War das Byzantinische Reich überlebensfähig?

Hier wird ja immer wieder die Feudalisierung und die damit verbundene Schwächung der Wehrkraft als Ursache angeführt. Inwiefern waren denn unfreie Bauern nicht mehr in der Lage weiterhin in der byzantinischen Armee zu dienen?
 
Die Stratioten verloren ihre Lebensgrundlage, denn sie mussten sich in Friedenszeiten aus ihren Gütern selbst versorgen und auch ihre Ausrüstung selbst finanzieren. Dieses Wehrbauernsystem hatte auch noch weitere Vorteile gehabt, z. B. dass die Stratioten zu Übungen einberufen werden konnten und dass sie dem Kaiser gegenüber normalerweise sehr loyal waren, weil sie ihm ihre Güter verdankten und auf seinen Schutz vor den Großgrundbesitzern angewiesen waren. Indem sie in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern gerieten, konnten diese Adligen zunehmend über sie verfügen, d. h. sie verkamen zu Gefolgschaften des Adels und der Kaiser musste sich mit mächtigen Adligen arrangieren, wenn er deren abhängige Bauern haben wollte.
 
Indem sie in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern gerieten, konnten diese Adligen zunehmend über sie verfügen, d. h. sie verkamen zu Gefolgschaften des Adels und der Kaiser musste sich mit mächtigen Adligen arrangieren, wenn er deren abhängige Bauern haben wollte.
genau das ist das Problem bei der Feudalisierung: je mächtiger der Adel wurde, umso problematischer war es für den Kaiser, sich die Loyalität der mächtigen Adeligen zu sichern. Dasselbe Problem der Feudalisierung, wenn auch mit anderen militärischen Strukturen, hatten schon die Karolinger und danach überhaupt die mitteleuropäischen Könige (und Kaiser) des Mittelalters.

es betrifft nicht primär die Kampfkraft der Truppen, sondern eben die verteilte Macht über die Truppen.
 
Man kann übrigens die Stratioten nur bedingt mit den Bauern West- und Mitteleuropas vor der Feudalisierung vergleichen: Die Stratioten waren Soldaten, die in Friedenszeiten als Bauern lebten. Die freien Bauern West- und Mitteleuropas waren Bauern, die im Notfall (zumindest theoretisch) Kriegsdienst leisten mussten. Diese Differenzierung mag ein bisschen haarspalterisch wirken, bedingte aber durchaus auch praktische Unterschiede: z. B. wurden den Stratioten vom Kaiser (genügend große) Landgüter zugewiesen, damit sie sich in Friedenszeiten aus ihnen versorgten und ihre Ausrüstung selbst finanzieren konnten, das Soldatsein war also eine Bedingung für den Erhalt des Gutes. Umso schlimmer war es, wenn sich Großgrundbesitzer diese eigentlich zweckgebundenen Soldatengüter unter den Nagel rissen oder zumindest die Soldaten in ihre eigene Abhängigkeit brachten.
 
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass

1. die brisante geografische Lage zwischen Asien und Europa (Die ja zumindest offenkundig der Grund für die Verwüstung während des 4. Kreuzzuges verantwortlich war, aber vielleicht auch so zusagen als Tor nach Europa für die Osmanen von besonderem Interesse war (bloße Vermutung, würde aber ja doch recht nahe liegen)

2. die Feudalisierung und daraus folgende Schwächung der Armee (Da die Wehrbauern nunmehr weniger dem Kaiser als dem Adel dienten, und man gezwungen war auf weniger effektive Söldnerheere zurückzugreifen)

3. die (wirtschaftliche) Abhängigkeit von Venedig (später Genua)

4. eine Reihe unfähiger Kaiser (Die dann ja auch für die Feudalisierung verantwortlich gemacht werden können)

Kerngründe waren, die eine tragende Rolle beim Niedergang von Byzanz darstellten?
 
Das sind vier wichtige Punkte, wobei aber Punkt 1, die geographische Lage, nicht nur von Nachteil war: Dass sich das Reich teils über den Balkan, teils über Kleinasien erstreckte, sicherte ihm lange Zeit auch das Überleben, indem, wenn ein Teil verlorenging, sich das Reich noch auf den anderen stützen konnte und als Ausgangsbasis für die Rückeroberung des Verlorenen nutzen. Z. B. ging unter Herakleios I. der Orient zeitweise fast völlig an die Perser verloren, aber man konnte sich wenigstens noch auf die europäischen Teile (und damals auch noch Africa) stützen. Dann war im 8. Jhdt. der Balkan fast völlig verloren, von den Bulgaren und Slawen überrannt, aber nach Kleinasien kamen sie nicht, und nach und nach wurde der Balkan südlich der Donau zurückerobert. Später, nach der Schlacht von Mantzikert, ging dann Kleinasien fast völlig verloren, aber dem Reich blieb der Balkan, und mit Hilfe des Ersten Kreuzzugs konnten die Komnenen dann auch Teile Kleinasiens wieder zurückerobern. Auch später, als nach dem 4. Kreuzzug die europäischen Teile großteils unter den Kreuzfahrern aufgeteilt wurden, konnten sich die Byzantiner in Kleinasien um Nikaia halten und von dort aus später das Reich noch einmal einigermaßen restaurieren. Erst die Osmanen setzten sich dann - unter Mitwirkung der Byzantiner - von Kleinasien aus auch in Europa fest. Von da an war das Schicksal des Reiches besiegelt.
 
2. die Feudalisierung und daraus folgende Schwächung der Armee (Da die Wehrbauern nunmehr weniger dem Kaiser als dem Adel dienten, und man gezwungen war auf weniger effektive Söldnerheere zurückzugreifen)

Ob Söldnerheere weniger effektiv sind, sei dahingestellt. Sie kosten aber auf jeden Fall Geld und können sich, wenn das nicht fließt, auch plötzlich gegen einen stellen (prototypisch der Söldneraufstand am Ende des Ersten Punischen Krieges).
 
Die Stratioten verloren ihre Lebensgrundlage, denn sie mussten sich in Friedenszeiten aus ihren Gütern selbst versorgen und auch ihre Ausrüstung selbst finanzieren. Dieses Wehrbauernsystem hatte auch noch weitere Vorteile gehabt, z. B. dass die Stratioten zu Übungen einberufen werden konnten und dass sie dem Kaiser gegenüber normalerweise sehr loyal waren, weil sie ihm ihre Güter verdankten und auf seinen Schutz vor den Großgrundbesitzern angewiesen waren. Indem sie in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern gerieten, konnten diese Adligen zunehmend über sie verfügen, d. h. sie verkamen zu Gefolgschaften des Adels und der Kaiser musste sich mit mächtigen Adligen arrangieren, wenn er deren abhängige Bauern haben wollte.

Dem kann ich nicht ganz folgen, wieso sind die Stratioten, dem Kaiser treu ergeben, wenn sie die ganze Ausrüstung und für ihre Versorgung selbst sorgen mussten, wo ist denn da der Vorteil für den einfachen Bauern, der dann auch noch steruern für sein Boden zahlt?
 
Der Vorteil für die Stratioten war, dass sie überhaupt Land erhielten. Dem Kaiser ergeben waren sie, weil sie es ihm verdankten und seinen Schutz vor Großgrundbesitzern brauchten.
In Kriegszeiten war von der kaiserlichen Perspektive aus natürlich auch von Vorteil, dass die Stratiotenkontingente aus den dem Kriegsgebiet benachbarten Themen zusammengezogen wurden, sodass die Stratioten also ihre eigenen Ländereien verteidigten.
 
Meinen sie mit Stratioten die sogenannten Akriten? Stratiotes bedeutet einfach Soldat frei übersetzt, es gab auch nach den byzantinischen Reich Kontigente von sogenannten Stratioten (Stradioti), die als leichte Kavallerie kämpften, die Mehrheit dieser Stradioti war albanischen Ursprungs und eine nennenswerte Zahl Griechen, die wurden meistens von griechischen Generälen geführt. Was nicht bekannt ist ist die Revolution die sie in Europas Kavallerie Formation und Kampf Taktiken brachten, Konter bzw Gegenangriffe und andere Känotomien die den meisten europäischen Kavallerien unbekannt waren in dieser Zeit. Allerdings war das nach mein Wissensstandart keine rein Byzantinsiche Militärschule sondern zu ein guten Teil aus den Osten beeinflusst und entwickelt.
Was die Akriten angeht ist es auch meine Meinung dass die solange im Grenzgebiet angesiedelt wurden und im Gegesatz zu ihren Feld das Reich verteidigten es viel effektiver war im Gegensatz zu der Zeit dannach. Die haben sich gegen die Araber zim Beispiel sehr gut geschlagen in Anatolien. Nachdem wieder innere Machtspiele und Korruption im Geschehen eine Rolle nahmen wie so oft in der menschlichen Geschichte ging es mit diesen System den Bach runter.
 
Nein, ich meine nicht die Akriten. Die Akriten waren eine Grenzmiliz in Kleinasien an einer Art Militärgrenze zur islamischen Welt, in etwa vergleichbar der späteren Militärgrenze Österreichs zum Osmanischen Reich. Die Stratioten waren die auf Gütern in den Themen angesiedelten Soldaten.

Bei den Stratioten muss man aber aufpassen, von welcher Zeit man spricht. Die von Dir verwendete Bedeutung passt auf die Stratioten nach Verfall der Themenordnung, als es sich tatsächlich um leichte Kavallerie vom Balkan handelte, die sich auch oft als Söldner verdingten.
 
Yep genau diese Stratioten mein ich die nach dem Zerfall des Byzantinischen Reiches und der Ausbreitung der Osmanen auch in Balkan als Söldner unter den Namen Stradioti in Europa bekannt wurden, ethnisch war nach einer Forschung der Namen der Großteil albanischer Herkunft ein guter Teil griechischer Herkunft und nur 2 Namen unter ungefähr 100 waren südslawischen Ursprunges.
Die Stratioten der früheren byzantinsichen Themen waren dieselben Truppen wie die Aktrieten, mit den unterschied dass die Akriten die Stratioten der Grenzgebiete im Prinzip gewesen sind oder lieg ich da falsch?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nicht so ganz: Die Stratioten waren reguläre Soldaten, die in Friedenszeiten auf ihren Bauerngütern lebten, sich von ihnen ernährten und mit ihnen ihre Ausrüstung finanzierten. (Daher war auch ihr Mindestwert genau festgelegt, und nach einer Regelung der Makedonenkaiser durfte nur das über den Mindestwert Hinausgehende verkauft werden.) Sie wurden aber auch immer wieder zu Übungen zusammengetrommelt. Für den Staat war dieses System finanziell doppelt von Vorteil: Einerseits ersparte man sich einen Teil der Ausgaben für Sold und Ausrüstung, andererseits ließen sich die Stratioten und ihre Güter steuerlich gut erfassen.
Die Akriten hingegen waren bis ins 11. Jhdt. steuerfrei. Im Gegensatz zu den Stratioten wurden sie auch nicht als reguläre Einheiten für Feldzüge zusammengezogen und mitgenommen. Stattdessen agierten sie im Grenzgebiet relativ eigenständig und widmeten sich dem Kleinkrieg. Sie bildeten hauptsächlich leichte Infanterie und leichte Kavallerie und waren armenischer, bulgarischer oder türkischer Abstammung.
 
Soviel ich weiss waren die meisten Akriten mindestens in der Zeit der Araber Expansion nicht bulgarischer und auch nicht tükischer Herkunft, ein Großteil war wohl Armenier oder Kappadokier aber es liesen sich unter denen auch alle anderen Völker des Reiches finden, Griechen, Syrer, andere Anatolier usw. Bulgaren und Türken ist wohl eher untypisch für die Akriten.
 
El Quijote:

Gerade die zunehmende wirtschaftliche Schwäche des Reiches und der Umstand, dass seine Wirtschaft unter Kontrolle der italienischen Stadtstaaten geriet, machten die Aufstellung größerer und qualitativ hochwertiger Söldnerheere dann eben so schwierig.

Ravenik:

Im Gegensatz zu den Stratioten wurden sie auch nicht als reguläre Einheiten für Feldzüge zusammengezogen und mitgenommen

Ergänzend noch: sie dienten bei Feldzügen als Späher und Kundschafter, und leichte Elitekavallerie, wobei sie auch hier dann sehr eigenständig in Form irregulärer Streifscharen agierten. Bei feindlichen Invasionen war eine der Hauptaufgaben auch die Evakuierung der Zivilbevölkerung in der Einfallsroute der feindlichen Armee.

Sie bildeten hauptsächlich leichte Infanterie und leichte Kavallerie

Wobei reine Infanterie selten war und es auch eine Menge berittene Infanterie gab.
 
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass

1. die brisante geografische Lage zwischen Asien und Europa (Die ja zumindest offenkundig der Grund für die Verwüstung während des 4. Kreuzzuges verantwortlich war, aber vielleicht auch so zusagen als Tor nach Europa für die Osmanen von besonderem Interesse war (bloße Vermutung, würde aber ja doch recht nahe liegen)

2. die Feudalisierung und daraus folgende Schwächung der Armee (Da die Wehrbauern nunmehr weniger dem Kaiser als dem Adel dienten, und man gezwungen war auf weniger effektive Söldnerheere zurückzugreifen)

3. die (wirtschaftliche) Abhängigkeit von Venedig (später Genua)

4. eine Reihe unfähiger Kaiser (Die dann ja auch für die Feudalisierung verantwortlich gemacht werden können)

Kerngründe waren, die eine tragende Rolle beim Niedergang von Byzanz darstellten?

Das sind tatsächlich die zentralen Punkte, die zum Untergang von Byzanz führten. Interessant wäre es, sie nach ihrer Bedeutung zu gewichten und interessant wäre auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Byzanz hätte überleben können (vgl. die Ausgangsfrage).

Ein weiterer wichtiger Aspekt wurde in der Aufstellung oben gar nicht erwähnt: Mit dem Verlust der vorderasiatischen und vor allem ägyptischen Provinzen verlor Byzanz wirtschaftlich lebenswichtige Ressourcen. Diese Provinzen zählten zu den ökonomisch, steuerlich und demografisch bedeutendsten, sodass ihr Verlust an die expandierenden Araber im 7. Jh. eine außerordentliche Schwächung der Byzantiner bedeutete.

Auch geopolitisch war der Verlust des Vorderen Orients ein Warnsignal. Die Reichsgrenze verlief nun entlang des Taurus und war damit gefährlich nahe an die Reichshauptstadt herangerückt. Wer nämlich den Taurus überschreiten konnte, dem lag das Innere Kleinasiens nahezu wehrlos zu Füßen. Und so kam es dazu, dass die türkischen Seldschuken nach der siegreichen Schlacht bei Manzikert nördlich des Vansees im Jahr 1071 sofort Kleinasien überfluten konnten und bis vor die Tore Konstantinopels gelangten. Erst später konnte unter großen Mühen und beträchtlicher Kraftanstrengung die Reichsgrenze bis wenigstens auf die Höhe von Angora/Ankara - d.h. bis zur Mitte Kleinasiens - vorgeschoben werden.

Aber schon zu diesem Zeitpunkt war Byzanz nach Verlust aller ökonomisch bedeutenden Provinzen und Ressourcen dem Untergang geweiht, denn der Balkanraum im Westen war wegen der aufrührerischen Slawen nur noch eine Verlust- und keine Einnahmequelle. Kontinuierliche Steuereinnahmen konnten dort nicht mehr erzielt werden.

Man muss sich wundern, dass Byzanz nach Manzikert überhaupt noch rund 300 Jahre überlebte, die meiste Zeit allerdings nur als abhängiger Kleinstaat.
 
Ein weiterer wichtiger Aspekt wurde in der Aufstellung oben gar nicht erwähnt: Mit dem Verlust der vorderasiatischen und vor allem ägyptischen Provinzen verlor Byzanz wirtschaftlich lebenswichtige Ressourcen. Diese Provinzen zählten zu den ökonomisch, steuerlich und demografisch bedeutendsten, sodass ihr Verlust an die expandierenden Araber im 7. Jh. eine außerordentliche Schwächung der Byzantiner bedeutete.
Diesen Punkt halte ich für etwas überbewertet. Im Gegenteil hatte der Verlust dieser Provinzen für das Reich sogar auch Vorteile: Einerseits wurde das Reich homogener, mit dem Verlust derjenigen Provinzen, in denen der Monophysitismus besonders stark war, ging auch innenpolitisches Konfliktpotential verloren. Andererseits wurde man durch die Grenzverkürzung auch einige Bedrohungen los: Die lange Grenze nach Arabien musste schon vor dem Aufstieg des Islam gegen (teilweise mit den Persern verbündete) Beduinenstämme verteidigt werden, wobei es unter den teils mit den Oströmern, teils mit den Persern verbündeten Arabern auch immer wieder zu Stellvertreterkriegen gekommen war. Ägypten wurde in der Spätantike immer wieder im Süden und Südwesten von fremden Völkerschaften heimgesucht. Africa befand sich seit seiner Wiedereroberung durch Belisar in einem ständigen Abwehrkampf gegen die Berber, der die wirtschaftliche Nutzung des fruchtbaren Gebietes arg beeinträchtigte, außerdem erwies sich dieses Exarchat als besonders usurpationsträchtig.

Auch geopolitisch war der Verlust des Vorderen Orients ein Warnsignal. Die Reichsgrenze verlief nun entlang des Taurus und war damit gefährlich nahe an die Reichshauptstadt herangerückt. Wer nämlich den Taurus überschreiten konnte, dem lag das Innere Kleinasiens nahezu wehrlos zu Füßen.
"Gefährlich nahe an die Reichshauptstadt herangerückt" ist wohl doch etwas übertrieben. Gefährlich nahe waren am Balkan Slawen und Bulgaren an Konstantinopel herangerückt; sie machten immer wieder das unmittelbare Umland unsicher und konnten jederzeit zur Belagerung übergehen. Aber im Osten Kleinasiens hatte sich nicht wirklich viel geändert: Diese Region bildete schon in der Antike die Grenze zum großteils von den Persern beherrschten Mesopotamien und zu Armenien. In der Spätantike war auch Kolchis (also der Westen des heutigen Georgien) zwischen Oströmern und Persern heftig umkämpft gewesen - auch vor dem Hintergrund, dass die Oströmer einen Zugang der Perser zum Schwarzen Meer unbedingt verhindern mussten, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, dass irgendwann vor Konstantinopel eine persische Flotte auftaucht. Man musste Syrien nicht unbedingt erobern, um in Kleinasien einfallen zu können, im Gegenteil, wenn man von Syrien aus in Kleinasien eindringen wollte, machte man es sich eher schwerer, weil man dann durch die berüchtigte Kilikische Pforte musste. Eine geeignete und öfters benützte Verbindung Kleinasiens zum Osten war auch das Tal des Araxes im nordöstlichen Kleinasien.
Jedenfalls gelang es, durch die neue Themenordnung weite Teile der verbliebenen Bevölkerung aktiv für die Reichsverteidigung zu nutzen.
 
Diesen Punkt halte ich für etwas überbewertet. Im Gegenteil hatte der Verlust dieser Provinzen für das Reich sogar auch Vorteile: Einerseits wurde das Reich homogener, mit dem Verlust derjenigen Provinzen, in denen der Monophysitismus besonders stark war, ging auch innenpolitisches Konfliktpotential verloren. Andererseits wurde man durch die Grenzverkürzung auch einige Bedrohungen los: Die lange Grenze nach Arabien musste schon vor dem Aufstieg des Islam gegen (teilweise mit den Persern verbündete) Beduinenstämme verteidigt werden, wobei es unter den teils mit den Oströmern, teils mit den Persern verbündeten Arabern auch immer wieder zu Stellvertreterkriegen gekommen war. Ägypten wurde in der Spätantike immer wieder im Süden und Südwesten von fremden Völkerschaften heimgesucht. Africa befand sich seit seiner Wiedereroberung durch Belisar in einem ständigen Abwehrkampf gegen die Berber, der die wirtschaftliche Nutzung des fruchtbaren Gebietes arg beeinträchtigte, außerdem erwies sich dieses Exarchat als besonders usurpationsträchtig.

Das sind sehr plausible Argumente, die die entfallenen Nachteile betonen.

Dann stellt sich aber die Frage, welche ökonomische Kraft dem Reich durch die Gebietsverluste abhanden kam. Wie sah der Saldo aus?

Zur "wirtschaftlichen Elite" und den Einkommensquellen siehe
http://www.econ.yale.edu/~egcenter/haldon-2012.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Bezüglich der ökonomischen Verluste möchte ich an dieser Stelle auf die rasant innerhalb kürzester Zeit fallende Einwohnerzahl von Konstantinopel hinweisen, die auf den Verlust dieser Provinzen hin stattfand. Sowie die Veränderungen der Lebensweise der Byzantiner bis hin zu Veränderungen bei den Essgewohnheiten, Religion (Ikonoklasten usw) die sich aus den Innenpolitischen Spannungen ergaben die daraus resultierten.

Das Reich wurde in Bezug auf seine Einnahmen und insbesondere in Bezug auf seine Versorgung der Großstädte mit Lebensmitteln drastisch geschwächt. Insbesondere der Verlust Ägyptens war ökonomisch schwerwiegend.
 
Das Reich wurde in Bezug auf seine Einnahmen und insbesondere in Bezug auf seine Versorgung der Großstädte mit Lebensmitteln drastisch geschwächt. Insbesondere der Verlust Ägyptens war ökonomisch schwerwiegend.

Dem stimme ich uneingeschränkt zu (vgl. mein Beitrag oben # 56). Byzanz konnte nur so lange eine Großmachtpolitik betreiben, wie ihm ausreichende Steuereinnahmen zuflossen. Und das war, nachdem es auf Kleinasien beschränkt war, nicht mehr der Fall.

Die anatolische Hochfläche war dünn besiedelt und nur an den Rändern Kleinasiens verdichtete sich die Bevölkerung, wurde ertragreicher Handel betrieben. Im Vergleich zu den verlorenen vorderasiatischen Gebieten und Ägypten war das jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sodass Byzanz in der bekannten Abwehrposition erstarrte.

Diese Erstarrung der byzantinischen Institutionen sowie der byzantinischen Kunst und Gesellschaft ist unübersehbar. Sie wurzelt in einem ideologischen Beharrungsvermögen, das um so stärker wurde, je mehr sich gegnerische Fronten um das Byzantinische Reich schlossen. Staatsräson war somit der Rückgriff auf das antike Rom und die Beharrung auf den überkommenen politischen, künstlerischen, geistigen und gesellschaftlichen Strukturen.

Ein guter Kenner der byzantinischen Geschichte, der Byzantinist Ralph-Johannes Lilie, sagt dazu:

Also wirkt Byzanz, trotz aller Änderungen im einzelnen, insgesamt statisch; es blieb zeit seiner Existenz auf die Vergangenheit fixiert. Die wenigen Versuche, Erstarrung und Verkrustung zu durchbrechen - etwa der Bilderstreit (Ikonoklasmus) im 8. Jh, die angestrebte Westöffnung des Reiches unter Manuel Komnenos im 12. oder die Bemühungen während des 14. Jahrhunderts, das westliche Denkgebäude der Scholastik für Byzanz zu erschließen - brachten nicht den gewünschten Erfolg und führten im Gegenteil eher zu einem härteren Widerstand gegen solche Neuerungen: Byzanz versuchte um so verzweifelter, die Vergangenheit wiederzubeleben, um sich seiner Identität zu versichern, je trostloser die zeitgenössische Realität wurde. [...]

Dieses ideologische Beharrungsvermögen wird durch die Kontinuität der staatlichen Institutionen erleichtert: Byzanz hat nie eine echte Revolution erlebt, sondern seine Entwicklung vollzog sich in winzigen, unmerklichen Schritten. Die Trägheit dieser Prozesse förderte das Weiterbestehen und die Erstarrung in Tradition bis hin zum Selbstbetrug ... Unbestreitbar ist, dass die Begrenztheit und Langsamkeit der Entwicklung den Eindruck von Statik vermittelt. Die Fassade von Byzanz blieb gleich, und zwar deshalb, weil die Byzantiner wollten, dass sie gleich blieb.

(Ralph-Johannes Lilie, Byzanz. Geschichte des Oströmischen Reiches, München 1999, S. 10 f.)
Der letzte Satz dieser Einschätzung fasst den Tatbestand gut zusammen: Angesichts der bedrohlichen äußeren Entwicklung war Byzanz nur noch ein kleiner römischer Vorposten inmitten eines Meers von Arabern, Türken und Slawen. Deshalb koppelte es seine Identität fest an das antike Rom und die byzantinische Gesellschaft folgte diesem Staatskonzept bis zur Erstarrung - und zwar bewuss!
 
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