Das passt zu Tacitus Bemerkung, die Sprache der Esten (die er hier offensichtlich mit den Venetern verwechselte) ähnelte mehr der der Briten als der der Sueben (Germania 45).
Ich habe u.a. Spanisch studiert, zuhause höre ich täglich Polnisch, ein wenig habe ich auch gelernt. Portugiesisch kann ich problemlos lesen und übersetzen, wenn ich es aber höre, halte ich es regelmäßig für eine slawische Sprache, bis ich einzelne Worte als iberoromanisch klassifiziere. Soviel zur Belastbarkeit von Tacitus' Aussage, von dem wir nicht einmal wissen, ob er die
Aestiorum gentes jemals selber hat sprechen hören, noch, ob er Kenntnisse des Keltischen hatte.
Was nun die Studie von Jadranka Gvozdanović angeht, so weiß ich nicht, welche Kompetenzen sie in der Indoeuropäistik/Keltologie hat, ihr öffentlich zugänglicher Lebenslauf beginnt leider erst mit ihrer Promotion in Slawistik. Wir können auf dieser Basis jedenfalls konstatieren, dass sie das notwendige linguistische Handwerkszeug hat.
Sie beginnt ihren Artikel mit der Feststellung
only the Northern Adriatic Veneti left a set of mainly votive and funerary texts. Da stellt sich dann schon die Frage, wie man auf dieser Basis zu so weitreichenden Behauptungen kommen kann, dass
[t]he present investigation of East European Venetic has shown that its conjectured phonological type fits the phonological type of both Northern Adriatic Venetic and — even more so — of Vannetais as a surviving variety of Armorican Venetic.
Abgesehen davon, dass die Re-Keltisierung der Bretagne in der Spätantike, ausgelöst durch Verdrängung keltischer Bevölkerung von den britischen Inseln durch Angeln, Jüten und Sachsen hier ignoriert wird. Oder eben die bis heute gültige Feststellung Schuchardts, dass ein sprachliches Phänomen immer wieder auftauchen kann. Wir können das an Entwicklungen des Judenspanischen in der Türkei festmachen, die ganz ähnlich zu den Entwicklungen des Spanischen in einigen Teilen Lateinamerikas verlaufen sind oder an den Parallelentwicklungen von spanischen und lateinamerikanischen Regiolekten, die erst im 19. und 20. Jahrhundert, nachweislich ohne gegenseitige Beeinflussungen abgelaufen sind.
So etwas muss man auch als Möglichkeit für das Keltische annehmen. Also: Sprachlich gleichartige Phänomene des adriatischen Keltisch der klassischen Antike und des aktuellen Bretonischen deuten nicht gleich auf eine engere Verwandtschaft sondern dürften zunächst einmal Reaktionen auf sehr ähnliche sprachliche Bedingungen - allerdings diachron (wir sprechen hier von einem zeitlichen Unterschied von 1600 bis 2200 Jahren) - sein.