hatl
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Kritizität - die Wahrscheinlichkeit einer nicht mehr beherrschbaren Eskalation.
Das Paradebeispiel ist der Erste Weltkrieg.
Als ich angefangen habe mich damit zu beschäftigen schien mir klar wer diesen Krieg angefangen hat. Es war das Deutsche Reich. Die haben zuerst den Krieg erklärt und geschossen, die haben Luxemburg und Belgien überfallen und sind auf Paris marschiert.
Das ist ja schon auf den ersten Blick erkennbar.
Aber das ist so einfach nicht. Denn Russland hat vorher eine Vollmobilisierung begonnen.
Und eine Vollmobilisierung war bereits eine Kriegserklärung. Das war der politischen Führung Russlands bewusst (Marc Trachtenberg – Meaning of Mobilisation).
Also hat Russland den Krieg begonnen? Oder war es Österreich-Ungarn, welches sich der Gefahr des Weltkriegs sehr bewusst ist, als es vorher dem mit Russland befreundeten Serbien den Krieg erklärte?
Und wann hat dieser Krieg überhaupt begonnen? Was war ab wann kausal im Sinne der weiteren Eskalation? Was war unabdingbare Voraussetzung?
Mich hat das wirklich beschäftigt und ich hab zwei Regal-Meter wissenschaftliche Literatur dazu gelesen. Du kommst nicht dahinter, wer diesen Krieg nun wirklich angefangen hat.
„The origins of this war are complex in the extreme“ (Kennan – American Diplomacy Kap.4)
Du kommst einfach nicht dahinter und es ist so widersinnig.
Denn es hatte niemand etwas zu gewinnen (Angell – The Great Illusion).
Am aller wenigsten Russland (Sanborn – Imperial Apocalypse), das ja mit der Vollmobilisierung faktisch als erste den Krieg erklärte.
Einen Krieg den niemand wollte und den alle verloren.
Wie um Himmels Willen kann so etwas geschehen?
Wie konnte es zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (Kennan) kommen und wer ist „schuld“?
Kissinger (Diplomacy – Kap.8) sagt es war eine Doomsday Maschine entstanden, bzw. wurde geschaffen. Eben eine Situation in der bereits die Mobilisierung Krieg bedeutet, weil der kurzen Reaktionszeit die dem Militär zur Verfügung steht, um nicht fatal in das Hintertreffen zu geraten,
keine angemessene Zeit für die Diplomatie entgegensteht.
Sie kann die Krise nicht mehr entschärfen. Schon kleine Funken können alles in die Luft jagen.
(Und da feiern die Raucher ein Party auf dem offenen Pulverfass, könnte man sagen und ich finde dieses Bild besser als das der „Schlafwandler“ von Christopher Clark.)
Die technische Realität hat sich radikal verändert. Innerhalb von Tagen können Millionenheere über weite Strecken transportiert werden und diese sind in nie dagewesener Weise bewaffnet. (Magazingewehr, Maschinengewehr, treffgenaue Schnellfeuerkanone, Brisanzgranaten, rauchfreies Pulver, industrielle Massenproduktion.)
1898(!) erscheint von Iwan Bloch (auch Jan Bloch oder Johann von Bloch) ein fulminantes Werk in 6 Bänden mit mehr als 4.000 Seiten auf Russisch.
1899 erscheint das Werk in deutscher Übersetzung „- Der zukünftige Krieg - in seiner technischen, volkswirthschaftlichen und politischen Bedeutung“ (Link reiche ich gerne nach)
Bloch ist Banker, Eisenbahntycoon und ein reicher Mann in Russland der sich schließlich als Pazifist verdient macht.
Und da beschreibt er eben das. (Ich hab Band 1 ganz gelesen, Band 2 zu 2/3 und Band 6 ansatzweise).
Und darüber hinaus weist er mehrfach darauf hin, dass die sich stetig steigernden Rüstungsausgaben (was heute unbedingt angeschafft werden muss ist morgen schon veraltet und muss zu noch höheren Kosten ersetzt werden) den sozialen Frieden in den Nationen untergraben und damit zusätzliche Instabilität hervorbringen.
Noch im Jahr der ersten Auflage bespricht der Zar Nikolaus II mit Bloch sein Werk. Über Karten gebeugt lässt er sich Blochs Einsichten erläutern (Brigitte Hamann – Berta von Suttner).
Kurz darauf erscheint des Zaren „Augustmanifest“ in der internationalen Presse und der Weg zur ersten internationalen Friedenskonferenz zu Vermeidung eines künftigen Krieges im Jahr 1899 ist bereitet.
Das wäre eine echte Chance gewesen diese fatale „Doomsday-Maschine“ zu entschärfen.
Und wer torpediert diese aufrichtige Bemühung am heftigsten? Es ist der deutsche Kaiser Wilhelm II. (Jost Dülffer – Regeln gegen den Krieg?; Marcus M. Payk – Frieden durch Recht?)
Also doch das DR als Hauptschuldiger?
Oder der unglückliche Nikolaus, der 1914 den Befehl zur Vollmobilisierung unterschrieb mit der Frage an seine Militärs: Ihnen ist schon bewusst, dass ich damit das Todesurteil für Hunderttausende junger Männer unterschreibe?
Hier findet sich der Kern der Lehre die man aus dem Ersten Weltkrieg auch für heute ziehen sollte.
Bau um Himmels Willen keine Doomsday-Maschine und rauche nicht auf dem offenen Pulverfass.
Im kalten Krieg hat man diese Lehre mühsam und glücklich befolgt, und es war diese Gott sei Dank stets ein Thema. (Paul Bracken – Command and Control of Nuclear Forces)
Und heute?
Das ist Tagespolitik und es mag jeder seine Schlüsse dazu ziehen und in diesem Forum für sich behalten.
Doch fragen sollten wir uns das ernsthaft.
Das Paradebeispiel ist der Erste Weltkrieg.
Als ich angefangen habe mich damit zu beschäftigen schien mir klar wer diesen Krieg angefangen hat. Es war das Deutsche Reich. Die haben zuerst den Krieg erklärt und geschossen, die haben Luxemburg und Belgien überfallen und sind auf Paris marschiert.
Das ist ja schon auf den ersten Blick erkennbar.
Aber das ist so einfach nicht. Denn Russland hat vorher eine Vollmobilisierung begonnen.
Und eine Vollmobilisierung war bereits eine Kriegserklärung. Das war der politischen Führung Russlands bewusst (Marc Trachtenberg – Meaning of Mobilisation).
Also hat Russland den Krieg begonnen? Oder war es Österreich-Ungarn, welches sich der Gefahr des Weltkriegs sehr bewusst ist, als es vorher dem mit Russland befreundeten Serbien den Krieg erklärte?
Und wann hat dieser Krieg überhaupt begonnen? Was war ab wann kausal im Sinne der weiteren Eskalation? Was war unabdingbare Voraussetzung?
Mich hat das wirklich beschäftigt und ich hab zwei Regal-Meter wissenschaftliche Literatur dazu gelesen. Du kommst nicht dahinter, wer diesen Krieg nun wirklich angefangen hat.
„The origins of this war are complex in the extreme“ (Kennan – American Diplomacy Kap.4)
Du kommst einfach nicht dahinter und es ist so widersinnig.
Denn es hatte niemand etwas zu gewinnen (Angell – The Great Illusion).
Am aller wenigsten Russland (Sanborn – Imperial Apocalypse), das ja mit der Vollmobilisierung faktisch als erste den Krieg erklärte.
Einen Krieg den niemand wollte und den alle verloren.
Wie um Himmels Willen kann so etwas geschehen?
Wie konnte es zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (Kennan) kommen und wer ist „schuld“?
Kissinger (Diplomacy – Kap.8) sagt es war eine Doomsday Maschine entstanden, bzw. wurde geschaffen. Eben eine Situation in der bereits die Mobilisierung Krieg bedeutet, weil der kurzen Reaktionszeit die dem Militär zur Verfügung steht, um nicht fatal in das Hintertreffen zu geraten,
keine angemessene Zeit für die Diplomatie entgegensteht.
Sie kann die Krise nicht mehr entschärfen. Schon kleine Funken können alles in die Luft jagen.
(Und da feiern die Raucher ein Party auf dem offenen Pulverfass, könnte man sagen und ich finde dieses Bild besser als das der „Schlafwandler“ von Christopher Clark.)
Die technische Realität hat sich radikal verändert. Innerhalb von Tagen können Millionenheere über weite Strecken transportiert werden und diese sind in nie dagewesener Weise bewaffnet. (Magazingewehr, Maschinengewehr, treffgenaue Schnellfeuerkanone, Brisanzgranaten, rauchfreies Pulver, industrielle Massenproduktion.)
1898(!) erscheint von Iwan Bloch (auch Jan Bloch oder Johann von Bloch) ein fulminantes Werk in 6 Bänden mit mehr als 4.000 Seiten auf Russisch.
1899 erscheint das Werk in deutscher Übersetzung „- Der zukünftige Krieg - in seiner technischen, volkswirthschaftlichen und politischen Bedeutung“ (Link reiche ich gerne nach)
Bloch ist Banker, Eisenbahntycoon und ein reicher Mann in Russland der sich schließlich als Pazifist verdient macht.
Und da beschreibt er eben das. (Ich hab Band 1 ganz gelesen, Band 2 zu 2/3 und Band 6 ansatzweise).
Und darüber hinaus weist er mehrfach darauf hin, dass die sich stetig steigernden Rüstungsausgaben (was heute unbedingt angeschafft werden muss ist morgen schon veraltet und muss zu noch höheren Kosten ersetzt werden) den sozialen Frieden in den Nationen untergraben und damit zusätzliche Instabilität hervorbringen.
Noch im Jahr der ersten Auflage bespricht der Zar Nikolaus II mit Bloch sein Werk. Über Karten gebeugt lässt er sich Blochs Einsichten erläutern (Brigitte Hamann – Berta von Suttner).
Kurz darauf erscheint des Zaren „Augustmanifest“ in der internationalen Presse und der Weg zur ersten internationalen Friedenskonferenz zu Vermeidung eines künftigen Krieges im Jahr 1899 ist bereitet.
Das wäre eine echte Chance gewesen diese fatale „Doomsday-Maschine“ zu entschärfen.
Und wer torpediert diese aufrichtige Bemühung am heftigsten? Es ist der deutsche Kaiser Wilhelm II. (Jost Dülffer – Regeln gegen den Krieg?; Marcus M. Payk – Frieden durch Recht?)
Also doch das DR als Hauptschuldiger?
Oder der unglückliche Nikolaus, der 1914 den Befehl zur Vollmobilisierung unterschrieb mit der Frage an seine Militärs: Ihnen ist schon bewusst, dass ich damit das Todesurteil für Hunderttausende junger Männer unterschreibe?
Hier findet sich der Kern der Lehre die man aus dem Ersten Weltkrieg auch für heute ziehen sollte.
Bau um Himmels Willen keine Doomsday-Maschine und rauche nicht auf dem offenen Pulverfass.
Im kalten Krieg hat man diese Lehre mühsam und glücklich befolgt, und es war diese Gott sei Dank stets ein Thema. (Paul Bracken – Command and Control of Nuclear Forces)
Und heute?
Das ist Tagespolitik und es mag jeder seine Schlüsse dazu ziehen und in diesem Forum für sich behalten.
Doch fragen sollten wir uns das ernsthaft.