Völkermord in Gallien?

Beging Cäsar in Gallien Völkermord?


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    70
@silesia

Das Problem ist die Frage. Bereits die Frage überträgt fiktiv Rechtsvorstellungen.

Sie provoziert ferner Reaktionen wie die Waldwanderers, obwohl die Frage in dieser Form nur mit Nein beantwortet werden kann.

Die von mir gewählte Sichtweise ist der aufgeworfenen Problematik angemessen und führt zu einem sachlich korrekten Ergebnis.

Sie rückt die für die Frage entscheidenden Definitionen und Zusammenhänge in den Vordergrund und hilft mithin zu besserer Erkenntnis. Oder wenigstens, die Frage entsprechend neu zu formulieren.
 
hi
Wie ich sehe wierd hir diskutiert ob das was Cäsa mit den galliern gemacht hat Völkermord ist.Ich bin zwar neu hir stimme aber auch der aussage zu das die meisten mitglieder rein emotional mit ja gestimmt haben:winke:
 
Bin auch noch neu hier - und hab eindeutig für nein gestimmt.
Aus der Sicht seiner Zeit hat Cäsar nichts gemacht was nicht üblich war.

Zum Beispiel Avaricum: Warum sollte sich Cäsar mit Gefangen abtun, wenn er sowieso schon zu wenig Nahrung für seine Truppen hatte? Er verfolgte Vercingetorix und soll sich dabei noch um zig-Tausende Gefangene kümmern? Seine knappen Ressourcen an diese vergeuden? Truppen die er gegen Vercingetorix benötigt mit Gefangenenaufpassen verschwenden?

All dies ist aus meiner Sicht unlogisch, unwirtschaftlich und potentiziell für Cäsar gefährlich - die Situation in der er steckte war mehr als prikär.

Zur Grausamkeit - bis vor wenigen Jahrzehnten war dieses Verhalten typisch für die Kriegsführung - und ist es wie die Tagespolitik zeigt leider immer noch. Heutige Maßstäbe kann man einfach nicht heranziehen.
 
Ich habe mit "ja" gestimmt.

Es ist natürlich richtig, dass Caesar nur gemacht hat, was zu seiner Zeit auch andere gemacht haben. Wenn man allerdings damalige Maßstäbe anlegen will, dann sind diese Abstimmung und Diskussion völlig sinnlos, weil es zu Caesars Zeiten noch keine "Völkermord"-Begrifflichkeit im heutigen Sinn gab; sie entstand erst in der Neuzeit. Wenn man also darüber diskutieren will, ob Caesar in Gallien Völkermord beging, kann man das nur unter Anlegung heutiger Maßstäbe. (Natürlich kann man aber wegen des Wandels der Zeiten die Sinnhaftigkeit der ganzen Diskussion infrage stellen.)

Mir fällt u. a. Caesars Umgang mit den Usipetern und Tenkterern ein, bei dem er beim Angriff auf das feindliche Lager nicht nur die Krieger, sondern offenbar gezielt und bewusst auch deren fliehende Frauen und Kinder niedermetzeln ließ (BG 4,14-15). Die von Caesar angedeutete Opferzahl wird zwar übertrieben sein, aber die heutige Völkermorddefinition (u. a. vorsätzliches Vernichten einer Ethnie durch Ermordung ihrer Angehörigen) dürfte erfüllt sein.
 
Naja, dann ist aber jede Tötung von mehreren Mitgliedern einer bestimmten Gruppe Völkermord
Cäsar war die Herkunft seiner Gegner wohl ziemlich egal - hauptsache er hatte jemand um Ruhm, Ansehen und Reichtum durch diese "Völkerschar" zu gewinnen - Gallier per se waren wohl egal, sie hatten bloß das Pech dort zu leben wo er gerade war. Hätte jede angrenzende Bevölkerung treffen können wo Cärar seine Ziehle erreichen wollte.
 
Naja, dann ist aber jede Tötung von mehreren Mitgliedern einer bestimmten Gruppe Völkermord
Nein, es muss einen Vorsatz geben, eine ethnische oder religiöse Gruppe ganz oder zumindest teilweise zu vernichten.

Das scheint mir beim Vorfall mit den Usipetern und Tenkterern durchaus der Fall gewesen zu sein: Caesar war ziemlich genervt von ihnen und schrieb, dass (seiner Meinung nach) mit ihnen wegen ihrer Treulosigkeit und Unzuverlässigkeit keine gewaltlose Konfliktlösung möglich gewesen sei, weswegen er trotz ihrer Verhandlungsbereitschaft unbedingt eine militärische Lösung anstrebte (BG 4,13). Nach dem Angriff der Römer auf das germanische Lager floh eine Menge von Kindern und Frauen, aber Caesar ließ sie von der Reiterei verfolgen (Ende von BG 4,14). Die Flüchtigen wurden großteils niedergemetzelt (BG 4,15). Caesar verlangte dann sogar noch die Auslieferung entkommener Reiter, die jenseits des Rheins zu den Sugambrern gekommen waren (BG 4,16). Für mich sieht das alles so aus, als sei es Caesar darum gegangen, nicht bloß die gegenwärtige militärische Bedrohung durch die Usipeter und Tenkterer zu eliminieren, sondern die beiden Stämme (soweit sie den Rhein überquert hatten) auch für die Zukunft auszuschalten, weswegen er auch die Frauen und Kinder eliminieren wollte.
 
wobei aber zu sagen ist, dass es Cäsar vermutlich egal war, wer seinen Zorn erregte - ein Statement musste gesetzt werden.
Nur muss man aufpassen, Völkermord neutral zu betrachten und Cäsar nicht als Gallier- oder Germanenfeindlich abzustempeln. Er hätte das selbe in jeden Teil der welt gemacht um seine Macht auf den leichen Eroberter "Barbaren" zu mehren.
 
wobei aber zu sagen ist, dass es Cäsar vermutlich egal war, wer seinen Zorn erregte - ein Statement musste gesetzt werden....

Erm, und was genau willst du im Kontext mit der Frage nach dem Völkermord damit aussagen? Dass Caesar (auch) Völkermord betrieb, wenn ein Statement gesetzt werden musste, wobei er das ganz Wertneutral und Vorurteilsfrei von Fragen nach der ethnischen Herkunft sah?
Wie beurteilst du Caesars Vorgehen gegen die Eburonen (Ambiorix) oder den von Ravenik angesprochenen Stämmen? Abgesehen vom möglichen Vorwurf des Völkermords war letzteres ganz sicher ein Bruch auch damals üblicher Vorgehensweisen, weshalb sich dagegen damals auch in rom ein paar Stimmen gegen Caesar erhoben...
 
Dazu ist zu sagen, dass Cäsars Gegner wohl auch primär deswegen die "Nase rümpften", weil es eben um einen politischen Gegner ging. Die Geschichte zeigte oft genug, dass eine solche Vorgehensweise immer wieder angewendet wurde wenn es oportun erschien.
Die Antike war an sich grausamer und brutaler als andere Epochen.
MMn unterscheidet sich Cäsars Vorgehen in nichts vom Vorgehen der Amerikaner gegen die Ureinwohner.
 
Dazu ist zu sagen, dass Cäsars Gegner wohl auch primär deswegen die "Nase rümpften", weil es eben um einen politischen Gegner ging. Die Geschichte zeigte oft genug, dass eine solche Vorgehensweise immer wieder angewendet wurde wenn es oportun erschien.
Das stimmt natürlich. Man kann davon ausgehen, dass Catos Kritik an Caesars Vorgehen gegen die Usipeter und Tenkterer innenpolitisch motiviert war, erst recht seine Forderung, ihn ihnen auszuliefern.

Die Antike war an sich grausamer und brutaler als andere Epochen.
MMn unterscheidet sich Cäsars Vorgehen in nichts vom Vorgehen der Amerikaner gegen die Ureinwohner.
Besteht zwischen den beiden Aussagen nicht ein Widerspruch?

Im Übrigen bezweifle ich, dass "die Antike an sich grausamer" war. Erstens ist "die Antike" schon mal eine nivellierende Pauschalierung, die übersieht, dass sie sich über etliche Jahrhunderte erstreckte und viele Staaten und Kulturen umfasste. Zweitens, wenn ich insbesondere an manche Kolonialkriege des 19. und 20. Jhdt. denke, kann ich keine großen Unterschiede zu Caesars Vorgehen erkennen. Zwar fanden die Kolonialkriege in Übersee statt und Caesars Gallienkrieg in Europa, aber hier wie da ging es gegen "Barbaren". Der 2. WK war ohnehin eine Liga für sich.
 
Für die Antike wird Krieg häufig eher als "Normalzustand" angesehen als für spätere Epochen, was einerseits ein Klischee ist, andererseits vielleicht verdeutlicht, dass es schnell zu bewaffneten Auseinandersetzungen kam. Heute beanspruchen Staaten ein staatliches Gewaltmonopol, das sie lange nicht effektiv durchsetzen konnten und inzwischen weltweit unterschiedlich stark vielleicht wieder in Frage gestellt wird.

Rein geschichtlich gesehen ist die Fragestellung für die alte Abstimmung eher unhistorisch, wie im Verlaufe bereits mehrfach angesprochen wurde. Ein reglementiertes Kriegsrecht oder ein Anspruch von Zivilisten auf Schonung sind moderne Vorstellungen. Dann schon eher dürfte es tatsächlich ein Tabubruch gewesen sein, Gesandte und Unterhändler anzugreifen. Es war imho nicht nur moralisch verwerflich, dass Caesar so handelte, doch betrifft dieser Punkt nicht die Fragestellung nach einem "Völkermord". Versklavung war damals übliche Praxis. Es bleibt das Fakt, dass Gallien damals vermutlich einen ganz erheblichen Teil seiner Bevölkerung im Laufe des Eroberungskrieges verloren hat.
 
Es bleibt das Fakt, dass Gallien damals vermutlich einen ganz erheblichen Teil seiner Bevölkerung im Laufe des Eroberungskrieges verloren hat.
lieber @tejasson, an diesem "vermutlichen Faktum" habe ich Zweifel (und das nicht aus spaßigen sprachlichen Gründen).

die nachhaltig (!) romanisierten gallischen Provinzen waren nach der Eroberung durch Caesar nicht erheblich entvölkert: man weiß nichts von Ansiedelmigrationen, um ein gallisches Bevölkerungsvakuum auszugleichen. Gewiß ist während der Eroberungszeit die militärische Elite der verschiedenen gallischen Gentes und Koalitionen deutlich geschwächt worden und gewiß hat es lokale "Massenmorde" gegeben, aber demografisch scheint das keine nennenswerten Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung gehabt zu haben. Weder ganz Gallien noch die iberische Halbinsel waren entvölkert, trotz der vielen Kriege.
 
Bevölkerungen können sich auch von erheblichen Menschenverlusten zahlenmäßig anscheinend relativ rasch erholen. Das fällt mir insbesondere in Zusammenhang mit dem Völkermord in Ruanda, der 1994 mindestens 800.000 Menschen das Leben kostete, immer wieder auf (Einwohnerzahlen laut Fischer Weltalmanach):
1991: 7,143 Mio. (Volkszählungsergebnis)
1995: 5,664 Mio. (Fortschreibung bzw. Schätzung)
2002: 8,129 Mio. (Volkszählungsergebnis)
2012: 10,516 Mio. (Volkszählungsergebnis)
Trotz eines deutlichen Bevölkerungsknicks unmittelbar nach dem Genozid ist die Bevölkerung also binnen weniger Jahre trotzdem wieder deutlich über den Vor-Genozid-Stand hinausgewachsen. Ich vermute zwar, dass der Wert von 1995 nicht nur wegen Todesopfern, sondern auch wegen Flüchtlingen (die später wieder zurückkehrten, also nicht dauerhaft wegfielen) so niedrig gewesen sein wird, aber das ändert nichts daran, dass die Bevölkerung trotz Genozids erheblich gewachsen ist.

Auch wenn sich Gallien in der Kaiserzeit anscheinend relativ gut entwickelte, besagt das also nicht zwingend etwas über die Zustände während und unmittelbar nach der Eroberung. Wenn Plutarch in seiner Caesar-Biographie (15. Kap.) schreibt, dass bei der Eroberung eine Mio. Menschen umgekommen sind und eine weitere Mio. gefangen wurde, mögen die Zahlen übertrieben sein, aber frei erfunden wird er das nicht haben. Vor allem musste Caesar sich und den Krieg auch irgendwie finanzieren (bis zu 11 Legionen rüstet man nicht mal eben so aus der Portokasse aus, wozu dann noch laufende Kosten für Sold und Versorgung kamen, und Caesar selbst war hinterher auch kein armer Mann), und das kann neben Plünderungen und Tributerpressungen eigentlich nur über den Verkauf von Sklaven gelaufen sein.
 
Wirklich nur getan, "was damals üblich war"?

lieber @tejasson, an diesem "vermutlichen Faktum" habe ich Zweifel (und das nicht aus spaßigen sprachlichen Gründen)...
Danke für den Hinweis. Ich will auch keinesfalls Anwalt der Anklage gegen Caesars Handeln in Gallien sein. Schon, da es den rechtlichen Tatbestand des Völkermordes zu seinen Zeiten längst noch nicht gab. Eingemischt habe ich mich, weil mir der erste Beitrag von Margo Barkas vom 9.01.15 mit seine "Entschuldigung" deutlich zu weit ging
...Aus der Sicht seiner Zeit hat Cäsar nichts gemacht was nicht üblich war....
Meines Erachtens ging er zumindest im Falle der Eburonen - sowie im Kontext mit den Usipetern und Tekterern weit über das damals Übliche hinaus. Im Falle der Eburonen war die Vernichtung des Stammes auch sein politisches Ziel. Auch wenn die Bevölkerung wohl kaum physisch völlig vernichtet wurde. Man diskutiert, inwieweit ihre Reste in den neuen Stämmen aufgingen, welche die Römer später westlich des Rheines neu ansiedelten.
 
Gänzlich vernichtet können die Eburonen nicht worden sein, denn Strabon schrieb später, dass westlich von den Treverern und Nerviern die Senonen, Remer, Atrebaten und Eburonen leben und dass das Land der Moriner, Atrebaten und Eburonen dem der Menapier gleiche.
 
Eine Anmerkung zu den Zahlen aus Ruanda: Die werden nur verständlich, wenn man die massive Migrationsbewegungen berücksichtigt. Die jahrzehntenlange Gewalt hat, neben den zig Toten, Millionen Menschen entwurzelt und vertrieben; vgl die Auswirkungen bzw Wechselwirkungen mit Nachbarländern (va Kongo, Uganda, Burundi).

Wenn man bedenkt, dass zumindest laut Caesar der gallische Krieg ja auch mit großen, gewaltbedingten Migrationsbewegungen begann...

Zum, eigentlichen Thema: Dass der Begriff Völkermord etwas zu modern ist, ist klar. Er kollidiert aber auch mit einem spezifischen Motiv, dass die Römer im allgemeinen und Caesar im besonderen getrieben haben mag. Die Ermordung des gallischen Volkes war ein Mittel zum Zweck (der Eroberung), die ja va Gewinn abwerfen sollte. Ganz materiell gedacht bestand ein Teil dieses Gewinns in Sklaven, die sich auf dem römischen Markt (oder anderswo) verkaufen ließen. Dass stand einem völlig wahllosen Morden (oder einem Mord durch Arbeit unter eigener Aufsicht) entgegen.
 
kurz zur "Einzigartigkeit" von Cäsars Vorgehen gewissen Stämmen gegenüber:
Wie war der Umgang mit Karthago? Und da wurde auch unterschieden zwischen Karthago und Utica
Wie war das Vorgehen mehrerer assyrischer Könige gegenüber besiegten Städte ? (als Stadtstaaten können diese wohl als "Völker" betrachtet werden)
Cäsar war sicher kein "Lercherl" wie man bei uns sagt, aber einmalig in der Geschichte war sein Vorgehen auch nicht - wie bei vielen, waren die Römer halt nur sehr effizient. Besser Stamm x auslöschen und dadurch Stamm y und z davon abhalten auch den Aufstand zu probieren (vor allen wenn ich als Eroberer im Gebiet von x, y und z herumziehe.
Divide et impera kann mit anködern (kaufen) als auch einschüchtern wunderbar funktionieren.
 
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