Wagner- und Verdijahr 2013

Vor allem drückt Wagners Musik etwas aus, was der Barockmusik völlig fremd ist: Die Enthüllung seelischer Vorgänge, die auf der Bühne durch Wort oder Gebärdensprache nicht wiedergegeben werden können.
Das verstehe ich jetzt komplett nicht.

Du meinst, dass die Gestik im Barock nicht den Seelenzustand widergeben konnte?

Ansonsten geht es sowohl bei der französischen als auch italienischen Musik des 17. und 18. Jh. (um den Begriff Barockmusik zu vermeiden) doch fast dauernd um Seelenzustände. Schonmal "Alcina" gehört? (Auch wenn ich kein Freund von Händels Opern bin.)
 
Du meinst, dass die Gestik im Barock nicht den Seelenzustand widergeben konnte?

In der theatralischen Gebärdensprache gibt es Grenzen, um differenzierte Seelenzustände darzustellen oder seelische Psychogramme zu erstellen. Dazu ist dann eine entsprechend komponierte Musik - so z.B. die des Impressionismus - gut geeignet.

Ansonsten geht es sowohl bei der französischen als auch italienischen Musik des 17. und 18. Jh. (um den Begriff Barockmusik zu vermeiden) doch fast dauernd um Seelenzustände.

Es geht um Seelenzustände, aber die werden in der Musik des 17. und 18. Jh. längst nicht so sichtbar, wie z.B. bei impressionistischen Kompositionen oder eben bei zahlreichen Wagner-Opern.
 
Es geht um Seelenzustände, aber die werden in der Musik des 17. und 18. Jh. längst nicht so sichtbar, wie z.B. bei impressionistischen Kompositionen oder eben bei zahlreichen Wagner-Opern.
Du meinst, dass es dafür die Glucksche Opernreform brauchte?:fs:

Oftmals nutzt auch zum Sichtbarmachen mal ne gute Einspielung zu hören. Manche Einspielungen haben für mich musikdramatische Werke (egal welchen Zeitschnittes) erst aufgedeckt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du meinst, dass es dafür die Glucksche Opernreform brauchte?:fs:

Besonders eine andere Musikform als die des Generalbasszeitalters, die bis ins 18. Jh. reicht und die nicht umsonst als "Alte Musik" klassifiziert wird.

Der Bezug auf innerseelische Vorgänge wird dann besonders betont in der Spätromantik und in impressionistischen Kompositionen, wobei die Oper "Pelleas und Melisande" von Debussy geradezu als Paradebeispiel für die Transportation seelischer Stimmungsbilder gilt.
 
Das ist mir alles zu akademisch. Ich kann nur sagen, dass ich mich beim Hören von Wagner unwohl fühle und dass hochklassige Barockmusik, wie eben Händel, bei mir augenblicklich jeden Stress abfallen lässt. Das geht wie auf Knopfdruck. Voraussetzung ist allerdings, dass es eine ordentliche Einspielung/Vorstellung in historischer Praxis ist. (Auch wenn deren Authentizität umstritten ist. Ich weiß.)
Und dass diese Musik keine Emotionen transportieren kann, würde ich bestreiten.
 
Und dass diese Musik keine Emotionen transportieren kann, würde ich bestreiten.
selbstverständlich stellt die Barockoper in Gesang, Spiel und Klang auch Emotionen dar, grundlos gab es den affettuoso-Stil ja nicht -- allerdings mit sehr anderen Intentionen und Mitteln als die spätromantischen Musikdramen. Das ist so augen- und ohrenfällig, dass es eigentlich nicht erwähnt werden muss.

die Frage, wie man z.B. Händel mit einem Wort charakterisieren würde, fände bei mir (mit etwas Unbehagen, denn eines ist mir zu wenig) die Antwort "redselig" (viel parlando) -- bei Wagner "effektvoll", bei Verdi "perfekt", bei Mozart und Rossini "heiter" - nur, was bringt so eine ein-Wort-Spielerei?
 
Ganz ehrlich. Hier hat Woody Allen sich aber arg vergriffen.

Das sehe ich auch so. Vielleicht hat Allen dabei an Francis Ford Coppolas Anleihe bei Wagner in "Apocalypse now" gedacht. Eigentlich handelt es sich um eine Verfilmung von Joseph Conrads "Heart of Darkness", die statt im Kongofreistaat Leopold II. von Belgien im Vietnamkrieg spielt. Eine US-Hubschrauberstaffel bombadiert ein vietnamesisches Dorf zu den Klängen von Wagners Ritt der Walküren, um danach ungestört surfen zu können. Es hätten auch Klänge der Rolling Stones sein können, am passendsten vielleicht Igor Stravinskis "Le Sacre de Printemps" doch dramaturgisch passt die Musik des Bayreuther Meisters irgendwie, "Todesboten sinken herab" wie Hölderlin formulierte, bei Coppola sind es Nibelungen mit Raketen, die Coca Cola trinken.
 
"Todesboten sinken herab" .
"Unten Schlacht, doch oben schossen
Durch die Luft auf Wolkenrossen
Drei Valkyren und es klang
Schilderklirrend ihr Gesang
(...)"
so Heinrich Heine :) -- ob Hölderlin Parzen, Nornen oder Walküren oder weder noch gemeint hat? ich weiß es nicht -- aber der Beginn von Heines "Valkyren" passt recht gut zu der erwähnten berühmten Szene aus Coppolas Apocalypse now

interessant am Rande zwei cineastische Beobachtungen (auch aus den Niederungen der Serienkrimis und des action-trash)
1. Wagnermusik als Nazichiffre
2. der Böse hört Klassik, der Gute nicht :):):):) (wirklich! sogar in manchen Derrickfolgen)
 
Das ist mir alles zu akademisch. Ich kann nur sagen, dass ich mich beim Hören von Wagner unwohl fühle und dass hochklassige Barockmusik, wie eben Händel, bei mir augenblicklich jeden Stress abfallen lässt. Das geht wie auf Knopfdruck. Voraussetzung ist allerdings, dass es eine ordentliche Einspielung/Vorstellung in historischer Praxis ist. (Auch wenn deren Authentizität umstritten ist. Ich weiß.)
Und dass diese Musik keine Emotionen transportieren kann, würde ich bestreiten.

Wenn man sich die Wagner Rezeption von Nietzsche über Thomas Mann bis zur Nomenklatura des 3. Reichs veranschaulicht, so hat Wagners Person und Werk immer schon stark polarisiert. Man mag über seine antisemitischen Schriften entsetzt sein, von Rienzi, Tannhäuser und den Meistersängern fasziniert, von einer mehrstündigen Aufführung des Rings angestrengt sein, aber ganz gleichgültig wird einem Wagners Musik niemals sein können. Thomas Mann beschreibt in den Buddenbrooks sehr gelungen die Assoziationen und die Wirkung, die Wagners Musik auf verschiedene Figuren ausübt. Gerda Buddenbrook versucht, den Organisten Herrn Pfühl, einen versierten Kenner für Wagner zu begeistern, doch dieser ist zunächst geradezu entsetzt und weigert sich, Wagner zu spielen, kann sich aber doch nicht ganz der Faszination entziehen und gibt widerwillig zu, dass ihm einige Stücke gefallen.
 
Ich hab das Zeug schon gesungen - verschiedenes und mehrfach - und kann ihm trotzdem nichts abgewinnen. ;)

Alleine die Texte! Himmel!
"O tör'ger Prahler Bitterrolf, sprichst Du von Liebe, grimmer Wolf?!"
 
Alleine die Texte! Himmel!
"O tör'ger Prahler Bitterrolf, sprichst Du von Liebe, grimmer Wolf?!"
:):):) und was machst du, wenn du Straußens Fledermaus singen sollst? Für duidu - duidu - lalalalaaalala oder im Zigeunerbaron sowas wie wer uns getraut ei sprich sag du´s der Dompfaff der hat uns getraut den Literaturnobelpreis beantragen?

(aber welche Libretti, mit Ausnahme von da Ponte und Hofmannsthal, haben nicht zentnerweise unfreiwillige Komik gerade im sprachlichen Bereich?)

...a prospos Hochliteratur: der Thomas Mann hatte dem Libretto des Tristan literarische Qualität zugesprochen (ich will das weder verneinen noch bejahen, aber es kommt selten vor, dass Komponisten auch schriftstellern ohne damit auf die Nase zu fallen)
 
Zuletzt bearbeitet:
Thomas Mann beschreibt in den Buddenbrooks sehr gelungen die Assoziationen und die Wirkung, die Wagners Musik auf verschiedene Figuren ausübt. Gerda Buddenbrook versucht, den Organisten Herrn Pfühl, einen versierten Kenner für Wagner zu begeistern, doch dieser ist zunächst geradezu entsetzt und weigert sich, Wagner zu spielen, kann sich aber doch nicht ganz der Faszination entziehen und gibt widerwillig zu, dass ihm einige Stücke gefallen.
unsterblich bei dieser Szene die Formulierung "durch Gewöhnung und zureden" (Buddenbrooks), wobei Pfühl eigentlich nur von den Meistersingern überzeugt ist, hingegen Tristanharmonien für Blasphemie hält
 
:):):) und was machst du, wenn du Straußens Fledermaus singen sollst? Für duidu - duidu - lalalalaaalala oder im Zigeunerbaron sowas wie wer uns getraut ei sprich sag du´s der Dompfaff der hat uns getraut den Literaturnobelpreis beantragen?
=)
Strauss, um Gottes Willen! Das "Glück" hatte ich nie. Es waren dann doch mehr Verdi, Puccini und Mozart. Und Händel natürlich. Was ein Glück, dass ich nie Berufsmusiker werden wollte (mal ganz abgesehen davon, dass es auch am Talent gehapert hätte...).
 
Zuletzt bearbeitet:
=)
Strauss, um Gottes Willen! Das "Glück" hatte ich nie.
ja, das Glück ist ungerecht verteilt auf Erden :cry: Carlos Kleiber hatte es und er hatte es auch sehr genossen, die Fledermaus aufzunehmen (die Aufnahme ist streckenweise noch besser als die berühmte von Böhm :yes: -oder denken wir an Maurice Ravel und sein La Valse :yes:

...Wagner und Verdi? mittlerweile taucht hier ja die Barockoperauf, da wird die Operette schon nicht stören. Harnancourt hat La belle Helene von Offenbach aufgenommen - irgendwas muss also auch an den Operetten dran sein :) (und das ist auch so! wer kennt eine knackig-kurze, irrwitzig virtuose Konzertetüde für großes Orchester, an der Karajan langweilig scheiterte? jepp: unter Donner und Blitz (Polka) aus der Fledermaus - man darf hier keine Youtube-Links bringen, aber bestimmt darf man empfehlen, nach Kleiber und besagter Polka zu schauen)

allerdings duchkomponierte, also formal an Verdi und Wagner angelehnte Operetten gibt es nur wenige: da wäre eine Schostakowitsch
 
Die aktuelle Ausgabe des SPIEGEL widmet sich des Themas Wagner "Das wahnsinnige Genie", inklus. einer 90 Minuten langend DVD-Doku, die ich mir gerade reingezogen habe. Recht gute Doku, in der es viele Interviews mit dem Biografen Joachim Köhler und dem Dirigenten Christian Thielemann gibt.

Kann ich nur empfehlen ... ;)



Saludos!
 
Artikel aus ZEIT online:

Ein Revolutionär für alle

Gespräch mit dem Regisseur Peter Konwitschny und dem Politikwissenschaftler Udo Bermbach.

Zum Thema Wagners Antisemitismus, den man angeblich in seiner Musik bzw. in seinen Opern wieder findet, sagt Konwitschny:

ZEIT Geschichte: Wie gehen Sie mit Wagners Antisemitismus um, mit einer Schrift wie Das Judenthum in der Musik?

Konwitschny: Es war wichtig für mich, diese unsäglichen Schriften Wagners zu lesen. Und dann zu sehen: Im Werk finde ich das nicht wieder. Ich finde nicht, dass eine Figur wie Beckmesser aus den Meistersingern eine antisemitische Karikatur ist. Ich kann auch in Kundry aus dem Parsifal nicht die Jüdin sehen, die Christus auslacht.

Komponisten-Jubiläum: Ein Revolutionär für alle | Kultur | ZEIT ONLINE


Saludos!
 
Ich denke, man sollte sich an der Stelle auch mal ganz ungeniert bei Wagner bedanken dürfen.
1.
Danke, dass Du je komponiert hast. Du hast es ins Standardrepertoire der meisten provinziellen Opernbetriebe geschafft. Dadurch bleiben viele Deiner unschuldigen Kollegen davon verschohnt dort verwurstet zu werden. :yes:
2.
Danke - ohne Dich gäbe es kein Wagnerjahr! Wie waren doch die Zeiten so eintönig, da ich zu praktisch jedem Moment (außer bei Jazz um Sechs, Grenzgebiete. Campus, Neue Musik etc.) SWR2 einschalten konnte! Nun läuft dauernd irgendeine Sondersendung zu Dir, oh Wagner! Hier wird von einer neuen Inszenierung berichtet, da von dem angelich misslungenen (wen interessiert das überhaupt?) Wagner-Denkmal in Leipzig, da von einer Wagner-Ausstellung, hier von einem Buch über Wagner, da eine biograhische Notiz, selbst in die harmlosesten Sendeformate schleichst Du Dich ein, die Dir zu Ehren fast ganzjährig nun umgestaltet werden. Ich könnte mich nicht entsinnen, dass Du, oh Händel!, und Du, oh Haydn, mir in eurem Ehrenjahr so allgegenwärtig aufgelauert wäret. Doch Du, oh Wagner, bist unvergleichlich. Ja, vorsichtshalber gleich ganz das Radiogerät ausgeschaltet zu lassen - es könnte ja wieder die selbe Anekdote zu Dir, oh Wagner, durch den Äther dringen - führte schon dazu so manches Mal SWR2-Alte Musik (immernoch, trotz Wagner-Jahr immer Donnerstags um 20 Uhr ;)) zu verpassen. Und wieviele Chancen räumte mir das nicht ein, stattdessen sozialen Umgang zu fördern? Wie oft führte das mich nicht dazu, mal wieder eine CD gepflegten Oi!, ein bisschen Ska oder eine andere so völlig der Klassischen Musik ferne Musikrichtung einzulegen! Man bedenke den wirtschaftlichen Vorteil, wenn ich durch Dich, oh Wagner, CDs dieser Musikrichtungen erworben habe!
3.
Danke, Wagner auch für die Heimsuchung Bayreuths. Niemals erwachte ich wegen durchzechter Nacht in Deinem heil‘gen Städtchen mit einem brummenden Schädel. Nein. Die Kellner sind so verwöhnt durch den alljährlichen Zustrom an Wagnerianern, dass sie es ja nicht nötig haben bei Gruppen von über 20 Personen nach 12 Uhr Abends noch zu bedienen. Nein, da werden die lästigen, potentiellen Zecher lieber vergrault. Darum auch hier, danke, oh Wagner! Welch manchen müden Cent habe ich wegen Dir wohl erspart!:yes:
 
Zurück
Oben