timotheus
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Ein interessanter aktueller Artikel von Heute zum Thema von HEISE...
... der einmal wieder typisch Telepolis ist: es wird viel geschrieben, aber zum eigentlichen Gegenstand gibt es nur spärlich Informationen.
Ich möchte hinzufügen, daß ich das dort stark unter Kritik stehende Buch Aristote au Mont-Saint-Michel: Les Racines grecques de l´Europe chrétienne von Sylvain Gouguenheim nicht kenne - und wohl auch nicht lesen werde, da es wohl anzunehmenderweise auf den frankophonen Raum beschränkt bleiben und keine anderssprachigen Auflagen erfahren wird -, so daß ich zum Für und Wider auch nichts sagen kann.
Folgende Punkte aber zeigen, daß der Verfasser des Artikels genau das tut, was er anderen unterstellt: er übersieht einige Aspekte und vereinfacht bzw. gibt diese sogar fehlerhaft wieder.
Einige Beispiele...
Der hier genannte Kurt Flasch ist zweifellos ein zu Recht anerkannter Philosophiehistoriker und Verfasser von generellen Abhandlungen zur mittelalterlichen Philosophie sowie zu historischen Persönlichkeiten in diesem Umfeld.Marcus Born schrieb:Auch in Deutschland haben sich Wissenschaftler gegen Gougenheims Text ausgesprochen, unter ihnen auch Kurt Flasch, ein renommierter deutscher Philosophiehistoriker mit Schwerpunkt auf Spätantike und Mittelalter...
Allerdings ist seine Akzentsetzung wohl nicht ganz unumstritten, denn einige Kritiker bemängeln auch bei ihm eine z.T. einseitige Auswahl an Autoren.
Hier werden einige Dinge vermengt, was den Kontext verzerrt: zum einen die Ablehnung des Averroismus im christlichen Europa - wohlgemerkt aber des Averroismus und nicht des Aristotelismus selbst, denn da muß man differenzieren (der weiter oben im Artikel genannte Thomas von Aquin bspw. war Aristoteliker, lehnte aber den Averroismus als eben zu radikal ab). Zum anderen bezieht sich der Verfasser auf das Aristotelesverbot von 1277, welches seinerseits jedoch wiederum nicht das Gesamtwerk des Aristoteles betraf.Marcus Born schrieb:Wie stark dieser Einfluss auf den lateinischen Westen in dieser Zeit war, zeigt sich darin, dass Etienne Tempier Ende des 13. Jahrhunderts den radikalen Aristotelismus als "lateinischen Averroismus" ablehnte...
Von daher erübrigt sich auch jeder Kommentar zu
und dem, was er daraus abzuleiten gedenkt; hier geschieht erneut eine Verzerrung des Kontextes.Marcus Born schrieb:Dass der Aristotelismus mitsamt dem Averroismus – der über eine lange Zeit hinweg stark diskutiert wurde – abgelehnt wurde...
... ist auch wieder zu vereinfacht gesagt: ich verweise erneut auf das bekannte und auch im Artikel genannte Beispiel Thomas von Aquin.Marcus Born schrieb:... hatte sich unter anderem erst noch in der Konfrontation mit der Kirche durchzusetzen...
Die Gelehrten, welche Aristoteles - übrigens schon weit vor Thomas von Aquin - rezipierten, entstammten zu einem großen Teil der Kirche (wenn man es denn schon so pauschal ausdrücken möchte)!
... was natürlich nur dann den Plagiatsvorwurf rechtfertigt, wenn das Werk von 1967 nicht explizit zitiert und auch nicht in der Literaturliste autaucht. Das Zitieren anderer Arbeiten mit Kennzeichnung der Zitate u.ä. ist auch in wissenschaftlichen Werken nicht verboten und macht diese noch längst nicht zum Plagiat.Marcus Born schrieb:Dem Autor wird auch vorgeworfen, sich für den Titel seines Buches eines Aufsatzes von Viola Coleman aus dem Jahr 1967 bedient zu haben...
Darüber wird allerdings kein Wort weiter geschrieben, so daß diese Zeile lediglich etwas vorwurfsvoll im Raum steht... :grübel:
Übrigens wurde im Artikel zudem aus dem Coloman Viola eine Viola Coleman gemacht; nehmen wir es zu Gunsten des Verfassers als Tippfehler an...
Hier übrigens noch ein weiterer kritischer Artikel zu jenem Buch: Historiker-Streit: Was Europa dem Islam verdankt - und was nicht - Nachrichten Kultur - WELT ONLINE
Dort ist es übrigens interessant zu lesen, wie einerseits gegenüber einem Historiker - möglicherweise sogar gerechtfertigt - der Vorwurf des Revisionismus und der Ideologisierung erhoben wird, andererseits aber zu der von ihm - unbestritten zu Recht - kritisierten Sigrid Hunke bspw. der verharmlosende Kommentar
gebracht wird. Was heißt hier "scheint festzustehen"? Dem ist so - genauso übrigens, daß man in ihren Werken nur schwer Faktenaufarbeitung von Ideologisierung trennen kann.Johannes Wetzel schrieb:Tatsächlich scheint inzwischen festzustehen, dass Hunke Mitarbeiterin des SS-Vereins "Ahnenerbe" und dessen Zeitschrift "Germanien" war.
Auch das Stützen auf David Levering Lewis ist wohl eher Realsatire, denn er - Pulitzerpreisträger hin und her - ist bis dato nicht Mediävist oder Islamforscher, sondern Biograph. Das wußte sogar der ansonsten diesbezüglich auch nicht immer ganz sauber arbeitende Kollege des Journalisten: Religion: Wie schade, dass Europa nicht islamisch ist - Nachrichten Kultur - WELT ONLINE
Zurück zum diskutierten Buch: bei Le Monde und Le Figaro hatte man sich bekanntlich (der Artikel bei Telepolis spricht dies im Anfangsteil an) positiv geäußert.
Le Monde: Et si l'Europe ne devait pas ses savoirs à l'islam ? - LeMonde.fr (leider nur mit Account und Abonnement einsehbar)
Le Figaro: Le Figaro - Livres : Les tribulations des auteurs grecs dans le monde chrétien
Hier noch etwas Nüchternes dazu von der International Herald Tribune: Europe's debt to Islam given a skeptical look - International Herald Tribune
Wie oben bereits geschrieben, kenne ich das kritisierte und derzeit in Fachkreisen wohl auch heftig wie kontrovers diskutierte Buch nicht - wiewohl mir die Thesen nach dem, was dazu geschrieben wurde, doch sehr radikal erscheinen -, aber der Artikel bei Heise Telepolis hilft offen gestanden keinem weiter; schon gar nicht in einer sachlichen Diskussion, denn er sagt so nicht allzu viel aus.
DISCLAIMER: Dies ist keine Verteidigung des Buches von Sylvain Gouguenheim, sondern lediglich eine Art Bestandsaufnahme, was dazu im den Weiten des www geschrieben wird respective zu lesen ist!!!