Welcher Stamm siedelte bei Wiesbaden zur Zeit des gallischen Kriegs?

Herrenlose Gebiete direkt östlich des Rheins tauchen immer wieder auf. 39/38 v. Chr. werden die Ubier ins linksrheinische umgesiedelt, Tiberius siedelte 7. v. Chr. große Teile der Sugambrer und eine Suebengruppe im Linksrheinischen ... Das Gebiet direkt östlich des Rhein war danach "frei". Die Chance für die armen Gallier, die es in Besitz nahmen.

Im Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands habe ich dazu bzw. zur Situation der Kelten direkt nach Einbruch der Germanen etwa zur Zeitenwende eine interessante Meinung gefunden:

Etwa 500 m nördlich von Rittershausen [Dillkreis] liegt auf der Bergkuppe die "Burg", eine mächtige Ringwallanlage, die auf der Gefahrenseite 3 Wälle mit vorgelagerten Gräben besitzt ... Das Fundmaterial ist äußerst reichhaltig und datiert die Anlage eindeutig in die frühe Latènezeit, d.h. 5.-3. Jh. v. Chr. Der Ausgrabungsbefund lehrt, dass der Ringwall gewaltsam zerstört wurde. So ist der Schluss naheliegend, dass die Erbauung und Zerstörung der "Burg" mit der germanischen Expansion nach Süden zusammenhängen.

Diese ethnischen Fragen sind schwierig zu beantworten, da sich der archäologische Fundstoff in Nassau folgerichtig von der Hallstattzeit bis zur Latènezeit entwickelt. Mit Sicherheit ist seit dem 4. Jh. Chr. mit keltischer Bevölkerung zu rechnen, deren Verbindung nach dem Westen recht gut ist. Wenn um diese Zeit der germanische Druck von Norden beginnt, ist die Besitznahme des Gebietes spätestens um 70 v. Chr. beendet, also in der Zeit, in der die geschichtliche Persönlichkeit des Ariovist fassbar wird. Allerdings lassen sich diese Vorgänge nach dem archäologischen Fundmaterial nicht nachweisen ...

Die Unempfindlichkeit des archäologischen Materials macht es wahrscheinlich, dass der größte Teil der keltischen Bevölkerung unter einer schwachen germanischen Oberschicht sitzen blieb und weiterhin das kulturelle Bild bestimmte.

(Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, IV. Bd, Hessen, S. 383)

Diese Erklärung zum Schicksal der keltischen Bevölkerung nach dem Germaneneinbruch ist sicherlich zutreffend. Die Germanen überschichteten in einem Zeitraum von etwa 150-200 Jahren die keltische Bevölkerung, bis es schließlich zu einer Verschmelzung beider Ethnien kam.
 
Dafür, dass eine suebisch-germanische Landnahme in Nassau archäologisch so schlecht bis gar nicht nachweisbar ist, ist einfach zu erklären.
Folgt man Caesars Überlieferung erreichte Ariovist mit Sueben und anderen Germanen im Schlepptau um 70 v. Chr. das Rheinufer und nahm es samt der dort verbliebenden Bevölkerung in Besitz.
Sicher mag zu dem Zeitpunkte eine Germanisierung der Bevölkerung begonnen haben, aber die Anwesenheit der Germanen bleibt eine Episode.
Um 10 v. Chr. werden die Sugambrer ins Linksrheinische umgesiedelt, die Markomannen wandern nach Böhmen ab und die Chatten verlassen ebenfalls ihnen zugewiesenes Land am Rheinufer. (Damit dürften die wichtigsten Stämme vom rechten Ufer des Mittelrhein und vom Main abgezogen sein, noch früher datiert die Ubier-Umsiedlung.) Sprich die germanische Landnahme in der "Gegend um Wiesbaden" blieb vorerst nur eine Episode. Nach Abwanderung der Traditionskerne und der germanischen Oberschicht dürfte die Germanisierung der Region nach ca. 60 Jahren wahrscheinlich erstmal abgebrochen sein.

Für die Wetterau und die wahrscheinlich auch die Gegend um Wiesbaden setzt jedoch schon früh eine Art Provinzialisierung ein. Die laut Tacitus dort wahrscheinlich im 1. Jahrhundert eingewanderten Gallier dürften auch noch nicht vollständig romanisiert, vergl. spätantike Treverer. (Gallien war zu dem Zeitpunkt auch gerade erst ein Jahrhundert unter römischer Herrschaft.)
Die keltisierten germanischen Matronennamen aus Aquae Mattiacorum deuten darauf hin, dass in römischer Zeit die keltische Sprache zumindest kurzzeitig wieder die Oberhand gewonnen hat.
Tja, und da waren plötzlich Mattiaker, wer auch immer sie waren.
 
Mal abgesehen davon, daß ich den Satz:
Die Unempfindlichkeit des archäologischen Materials macht es wahrscheinlich,...
nicht verstehe, halte ich es auch für fragwürdig ,aus einer zerstörten Ringwallanlage solch weitreichende Schlüsse zu ziehen, wie dies der Autor im Handbuch tut. -Wie alt ist der Artikel denn ?

Hier wurde verschiedentlich Ariovist ins Spiel gebracht.Der ist aber m.W. nur im südlichen Oberrheingebiet/Oberelsass verortet. Seine Präsenz hier im Rhein-Main-Gebiet ist m.W. pur Spekulation. Gegen suebische Oberhoheit im nördlichen Rheinhessen spricht wieder mal das bereits mehrfach erwähnte Donnerbergoppidum und der nahtlose Übergang keltischer in römische und keltoromanische Herrschaftsstrukturen.
 
Die Unempfindlichkeit des archäologischen Materials macht es wahrscheinlich, dass der größte Teil der keltischen Bevölkerung unter einer schwachen germanischen Oberschicht sitzen blieb und weiterhin das kulturelle Bild bestimmte.

Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Es findet sich aus dieser frühen Phase so gut wie kein germanisches Material, erst recht kein Material mit elitären Zügen. Also nix mit germanische Oberschicht, weil die sich dann an anderer STelle hätten bestatten lassen müssen. Diese Textstelle ist ein reines Zugeständnis an römische Schriftquellen, ohne diese müssten wir für diese Phase die Germanen als unbedeutende Randerscheinung charakterisieren.
 
Bitte erst einmal die Publikation lesen, dann kannste meckern.:winke:

Herm


So, gekauft und gelesen.
Fazit: Bei 137 Identifizierungen vergeben die Berliner nur 11 den Status "sicher identifiziert", 9 "wahrscheinlich" . Der Rest ist "unsicher"

Für Mattiacum(unsicher!) steht dort: Die transformierten antiken Koordinaten lassen ... eine Lokalisierung in der Gegend von Lahnau-Waldgirmes zu....denkbar wäre z.B. Naunheim"

aus: "Germania und die Insel Thule" von Kleineberg, Marx, Knobloch, Lelgemann

Also aus meiner Sicht ein diskussionswürdiges Ergebnis aber seriös erarbeitet.
Irreführend ist nur die Art wie über das Projekt berichtet wurde.
Von einer "zweifelsfreien Identifizierung" der Germania Magna durch eine mathematische Berechnung kann keine Rede sein.


Gruss
jchatt
 
Junge, Junge das hört sich ja recht interessant hier alles an.:pfeif:
Frag mich nur wo ich alle hier auf dem Gebiet Lahn/Dill unterbringen soll.

Leider, leider gibt es hier in meiner Gegend ganz klar den Nachweis für keltische Siedlungen, aber leider wo bleiben die Germanen.
Viel ist geschreiben worden in Handbücher und wo weiß ich noch, aber leider fehlt bis dato der Nachweiß.
Deshalb, ganz klar Mattiacum lag im Altkreis Marburg, links der Lahn, gleich neben meinem Heimatdorf:D.

en hesse :winke:
 
Dann grab es doch aus :D:D
Aber das ist ja genau das,worauf Ogrim und ich die ganze Zeit hinweisen:
Der Widerspruch zwischen Sachkultur und den römischen Quellen.
Gibt es eigentlich eine Karte,in der die keltischen und germanischen Fundplätze im Rhein-Main-Lahn-Gebiet für diese Zeit mal einzeln verzeichnet sind?
Falls nicht könnten wir ja hier mal so was erstellen.
Vielleicht sieht man dann klarer.
 
Es ist natürlich denkbar, dass wir die keltischen Briten eigentlich als Germanen betrachten müssen und die germanischen Sachsen im Kern Kelten waren - nur wussten das die Betroffenen leider nicht!

Wie kommt man denn auf sowas? die germanischen Sachsen (also die, welche auch auf den britischen Inseln siedelten) waren im Kern Kelten ? Oder unterscheidest Du die Sachsen nur in britische und germanische?
Mich verwirrt das grad etwas.
 
Wie kommt man denn auf sowas? die germanischen Sachsen (also die, welche auch auf den britischen Inseln siedelten) waren im Kern Kelten ? Oder unterscheidest Du die Sachsen nur in britische und germanische?
Mich verwirrt das grad etwas.

Entschuldige Speaker - das war nur ein Scherz!!! Ich hätte ein entsprechendes Smiley anbringen sollen. :sorry:

Natürlich sind die Sachsen Germanen, ebenso wie die Engländer. Allerdings haben diese Völker oder Stämme häufig eine andersethnische Vorbevölkerung assimiliert, z.B. die germanischen Angelsachsen nach ihrer Ankunft in Britannien Teile der keltischen Vorbevölkerung.

In diesem Sinne war meine Äußerung gedacht! ;)
 
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