Für Leute, die an der Frage "Warum ist heute die europäische Kultur so dominant?" interessiert sind, kann ich das Buch "Guns, germs and steel" von Jared Diamond nur empfehlen. (Die deutsche Übersetzung heißt "Arm und Reich - die Schicksale menschlicher Gesellschaften")
Erstmal ein paar Vorbemerkungen. Diamond ist kein Historiker, sondern Mediziner, Biogeograph und Evolutionärbiologe und er geht das Ganze eher naturwissenschaftlich an. Außerdem ist das Buch meines Wissens das allererste, das diese Ansatz im Hinblick auf die menschliche Geschichte verfolgt. Er packt 13.000 Jahre Weltgeschichte in ein paar hundert Seiten und da ist es klar, daß er nur die gröbsten Strömungen ansprechen kann. Z.B. unterscheidet er überhaupt nicht zwischen den verschiedenen europäischen Kulturen.
Das Buch ist nicht unumstritten. Ich persönlich aber denke, daß viele (sicher nciht alle) der Kritikpunkte zu kurz greifen. Z.B. wird ihm vorgeworfen, daß er die kulturellen Unterschiede der verschiedenen Völker nicht einbezieht. Es geht ihm aber gerade darum, zu erklären, daß es diese Unterschiede nicht braucht und z.T. auch darum, wie diese kulturellen Unterschiede überhaupt zustande gekommen sind (auch wenn er diesen Punkt - wohl zu recht - nicht tiefer ausführt).
Aber jetzt genug der Vorrede, und mal ein paar Worte zu Diamonds Thesen (eine ausführlichere Zusammenfassung findet sich bei der englischen
Wikipedia)
Diamond führt die unterschiedliche Macht, die die verschiedenen Völkergruppen heute haben, letztendlich auf Fakten der Geographie und Biogeographie zurück.
Er geht davon aus, daß jede Erfindung, die im Bereich des Möglichen eines Volkes liegt, früher oder später auch gemacht wird, wenn es nur genügend Leute/Völker gibt und wenn sich die Erfindung lohnt.
Wenn also die Europäer im Jahr 1500 Feuerwaffen, Kavallerie und Hochseeschifffahrt hatten, dann lag es nicht daran, daß die anderen Völker das nicht wollten, sondern daß sie es nicht konnten. (China und den Vorderen Orient nehm ich mal aus, die sind etwas komplizierter).
Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der westlichen Zivilisation war ohne Frage die Entwicklung des Ackerbaus, verbunden mit einem sesshaften Lebensstil. Nur dadurch konnten die hohen Bevölkerungsdichten entstehen, die den Aufbau von mächtigen Reichen erst ermöglichten.
Jetzt kann man sich die verschiedenen Kontinente anschauen. In Australien gab es nie einheimischen Ackerbau. Die Pflanzen der nördlcih davon lebenden Nachbarn (die Ackerbau betrieben) sind nämlich nur für tropisches Klima geeignet. Einheimische Pflanzen aber waren und sind nicht für den Anbau geeignet. Selbst die Europäer haben es in 500 Jahren nur geschafft, eine einzige australische Pflanze zu kultivieren, nämlich die Macadamie-Nuss. Man beginnt aber keine Ackerbaukultur mit einem einzigen Nussbaum.
In Amerika gab es einige geeignete Pflanzen (Mais, Kürbis, Sonnenblumen...) und so entstand hier auch tatsächlich Ackerbau. Hier gab es aber das Problem, daß die Kultivation des Mais von sich aus schon schwieriger war und deswegen länger dauerte als die von Weizen und daß sich dazu der Ackerbau nur sehr viel schwerer ausbreiten konnte, da die Hauptachse des amerikanischen Kontinents in Nord-Süd-Richtung verläuft und sich die Pflanzen damit ständig an neue Klimazonen anpassen mußten. Insofern begann die Entwicklung der ackerbaubetreibenden Gesellschaften in Amerika später und verlief dazu noch langsamer als in Eurasien.
Die eurasischen Bauern hatten aber nicht nur Ackerbau sondern auch Viehzucht (Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen...). In Amerika gab es nicht so viele große Landsäugetiere, die sich zur Zucht geeignet hätten. Das Pferd war ausgestorben und Bisons sind ziemlich aggressiv. Tatsächlich wurden an größeren Säugetieren (Meerschweinchen mal ausgenommen) nur Lamas und Alpakas gezüchtet. Beide sind aber nicht stark genug, um z.B. einen Reiter zu tragen. Dazu sind es Tiere des Hochgebirges. Die Azteken, die das Rad kannten, hätten vielelicht Verwendung für Lamas gehabt, aber dazu hätte man die Tiere erstmal durch den zentralamerikanischen Dschungel kriegen müssen und das wäre ihnen sicher nicht bekommen. Also blieben die Inkas mit Zugtieren, aber ohne Rad (in ihrer zerklüfteten Umgebung nicht ganz unverständlich) und die Azteken mit Rad, aber ohne Zugtiere. Eurasien hatte beides.
Afrika ist ein ähnlicher Fall. Hier gibt es zwar genügend große Tiere, aber die sind alle recht aggressiv und keines davon wurde bis heute zu einer echten Kulturform gebracht. Einzelne Tiere können zwar (teilweise) gezähmt werden, aber sie haben sich nie zu etwas eigenem entwickelt wie unsere Kulturrassen.
Eurasien war also nicht nur bei der Entwicklung des Ackerbaus, sondern auch bei der Entwicklung der Viehzucht im Vorteil. Aber wer Zugtiere hat, kann auch größere Lasten über weite Strecken transportieren. Das fördert natürlich den Handel und damit auch den Ideenaustausch. Tiere liefern außerdem Dünger und erleichtern das Pflügen. Dadurch braucht man weniger Bauern, die dazu noch höhere Erträge liefern und damit mehr Menschen unterhalten. Es gab also mehr Leute, die frei waren, sich um Wissenschaft und Fortschritt zu kümmern (auch wenn das nicht unbedingt Wissenschaftler waren, sondern eher Handwerker).
Zuletzt entwickeln sich im engen Zusammenleben mit Haustieren auch viele Krankheiten (siehe Vogelgrippe) und dadurch läßt sich erklären, warum die haustierhaltenden Europäer mit ihren Krankheiten halb Amerika ausrotteten, die amerikanischen Krankheiten aber im Gegenzug in Europa recht wenig Schaden anrichteten.
Und jetzt noch zur Frage Europa oder Asien, die ich am Anfang ausgespart habe. Von den "Rohstoffen", die zur Verfügung standen, schenkten sich die beiden nicht viel, sie standen auch immer im recht regen Austausch untereinander (da Eurasien eine Ost-West-Achse hat und deswegen die Klimazonen recht ähnlich sind). Der große Unterschied liegt in der Geographie. Europa ist sehr stark zergliedert, China nicht. China war dementsprechend schon sehr früh ein geeintes Reich, was Europa bis heute nicht ist. Dadurch gab es in China zum einen weniger Konkurrenzdruck, neue Technologien zu entwickeln, zum anderen konnte EIN fortschrittsfeindlicher Herrscher die Entwicklung schon sehr stark ausbremsen.
Und was ist jetzt mit dem Osmanischen Reich/den Arabern? Darauf geht Diamond nicht ein. Für ihn bilden Europa und der Vordere Orient einen Kulturraum. Welches der Vöker da jetzt letztendlich wann wie mächtig war, das untersucht er nicht genauer.
Puh, das war jetzt wirklich eine sehr knappe Zusammenfassung. Ich finde seine Theorie sehr schlüssig. Natürlich gibt es da noch viele blinde Flecken und sicher auch den einen oder anderen Fehler. Aber ich denke, es wäre wichtig, diesen Ansatz weiterzuverfolgen, statt nur auf irgendwelche Kleinigkeiten zu deuten und zu sagen "das da ist falsch, dann taugt alles nicht".
Wie gesagt, ein höchst interessantes Buch. Ob ihr der Argumentation folgt, müßt ihr selbst entscheiden.