WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Aus der Diskussion "Historiker" im smalltalk:
Auch Sean McMeekin bekam hier ordentlich sein Fett weg.

Die Kritik an McMeekin ist hier an verschiedenen Stellen vorgetragen worden. Detailliert ging es um Folgendes:

McMeekin und die Finanzierung:
http://www.geschichtsforum.de/709254-post560.html

russ.-brit. Marineabkommen und Aufwärmung älterer Auffassungen bei McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/709404-post128.html
http://www.geschichtsforum.de/725723-post34.html

Britischer Beistand/Russland:
http://www.geschichtsforum.de/709544-post563.html

Russische Invasionsphantasien nach McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/741587-post92.html
http://www.geschichtsforum.de/715246-post8.html
http://www.geschichtsforum.de/725796-post148.html

Serbisches "Verhalten" und russische Unterstützung nach McMeekin
http://www.geschichtsforum.de/740951-post26.html
http://www.geschichtsforum.de/726672-post83.html
http://www.geschichtsforum.de/714611-post29.html
http://www.geschichtsforum.de/716484-post40.html
http://www.geschichtsforum.de/713181-post19.html
http://www.geschichtsforum.de/741397-post2.html

McMeekin und "verschwundene" französische Dokumente:
http://www.geschichtsforum.de/728840-post140.html

Meerengen, Dreadnoughts und McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/729879-post66.html
http://www.geschichtsforum.de/715270-post13.html
http://www.geschichtsforum.de/638672-post130.html
http://www.geschichtsforum.de/577630-post52.html

russische Mobilisierung und McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/714610-post28.html

Rezension im JoMH und Russlands "Kriegsbereitschaft" nach McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/638650-post128.html
http://www.geschichtsforum.de/633423-post119.html
http://www.geschichtsforum.de/727109-post8.html

Grenzverletzungen nach McMeekin:
http://www.geschichtsforum.de/712088-post14.html

Soweit ich das richtig übersehe, ist auf keinen einzigen Aspekt der inhaltlichen Detailkritik an McMeekin ein konträrer Standpunkt oder eine konträre Argumentation vorgetragen worden. Ist demnach das "Fett" begründet?

Es gibt ein zweites Missverständnis: Detailkritik als Totalverriss zu interpretieren. Selbstverständlich sind das interessante Bücher (es gibt auch ein paar zustimmende Hinweise zu McMeekin im Forum), deren

a) Aussagen aber im Detail stets kritisch zu hinterfragen sind
b) Abweichungen zu anderen Darstellungen beachtet werden sollten
c) Unzulänglichkeiten in der Quellenauswertung bekannt sein sollten, wenn man micht "Wertungen" hantiert.

Die Kritik ist stets nur Ausdruck, sich mit so etwas kritisch zu beschäftigen, wenn man es liest. Genau so handhabe ich das zB bei Mombauer, etc. Es spielt dabei überhauptkeine Rolle, ob Wertungen passen oder nicht, sondern die Begründungen sind interessant.

Ebenso akzeptiere ich natürlich, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, Details interessieren nicht.
 
Das spannende ist, das so viel Aufwand und Mühe hier im Forum gerade bei den Historikern betrieben wird, die an der These der Hauptschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Ersten Weltkrieges Zweifel haben.
 
Das spannende ist, das so viel Aufwand und Mühe hier im Forum gerade bei den Historikern betrieben wird, die an der These der Hauptschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Ersten Weltkrieges Zweifel haben.

Darin steckt recht deutlich eine Unterstellung: es würde rückwärts von den Ergebnissen derjenige, zudem mühselig kritisiert, der andere Auffassungen vertritt. Die Unterstellung knüpft an die "Schuldfrage" an, was übrigens als Vorgehensweise zuletzt von Clark verworfen wurde (ist hier im Forum breit nachzulesen).

Die Schuldfragendiskussion interessiert mich überhaupt nicht, noch weniger "Gewichtsverteilungen", von denen ich nichts halte - was aber hier nichts zur Sache tut. Weil das "unspannend" ist, komme ich auch nicht auf den Gedanken, Kritik oder Zustimmung zu Publikationen rückwärts "anzusetzen", ob nämlich ein Ergebnis passt oder quer liegt. Mir geht es nur um das Verständnis der Abläufe, sonst nichts. Ich zitiere auch nicht selektiv, sondern querbeet die verfügbare Literatur.*

Die Hinweise erfordern zudem - das ist Dir bekannt - weder "viel Aufwand noch Mühe", da die einzelnen Aspekte sämtlich in der Literatur nachvollziehbar und prüfbar ist, wie aus den Querzitaten ersichtlich ist.

Jedenfalls ist zeitlich unbegrenzt Gelegenheit, noch etwas zu den Sachaussagen, pro oder kontra zu den einzelnen Aspekten, die sich im Verlauf von Jahren hier angesammelt haben, anzumerken. Spannend wäre für mich, ob sich Korrekturen ergeben, vielleicht auch aus weiteren Veröffentlichungen.

Soweit ich das richtig übersehe, ist [bislang] auf keinen einzigen Aspekt der inhaltlichen Detailkritik an McMeekin ein konträrer Standpunkt oder eine konträre Argumentation vorgetragen worden.


________
[*] Hier übrigens ein Beispiel, bei dem detaillierte, und auf die Sachaussagen bezogene Kritik an einer überholten Darstellung von Clark ebenso summarisch zu Mombauer [siehe Hinweis am Schluss des Beitrags] angemerkt wird: http://www.geschichtsforum.de/741352-post57.html Beides wiederum mit Blick auf den gesamten Stand der Forschung.
 

Einige Kritikpunkte von Rose an Mombauer, die nach meinem Eindruck für Rose wichtig sind:

Rose schrieb:
Eher beiläufig erfährt man, dass Serbien "starke pan-slawische Verbindungen zu Russland hatte" (16). Dabei scheint es gerade mit Blick auf die später noch behandelte Julikrise nicht unerheblich, dass Serbien bis 1903 noch eher zu Österreich-Ungarn neigte und erst nach den grausamen Morden an seiner eigenen Königsfamilie in den russischen Orbit gelangte.

Rose schrieb:
Unbeachtet bleibt u.a., dass das Kaiserreich bei der bekannten Stafette der Vorkriegskrisen mit Ausnahme der Bosnischen Annexionskrise in der Regel auf der Verliererseite zu finden war.

Rose schrieb:
Ebenfalls unter den Tisch fällt, dass Frankreich wiederholt gegen das internationale Gebot der "offenen Tür" verstieß

Rose schrieb:
England ..., welches aus imperialen Entlastungserwägungen heraus, die neuralgische Zone Südosteuropas wieder zum Streitthema machte, indem es Russlands Expansionswünsche ab 1907 vom Mittleren auf den Nahen Osten umlenkte und damit in Frontstellung zur Donaumonarchie brachte

Rose schrieb:
Bethmann Hollweg, der seit 1911 auf eine internationale Entspannung setzte,

Rose schrieb:
Dass beispielsweise die britische Presse einstimmig der Ansicht war, dass der Terrorakt in Belgrad "ausgeheckt" worden sei [3], erfährt der Leser ebenso wenig wie die Tatsache, dass Serbien als mittlere Macht im Verständnis der Zeit und zum Schutze der Großmachstabilität gegenüber einem traditionellen Mitglied der Pentarchie wie der Habsburgermonarchie nicht einmal als satisfaktionsfähig galt.

Rose schrieb:
Dass Jagow in diesem Brief aber insbesondere die Strategie eines "lokalisierten" Konfliktes als Absicht darstellte, unterschlägt die Autorin (57). Überhaupt bleibt die komplexe und fatale Strategie der Lokalisierungsproblematik weitestgehend unreflektiert.

Rose schrieb:
Dennoch hält die Autorin an der überkommenen Meinung fest, dass insbesondere der britische Außenminister Sir Edward Grey "ernsthaft" vermitteln wollte. Dass aber Grey seine Position als "ehrlicher Makler" mit den kurz zuvor bekannt gewordenen Verhandlungen über eine anglo-russische Marinekonvention eingebüßt hatte,

Rose schrieb:
In London gab es durchaus alternative Überlegungen etwa zur Fernblockade ohne Expeditionsstreitmacht oder einer bloßen Garantie der französischen Atlantikküste.

Rose schrieb:
Viel zu selbstverständlich geht Mombauer bei der Frage der Mobilmachungen (95-117) davon aus, die russische Entscheidung sei alternativlos gewesen (98). Schließlich hatte niemand Petersburg dazu gezwungen, seinen Einflussbereich Richtung Österreich-Ungarn zu verschieben, zumal sich die Mobilmachung nach dem Reglement vom März 1913, anders als hier suggeriert (97), auch auf die an Deutschland grenzenden Bezirke bezog.

Rose schrieb:
Wie einseitig Mombauer argumentiert, belegen auch die lückenhaften Literaturhinweise. Darin findet sich beispielsweise nicht ein einziges Werk zur englischen Rolle oder zum internationalen Staatensystem.
Der letzte Punkt ist eher zur Unterhaltung gedacht. :D
Mombauer verweist nämlich auf die ausführliche Bibliographie in ihrer "Origins"-Dokumentenedition und bibliographiert überdies im Beck-Bändchen insbesondere Afflerbach/Stevenson, Albertini, Angelow, Bosworth, Geiss, Hamiltom/Herwig, Lieven, MacMillan, sich selbst, Mulligan, Schmidt, Schröder, Steiner/Neilson (speziell zur englischen Rolle), Williamson, Wilsberg, Wilson.

Den letzten Punkt also sollte man hier unberücksichtigt lassen.

Inhaltlich interessieren die übrigen lt. Rose wesentlichen Mängel.
 
Ich schreibe diesen Sachverhalt in diesem Thread, da er hier einigermaßen passt und einen neuen Thread wollte ich nicht extra aufmachen.

Im Jahre 1910 gab es zwischen den ehemaligen Premier und amtierender Parteichef der Konservativen Balfour und den amerikanischen Botschafter White ein interessantes Gespräch.

Balfour führte aus, "Wir sind wahrscheinlich töricht, dass wir keinen Grund finden, um Deutschland den Krieg zu erklären, ehe es zu viele Schiffe baut und uns unseren Handel wegnimmt."

Daraufhin White: "Sie sein im privaten Leben so ein hochherziger Mensch. Wie ist es möglich, das sie politisch etwas so Unmoralisches erwägen können, wie einen Krieg gegen eine harmlose Nation zu provozieren, die ein ebenso so gutes Recht auf eine Flotte hat wie Sie? Wenn Sie mit dem deutschen Handel konkurrieren wollen, so arbeiten Sie härter."

Balfour:" Das würde bedeuten, das wir unseren Lebensstandard senken müssten. Vielleicht wäre ein Krieg einfacher für uns."

White: "Ich bin erschrocken, dass gerade Sie solche Grundsätze aufstellen können."

Balfour: "Ist das eine Frage von Recht und Unrecht? Vielleicht ist es nur eine Frage der Erhaltung unserer Vorherrschaft."

Im Original abgedruckt bei Allan Nevins, Henry White - Thirty Years of American Diplomacy
 
Hatten wir hier schon, auch die nicht verifizierbare Quelle, Whites Tochter aus einem angeblich mitgehörten Telefonat:

http://www.geschichtsforum.de/702239-post31.html

Okay. Wenn zu einer inhaltlichen Aussage keine Quelle verifiziert werden kann, ist dies natürlich schade, aber bedeutet das in Umkehrschluss denn gleich, dass das Behauptete Blödsinn ist?

Hast du denn eine Quelle für Balfours Genervtheit hinsichtlich der innenpolitischen Querelen?
Von einen Masterplan spreche ich nicht; Balfour war ja gar nicht mehr in Amt und Würden. Aber eine Germopholie zu attestieren, geht doch zu weit. Immerhin hatte sein Außenminister Lansdowne die Annäherung zu Russland in die Wege geleitet, den Weg ist Grey nur konsequent zu Ende gegangen.
Unter es wurde auch in Balfours Amtszeit die Entente mit Frankreich unter Dach und Fachgebracht. Die Behauptung einer angeblichen Germopholie ist sicher nicht zutreffend.

Ich finde die Überlegungen, Richtigkeit einmal unterstellt, durchaus interessant, da sie britische Ängste, die Vormachtstellung zu verlieren, zum Ausdruck bringen und das auch das äußerste Mittel für deren Erhalt in Betracht gezogen wurde.
 
Ich habe hier ein weiteres Zitat. Es stammt von Oberst House; der ist der Deutschfreundlichkeit garantiert unverdächtig. House schrieb am 29.Mai 1914 aus Europa an Wilson das Folgende:

"Die Situation ist außerordentlich. Es handelt sich um einen geradezu verrückt gewordenen Chauvinismus. Solange es nicht jemand, der in ihrem Auftrag handelt, schafft, ein anderes Verständnis der Dinge durchzusetzen, wird es eines eine schreckliche Katastrophe geben. Niemand in Europa kann das verhindern. Dort gibt es Zuviel Haß, zu viele Eifersüchteleien. Wann immer England dem zustimmt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland und Österreich herfallen." (Hervorhebung durch mich). (1)

(1) Ferguson, Der falsche Krieg, S.199
 
Zuletzt bearbeitet:
"Wann immer England dem zustimmt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland und Österreich herfallen."

In der Wirklichkeit ist aber Deutschland über Frankreich und Russland hergefallen weil es vermutete, dass England dem NICHT zustimmt, sich also im Konfliktfall neutral verhalten wird. Das ist nun mal Fakt, auch weil die Diskussion wohl Präventivkriegs-Erklärungen zulässt, da bei steigender strategischer Aufrüstung Russlands durch Frankreich irgendwann in ferner Zukunft England nicht mehr zustimmen MUSS, Englands Zustimmung obsolet wird und Frankreich und Russland ohne Unterstützung durch England die Mittelmächte aufgrund ihrer Masse besiegen werden. Dem wäre dann ein deutscher Angriff zuvorgekommen.

Ich denke, dass House´ Aussage dahingehend erweiterbar ist, ohne dass die Aussage als solches verfälscht wird: ALLE europäischen Mächte waren voller Hass aufeinander, die Deutschen nicht minder! House hatte zwar den Hass der Mächte, nicht aber die damit einhergehende Angst der europäischen Mächte untereinander bemerkt. Deswegen war für ihn ein durch das Reich provozierter Kriegsausbruch nicht vorstellbar?
 
In der Wirklichkeit ist aber Deutschland über Frankreich und Russland hergefallen weil es vermutete, dass England dem NICHT zustimmt, sich also im Konfliktfall neutral verhalten wird


Dem ersten Halbsatz stimme ich zu. Dem zweiten nur bedingt, da Bethmann von Lichnowsky nicht in unklaren über die britische Haltung gelassen worden war.
 
"Wann immer England dem zustimmt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland und Österreich herfallen."

In der Wirklichkeit ist aber Deutschland über Frankreich und Russland hergefallen weil es vermutete, dass England dem NICHT zustimmt, sich also im Konfliktfall neutral verhalten wird. Das ist nun mal Fakt, auch weil die Diskussion wohl Präventivkriegs-Erklärungen zulässt, da bei steigender strategischer Aufrüstung Russlands durch Frankreich irgendwann in ferner Zukunft England nicht mehr zustimmen MUSS, Englands Zustimmung obsolet wird und Frankreich und Russland ohne Unterstützung durch England die Mittelmächte aufgrund ihrer Masse besiegen werden. Dem wäre dann ein deutscher Angriff zuvorgekommen.

Ich denke, dass House´ Aussage dahingehend erweiterbar ist, ohne dass die Aussage als solches verfälscht wird: ALLE europäischen Mächte waren voller Hass aufeinander, die Deutschen nicht minder! House hatte zwar den Hass der Mächte, nicht aber die damit einhergehende Angst der europäischen Mächte untereinander bemerkt. Deswegen war für ihn ein durch das Reich provozierter Kriegsausbruch nicht vorstellbar?

Völlig richtig.

Es gibt einen Kontext zu dem House-Zitat und auch einen erweiterten Kontext zu dem, was ihn auf der Reise am deutschen Militarismus erschüttert hatte (was als Wahrnehmung ebenso verzerrt war). Ist hier im Forum auch schon als Kontext angeprochen worden.

Man muss sich zunächst einmal mit der House-Reise und seinem Kenntnisstand befassen, dann mit seinen Reisekontakten, zB anhand der Biographie. Das House-Zitat wurde mW auch in den innenpolitischen US-Debatten "verwendet".
 
Der Kontext des Zitates scheint offenbar unbekannt zu sein.

Eigentlich müsste ja verwundern, dass Historiker wie Clark dieses Zitat jedenfalls so nicht verwenden, oder andere Teile des Schreibens als den markierten Satz hervorheben und auch relativieren.

Überdies ist die deutsche Übersetzung tendenziös, dass passt aber hübsch zu dem reißerischen Stil von Ferguson, der sich wiederum auf die gekürzte deutsche Publikation aus der Verdrängungs- und Schuldliteratur der 1920er abstützt.

Der Kontext lässt sich leicht recherchieren. Worauf sich House hier bezieht, sind Gesprächsinhalte seiner Deutschlandreise, nach der er ganz Europa von den mad men bevölkert sieht. Sein auch verzerrtes Bild vom deutschen Militarismus, das ihn schwer erschüttert hat, ist bei Clark kommentiert. Es empfiehlt sich, dass nachzulesen. Von Frankreich und Russland wusste House als Newbie der Außenpolitik rein gar nichts, von Großbritannien hatte er einige Vorstellungen aus dem Grey-Gespräch ein Jahr zuvor.

Das Zitat wurde gern in den 1920ern als unabhängiger Beleg von denen benutzt, die eine frz.-russ. Verschwörung zum 1. Weltkrieg behaupteteten, die britischerseits genehmigt worden sein. Das wirkt bis heute, wenn man mal die Suchmaschine seines Vertrauens benutzt.

Das Zitat ist ein Musterbeispiel, um die Notwendigkeit einer Quellenkritik und Ausforschung des Kontext zu unterstreichen. Und für tendenziöse Verwendungen des "nackten" Zitats.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte auf einen Artikel der Welt hinweisen, in dem der Historiker Rainer F. Schmidt die Rolle des französischen Präsidenten Poincaré mit der von Bismarck vergleicht:

Neueste Forschungen legen nahe: Staatspräsident Raymond Poincaré kreiste 1912 bis 1914 das Kaiserreich ein. Dabei nahm er sich ein Beispiel an Bismarck, urteilt der Historiker Rainer F. Schmidt.

https://www.welt.de/geschichte/article158782749/Trieb-Frankreich-Deutschland-in-den-Krieg.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Thane,
hab mir das Interview angeschaut.
Dem großen Federstrich kann ich nicht folgen.

Interessant finde ich seine Bemerkungen zur Flottenrüstung des DR.
Der Kaiser war ja wohl ein großer Mahan-Fan und empfahl nachdrücklich dessen Lektüre und eine Übersetzung ins Deutsche, rühmte sich womöglich gar der Belesenheit.

Nun sagt der Brechtken, dass das DR und der Willy eben nicht den Empfehlungen Mahans folgten.
Denn im Falle einer Landmacht mit kleinen Küstenstreifen sei, nach Mahan, der Bau einer großen Flotte nachteilig.
Das hätte eine bittere Komik und fände dann wohl eine Parallele zu Fehlinterpretationen des Clausewitz.

Was den großen Federstrich angeht:
eine, zwischen 1895 und 1907 mögliche, Verbindung der drei großen Mächte, zwei davon aufstrebende, hätte den Weltfrieden erheblich sicherer gemacht,
.. steile These....
Tät ich mal sagen. Aber ich hab das Buch nicht gelesen und nur das Interview Deines Links angeschaut.
 
Dem großen Federstrich kann ich nicht folgen.

Im Prinzip referiert Brechtken eigentlich nur bekannte Aspekt. Er stellt die Entwicklung des Denkens in "Weltpolitik" dar, den Wunsch nach dem "Platz an der Sonne".

Er bettet es in die Theorie von Mahan ein und stellt den Flottenbau als "Luxury Fleet" dar. Ein Problem, das ja auch innerhalb der deutschen Flotte adressiert wurde im Rahmen des Konflikts zwischen dem Schlachtflottenbau und der Kreuzerorientierung, wie wichtig für Fern-Ost oder Lateinamerika.

Die Sinnlosigkeit der "Entscheidungsschlacht" in der Nordsee, egal mit welchem Ausgang, haben wir ja im Forum schon diskutiert. Der Ausgang einer Seeschlacht hätte die nachteilige Lage des DR nicht verändert, auch bei einem "relativen" Sieg.

Es gab ja auch innerhalb der Politik bzw. im DR diese Kontroverse der Verteilung von Ressourcen. Die allerdings mangels "Interesse" des Preußischen Kriegsministerium Tirpitz die Möglichkeiten gab, seine Flottenpläne zu realisieren.

Und letztere wäre die eigentlich sinnvolle Option für eine imperiale, imperialistische Option gewesen. Und diese Option wäre für die anderen Mächte eine kalkulierbare Option gewesen im Rahmen der "normalen" imperialistischen Konkurrenz.

Er läßt dabei die innenpolitische Komponente, die Kehr und andere formuliert haben aus der Betrachtung.

Dabei entwickelt er ein zutreffendes Szenario der aufstrebenden sozialdarwinistischen Mächte.

Das erscheint mir weitgehend stimmig. Und in Übereinstimmung zur nachfolgend zitierten Literatur.

Was den großen Federstrich angeht: eine, zwischen 1895 und 1907 mögliche, Verbindung der drei großen Mächte, zwei davon aufstrebende, hätte den Weltfrieden erheblich sicherer gemacht, .. steile These...

Naja, wurde Brechtken ja auch eher "in den Mund" gelegt. Dennoch: Es ist richtig, dass die retrospektive Zwangsläufigkeit der Konfrontation von 1914 um ca. 1900 nicht gegeben war. Darauf Brechtgen ja auch hin.

Man hätte sich durchaus vorstellen können, dass die USA, GB und das DR in gemeinsamer Verantwortung eine imperialistische kollektive Garantiemacht darstellen können. Die Frage wäre gewesen, wie das DR befriedet worden wäre. Allerdings gab es ja schon Modelle, vor allem in Afrika den Erweiterungen des DR wohlwollend gegenüber zu stehen.

Und im Nahen Osten, z.B. im Osmanischen Reich hätte man sich im Zeichen der Realpolitik durchaus zu gemeinsamen Projekten zusammen finden können (GB, F u. das DR)

Das ist alles kontrafaktisch, aber nicht grundsätzlich als reale Optionen undenkbar.

Berghahn (1991): Des Kaisers Flotte und die Revolutionierung des Mächtesystems vor 1914. In: John C. G. Röhl und Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München: R. Oldenbourg (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 17), S. 173–188.
Bönker, Dirk (1998): Maritime Aufrüstung zwischen Partei- und Weltpolitik. Schlachtflottenbau in Deutschland und den USA um die Jahrhundertwende. In: Ragnhild Fiebig-von Hase und Jürgen Heideking (Hg.): Zwei Wege in die Moderne. Aspekte der deutsch-amerikanischen Beziehungen 1900-1918. Trier: WVT, Wisschaftlicher Verlag Trier (Mosaic, 2), S. 231–259.
Bönker, Dirk (2011): Ein German Way of War? Deutscher Militarismus und maritime Kriegsführung im Ersten Weltkrieg. In: Sven-Oliver Müller und Cornelius Torp (Hg.): Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 308–322.
Bönker, Dirk (2012): Militarism in a global age. Naval ambitions in Germany and the United States before World War I. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press
Brechtken, Magnus (2006): Scharnierzeit 1895 - 1907. Persönlichkeitsnetze und internationale Politik in den deutsch-britisch-amerikanischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Mainz: von Zabern
Eley, Geoff (2014): Empire by Land or Sea? Germany`s Imperial Imaginary. 1840 - 1945. In: Bradley Naranch und Geoff Eley (Hg.): German colonialism in a global age. Durham: Duke University Press
Epkenhans, Michael (1991): Die wilhelminische Flottenrüstung, 1908-1914. Weltmachtstreben, industrieller Fortschritt, soziale Integration. München: R. Oldenbourg
Herold, Heiko (2013): Reichsgewalt bedeutet Seegewalt. Die Kreuzergeschwader der Kaiserlichen Marine als Instrument der deutschen Kolonial- und Weltpolitik 1885 bis 1901. München: Oldenbourg Verlag
Herwig, Holger H. (1976): Politics of frustration. The United States in German naval planning, 1889-1941. 1st ed. Boston: Little, Brown.
Herwig, Holger H. (1987): "Luxury" fleet. The Imperial German Navy, 1888-1918. Rev. ed. London, Atlantic Highlands NJ: Ashfield Press.
Hobson, Rolf (2004): Maritimer Imperialismus. Seemachtideologie, seestrategisches Denken und der Tirpitzplan, 1875-1914. München: R. Oldenbourg
Kehr, Eckart (2012): Schlachtflottenbau und Parteipolitik 1894-1901. Versuch eines Querschnitts durch die innenpolitischen, sozialen und ideologischen Voraussetzungen des deutschen Imperialismus.
Mehnert, Ute (1995): Deutschland, Amerika und die "gelbe Gefahr". Zur Karriere eines Schlagworts in der grossen Politik, 1905-1917. Stuttgart: Steiner
Overlack, Peter (2002): Cruisers or battleships? Challenging Britannia : the naval debate in Wilhelmine Germany. Armidale, N.S.W.: School of Classics, History and Religion, University of New England
Winzen, Peter (1991): Zur Genese von Weltmachtkonzept und Weltpolitik. In: John C. G. Röhl und Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München: R. Oldenbourg, S. 189–222.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hat denn noch jemand inzwischen den Schmidt gelesen?
Welche Wertungen liegen zu dem Aufsatz in der HZ vor oder können abgegeben werden?
 
Die Frage der Verantwortung für die Dynamisierung in Richtung WW1 wurde in diesem Thread ausführlich diskutiert.

Die Frage nach den Ursachen des WW1 ist sicherlich eine der literaturmäßig am intensivsten dargestellten Periode. Die Frage nach dem aktuellen Forschungsstand zum eigentlichen Ausbruch mag unterschiedlich bewertet werden, aber aus meiner Sicht gehören die folgenden zu den relevanteren. Und viele haben bereits in der Diskussion eine Rolle gespielt.

Afflerbach, Holger (Hg.) (2007): An improbable war. The outbreak of World War I and European political culture before 1914. New York, NY: Berghahn.
Afflerbach, Holger (Hg.) (2015): The purpose of the First World War. War aims and military strategies. Berlin: De Gruyter
Albertini, Luigi (1952): The origins of the War of 1914. 3 Bände. London, New York: Oxford University Press.
Broadberry, Stephen N.; Harrison, Mark (Hg.) (2009): The economics of World War I. Cambridge: Cambridge University Press.
Evans, R. J. W.; Evans, Robert John Weston; Pogge von Strandmann, H. (Hg.) (1988): The Coming of the First World War. Oxford: Clarendon
Fay, Sidney B. (1966): The Origins of the World War. Before Sarajevo. 2 Bände. New York: Free Press .
Gardner, Hall (2014): The failure to prevent World War I. The unexpected armageddon. Burlington, VT: Ashgate
Hamilton, Richard F.; Herwig, Holger H. (2003): The origins of World War I. Cambridge, New York: Cambridge University Press.
Hamilton, Richard F.; Herwig, Holger H. (2004): Decisions for war, 1914-1917. Cambridge, New York: Cambridge University Press.
Hamilton, Richard F. (Hg.) (2010): War planning 1914. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Herrmann, David G. (1997),: The arming of Europe and the making of the First World War. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
Hewitson, Mark (2004): Germany and the causes of the First World War. 1. publ. Oxford: Berg
Hinsley, F. H. (2016): Decisions For War, 1914. : Taylor and Francis.
Joll, James; Martel, Gordon (2006): The origins of the First World War. Third edition. Harlow, England, New York: Pearson Longman
MacMillan, Margaret (2013): The war that ended peace. The road to 1914. First U.S. Edition. New York: Random House.
Martel, Gordon (2008): Origins of the First World War. Revised third edition. Harlow, England, New York: Pearson Longman
Martel, Gordon (2014): The month that changed the world. July 1914. First edition. New York, NY: Oxford University Press.
Otte, Thomas G. (2014): July Crisis. The world's descent into war, summer 1914. Cambridge, United Kingdom: Cambridge University Press.
Schmidt, Stefan (2009): Frankreichs Aussenpolitik in der Julikrise 1914. Ein Beitrag zur Geschichte des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. München: Oldenbourg
Wawro, Geoffrey (2015): A mad catastrophe. The outbreak of World War I and the collapse of the Habsburg Empire. New York: Basic Books.
Wilson, Keith Malcolm (Hg.) (2006): Decisions for war, 1914. London: Routledge.
 
So ganz taufrisch ist der Faden aber auch nicht mehr.:D Im Jahre 2005 wurde der Faden von @Gandolf, auch schon ewig nicht mehr hier gesehen, eröffnet.
 
Zurück
Oben