Was wir den Arabern verdanken

Ein interessanter aktueller Artikel von Heute zum Thema von HEISE...

... der einmal wieder typisch Telepolis ist: es wird viel geschrieben, aber zum eigentlichen Gegenstand gibt es nur spärlich Informationen.

Ich möchte hinzufügen, daß ich das dort stark unter Kritik stehende Buch Aristote au Mont-Saint-Michel: Les Racines grecques de l´Europe chrétienne von Sylvain Gouguenheim nicht kenne - und wohl auch nicht lesen werde, da es wohl anzunehmenderweise auf den frankophonen Raum beschränkt bleiben und keine anderssprachigen Auflagen erfahren wird -, so daß ich zum Für und Wider auch nichts sagen kann.

Folgende Punkte aber zeigen, daß der Verfasser des Artikels genau das tut, was er anderen unterstellt: er übersieht einige Aspekte und vereinfacht bzw. gibt diese sogar fehlerhaft wieder.
Einige Beispiele...

Marcus Born schrieb:
Auch in Deutschland haben sich Wissenschaftler gegen Gougenheims Text ausgesprochen, unter ihnen auch Kurt Flasch, ein renommierter deutscher Philosophiehistoriker mit Schwerpunkt auf Spätantike und Mittelalter...
Der hier genannte Kurt Flasch ist zweifellos ein zu Recht anerkannter Philosophiehistoriker und Verfasser von generellen Abhandlungen zur mittelalterlichen Philosophie sowie zu historischen Persönlichkeiten in diesem Umfeld.
Allerdings ist seine Akzentsetzung wohl nicht ganz unumstritten, denn einige Kritiker bemängeln auch bei ihm eine z.T. einseitige Auswahl an Autoren.

Marcus Born schrieb:
Wie stark dieser Einfluss auf den lateinischen Westen in dieser Zeit war, zeigt sich darin, dass Etienne Tempier Ende des 13. Jahrhunderts den radikalen Aristotelismus als "lateinischen Averroismus" ablehnte...
Hier werden einige Dinge vermengt, was den Kontext verzerrt: zum einen die Ablehnung des Averroismus im christlichen Europa - wohlgemerkt aber des Averroismus und nicht des Aristotelismus selbst, denn da muß man differenzieren (der weiter oben im Artikel genannte Thomas von Aquin bspw. war Aristoteliker, lehnte aber den Averroismus als eben zu radikal ab). Zum anderen bezieht sich der Verfasser auf das Aristotelesverbot von 1277, welches seinerseits jedoch wiederum nicht das Gesamtwerk des Aristoteles betraf.
Von daher erübrigt sich auch jeder Kommentar zu
Marcus Born schrieb:
Dass der Aristotelismus mitsamt dem Averroismus – der über eine lange Zeit hinweg stark diskutiert wurde – abgelehnt wurde...
und dem, was er daraus abzuleiten gedenkt; hier geschieht erneut eine Verzerrung des Kontextes.

Marcus Born schrieb:
... hatte sich unter anderem erst noch in der Konfrontation mit der Kirche durchzusetzen...
... ist auch wieder zu vereinfacht gesagt: ich verweise erneut auf das bekannte und auch im Artikel genannte Beispiel Thomas von Aquin.
Die Gelehrten, welche Aristoteles - übrigens schon weit vor Thomas von Aquin - rezipierten, entstammten zu einem großen Teil der Kirche (wenn man es denn schon so pauschal ausdrücken möchte)!

Marcus Born schrieb:
Dem Autor wird auch vorgeworfen, sich für den Titel seines Buches eines Aufsatzes von Viola Coleman aus dem Jahr 1967 bedient zu haben...
... was natürlich nur dann den Plagiatsvorwurf rechtfertigt, wenn das Werk von 1967 nicht explizit zitiert und auch nicht in der Literaturliste autaucht. Das Zitieren anderer Arbeiten mit Kennzeichnung der Zitate u.ä. ist auch in wissenschaftlichen Werken nicht verboten und macht diese noch längst nicht zum Plagiat.
Darüber wird allerdings kein Wort weiter geschrieben, so daß diese Zeile lediglich etwas vorwurfsvoll im Raum steht... :grübel:
Übrigens wurde im Artikel zudem aus dem Coloman Viola eine Viola Coleman gemacht; nehmen wir es zu Gunsten des Verfassers als Tippfehler an...



Hier übrigens noch ein weiterer kritischer Artikel zu jenem Buch: Historiker-Streit: Was Europa dem Islam verdankt - und was nicht - Nachrichten Kultur - WELT ONLINE
Dort ist es übrigens interessant zu lesen, wie einerseits gegenüber einem Historiker - möglicherweise sogar gerechtfertigt - der Vorwurf des Revisionismus und der Ideologisierung erhoben wird, andererseits aber zu der von ihm - unbestritten zu Recht - kritisierten Sigrid Hunke bspw. der verharmlosende Kommentar
Johannes Wetzel schrieb:
Tatsächlich scheint inzwischen festzustehen, dass Hunke Mitarbeiterin des SS-Vereins "Ahnenerbe" und dessen Zeitschrift "Germanien" war.
gebracht wird. Was heißt hier "scheint festzustehen"? Dem ist so - genauso übrigens, daß man in ihren Werken nur schwer Faktenaufarbeitung von Ideologisierung trennen kann.
Auch das Stützen auf David Levering Lewis ist wohl eher Realsatire, denn er - Pulitzerpreisträger hin und her - ist bis dato nicht Mediävist oder Islamforscher, sondern Biograph. Das wußte sogar der ansonsten diesbezüglich auch nicht immer ganz sauber arbeitende Kollege des Journalisten: Religion: Wie schade, dass Europa nicht islamisch ist - Nachrichten Kultur - WELT ONLINE

Zurück zum diskutierten Buch: bei Le Monde und Le Figaro hatte man sich bekanntlich (der Artikel bei Telepolis spricht dies im Anfangsteil an) positiv geäußert.
Le Monde: Et si l'Europe ne devait pas ses savoirs à l'islam ? - LeMonde.fr (leider nur mit Account und Abonnement einsehbar)
Le Figaro: Le Figaro - Livres : Les tribulations des auteurs grecs dans le monde chrétien

Hier noch etwas Nüchternes dazu von der International Herald Tribune: Europe's debt to Islam given a skeptical look - International Herald Tribune



Wie oben bereits geschrieben, kenne ich das kritisierte und derzeit in Fachkreisen wohl auch heftig wie kontrovers diskutierte Buch nicht - wiewohl mir die Thesen nach dem, was dazu geschrieben wurde, doch sehr radikal erscheinen -, aber der Artikel bei Heise Telepolis hilft offen gestanden keinem weiter; schon gar nicht in einer sachlichen Diskussion, denn er sagt so nicht allzu viel aus.



DISCLAIMER: Dies ist keine Verteidigung des Buches von Sylvain Gouguenheim, sondern lediglich eine Art Bestandsaufnahme, was dazu im den Weiten des www geschrieben wird respective zu lesen ist!!!
 
Timo: gehört hier nicht rein, aber bei Hunke ist es in weiten Teilen ihres Hauptbuches so wie mit Tom Cruise. Privat mag ich Cruise nicht, seine Ansichten finde ich bescheuert, aber trotzdem konsumiere ich seine Filme, die teilweise sogar gute schauspielerische Leistungen von ihm zeigen (Geboren am 4. Juli, McGuire, Minority Report, ...). Ähnlich bei Hunke: Bei ihr musste ich feststellen, dass das meiste schlicht stimmt, auch wenn die Wortwahl manchmal nüchterner sein könnte, und einige Schlussfolgerungen/Analysen falsch sind. Aber wenn man kein gutes Englisch kann, dann bleiben einem leider nicht viele leicht zu lesende Zugänge. Jedenfalls von ihr fundiertere Arbeit, als "Welt der Wunder"... ;)

Wer englisch kann, ein aktueller Artikel mit schöner Leseliste:

Muslim Printing Before Gutenberg:
MuslimHeritage.com - Topics

Hört sich auf dem ersten Blick sensationell an, u.a. was da Archäologen ausgegraben haben. Jedoch sind es Drucke, wie die Chinesen sie auch schon vorher getätigt haben. Also nichts "weltbewegendes"... ;) Jedoch interessant, auch die Drucke von Koranen, oder Texten daraus, auch im Zusammenhang mit Diskussionen, die die späte Einführung der Druckerpresse im isl. Bereich (18. Jh.) mit systemimmanenten (sprich islam-inherenten) Wissenschaftsfeindlichkeit zu erklären versuchten.

Nun denn, check it. :)
 
Timo: gehört hier nicht rein, aber bei Hunke ist es in weiten Teilen ihres Hauptbuches so wie mit Tom Cruise. Privat mag ich Cruise nicht, seine Ansichten finde ich bescheuert, aber trotzdem konsumiere ich seine Filme, die teilweise sogar gute schauspielerische Leistungen von ihm zeigen (Geboren am 4. Juli, McGuire, Minority Report, ...). Ähnlich bei Hunke: Bei ihr musste ich feststellen, dass das meiste schlicht stimmt, auch wenn die Wortwahl manchmal nüchterner sein könnte, und einige Schlussfolgerungen/Analysen falsch sind. Aber wenn man kein gutes Englisch kann, dann bleiben einem leider nicht viele leicht zu lesende Zugänge. Jedenfalls von ihr fundiertere Arbeit, als "Welt der Wunder"... ;)

Wer englisch kann, ein aktueller Artikel mit schöner Leseliste:

Muslim Printing Before Gutenberg:
MuslimHeritage.com - Topics

Hört sich auf dem ersten Blick sensationell an, u.a. was da Archäologen ausgegraben haben. Jedoch sind es Drucke, wie die Chinesen sie auch schon vorher getätigt haben. Also nichts "weltbewegendes"... ;) Jedoch interessant, auch die Drucke von Koranen, oder Texten daraus, auch im Zusammenhang mit Diskussionen, die die späte Einführung der Druckerpresse im isl. Bereich (18. Jh.) mit systemimmanenten (sprich islam-inherenten) Wissenschaftsfeindlichkeit zu erklären versuchten.

Nun denn, check it. :)

Der Thread ist ein bisschen zu groß gewesen, um ihn heute Nacht noch durchzulesen. Aber ich schreibe trotzdem was.

Die Übertragung (der Druck) von vorgefertigten Bildern oder Schriftzeichen auf eine geeignete Unterlage ist schon seit den Zeiten der Sumerer bekannt (Rollsiegel).

Es war den Sumerern sogar möglich, in Tontafeln einegeritzte Dokumente durch Abdruck auf Wachstafeln zu vervielfältigen und nach Bedarf zu verteilen.

Auch andere Kulturen nutzten die Möglichkeiten der Drucktechnik (Holzschnitzdruck) schon lange, um Vervielfältigungen von Originalen zu erzeugen.

Die eigentliche Erfindung J. Gutenbergs ist die Verwendung von metallenen Lettern (verschleissarm) in Setzrahmen, was einen kurzfristigen Neusatz von Texten aus einem Vorrat an wiederverwendbaren Lettern und einen Druck in bisher ungekannter Auflagenhöhe ermöglichte

Das "Neue" an Gutenbergs Erfindung, war also die Möglichkeit, nicht nur einige Wenige, sondern ganze Volksmassen, mit Wissen, Informationen und Nachrichten zu versorgen.

MfG Jürgen
 
Zuletzt bearbeitet:
ich weiß, deshalb habe ich ja oben auch schon neben dem Titel einiges erläuterndes gesagt, damit man nicht denkt, dass da irgendwas revolutionäres kommt. nicht so wie beim P.M.-Magazin, die früher immer große Titel mit nichts dahinter hatten... ;)

Also nichts besonders neues, allerdings hatte ich bis dato noch nichts von solchen Drucken im islamischen Raum gehört. Passt also nur bedingt zum Threadtitel...
 
Die eigentliche Erfindung J. Gutenbergs ist die Verwendung von metallenen Lettern (verschleissarm) in Setzrahmen, was einen kurzfristigen Neusatz von Texten aus einem Vorrat an wiederverwendbaren Lettern und einen Druck in bisher ungekannter Auflagenhöhe ermöglichte

Allerdings war auch diese Erfindung schon lange vor Gutenberg in Ostasien gemacht worden. Das älteste erhaltene Buch, das mit metallenen Lettern gedruckt wurde, stammt aus dem Jahr 1377: Jikji ? Wikipedia
 
Im Zusammenhang mit den praktischen Anwendungen der Mathematik waren vor allem die arabischen Kenntnisse zur Landvermessung entscheidend für die ökonomische Fortentwicklung des historischen Europas. Unter anderem hat sich dies bei der Siedlungstätigkeit des Deutschen Ordens besonders bezahlt gemacht.
 
Über den "mathematische Zusammenarbeit" zwischen Abend- und Morgenland findet man hier vielerlei Interessante: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/1179/pdf/krems2_2.pdf

Das Abendland ist bis ins 15. Jh. hinein aber (über Spanien) eher der nehmende Teil. Das heißt aber nicht, dass es im europäischen Mittelalter nur mathematische Unkenntnis gab! Der Bau jeder Festung, Burg, Kathedrale oder einfachen Wasserstraße erfordert fundiertes geometrisches Wissen, das im Handwerk vorhanden war.
Aus der Zeit Karl d.Gr kursieren die PROPOSITIONES AD ACUENDOS JUVENES, die Alkuin von York zugeschrieben werden ( Alcuin: Propositiones< ) Und nicht jeder Oberschüler kann diese Rätsel heute lösen...

Solche bedeutende Gestalten der islamischen Mathematik wie Al-Khwarizmi oder Al-Kindi (um 820) hatte Europa damals allerdings nicht....

Die "Renaissance" der abendländischen Mathematik begann frühestens mit Leonardo von Pisa (um 1220); die bevölkerungsmäßige Durchdringung gelang - so klein kariert das auch klingen mag -. mit den deutschen (!) Schriften des Adam Ries (um 1520) . Ab diesem Zeitpunkt hatte das Abendland dann wieder die Nase vorn ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Allerdings war auch diese Erfindung schon lange vor Gutenberg in Ostasien gemacht worden. Das älteste erhaltene Buch, das mit metallenen Lettern gedruckt wurde, stammt aus dem Jahr 1377: Jikji ? Wikipedia

Ich wollte hier noch erwähnen, dass ich die Erfindung beweglicher Lettern aus Metall in anderen Kulturkreisen nicht anzweifle, dies allein aber nicht zum gleichen Ergebnis der Massenverfügbarkeit von Literatur führen muss, wie im konkreten Fall, bei uns in Europa.

Eher hatte ich die Vermutung, dass sich diese Drucktechnik, im weiten Feld chinesischen Schriftzeichen, wohl verlieren würde und eben keine signifikante Auswirkung auf die fernöstliche Kultur haben würde.

Allein, mir hätte das Wissen gefehlt, diese Ansicht zu übermitteln.

Daher danke ich deSilva für seine detaillierten und informativen Beiträge um dieses Thema.

MfG Jürgen
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, deSilva. Vielen Dank für deine Ausführungen: * Nicht nur hier, aber ich kann dich nicht schon wieder bewerten, muss erstmal 20 andere bewerten... ;)
 
... gehört hier nicht rein...

Die Kontroverse um Sigrid Hunke kann und sollte hier schon thematisiert werden.

... bei Hunke: Bei ihr musste ich feststellen, dass das meiste schlicht stimmt, auch wenn die Wortwahl manchmal nüchterner sein könnte, und einige Schlussfolgerungen/Analysen falsch sind. Aber wenn man kein gutes Englisch kann, dann bleiben einem leider nicht viele leicht zu lesende Zugänge. Jedenfalls von ihr fundiertere Arbeit, als "Welt der Wunder"... ;)

Das mag ja alles sein, wenngleich meine Wichtungen diesbezüglich etwas anders ausfallen - mE sind die meisten ihrer Schlußfolgerungen und Analysen falsch -, aber das ist nun einmal Ermessenssache.
Was jedoch unbestritten bleibt, ist der Umstand, daß - wie ich schon mehrfach (nicht nur hier) schrieb - Faktenaufarbeitung und Ideologisierung sich bei ihr einander stark durchdringen, so daß ihr für diesen Thread relevantes Werk eben dahingehend äußerst kritisch und mit Vorsicht gelesen werden muß, da ihr Weltbild recht deutlich durchscheint, welches mit der antiisraelischen und antiwestlichen Stoßrichtung des Panarabismus konform geht und zudem das antikatholische Element verinnerlicht hat.
Ich rate also keineswegs von dem Buch ab, sondern ermahne zu nichts mehr als eben kritischem Lesen - also insbesondere auch dazu, nicht alles für bare Münze zu nehmen!

Daß Welt der Wunder alles andere als fundiert ist, steht außer Frage; ich habe nirgendwo etwas anderes behauptet noch habe ich dies künftig vor.



Off Topic:
... gehört hier nicht rein...
... bei Hunke ist es in weiten Teilen ihres Hauptbuches so wie mit Tom Cruise. Privat mag ich Cruise nicht, seine Ansichten finde ich bescheuert, aber trotzdem konsumiere ich seine Filme, die teilweise sogar gute schauspielerische Leistungen von ihm zeigen (Geboren am 4. Juli, McGuire, Minority Report, ...)

Die Kontroverse um Tom Cruise gehört aber tatsächlich nicht hierher; dennoch muß ich mir die Zeit nehmen, dazu eine kurze Off Topic Anmerkung loszuwerden.
Sprechen wir über seine bisherigen Filme, so trägt er in diesen mW (ich kenne nicht alle seine Filme) nun aber nicht sein eigenes Weltbild wie ein Schild durch den Film vor sich her - und das ist schon ein Unterschied zu Hunkes Buch bzw. auch ihren anderen Büchern.
Anders dürfte der Fall dann jedoch bei Cruise' geplantem Film The Thetan liegen (sorry Leute, aber hier gibt es keinen Weblink von mir, da ich nicht auf derartige Filmprojekte über Scientology verweisen will)...



Aber genug zu diesem Off Topic; bitte weiter im eigentlichen Thema...
 
...dies allein aber nicht zum gleichen Ergebnis der Massenverfügbarkeit von Literatur führen muss, wie im konkreten Fall, bei uns in Europa.

So etwas ist typisch für "komplexe Erfindungen", wie etwa später Eisenbahn, Telefon, Auto, PC: Das zentrale reife Produkt ist das Ergebnis einer großen Tüftelei, auf die jeder Fachmann, der sich genug Zeit nimmt, von ganz alleine kommen muss. Man sagt auch: "Es lag in der Luft". Es muss aber kein Erfolg werden...

Am Anfang ist es ein Spielzeug (vgl. Alexandrinische Mechanik). Aber durch
- aggressive Vermarktung bei Neukunden
- vorhandene Kaufkraft der Abnehmer
- Kostenreduzierung durch Massenproduktion
- Schaffung von Infrastruktur (Schienennetz, Straßen, Telefonnetz, Internet) aus den hohen Gewinnen
entsteht in einem hochpotenten positiven Rückkopplungsprozess ein "Megaseller".

Gutenbergs Erfindung war das "gedruckte Buch", das - wie die gegebenen Links auch ausführen - zunächst keine (!) hohe Qualität besaß. Erst die berüchtigte 42 zeilige Bibel zeigte, dass ein Druckprodukt auch hochqualitativ sein konnte, wenn man sich genug Mühe gab...

Die "Massenproduktion" ist die Drucktechnik als solche, insbesondere das Gießen von Lettern und der arbeitsteilige Druckprozess.

Die "Infrastruktur" (Buchhandel, Papierherstellung) setzte schon auf einem hohen Niveau auf.

Die originale Nachfrage nach "klassischer Literatur" konnte in Kürze befriedigt werden: Was nun? Die frühen Drucker waren nicht nur Verleger, sondern auch oft ihre eigenen Autoren: Flugblätter, Bauernkalender und "pulp fiction" (über die sich etwas später Cervantes dann lustig macht) waren die großen Erfolge bei der neuen Leseschicht des einfachen Volkes. Die Alphabetisierung war größer als man immer annimmt und wurde durch preiswert erhältliches Anschauungsmaterial zusätzlich gefördert. Lesen lernen ist nicht schwer, wie heute noch die simple Didaktik jeder Grundschule beweist...

Wenn es je eine Krise der Buchproduktion gegeben hatte, dann wäre sie Anfang des 16. Jh. durch die in deutsch (!) gehaltene Vielschreiberei Luthers und anderer Humanisten beseitigt worden.

Ich denke, dass was ich oben "Neukundenpotential" genannt habe in der Diskussion gerne unterschätzt wird. Natürlich gab es einen bestehenden Käufermarkt für Bücher, der aber nicht 100x soviel zu einem Niedrigpreis abnehmen konnte oder wollte. Aber just zu diesem Zeitpunkt:
- herrschte in Europa zwischen dem 100 jährigen und dem 30 jährigen Krieg ein gewisser Wohlstand, der
- durch die Eroberungen des 16. Jh. noch gestärkt wurde und durchaus der bisher wenig intellektualisierten Mittelschicht zugute kam
- entstand neue Literatur in deutscher Sprache
- entstand überhaupt neues Wissen, sei es geografisch, astrologisch oder allgemein "wissenschaftlich"

Jeder, der Schreiben konnte schrieb, und die Drucker druckten wahrscheinlich alles, was überhaupt Aussicht auf Verkauf bot... Strukturell eine ähnliche Situation wie in der Biologie bei "Mutation und Selektion" ...
 
Zuletzt bearbeitet:
... noch ein Link, auf den ich eben stieß, zu dem Buch oben:
Aristoteles auf der Klosterinsel (Kultur, Aktuell, NZZ Online)

Immerhin macht Lukas Wick darin das Grundproblem der Kontroverse (viel harsche Kritik und kaum inhaltliche Auseinandersetzung) deutlich - wie v.a. im letzten Satz des Schlußabschnitts zu lesen ist:
Lukas Wick schrieb:
Nicht zuletzt mit solchen Reaktionen tragen jedoch die Kritiker, die Gouguenheims Buch aus dem Nischendasein ans grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt haben, ihrerseits zur Polarisierung bei.
Vom verlinkten Aristoteles auf der Klosterinsel (Kultur, Aktuell, NZZ Online)

Ein anderer Artikel noch dazu: Le Figaro - France : L'historien à abattre



Allgemein zur Thematik nicht nur jenes Buches, sondern überhaupt des Threads: Rémi Brague: "Das islamische Volk ist das belogenste" « DiePresse.com
 
Frage

Hallo allerseits,

Hunayn Ibn Ishaq hat ein Buch über Medizin geschrieben, das in Cordoba in sozus. interkultureller Zusammenarbeit von Christen, Juden und Moslems verbessert wurde.
Kann mir jemand mehr Informationen über diese Szene geben? Wer waren die Verbesserer, wann und unter welchen Umständen fand das ganze statt?
 
Hunayn Ibn Ishaq hat ein Buch über Medizin geschrieben, das in Cordoba in sozus. interkultureller Zusammenarbeit von Christen, Juden und Moslems verbessert wurde.
Kann mir jemand mehr Informationen über diese Szene geben? Wer waren die Verbesserer, wann und unter welchen Umständen fand das ganze statt?


Bist Du sicher, dass Du das richtig verstanden hast? Laut Anwar Chejne war Ḥunayn ibn Isḥāq ein christlicher Übersetzer, der am kalifalen Hofe der Abbasiden, also mit Zentrum im Iraq, dafür sorgte, dass die Werke Galens, Hippokrates', Dioskurides und anderer korrekt übersetzt wurden (es gab sie vorher schon, aber eben in "traducciones defectuosas" (Chejne)).
Er selbst schrieb ein Buch über Augenheilkunde, welches dann über Córdoba nach Europa kam.
 
siehe auch hier (mithilfe von STRG+F nach "Ishaq" suchen) mit seinem Werk "massa'il fi'l tib"
http://www.geschichtsforum.de/f36/wir-den-arabern-verdanken-521/index7.html#post238041

Für den Kontext:
MuslimHeritage.com - Topics

Neben dem Kontext, hier steht ne Menge zu Hunayn Ibn Isahq, aber ich kann irgendwie nichts markieren und copy-pasten, schaue selber:
MuslimHeritage.com - Topics

hier eine Seite seines Werkes als Kopie:
MuslimHeritage.com - Topics

Kontext:
MuslimHeritage.com - Topics

wenn du dort auf der Seite die Suche betätigst, wirste ihn noch in anderen Artikeln finden.


Ansonsten detallierter:

http://www.ishim.net/ishimj/3/09.pdf

Hunayn biography
 
Bei all der romantischen Verklärung des Orients wie er uns im Laufe der Zeit schon öfter begegnete,inklusive modischer Herabsetzung von allem Abendländischen -siehe den ewigen Sermon vom bösen primitiven Kreuzritter-
sollte man auch die andere Seite ,vor allen Dingen die ganze Geschichte,mal aufzeigen.
Wie hier schon gesagt existierte im nahen Osten und in Nordafrika eine reiche
christlich-abendländische Kultur.Bis ein arabischer Wüstenfürst auf die erfolgreiche Idee kam Elemente verschiedener Religionen zu einer Kampfideologie zu schmieden zwecks Vermehrung von Land und Reichtum.
Die daraus folgenden Vernichtungsfeldzüge und Massaker ließen von den kultivierten Vorvölkern nicht mehr viel übrig und führten die arabischen Invasoren bis nach Europa hinein ,wo sie endlich zurückgeschlagen wurden.
Dies bedeutete für Europa mit den großen Regionen im Osten einen einschneidenden Verlust von kulturellem Reichtum und Wirtschaftskraft.
Es folgte ja noch der Jahrhunderte dauernde Terror durch Raubzüge und Piraten.
Dies leitete im Grunde den Anfang einer Stagnation in europa ein ,die man schonmal "das düstere Mittelalter" nennt.
Viele "Errungenschaften der araber" sind somit nichts anderes als Beute.
Genauso rührte der unerhörte Luxus den damalige Reisende im Moslemischen Spanien preisten von der Arbeit der unterjochten Juden und Westgoten.
Dann kamen ,als Reaktion ,erst die Kreuzritter ;also die christen ins Heilige Land zurück.
 
Das sich der muslimische Glauben auch mithilfe der Gewalt verbreitete, will ich nicht bestreiten (welcher Glaube hat das in seiner langen Geschichte nicht getan), aber deine Interpretation der Kreuzzüge ist absoluter, gelinde gesagt, nonsens, unter Umständen sogar schädlich für die Beurteilung anderer historischer Elemente in diesem Zusammenhang.
Die Araber bewahrten v.a. altes römisches Wissen, doch die mathematischen und astronomischen Kenntnisse hatten sie keineswegs von den Europäern. (die waren viel zu sehr damit beschäftigt, antikes Pergament mit Bibeltexten zu beschreiben, um es mal überspitzt auszudrücken)
Al chwarismi brauchte keine Europäer, um seine genialen Elemente der Algebra (al gabr) zu finden.
Er ist nur ein herausragendes Beispiel dieser Blütezeit islamischer Kultur.

Die Kreuzzüge motivierten sich aus Fanatismus und Machtgier.
Papst Urban bezog sich in seiner Phillipika doch nicht auf die vorhergehenden Niederlagen christlicher Kämpfer! Es ging um die Macht im heiligen Land, die Lösung des Problems der geteilten Kirchen (sagt man, ich bin nicht überzeugt) aber v.a. um den Besitz der heiligen Stätten.
Saladin hat natürlich, das will niemand bestreiten, diese Stätten erobert, doch warum sollte seine Herrschaft schlechter sein als die eines anderen, christlichen Despoten?

Die Überlegenheit Europas zu relativieren und zu negieren ist keine Mode, sie ist das Ziehen von Konsequenzen aus den historischen Begebenheiten.
Das sollte man immer im Hinterkopf behalten.
Denn keine Nation ist von sich aus oder durch ein besonderes Volk überlegen.
Es sind die Menschen, die sie zu etwas besonderem machen, egal, woher diese kommen, oder wer sie von Geburt sind.
 
widar, tue uns einen Gefallen und lese dich erstmal in die Thematik ein, bevor du uns mit deinem Unwissen beehrst.
z.B. hier:
http://www.geschichtsforum.de/297399-post10.html
und zahlreiche andere Posts und Threads.
Nur mal eines deiner zahlreichen Klischees/Vorurteile:
Hätten die Araber alles vernichtet, wie du schreibst, wie hätten dann die arabischen "Viehtreiber aus der Wüste" eine solch beeindruckende Kultur hervorbringen können?
 
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