Doch, so einfach ist das. Keine Absicht, kein Völkermord, jedenfalls nach der lemkinschen Definition.
Ich wage angesichts obiger Aussage zu bezweifeln, dass Du Lemkin zum Thema Genozid gelesen hast. Bei Lemkin findet sich ein anthropologisch bzw. soziologisch definierter Begriff des Genozids (vgl. beispielsweise Link S. 79ff).
So schreibt Lemkin, dass es nicht notwendig ist, dass eine vollständige Auslöschung vorliegen muss, damit man von einem Genozid sprechen kann, sondern es zu einer bewußten „crippling“ einer Gruppen, eines Stammes oder eines Volkes kommt (vgl. Beitrag von Moses und Lemkin im Original, S. 79)
Dieses „crippling“ zielt auf die soziale bzw. kulturelle Reproduktion der Gruppe ab und durch den Genozid wird die kollektive Identität der Gruppe beschädigt. In dieser Sicht folgt er der zentralen Bedeutung von Kultur für die Reproduktion von sozialen Einheiten wie sie in Gesellschaften, Staaten, Nationen zusammen gefaßt sind. Und folgt in seiner Sicht der von Malinowski.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bronis%C5%82aw_Malinowski
In diesem Sinne resümiert Moses: „Consequently, he [also Lemkin]concluded „the destruction of cultural symbols is genocide. To destroy their function menaces the existence of the social group which exists by virtue of its common culture.“ (Moses)
Und fährt fort Lemkin zu zitieren: „Consequently, Lemkin was disturbed by occupations like German colonial rule in Africa that ultimately culminated in genocide in German South West Africa….Their culture and members were aussaulted in a concerted attack rather than fading away. Plainly, Lemkin was as concerned with the loss of culture as with the loss of life.“
Ähnlich betont Shaw die Zerstörung der zentrale Rolle der kulturellen und sozialen Reproduktion in der Theorie von Lemkin.
Insofern ist „Massen-Mord“ hinsichtlich der Auswirkungen auf die kulturelle und die soziale Reproduktion von einem Genozid abzugrenzen, was für die Opfer allerdings ziemlich egal ist.
Da ist es im Vergleich noch relativ einfach, den Vorsatz, den beorna irrtümlich als zentral bei Lemkin annnimmt, zu konstatieren. In den Tagebüchern von Trotha findet sich die Deutung des Herero-Krieges als unvermeidlicher „Rassenkampf“, wie er ihn schon seit 1897 für Ostafrika vorhergesagt hatte. (vgl. Speitkamp, S. 126)
In einen breiteren Kontext stellt Hull den Genozid und verortet ihn in einem bestimmten militärischen Denken, das die Mittel den Zielen – military necessity - unterordnet.
Insofern kann man für v. Trotha durchaus einen Vorsatz bei seinen Befehlen erkennen und er hielt sein Verhalten auch für gerechtfertigt (vgl. die Hinweise von M. Mann zu Trotha)
Und die Kriegsdokumentation des Großen Generalstabs stellte fest, dass nach dem "Strafgericht" auf dem Sandfeld die Herero kein selbständiger Volksstamm mehr wären.
http://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/00663/index-19.html.de
Bei Hull wird die Quellenlage diskutiert und auf die Probleme der Verifizierung verwiesen. Die jeweiligen interessengebundenen Positionen des deutschen Militärs bzw. des Kolonialamtes und die Rolle von GB lassen sich im wesentlichen durch „Kreuzvalisierungen“ auflösen. In diesem Sinne werden Augenzeugenberichte, wie die von Manuel Timbu, Jan Cloete oder Jan Kubas zur Schlacht am Waterberg und seinen Konsequenzen durch entsprechende Darstellungen des deutschen Generalstabes. Zu den „Augenzeugenberichten“ gehören dann auch die Stellungnahmen der Missionare und die der beteiligten Offiziere.
Insgesamt unterliegen alle Aussagen der nachträglichen fehlerhaften Erinnerung, allerdings ergeben sich keine gravierenden Unterschiede bei dem Wahrheitsgehalt der Erinnerung zwischen deutschen oder einheimischen Quellen, so Hull.
Hull, Isabel V. (2005): Absolute destruction. Military culture and the practices of war in imperial Germany. Ithaca, London: Cornell University Press.
Hull, Isabell von (2003): Military Culture and the production of. In: Robert Gellately und Ben Kiernan (Hg.): The specter of genocide. Mass murder in historical perspective. Cambridge, New York: Cambridge University Press.
Hull, Isabell von (2008): "Military necessity” and the laws of war in Imperial Germany. In: Ian Shapiro, Stathis N. Kalyvas und Tarek E. Masoud (Hg.): Order, conflict, and violence. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, S. 352–377.
Lemkin, Raphael (2008): Axis rule in occupied Europe. Laws of occupation, analysis of government, proposals for redress. 2nd ed. Clark, N.J.: Lawbook Exchange
Mann (2004): The Dark Side of Democracy. Explaining Ethnic Cleansing: Cambridge University Press.
Moses, Dirk A. (2013): Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide. In: Donald Bloxham und A. Dirk Moses (Hg.): The Oxford handbook of genocide studies. Oxford, New York: Oxford University Press S. 19–41.
Shaw, Martin (2013): Sociology and Genocide. In: Donald Bloxham und A. Dirk Moses (Hg.): The Oxford handbook of genocide studies. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 142–162.
Speitkamp, Winfried (2014): Deutsche Kolonialgeschichte.. Auflage. Ditzingen: Reclam, Philipp
https://books.google.de/books?id=y0...ult&ct=result&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false