WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Defensive war schon noch möglich, letztlich hat das deutsche Militär ja 4 Jahre in der Defensive gekämpft. Der Schlieffenplan war auch nicht die einzige "Lösung" des Problems. Personalstärke und Finanzmittel, um die verfügbaren deutschen Truppen von rund 2 Millionen Mann auf ca. 3 Millionen aufzustocken wären vorhanden gewesen. Damit wäre das zahlenmäßige Defizit weitgehend ausgeglichen gewesen. Es fehlte dazu lediglich am politischen Willen. Auch der Versuch, einen der drei Gegner durch Zugeständnisse auf die Seite des Deutschen Reichs zu ziehen, wurde nicht wirklich konsequent gemacht.

Am ehesten wäre Russland genötigt gewesen, den Krieg baldmöglichst zu beenden, denn das Zarenreich war einem industriellen Krieg weder wirtschaftlich noch politisch gewachsen. Die Frage, die sich mir stellt, ist ob die Mittelmächte nicht politische Chancen verspielten, indem sie versäumten, den Russen akzeptable Bedingungen für einen Sonderfrieden anzubieten, nachdem diese 1915 schwere Niederlagen erlitten hatten.
 
Damit ist er die Verantwortung los, aber ist das nicht ein bisschen leicht gemacht? Wäre es als Generalstabschef nicht seine Pflicht zurückzutreten, statt einen Krieg weiterzuführen, der nach seiner Überzeugung nicht zu gewinnen ist?
Vor allem passt seine militärische Strategie nicht mit seiner angeblichen Einsicht zusammen. Welchen Zweck hat bspw. die "Blutmühle von Verdun", wenn der Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist?

Falkenhayn ist nicht dafür verantwortlich zu machen, dass das vermeindliche "Siegesrezept" Schlieffenplan nicht funktioniert hat. Er hat den Plan nicht ausgearbeitet und war auch nicht für dessen Durchführung zuständig gewesen. Falkenhayn wollte eine teilweise politische Lösung erreichen, was bedeutet hätte mit Frankreich oder Russland, an Besten mit beiden, eine Übereinkunft zur Beendigung des Krieges zu erzielen. Den Krieg gegen Großbritannien aber wollte Falkenhayn fortsetzten, da er die Auffassung vertrat, Großbritannien sei der Feind schlechthin.

Falkenhayn Aufgabe als Generalstabschef war es auch nach Möglichkeiten zu suchen, seine Anregungen vom November 1914 wurden ja bestenfalls nur halbherzig aufgegriffen, um gegen die Gegner militärisch erfolgreich vorzugehen.

Für die grauenhafte "Bltumühle" von Verdun ist Flakenhayn in vollem Umfang verantwortlich zu machen und das hat Falkenhayn schließlich auch den Job gekostet. Falkenhayn war zutiefst davon überzeugt, das er mit diesem menschenverachtenden Vorgehen Frankreich zum Kriegsaustritt zwingen könnte. Eine falsche Annahme, wie wir heute wissen.

Der Schlieffenplan ist nicht auf Hollwegs Mist gewachsen und die Herren vom Militär haben ihn auch nicht nach seiner Meinung dazu gefragt. Wenn der Generalsstab nur einen einzigen Plan in der Tasche hat, der zwar nicht den Sieg, dafür aber das Land in eine politisch hoffnungslose Lage bringt, kann er nicht hinterher dem Reichskanzler die Verantwortung zuschieben. Bethmann war nicht Falkenhayns Vorgesetzter, das war der Kaiser. An diesen hätte Falkenhayn sich wenden müssen und ihm die Lage klarmachen, damit Wilhelm die Entscheidungsträger zusammenruft und eine Strategie ausarbeitet, wie mit der nun militärisch hoffnunglosen Lage umzugehen ist.

Bethmann ist aber auch nicht die Unschuld vom Lande. Er hat seinen Teil zum "Spung ins Dunkle" beigetragen. Und Falkenhayn war nicht für die äußere Politik des Reiches zuständig. Diese Aufgabe fiel nun einmal eindeutig in das Ressort vom Reichskanzler und dem AA. Wenn Falkenhayn seine Erkenntnisse als Generalstabschef des Heeres dem Reichskanzler vorträgt, gewisse andere Herren haben sich diese Mühe erst gar nicht gemacht, und diesem über seine Vorstellungen vom militärischen Machbaren in Kenntnis setzt, ist es Sache des Reichskanzler daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Falkenhayn hat sich nun einmal nicht in die äußere Politik wie später die Herren der 3.OHL eingemischt. Nach Falkenhayns Verständnis wäre es nun Bethmanns Job gewesen, das mögliche weitere diplomatische Vorgehen mit dem Kaiser abzustimmen. Ich weiß jetzt aber nicht, in wie weit Falkenhayn den Kaiser seine Meinung über die Möglichkeiten den Krieg zu gewinnen ins Bild setzte.
 
Die Frage, die sich mir stellt, ist ob die Mittelmächte nicht politische Chancen verspielten, indem sie versäumten, den Russen akzeptable Bedingungen für einen Sonderfrieden anzubieten, nachdem diese 1915 schwere Niederlagen erlitten hatten.
Laut Haffner wäre die beste Gelegenheit 1916 gewesen, als Boris Stürmer (der hat noch nichmal einen Wikiartikel) zum angeblich deutschfreundlichen russischen Innenminister ernannt wurde.

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Den Krieg gegen Großbritannien aber wollte Falkenhayn fortsetzten, da er die Auffassung vertrat, Großbritannien sei der Feind schlechthin.
Das scheint nicht sehr praktikabel, da die deutsche Flotte GB nicht gefährlich werden konnte. Auch nicht besonders plausibel. Ich hätte eher Frankreich als Erzfeind verortet.

Das merkwürdige ist, dass Hollweg das Duo Infernale - Hindenburg und Ludendorff - deshalb unterstützt hat Falkenhayn zu stürzen, weil er dachte, mit diesen beiden sei ein Kompromisfrieden durchzusetzen. Hat es da ein Kommunikationsproblem gegeben?

Falkenhayn war zutiefst davon überzeugt, das er mit diesem menschenverachtenden Vorgehen Frankreich zum Kriegsaustritt zwingen könnte.
Das widerspricht aber der These, Falkenhayn sei klar gewesen, dass militärisch der Krieg nicht zu gewinnen ist. Hier die Bereitschaft zum Kompromisfrieden, dort der fanatische Versuch, den Sieg zu erzwingen, das passt nicht zusammen. Lässt sich die Blutmühle von Verdun überhaupt gewissensmäßig durchführen, wenn man von der militärischen Aussichtslosigkeit des Krieges überzeugt ist?

Wenn Falkenhayn seine Erkenntnisse als Generalstabschef des Heeres dem Reichskanzler vorträgt, gewisse andere Herren haben sich diese Mühe erst gar nicht gemacht, und diesem über seine Vorstellungen vom militärischen Machbaren in Kenntnis setzt, ist es Sache des Reichskanzler daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Allerdings wäre Falkenhayn Behauptung, der Krieg sei nicht zu gewinnen, wohl glaubwürdiger gewesen, wenn er nicht kurze Zeit später behauptet hätte, er könne Frankreich durch Verdun zur Kapitulation zwingen.
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Boris_Wladimirowisch_Stürmer&action=edit&redlink=1
 
Das scheint nicht sehr praktikabel, da die deutsche Flotte GB nicht gefährlich werden konnte. Auch nicht besonders plausibel. Ich hätte eher Frankreich als Erzfeind verortet.

Durch das ruinöse Flottenwettrüsten mit allen seinen außenpolitischen Folgen und des Weiteren durch die angebliche "Einkreisung" (Stichwort Triple Entente) war Großbritannien zum dem Gegner avanciert. Außerdem galt Großbritannien von den drei Mächten der Triple Entente als die gefährlichste, die es zu besiegen galt.

Das merkwürdige ist, dass Hollweg das Duo Infernale - Hindenburg und Ludendorff - deshalb unterstützt hat Falkenhayn zu stürzen, weil er dachte, mit diesen beiden sei ein Kompromisfrieden durchzusetzen. Hat es da ein Kommunikationsproblem gegeben?

Bethmann schätzte einfach die militärischen Fähigkeiten von Falkenhayn nicht besonders hoch ein und hielt die "Helden" von Tannenberg für deutlich qualifizierter. Ludendorff schwadronierte Bethmann von einen siegreichen, mit Annexionen, Kriegsende vor, wenn die Leitung des krieges nur in den Händen von Hindenburg und ihm selbst Läge. Außerdem war Bethmann der Überzeugung, das ggf. eine enttäuschendes Kriegsende, ja möglicherweise eine Niederlage mit der Person Hindenburgs in der Öffentlichkeit wesentlich besser abgefedert werden könnte, wenn dieser vorher wenigsten nicht die Gelegenheit bekam, ein für Deutschland positives, am besten siegreiches Kriegsende zu erreichen.

In der Amtszeit von Falkenhayn war Bethmann nicht für einen Frieden zu haben, der eine Rückkehr zum Status quo des Juli 1914 vorsah. In dieser Frage war Falkenhayn deutlich entgegenkommenden und damit auch realistischer als der zivile Reichskanzler.


Das widerspricht aber der These, Falkenhayn sei klar gewesen, dass militärisch der Krieg nicht zu gewinnen ist. Hier die Bereitschaft zum Kompromisfrieden, dort der fanatische Versuch, den Sieg zu erzwingen, das passt nicht zusammen. Lässt sich die Blutmühle von Verdun überhaupt gewissensmäßig durchführen, wenn man von der militärischen Aussichtslosigkeit des Krieges überzeugt ist?

Da Falkenhayns Versuche einen Separatfrieden zu erreichen scheiterten, setzte er nunmehr auf einen Ermattungskrieg, primär gegen Frankreich. Russland hielt Falkenhayn, zumindest was dessen Offensivfähigkeit anging, für weitesgehend ausgeschaltet. (1) Des Wegen unterstützte Falkenhayn später auch den U-Bootkrieg.

(1) Afflerbach, Falkenhayn, S.451, München 1996
 
Durch das ruinöse Flottenwettrüsten mit allen seinen außenpolitischen Folgen und des Weiteren durch die angebliche "Einkreisung" (Stichwort Triple Entente) war Großbritannien zum dem Gegner avanciert.
Das bisschen sportliches Flottenwettrüsten. Der Kaiser wollte doch ohnehin eine Flotte zum Eindruck schinden, da traf sich das ganz gut. Ich glaub eher das war reiner Neid der zu kurz Gekommenen.

Bethmann schätzte einfach die militärischen Fähigkeiten von Falkenhayn nicht besonders hoch ein und hielt die "Helden" von Tannenberg für deutlich qualifizierter.
Womit er vermutlich recht hatte, wenn man die militärischen Talente von Falkenhayn mit denen Ludendorffs vergleicht.
 
#278 muheijo
Bearbeiter des Schlieffenplans in 1909 war, wie gesagt, Ludendorff. Ludendorff soll auch nach dem Krieg gesagt haben, dass er die Änderungen für richtig hielt. Ein Grund für die Änderungen war, dass Frankreich militärisch stärker geworden war (Deutschland hat zwar eine riskante Außenpolitik betrieben, blieb aber in der Aufrüstung für das Heer hinter seinen späteren Gegnern zurück, Ludendorff Versuche einer Aufrüstung 1912 scheitertet).

Was war der Grund auf die von muheijo als Elsass-Falle bezeichnete (Defensiv-)operation zu verzichten? Genannt werden folgende Gründe: Der Schlieffenplan hatte enormes Potential, aber, jede Medaille hat zwei Seiten, auch Risiken. Der jüngere Moltke war risikoscheu, das wusste er und deswegen schätzte er sich auch nicht als Feldherrn ein. Deshalb baute er auf zwei Strategien, nämlich eine Schlacht in Lothringen (Gröner nennt das die Extratour in Lothringen) und eben dem – aus mehreren Gründen abgeschwächten- rechten Flügel. Die Strategie in Lothringen hatte Ähnlichkeit mit der des älteren Moltke 1870/71 (Gröner meint auch, der jüngere Moltke wollte seinem Onkel nacheifern) und sie dürfte auch die Strategie derjenigen gewesen sein, die einen Durchmarsch durch Belgien vermeiden wollte. Auch Schlieffen hatte diese Idee geprüft und verworfen, zu einen weil 1870/71 nicht vergleichbar war (man war damals zahlenmäßig stärker), weiterhin weil er nicht glaubte, dass die Franzosen in den „Sack“ in Lothringen hineinlaufe würden, schließlich weil die Operation aus genannten Gründen zur Entscheidungsschlacht nicht geeignet war.

Der genannte Plan B (Aufmarsch II) wird bei Gröners „Testament des Grafen Schlieffen“, S. 101 ff mit Hinweisen auf eine genaue Beschreibung der Entwicklung der Ostoffensivenpläne im Reichsarchiv, Bd. 1 S. 49 ff. beschrieben. Daraus ergibt sich, dass während sowohl während der Dienstzeit Schlieffens wie auch Moltkes ein solcher Plan mehrfach geprüft und als nicht praktikabel verworfen wurde. Es wird auch darauf hingewiesen, dass bei deutscher Offensive nach russischer Planng ein Rückzug erfolgt wäre, die deutsche Ostoffensive wäre ins Leere gegangen.

Die Zusammenarbeit mit Ö-U ist für mich eines der Rätsel dieses Krieges (insbesondere wenn man die Zusammenarbeit der „alten Feinde“ England und Frankreich vergleicht, die – am englischen Parlament vorbei – sehr weitgehend war). Angeblich war es nicht einmal möglich, deutsche Generalstabsoffiziere zur Manöverbeobachtung nach Ö-U zu senden. Die Zurückhaltung soll von ö-u Seite gekommen sein (ich vermute der Vielvölkerstaat wollte einen zu engen Kontakt zum Nationalstaat vermeiden, aber, wie gesagt, reine Vermutung von mir). Es gab zwar Absprachen zwischen Moltke und Conrad, aber keinen gemeinsamen Plan (zu Ö-U Plan vgl. Ostfront (Erster Weltkrieg ? Wikipedia)).

Wenn man neben Gröner, o.a.O. auch Max Hoffmanns „Krieg der verlorenen Gelegenheiten“ liest, kann man sich vorstellen, wie eine solche gemeinsame Strategie ausgesehen haben könnte.

Grundlage war die Defensive, die man sich nicht als reine Verteidigung, sondern als aktive Defensiv vorstellen muss. Beide Autoren waren dafür, die Russen an/über die Grenzen kommen zu lassen (sie sollten ihren Aufmarsch also durchführen, damit sie später nicht zu tief im Osten stehen und mit der Masse der Kräfte entwischen konnten).

Ö-U sollte defensiv die natürlichen Widerstandslinien am Dnjestr, San und Karpaten nutzen und später eine Gegenoffensive auf die rückwärtigen Verbindungen (sprich: auf das russisch besetzte Lemberg) von Norden starten und die Russen zwischen sich und den Karpaten einklemmen.

Auch für die Deutschen war die Geographie Ostpreußens (wegen der Seen) für eine defensive Strategie günstig (Aufteilung der russischen Kräfte und damit die Möglichkeit, diese getrennt anzugreifen). Die erste Gelegenheit für eine solche Strategie kam sofort bei Kriegsbeginn und wurde von dem nervösen General von Prittwitz nicht genutzt (die Gelegenheit entsprach ziemlich genau der Abschlußarbeit 1898 für Generalstabsoffiziere, die Schlieffen gestellt hat, abgedruckt bei Gröner unter Anlage 13a). Tannenberg Ende August 1914 war eine weitere, diesmal genutzte Gelegenheit. Die Vernichtung russischer Einheiten schaffte nicht nur Luft, sondern zwang die Russen zur Neugruppierung.

Entweder nach erfolgreichem Abschluss des Frankreichfeldzugs (oder, nachdem im Westen ein Bewegungskrieg nicht mehr möglich war), sollten (vom Westen verstärkte) deutsche Kräfte die Masse der russischen Streitkräfte angreifen. Die Voraussetzungen dafür waren nicht nur in der Theorie günstig. Russland hatte etwa 2 Millionen Mann unter Waffen, war aber aufgesplittert auf einer Front von der Ostsee zum Schwarzen Meer mit einer Ausbuchtung nach Westen in Polen. Dabei konnte sich im günstigsten Fall die Gelegenheit ergeben, die Russen von Deutschen und Ö-U durch einen konzentrischen Angriff aus Ostpreußen und Galizien in Polen einzukesseln. Das war die "große", die allergünstigste Lösung.

Allerdings konnte die Entscheidung durchaus (vielleicht sogar mit größerer Wahrcheinlichkeit) auf kleinerem Raum fallen, nämlich im Nordosten (in der Gegend von Ostpreußen bzw. Polen, da gab es eine günstige Infrastruktur wie Straßen, Bahnlinien, etc.). Dort war tatsächlich der Aufmarsch der Russen durch die Grenzschlachten durcheinander geraten (Hoffmann beschreibt mehrere günstige Gelegenheiten zur Entscheidungsschlacht, besonders aussichtsreich beschreibt er einen Angriff auf die im Weichselbogen eingeklemmte russische Hauptarmee). Im Süden hätte Ö-U eine Offensive i starten können, um russische Kräfte u binden.

Warum konnten schon die Voraussetzungen für solche Situationen, also ein gemeinsamer Plan der in "Nibelungentreue" verbundenen Monarchien, nicht geschaffen werden? Ich weiß es nicht. Ich sehe auch hier wieder Wilhelm II. (weniger Bethmann) in der Verantwortung, es wäre seine Verantwortung gewesen eine engere militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ö-U herbeizuführen.
 
Es wird auch darauf hingewiesen, dass bei deutscher Offensive nach russischer Planng ein Rückzug erfolgt wäre, die deutsche Ostoffensive wäre ins Leere gegangen.
Das die Russen einen Rückzug geplant hatten wusste ich gar nicht, ich dachte sie hätten sich Frankreich gegenüber zur Offensive verpflichtet. Ein russischer Rückzug hätte ja gravierende Nachteile gehabt, neben dem Raumverlust und den psychologischen Auswirkungen, wäre Russlands Verbündeter Serbien, wohl den Mittelmächten zum Opfer gefallen. Wie wollten die Russen dann aus der Defensive heraus den Krieg gewinnen?

Angeblich war es nicht einmal möglich, deutsche Generalstabsoffiziere zur Manöverbeobachtung nach Ö-U zu senden.
Vielleicht wollten die Österreicher vermeiden, dass die Deutschen, den desolaten Zustand ihrer Armee zu Gesicht bekommen. :pfeif:

Warum konnten schon die Voraussetzungen für solche Situationen, also ein gemeinsamer Plan der in "Nibelungentreue" verbundenen Monarchien, nicht geschaffen werden?
Ein Problem waren die unterschiedlichen Erwartungen der Zweibundmächte aneinander. Die Österreicher wollten, dass die Deutschen ihnen die Russen vom Hals halten, damit sie in Ruhe mit den Serben abrechnen können. Die Deutschen wollten aber, dass die Österreicher ihnen die Russen vom Hals halten, damit sie in Ruhe mit den Franzosen abrechnen können. Deshalb hat auch Moltke den Österreichern das ganze Ausmaß des Truppenaufmarsch im Westen verschwiegen und sie im Glauben gelassen, sie könnten auf deutsche Unterstützung für ihre Offensive zählen. Hätten beide Seiten die Karten auf den Tisch gelegt, hätte eine Seite ihr "Lieblingsziel" opfern müssen.
Wäre eine Einigung auf den Schlieffenplan erfolgt, hätte Österreich die Offensive gegen Serbien opfern müssen, um stattdessen Ostpreußen zu verteidigen und deutsche Truppen freizusetzen.
Einigt man sich darauf erst Serbien auszuschalten, müssten die Deutschen auf die Niederwerfung Frankreichs verzichten und den Plan B durchführen (was dann, wenn die Russen sich wirklich zurückgezogen hätten, wohl für Serbien das aus gewesen wäre).
 
Es geht um den - angenommenen - Fall, dass Deutschland gegenüber Frankreich in der Defensive blieb und gegenüber Rußland offensiv wurde. Dieser Fall wurde mehrfach geprüft und verworfen. An der Westfront hätte man sich bewußt von den Weltmärkten abgeschlossen. Im Osten hätten sich die Russen - Gröner, Testament, verweist auf Unterlagen, die man in Rußland gefunden hat - zurückgezogen. Nur diese Annahme ist auch realistisch, der russische Geheimdienst war gut informiert und die militärische Leistungsfähigkeit des deutschen Heeres war bekannt (der israelische Militärtheoretiker van Creveld hat die Armeen beider Weltkriege auf ihre Kampfkraft hin untersucht und nach Punkten geordnet, die kaiserliche Armee kam auf Platz zwei - Hitlers Wehrmacht war Platz eins - mit einigem Abstand vor der nächsten Armee). Die Russen wären nie gegen die deutsche Hauptmacht marschiert und hätten sich gar an der Grenze - nahe der deutschen Eisenbahnlinien - zur Schlacht gestellt. Die Russen - die ja tatsächlich gegen eine schwächer ausgestattete deutsche Teilarmee den Krieg trotz nicht immer überzeugender Leistung der obersten deutschen Führung verloren - hatten in einem solchen Szenario allenfalls theoretische Chancen. Bei einem Zurückgehen sah die Sache anders aus. Die Deutschen griffen ins Leere und hätten sich Frankreich zuwenden müssen (die direkt an der deutschen Grenze oder sogar bereits in Deutschland standen). Das war eine schlechtere Situation wie der missglückte Schlieffenplan.
 
Hätten die Russen bei einem deutschen Angriff eigentlich überhaupt erfolgreich ausweichen können? Schließlich war die Mobilmachung ja auf die Grenzen ausgerichtet und hätte wohl kaum so schnell umgeworfen werden können.

Selbst wenn die russischen Truppen geplant zurück gewichen wären, so hätte doch der Nachschub die wenigen Strecken und Strassen verstopft und für Chaos gesorgt.

Solwac
 
Ö-U hat den Krieg verloren, es ist mit seiner herrschenden Klasse ausgelöscht worden. Historiker, die den Ö-U Standpunkt würdigen, sind schwer zu finden. Das ist durchaus bedauerlich, den der Südosten Europas - hier war Ö-U Ordnungsmacht - macht bis zum heutigen Tag erhebliche Probleme.

Es war lange Zeit Mode die Ö-U Armee herabzuwürdigen (Keegan, Weltkrieg, weist darauf hin, dass diese Urteile doch etwas revidiert werden). Tatsächlich hat Ö-U 1914 und 1915 den Vormarsch der russischen Armee (und gegen Ö-U stand der größere Teil) aufgehalten,um den Deutschen ihre Westoffensive zu ermöglichen - und dafür einen schrecklichen Preis bezahlt. Hervorragende Einheiten wurden schwerst geschädigt - zB das berühmte XIV. Korps aus Innsbruck mit Kaiserjägern und Kaiserschützen zu 80%. Der Ö-U Armee fehlten dann die (deutschen und ungarischen) Kerntruppen, das erst führte dazu, dass tschechische und slawische Regimenter mit der Zeit unzuverlässiger wurden. Die Russen sind aber nie über die Karpaten gekommen und letztlich sind Russen wie Ö-U ausgeblutet (die Kämpfe müssen entsetzlich gewesen sein, auch wenn sie heute nahezu vergessen sind, was wohl daran liegt, dass die Vorgänge nicht literarisch verarbeitet wurden - was lt. Keegan daran liegt, dass russische Soldaten nicht schreiben konnten und ö-u Soldaten nach dem Zusammenbruch nicht schreiben wollten).

Das ö-u Problem in 1914 war zum Teil hausgemacht (das Fehlverhalten von General Brudermann, Redls Verrat der Aufmarschpläne, die nicht mehr so schnell geändert werden konnten), zum Teil war die Ursache auch das Fehlen eines gemeinsamen Ostplanes, der die Kräfte besser genutzt und nicht zu einem derartigen Aderlass der ö-u Armee geführt hätte. Es ist schon seltsam, wie Deutschland in einen Zweifrontenkrieg ging.

Mir fällt auch auf wie die deutsche Führung das Thema Entscheidungsschlacht anging. Während Schlieffen einen klaren Plan hatte (mit Risiken, aber eben auch Chancen), hat Moltke diesen Plan verwässert (die Risiken blieben, die Chancen sanken). Tirpitz wollte nach 6 - 8 Wochen zur See eine Entscheidungsschlacht, sie wurde mit politischen Argumenten verhindert. 1915 wollte Hindenburg gegen Russland die Entscheidung erzwingen, Falkenhayn plante die Verdunschlacht, die gerade nicht als Entscheidungsschlacht konzipiert war. Hötzenfelds Idee Italien mit einer Schlacht zu bezwingen (und mit ö-u Gebirgstruppen über die französischen Alpen vorzurücken), konnte ebenfalls wegen Verdun nicht verwirklicht werden.
 
Hätten die Russen bei einem deutschen Angriff eigentlich überhaupt erfolgreich ausweichen können?

Militærisch ist es sicher kein Problem gewesen, die Frage ist nur, wie sah das politisch aus?
Schon im vaterlændischen Krieg 1812 war es schwierig, einen immer længeren Rueckzug politisch, d.h. in den eigenen Reihen, durchzusetzen.
Ich denke, dass spætestens nach der Aufgabe von Polen, dass ja im 1.WK zu Russland gehørte, mit dem Rueckzug Schluss gewesen wære.
Dennoch, auch das hætte sicher gereicht, um den Franzosen genug Zeit zu verschaffen.

Gruss, muheijo
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Russen hätten nahe der Grenze einem deutschen Angriff nicht ausweichen können. Die deutsche Eisenbahnnetz war das dichteste der Welt und die Eisenbahnabteilung im Großen Generalstab hervorragend. Die Deutschen wären also sehr schnell vor Ort im Grenzgebiet gewesen.

Die Russen hätten vielleicht fliehen, aber nicht kontrolliert (d.h.mit Material) zurückweichen können. Dazu brauchte amn damals Eisenbahnlinien und davon hatten die Russen nur wenige. Die wären natürlich Ziel eines deutschen Angriffs gewesen. Darauf beruhen sämtliche Planungen der Deutschen für eine Entscheidungsschlacht an der Ostfront (z.B. der Hindenburgplan 1915). Deutschland (auch Ö-U) konnte seine Truppen aus dem eigenen Land gut und schnell versorgen. Russland nicht. Es hatte große Heere, lange Wege, aber kaum Eisenbahnen.
 
Die Russen hätten vielleicht fliehen, aber nicht kontrolliert (d.h.mit Material) zurückweichen können. Dazu brauchte amn damals Eisenbahnlinien und davon hatten die Russen nur wenige. Die wären natürlich Ziel eines deutschen Angriffs gewesen. Darauf beruhen sämtliche Planungen der Deutschen für eine Entscheidungsschlacht an der Ostfront (z.B. der Hindenburgplan 1915). Deutschland (auch Ö-U) konnte seine Truppen aus dem eigenen Land gut und schnell versorgen. Russland nicht. Es hatte große Heere, lange Wege, aber kaum Eisenbahnen.
Genau das meine ich. Es wäre darum gegangen Russland zu schlagen, nicht Moskau zu erobern. Und eine Offensive Deutschlands gegen Russland mit einr Defensive gegen Frankreich wäre politisch deutlich angenehmer gewesen als der tatsächlich geführte Zweifrontenkrieg.

Solwac
 
Die Deutschen griffen ins Leere und hätten sich Frankreich zuwenden müssen (die direkt an der deutschen Grenze oder sogar bereits in Deutschland standen). Das war eine schlechtere Situation wie der missglückte Schlieffenplan.
Das beurteile ich genau umgekehrt. Die Situation wäre weit besser als nach dem missglückten Schlieffenplan gewesen. Ohne den Angriff auf Belgien, wäre England nicht in den Krieg eingetreten, jedenfalls 1914 nicht. Die Situation im Westen wäre dann weit günstiger gewesen, Frankreich muß ohne die Unterstützung der Briten auf weit kürzerer Frontlinie gegen die deutschen befestigten Linien anrennen, aus meiner Sicht ein hoffnungsloses Unterfangen.
Hinzu kommt: tritt GB nicht in den Krieg ein, tut es die USA auch nicht, vielleicht bleiben Italien und Japan ebenfalls neutral. Deutschlands Kolonien bleiben vermutlich erhalten. Ohne GB gibt es keine Blockade, keine Hungerwinter, usw.

Auf einen Nenner gebracht: ohne England kann der Zweiverband die Mittelmächte niemals besiegen, ganz egal wie lange der Krieg dauert. Im Gegenteil, Russland und Frankreich müssen befürchten bei langjährigem Krieg selbst zusammenzubrechen, Russland wirtschaftlich wegen der Blockade und Frankreich weil ihm die Reserven ausgehen.

Bei "Plan B" ist ein Status quo Friede fast sicher zu erreichen, wogegen der Schlieffenplan bei mißlingen die totale Niederlage jedenfalls wahrscheinlich macht.

Es war lange Zeit Mode die Ö-U Armee herabzuwürdigen
Weil der Vergleich zu deutschen Armee gezogen wird. Während die Deutschen eine 2-3fache Übermacht vernichtend schlagen konnten, kriegten die Österreicher gegen einen zahlenmäßig etwa gleichstarken russ. Gegner, eine üble Schlappe.
 
# 293, 294
M.E. hat sich die weltpolitische Lage nach dem Vertrag von St. Petersburg 1097, mit dem England und Russland ihre zentralasiatischen Streitpunkte regelten und der zur Triple Entente führte, deutlich verschlechtert. Genau in diese Zeit fällt auch die Dislokation der Navy, die sich um die britischen Inseln herum neu aufstellte und wesentliche Aufgaben (Präsenz im Mittelmeer und Ostasien) quasi treuhänderisch anderen überlies (Frankreich und Japan, wobei letztere Beziehung immer problematisch blieb und dies von Deutschland nicht genutzt wurde). Eine wirklich langfristige Lösung konnte das nicht sein (es gab letztlich auch keine, England war im relativen Abstieg begriffen und wurde zum Juniorpartner der USA – das Beste was es machen konnte). Durch die Triple Entente erhielt Russland quasi Rückendeckung für außenpolitische Aktivitäten (und damit auch die Chance von innenpolitischen Problemen abzulenken), die es anders schwerlich unternommen hätte. Panslawistische Gedanken propagierend mischte sich Russland stark in Südosteuropa ein. Das tat es zwar schon immer, aber es stellt sich hier die Frage der Intensität. Und die Frage der Zweckmäßigkeit für Russland. Der fähige – und frankophile – Graf Witte warnte vor einer Politik, die zu einem Konflikt mit Deutschland führen würde. Tatsächlich musste Russland seine Machtbasis (die Ukraine) bewahren, eine Überdehnung seiner Möglichkeiten kann zum Verlust oder doch starken Einschränkung seiner Großmachtstellung führen (im letzten Jahrhundert ging die Ukraine bekanntlich zweimal verloren). Tatsache ist, dass die Russen in der Triple Entente eine aggressivere Außenpolitik in Europa führten. Diese war gegen Ö-U gerichtet und traf dadurch auch Deutschland. Es war für eine friedliche Entwicklung nicht hilfreich, dass der sehr deutschfeindliche Theodore Delcasse‘ bis 1914 Botschafter für Frankreich in Russland war. Und auch nicht, dass England nationale Strömungen im Osten Europas förderte. Die Bedeutung von Ö-U als regionale Vormacht ist nicht wirklich verstanden worden. Die damals entstandenen Probleme sind bis heute nicht gelöst, für den Balkan ist niemand mehr wirklich zuständig.
In der Tat hätte man vor diesem Hintergrund konkrete Ostaufmarschpläne erwarten dürfen. Sie gab es nicht, weil man bei einem Konflikt nicht von einem lokalisierbaren Konflikt ausging. Das Militär hat Frankreich als den Hauptgegner angesehen (aufgrund des Bündnisvertrages zwischen Frankreich und Russland von 1894 war eine andere Sichtweise nicht möglich) und die Politik hat diese Sichtweise bestätigt. Es gab immer wieder Gedanken die Triple Entente zu sprengen, man dachte an England (Zweite Marokkokrise), an Russland (Tirpitz), nicht aber wirklich an Frankreich.
Ich habe irgendwann mal gelesen, dass selbst Wilhelm II. von einem Ostaufmarschplan ausging und ihm Moltke erklärte, dass es einen solchen nicht gäbe („Ihr Oheim hätte mir eine andere Antwort gegeben“ so Wilhelm II. zu Moltke).
Wenn nun die Militärallianz Frankreich und Russland feststand (durch den Bündnisvertrag von 1894), war zu prüfen, ob politische Fragen – oder militärtechnische - für das weitere Vorgehen entscheidend sein sollten.
Das führt zu Belgien. Konnte man davon ausgehen, dass England in einem solchen Konflikt neutral bleibt, wenn die belgische Neutralität nicht verletzt würde? Fraglos war die belgische Neutralität wichtig für England, England war Geburtshelfer Belgiens 1830 (im eigenen Interesse). Hat nicht Napoleon gesagt, Antwerpen ist eine Pistole, die auf England gerichtet ist? Nur: Ist eine Gefahr für England wirklich kleiner, wenn ein – siegreiches und dann möglicherweise mit Frankreich verbundenes – Deutschland auf anderem Weg zur Kanalküste kommt? Ein gegen Frankreich und Russland siegreiches Deutschland würde Europa vollkommen beherrschen – auch das Mittelmeer. Was würde der Two-Power-Standard in einem solchen Fall bedeuten? Er wäre faktisch aufgehoben, kontinentale Mächte mit Marinen würden sich mit Deutschland verbinden können. Ein Sieg Deutschlands auf dem Kontinent konnte England nicht hinnehmen, gleich welchen Weg das Feldheer nahm.
Vielleicht – so ein Argument – wäre England später in den Krieg eingetreten. Das ist keine realistische Annahme. Selbst wenn entgegen aller Erwartungen das russische Heer von den Deutschen grenznah entscheidend geschlagen worden wäre (da die Russen die Schlacht zu den ihnen ungünstigsten Bedingungen annahm), hätte es Monate gedauert bis sich die Deutschen nach Westen wenden konnten, um dann in Verdun-ähnlichen Durchbruchsschlachten nach Frankreich zu marschieren (oder wie sollte eine Bekämpfung Frankreichs aussehen?). Das wäre keine gute Idee.
Übrigens ist die Neutralität Belgiens vom Militär durchaus als Problem gesehen worden. Die Idee unter Schlieffen war Leopold II. (isoliert von der Welt aufgrund der Kongogräuel) zu bestechen (für ein Durchmarschrecht) – man sah durchaus Chancen aufgrund des Charakters des belgischen Königs. Unter Bethmann waren ebenfalls politische Möglichkeiten gegeben, die der Reichskanzler in keiner Weise nützte (der Streit um die Kriegserklärungen, Russland machte wesentlich früher als die Deutschen, Frankreich machte auch vor den Deutschen mobil). Das hätte England nicht aus dem Krieg herausgehalten, aber vielleicht hätte der Kriegseintritt Englands verschoben werden können (bei dem Zeitplan des Schlieffenplans wären schon wenige Tage hilfreich gewesen).
 
Vielleicht – so ein Argument – wäre England später in den Krieg eingetreten. Das ist keine realistische Annahme.
Churchill, Haffner und andere Historiker verwenden hier den Terminus "absolut sicher". Es sei absolut sicher, dass England ohne den Einmarsch in Belgien im August 1914 nicht in den Krieg eingetreten wäre. Ich gehe davon aus, dass das zutrifft.
England hat den Deutschen vor dem Krieg eine Neutralitätserklärung dahingehend angeboten, dass GB sich bei einem Angriff Russlands und Frankreichs auf Deutschland neutral verhalten würde, als Gegenleistung für einen Flottenbaustop. Deutschland hätte eine mögliche Defensivstrategie also durchaus diplomatisch absichern können.

Eine Defensivstrategie hätte eine politische Beendigung des Krieges als Ziel haben müssen, also eine Zermürbungsstrategie. Verteidigung an der deutsch-französischen Grenze, Bewegungskrieg im Osten, bis der Gegner friedensbereit ist. Die Truppen wären bei einem Zurückweichen der Russen nicht nach Westen verlegt worden, sondern hätten im Osten immer neue Vorstöße unternommen, um die russischen Truppen zu zerschlagen. Die japanische Armee konnte Russland zum Friedensschluss zwingen, warum sollte die deutsche Armee das nicht können?
Nach einem Status-quo Frieden - für GB zwar unangenehm aber hinnehmbar - wäre die Tripleentente als Pleiteunternehmen entlarvt und zu offensiven Aktionen gegen Deutschland in nächster Zukunft unfähig gewesen.

Das Argument, England habe einen Sieg der Deutschen nicht hinnehmen können, ist zwar richtig, das Dumme daran ist nur: das gilt im Falle eines erfolgreichen Schlieffenplan genauso. Der Schlieffenplan löst das logische Dilemma nicht auf. Ein Sieg über Frankreich, erzwingt einen Sieg über Russland, dieser einen Sieg über England, dann über die USA, usw.

Vereinfacht kann man sagen: Der Schlieffenplan zerstört das europäische Gleichgewicht. Eine europäische Herrschaft der Deutschen kann keine Großmacht und kein europäischer Staat hinnehmen. Also müssen alle den Deutschen den Krieg erklären, um den nicht hinnehmbaren Zustand zu beenden. Deutschland muss also alle europäischen Staaten, ihre Kolonien und die USA und Japan militärisch besiegen, wenn es den Schlieffenplan durchführt. Natürlich ist das unmöglich, also kann der Schlieffenplan nicht zum Ziel führen. Er ist politisch unmöglich.

Zu welchem Friedensschluss soll denn der Schlieffenplan wie und wo letztendlich führen? Diese Frage hätte man beantworten müssen, bevor man die Truppen in Marsch setzt.
 
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige der deutschen politischen Akteure solche Gedanken hatten. Ich glaube, es haben sich zwei außenpolitische Strategien herausgebildet. Beide gehen davon aus, dass Deutschland Exportnation ist, dass freie Märkte wichtig sind, dass Kolonien nur Rohstofflieferanten sein können und daher marginale Bedeutung haben. Potentielle Absatzmärkte waren wichtig.

Da gab es Tirpitz und seine Anhänger, die in Übersee (erreichbar "über die Vordertreppe", den Atlantik), insbesondere in China Zukunftsmärkte für Deutschland sahen, dann Hellferich, der in der Türkei (Bagdadbahn) diese Möglichkeit sah. Zu letzterem brauchte man keine große Flotte (wenngleich eine Basis in Alexandrette, wohl auch in Kotor angedacht war). Man meinte auch einem Streit mit England aus dem Weg gehe zu können. Mit Rußland würde man fertig werden, zumal man Ö-U Balkaninteressen nun zu eigenen machen könnte. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Orient- und Flottenpolitik Bethmanns.

Allerdings blieb die militärische Ausrichtung (Schlieffenplan), aber ich will nicht ausschließen, dass man in näherer Zukunft im Sinne einer nach Osten gerichteten Politik neu über den Schlieffenplan nachgedacht hätte.

Im Krieg freilich, wo eine Änderung des Schwerpunkts nach Osten Ende 1914 viel Sinn gemacht hätte, blieb die 2. OHL (leider) beim Schwerpunkt Frankreich. Die Erfolge im Osten ließen wohl einige nicht los, hier sind die Wurzeln nationalsozialistischer "Lebensraum"-politik zu suchen. Man sollte nicht vergessen, dass die nach Osten gerichtete Politik Hitlerdeutschlands wiederum England gegen Deutschland aufbrachte (ohne Belgien, ohne Flotte) - in konsequenter Anwendung ihrer Politik der Bekämpfung der stärksten Kontinntalmacht (durch Churchill). 1914 wäre es nicht anders gewesen.

Eine Überprüfung des Schlieffenplans hätte keine Änderung gebracht. Wäre die Flotte reduziert worden und hätte man den Schwerpunkt der Politik in den Nahen Osten verlegt, wäre England in anderer Weise bedroht worden (militärisch durch eine mögliche Bedrohung des Suezkanals bzw. der persischen Erdölfelder, wirtschaftlich durch die Konkurrenz einer Eisenbahn nach Indien). Frankreich - das sich traditionellerweise als die Vormacht auf dem Kontinent sah - konnte diese Stellung gegen Deutschland nie ohne fremde Hilfe erreichen und war daher williger Partner der Engländer. Und natürlich der Russen, die ihre Balkan- und Bosporuspläne gegen die Deutschen auch allein nicht durchsetzen konnten.

Richtig ist, dass ein erfolgreich durchgeführter Schlieffenplan die Gefahr der Überdehnung hatte. Es wäre Aufgabe der Politik gewesen etwas sinnvolles daraus zu machen. Die Idee eines "mitteleuropäischen Wirtschaftsraum" (unter deutscher Vorherrschaft) hatte Potential. Ich möchte daran erinnern, dass die heutige Europäische Union (und so etwas ähnliches hätte daraus werden können) zwar politisch schwach ist (weil es keine dominierende Macht gibt), aber wirtschaftlich die größte Macht der Welt darstellt.
 
Man sollte nicht vergessen, dass die nach Osten gerichtete Politik Hitlerdeutschlands wiederum England gegen Deutschland aufbrachte (ohne Belgien, ohne Flotte)
Aber erst sehr spät und als absehbar war, dass Hitler tatsächlich die Herrschaft über Europa an sich reißen wollte. Hätte Hitler statt der Resttschechei Belgien annektiert, dann hätte es gleich "gekracht". Ein Vormarsch nach Westen war für GB bedrohlicher. Eine mögliche Bedrohung des Suezkanal oder Persiens nach Reduzierung der Flotte, oder der Bau einer Eisenbahn im Nahen Osten, wäre für England kein Kriegsgrund gewesen, im Gegensatz zu einer Bedrohung des Ärmelkanals.

Aus dem Schlieffenplan politisch etwas zu machen ist schwierig, da dabei Belgien überrannt und England Kriegsgegner wird. Hinzu kommt Völkerrechtsbruch und Angriffskrieg.
Der Aufmarsch Ost zielt auf eine politische Lösung, der Schlieffenplan auf eine militärische.

Um einen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum erfolgreich umzusetzen hätte es zuerst der Lösung des Nationalitätenproblems bedurft. Entweder Germanisierung oder Wirtschaftsimperialismus, beides zusammen geht nicht.
 
Ich denke, es ging letztlich immer nur um politische Lösungen.

Das Kaiserreich wird als militaristischer Staat dargestellt, der eine militaristische Politik verfolgte. Das Reich war konstitutionelle Monarchie mit starken Machtbefugnissen des Kaisers (der die Kaiserwürde von Gott erhielt), Heer und Marine wiederum waren allein (sieht man vom allerdings äußerst wichtigen Budgetrecht ab) an den Kaiser gebunden. Daraus rührt die Sonderstellung. Wenn man Bevölkerungszahl und Heeresgröße in Bezug setzt, gab es Länder, bei denen die Streitkräfte größere Bedeutung hatten (zB Frankreich). Die Einfluß der Streitkräfte wird mE überschätzt. Mir ist nur die Äußerung Schlieffens bekannt, daß 1905 aus militärischer Sicht ein guter Zeitpunkt für einen Krieg mit Frankreich wäre (ich weiß nicht einmal, ob Schlieffen auf eine Frage antwortete oder von sich aus die Bemerkung machte).

Es gab im Kaiserreich (in 43 Friedesjahren, in denen das Reich immerhin Hegemonialmacht war) keine Vereinbarung, die auf einen Angriffskrieg zielte. Nach der zweiten Marokko-Krise, als Deutschlands Einkreisung evident war, wurde die einzig sinnvolle Reaktion, nämlich eine Wehrvorlage, nicht wahrgenommen.

Der Schlieffenplan war die militärische Lösung des politischen Problems (die Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel). Er konnte und sollte nur greifen, wenn politische Lösungen nicht mehr möglich waren. Daher die Ausrichtung an militärischen Erfordernissen (Geographie, Mobilmachungszeiten).

Eine gänzlich andere Sache wäre gewesen, wenn der Schwerpunkt des Krieges bereits zu Beginn nach Osten gelegt worden wäre (vgl. # 286 zu den militärischen Erwägungen). Die Probleme mit Rußland waren nicht so schwerwiegend. Es war eher so, daß Rußland sich an Frankreich hängte und Frankreich der verlorenen Hegemonialstellung nachtrauerte (nachdem Rußland ausgeschaltet war, war der Krieg nicht beendet). Die Politiker meinten auch im Krieg mit Rußland einen Seperatfrieden schließen zu können (bzgl. Frankreich sind mir solche Gedanken nicht bekannt).
Die angeregte Ostorientierung hätte den einen Feind nicht erledigt,aber einen anderen geschaffen. Mit letzterem meine ich, daß bei einigen der Gedanke einer Machtausdehnung im Osten Platz griff. Diese Überlegungen waren konträr zur früheren preußischen Politik, die in Rußland eher einen Freund sah.
 
Die preußischen Militärs haben im Krieg versucht die politische Entscheidungsbefugnis an sich zu bringen und das war schon zu Bismarcks Zeiten so. Moltke der Ältere hat gleichberechtigte politische Entscheidungsbefugnis mit Bismarck verlangt und als dieser den Krieg gegen Frankreich schnell beenden wollte, hat Moltke Obstruktionspolitik betrieben, weil er den Krieg nicht beenden wollte, bevor Frankreich endgültig vernichtet ist. Bismarck wurden systematisch alle militärischen Informationen vorenthalten, die Belagerungsartillerie für Paris wurde nicht herangeschafft, usw. Schließlich musste der König ein Machtwort sprechen.
Das gleiche Bild im 1. WK: Bethmann Hollweg telegrafiert an Österreich, sie sollen auf England Vermittlungsangebot eingehen, Moltke (diesmal der Jüngere) telegrafiert zur gleichen Zeit, Österreich solle mobil machen. Als der Kaiser verlangt, den Aufmarsch Richtung Osten umzulenken, hat Moltke sich kurzerhand geweigert.
Alle wichtigen Entscheidungen - Schlieffenplan, U-Boot-Krieg, Brest-Litowsk, Kapitulation - wurden von Militärs getroffen, wenn nötig auch gegen den Willen des Kanzlers.

Der Schlieffenplan war die militärische Lösung des politischen Problems (die Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel).
Mit politischer Lösung meine ich einen Verhandlungsfrieden - im Gegensatz zum Siegfrieden, der militärischen Lösung.

Die angeregte Ostorientierung hätte den einen Feind nicht erledigt,aber einen anderen geschaffen.
Was meinst du damit, welchen anderen Feind hätte die Ostorientierung geschaffen?
 
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