereit war, Österreich-Ungarn einen begrenzen militärischen Erfolg zu konzedieren. Letzten Endes hat sich Poincaré ganz entschieden durchgesetzt. Für Poincaré ging es zum Ende der Krise nur darum, das Deutsche Reich mit dem Odium des Agressors zu versehen, um die französische Öffentlichkeit für den Krieg geschlossen zu einen.

Das alles ändert nichts an der erheblichen Verantwortung des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarn am Ausbruch des Ersten Weltkriege, aber Frankreich und Russland haben auch ihren Teil zu schultern.
 
Bevor ich mein Selbstgespräch hier endgültig beende, noch ein paar kurze Anmerkungen.

Ich verfolge Deine "Selbstgespräche" sehr wohl und ich bin in einer ähnlichen Verfassung. Vermute ich jedenfalls. Entschuldige, wenn nicht.
Die (meine) Frage ist, wie konnte Österreich-Ungarn denken, dass es einen Krieg gegen Russland, selbst mit deutscher Hilfe bestehen kann? Die Bündnisfrage war klar. Oder hegte man Hoffnungen ...
Ich habe mir die letzten drei Tage alles an historischen Karten angeschaut, die ich bekommen konnte. Zum Beispiel Galizien. Ukrainisch Halytschyna, oder Rohtreußen, schon im Mittelalter, vor dem Mongolensturm, zwischen Polen und dem Kiewer Rus umstritten. Das lag sehr exponiert gegenüber Russland.
Ein Bollwerk waren die Karpaten.
Wenn aber Galizien fällt, wollte man es einfach so für Serbien opfern? Nicht wirklich. Przemysl wurde hart umkämpft.
Ich glaube eher, man darf gar nicht zu rational denken. Psychologie spielt eine ganz große Rolle. Es waren diese ständigen Kleinkriege, vom Balkankrieg bis zum "Schweinekrieg", die eine permanente Unsicherheit darstellten. Man erhoffte sich ein Ende. Dann das Attentat. Was sollte danach noch kommen? Irgendetwas musste geschehen! Diese Irgendetwas. Dann kam Deutschland mit dem unglückseligen Blankoscheck ... Man war hysterisch. Das ist sehr unwissenschaftlich und nicht fassbar, aber ich glaube, das macht dieses Thema auch aus.
Der Schlüssel des Dilemmas liegt in Berlin. Deutschland hatte die Wahl, nein zu sagen. Es war die Schuld Deutschlands, dies nicht getan zu haben. Eine Unterlassungssünde aus schnöder Koketterie. Damit meine ich die französische Herkunft dieses Wortes: coqueter, der Hahn.
Es wurde zu heftig gegockel.
 
Der Bulgarisch-Serbische Krieg ist mit dem 1. Weltkrieg nicht zu vergleichen. Serbien setzte auf ein Berufsheer und die motivation war Nahe 0. Man sah die Bulgaren noch als Verbündete an gegen die Türken.

Aber wenn wir uns die Medienberichte über die Schlacht von Cer anschauen dann wird klar wie überrascht die Weltöffentlichkeit war.

Der Balkankrieg hat viele Weichen gestellt.
Und ... sag mal einem Serben, das seine Motivation =0 ist. Sorry, das gibt Haue.

Medienberichte sind immer Propaganda. Man sieht, was man sehen will. Damals herrschte auch eine Art Hofberichterstattung.
Und, wer war damals die Weltöffentlichkeit? Es gab zu viele Interessengegensätzen.
 
Der Balkankrieg hat viele Weichen gestellt.
Und ... sag mal einem Serben, das seine Motivation =0 ist. Sorry, das gibt Haue.

Medienberichte sind immer Propaganda. Man sieht, was man sehen will. Damals herrschte auch eine Art Hofberichterstattung.
Und, wer war damals die Weltöffentlichkeit? Es gab zu viele Interessengegensätzen.

Ich bin ein Serbe und es geht nicht um den 2. Balkankrieg sondern um den serbisch-bulgarischen Krieg der gut 50 Jahre vorher standfand.

Und das die Motivation Null war und hätten die Bulgaren gewolt wären sie nach Belgrad gekommen, sagen auch serbische Historiker.

Den 2. Balkankrieg hat Serbien auch für sich entschieden und ganz Makedonien bekommen nicht nur Skoplje und Umgebung wie eigentlich vorgesehen.

Zum ersten Weltkrieg sagt Wikipedia.

Der serbische Sieg verblüffte die damaligen Staaten und bewegte selbst den deutschen Kaiser Wilhelm II. zu einer einmaligen Tat: Er gratulierte persönlich dem serbischen Generalstabschef Radomir Putnik und damit einem offiziellen Kriegsgegner.

Oskar Potiorek dagegen wurde für das Scheitern der Offensive gegen Serbien verantwortlich gemacht, seines Postens enthoben und vorzeitig pensioniert. Dies bedeute gleichzeitig einer Entehrung seiner Person. Feldmarschallleutnant Alfred Krauß, der unter Potiorek gedient hatte, schrieb: Die Serben waren Österreichs stärkster und gefährlichster Feind. Der serbische Soldat war tapfer, sehr geschickt, beweglich, genügsam und fanatisch. Die Führung war sehr gut. Die serbische Artillerie war unserer an Schußweite und Wirkung weit überlegen. Die Serben waren viel ernstere Feinde als Russen, Franzosen und Italiener ... Potiorek und alle anderen Generäle, die versagt haben: Nicht sie trifft dafür die Schuld, sondern das staatliche System, in dem solche Generäle aufwachsen konnten und jene Personen, die in Verkennung der Werte der Person Ungeeignete in verantwortungsvolle Führungsstellen brachten. In der alten Monarchie ... konnten nur ängstliche, verantwortungsscheue, nach oben geschmeidige, allen Konflikten ausweichende und jedem energischen Auftreten abholde, also bequeme Personen in die höchsten Stellen gelangen.[3]

Noch heftiger formulierte es der christlichsoziale Abgeordnete Karl Niedrist im österreichischen Parlament: Potiorek, der seinerzeit Gouverneur in Bosnien war, aber nicht einmal wusste, wie es dort aussah ... Sein erstes Verbrechen war, dass er ganz und gar in Unkenntnis der dortigen Umtriebe den Thronfolger Franz Ferdinand geopfert hat ... Diesem Mann hat man nun das Oberkommando in Serbien gegeben ... Ist er nicht normal, so gehört er in ein Sanatorium. Ist er normal, so gehört er an den Galgen für die vielen Menschen, die da hingeopfert worden sind.

http://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_an_der_Kolubara

Ich bin selber in der Gegend geboren und in den Dörfern gibt es eine große Zahl von Gräbern von Toden.
 
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Serbien war zwar keine militärische Großmacht, allerdings auch auf keinen Fall zu unterschätzen.
In vorherigen Kriegen hatte Serbien Erfahrungen sammeln können, die man nicht außer Acht lassen darf.

In der Tat! Lediglich Russland und Serbien hatten nennenswerte militärische Erfahrungen mit moderner Kriegsführung gesammelt. Während Russland seine Niederlage 1905 gegen Japan Widrigkeiten zuschrieb die in einem Konflikt gegen den Dreibund nicht zählen durften, wie beispielsweise die Entfernung zum Kriegsschauplatz, wusste Serbien durch die Balkankriege wie es seine begrenzten militärischen Mittel sinnvoll einsetzen konnte. Die Überlegenheit des Gegners gab des weiteren die einzusetzende defensive Strategie vor. Das die Defensive der Offensive 1914 überlegen war mussten die anderen kriegsführenden Parteien erst schmerzvoll lernen!
Im Gegensatz dazu zeigten die Militärmanöver der Dreibundmächte in den Jahren vor Ausbruch des Weltkriegs einen nicht zu rechtfertigenden Optimismus. Manöver und Realität klafften derart extrem auseinander, daß selbst deutsche Generalstäbler am Sinn der "Kaisermanöver" zweifelten, zumal die kaiserliche Seite bei diesen Manövern regelmäßig den "Sieg" davontragen durfte. So sollte es nicht verwundern dass die strategischen Pläne aller kriegsführenden Parteien sich eben nicht erfüllten während das kleine Serbien zum Staunen der Welt der "Grossmacht" Österreich-Ungarn lange Zeit Paroli bieten konnte.
 
Die (meine) Frage ist, wie konnte Österreich-Ungarn denken, dass es einen Krieg gegen Russland, selbst mit deutscher Hilfe bestehen kann? Die Bündnisfrage war klar. Oder hegte man Hoffnungen ...

Die hegte man ganz sicher. Man ging auch davon aus, das Moltke seine Zusage einhalten würde und zu Kriegsbeginn eine Offensive nordöstlich an Warschau vorbei in Richtung Siedlce durchführen lassen würde. Nur dafür reichten die deutschen Kräfte nicht aus und des Weiteren musste die Bedrohung durch die russische 1. und 2. Armee entgegengetreten werden.

Conrad kannte die deutschen Planungen und wenn er diese realistischer eingeschätzt hätte, hätte er sich eigentlich darüber klar sein müssen, dass das nicht werden kann.

Und Zoki führte schon richtig aus, das Serbien militärisch unterschätzt wurde, obwohl diese im letzten Balkankrieg ja recht erfolgreich gewesen waren.
 
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Ausgangspunkt für die ö-u Überlegungen, bestehen zu können, müsste demnach auch das Dogma des Schlieffenplans (trotz Unkenntnis der Details und rudimentärer Absprachen) gewesen sein, Frankreich in wenigen Wochen niederringen zu können.

Mit der Prämisse läßt sich natürlich einiges durchdenken.
 
Die (meine) Frage ist, wie konnte Österreich-Ungarn denken, dass es einen Krieg gegen Russland, selbst mit deutscher Hilfe bestehen kann? Die Bündnisfrage war klar. Oder hegte man Hoffnungen ...

Einen Krieg gegen Russland konnte man natürlich nur mit deutscher Hilfe führen, allein ging das nicht! Auch reichte Deutschlands Stärke in den Augen Wiens sehr wohl aus zur Niederwerfung Russlands - man hatte den Ausgang des russisch-japanischen Krieges ja noch vor Augen. Wahrscheinlich war der Bündnispartner, als stärkste Kontinentalmacht, sogar für zwei gegnerische Großmächte gut, diese zeitlich versetzt und jeweils einzeln zu besiegen - falls erwartungsgemäß der Kriegseintritt Deutschlands den Kriegseintritt Frankreichs provozierte. Vielleicht hätte man aber berechtigte Zweifel an einem deutschen Bundesgenossen gehabt, dessen Mitwirkung an einem Krieg gegen Serbien und Russland zum Eintritt von Frankreich UND Großbritannien auf der gegnerischen Seite führte? War man in Wien wirklich mit dem Schlieffenplan vertraut? Wie wurde es in Wien aufgenommen, dass die Truppen, die man zur Hilfe gegen die russische Dampfwalze brauchte westwärts marschierten und dem noch neutralen Frankreich den Krieg aufzwangen und damit die Anzahl der Gegner erhöhte?

Das Dilemma Wiens war offensichtlich der Fakt, dass man in der militärischen Auseinandersetzung nur der Juniorpartner war und nicht ernst genommen wurde. Die einzige Erwartung an Wien war es, die Karte "Casus Belli" auszuspielen um danach die Statistenrolle einzunehmen und dem übermächtigen Bündnispartner das Feld zu überlassen. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien wurde der Krieg gegen Serbien jedoch von deutscher Seite aus eine Nebensächlichkeit und der Krieg gegen Russland nur Tagesordnungspunkt Nr.2.

Das alles scheint das habsburgische Selbstwertgefühl tief getroffen zu haben. So tief, dass man, um mit kurzfristigen taktischen Erfolgen gegenüber Deutschland zu glänzen, die strategische Linie missachtete und vor der Zeit gegen Russland marschierte und grandios versagte.
 
War man in Wien wirklich mit dem Schlieffenplan vertraut? Wie wurde es in Wien aufgenommen, dass die Truppen, die man zur Hilfe gegen die russische Dampfwalze brauchte westwärts marschierten und dem noch neutralen Frankreich den Krieg aufzwangen und damit die Anzahl der Gegner erhöhte?

Wenn Du unter "kennen" eine Vertrautheit mit der vom deutschen Generalstab vorgegebenen Reihenfolge meinst - Frankreich zuerst, dann Rußland - kann man das wohl sagen.

Wie der Bündnispartner seine Kräfte verteilte, darauf hatte Wien keinen Einfluss (und wünschte/forderte natürlich mehr Kräfte im Osten).

Die einzige Erwartung an Wien war es, die Karte "Casus Belli" auszuspielen um danach die Statistenrolle einzunehmen und dem übermächtigen Bündnispartner das Feld zu überlassen.
Beschreibt das tatsächlich das anfängliche militärische Vorgehen Österreichs im August und September 1914?

Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien wurde der Krieg gegen Serbien jedoch von deutscher Seite aus eine Nebensächlichkeit und der Krieg gegen Russland nur Tagesordnungspunkt Nr.2.
Die Reihenfolge bestand doch schon nach der Ausgangsplanung.

Das alles scheint das habsburgische Selbstwertgefühl tief getroffen zu haben. So tief, dass man, um mit kurzfristigen taktischen Erfolgen gegenüber Deutschland zu glänzen, die strategische Linie missachtete und vor der Zeit gegen Russland marschierte und grandios versagte.
Verstehe ich das richtig: Galizien geschah, weil Österreich meinte, schnell "punkten" zu müssen?
 
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