Zar Nikolaus II.

Den Argumenten zur Heiligsprechung kann ich nicht ganz folgen. Natürlich stellt seine Ermordung ein Verbrechen dar. Aber objektiv gesehen hat er als Herrscher versagt. Die Revolution von 1905 zeigte klar, dass eine Parlamentarisierung der Monarchie und innenpolitische Reformen unumgänglich waren. Dass man von einem Romanow nicht erwarten kann, dass er sich plötzlich zur Sozialdemokratie bekennt, ist klar. Aber sein Festhalten an der Autokratie, der er sich durch Krönungseid verbunden fühlte, führte zu einer innenpolitischen Dauerkrise.

Ich habe mich mit russicher Geschichte nicht so intensiv beschäftigt, kenne aber die Bücher von Orlando Figes und Helmut Altrichter. Besonders Figes zeigt in meinen Augen deutlich, dass der Zar zwischen 1905 und 1914 innenpolitisch seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen war.
 
Bezueglich der Heilsprechung des Zaren Nikolaus & Familie wuerde ich nur folgendes ergaenzen: Der Zar wurde tatsaechlich fuer seinen maertyrischen Tod heilgesprochen, jedoch muss man auch die Aufrichtigkeit seines Familienlebens beruecksichtigen. Heilige waren nicht fehlerlos, sondern haben in ihrem Blut, oder durch ihre frommen Taten ihre menschlichen Suenden gereinigt. Ein anderer Aspekt ist auch die Position des Zaren - im byzantynischem Rythus ist der Kaiser von der Kirche bevollmaechtigt, eine Krone zu tragen, wer sich gegen diese Wuerde setzt und ein Regizid vollbringt, hat keine Rechtfertigung, handle es sich auch um einen nicht glaeubigen Zaren. Deswegen sollte man nicht davon ausgehen, dass alle die ermordet wurden, auch heiligzusprechen sind. Wer dern letzten Zaren toeten wollte, hat etwas viel Niedertraechtigeres erzielt: eigentlich das Vorbild und das Erbe der christilichen Kaiser zu ruinieren. Darueber hinaus, war die Zarenfamilie eine vorbildliche christiliche Familie, laut Erzbishof Teophanos, ehemaliger Beichtvater der Zarenfamilie. Er hat selbst gestanden, dass der seelische Zustand der Romanovs ein sehr fortgeschrittener war. Vieles wurde dem Zaren vorgeworfen, er hatte auch viele Gegner, die von der franz. Revolution beseelt waren, und eine Republik aus dem Zarenreich machen wollten. Ich habe mich wirklich erkundigt..
 
Den Argumenten zur Heiligsprechung kann ich nicht ganz folgen. Natürlich stellt seine Ermordung ein Verbrechen dar. Aber objektiv gesehen hat er als Herrscher versagt. Die Revolution von 1905 zeigte klar, dass eine Parlamentarisierung der Monarchie und innenpolitische Reformen unumgänglich waren. Dass man von einem Romanow nicht erwarten kann, dass er sich plötzlich zur Sozialdemokratie bekennt, ist klar. Aber sein Festhalten an der Autokratie, der er sich durch Krönungseid verbunden fühlte, führte zu einer innenpolitischen Dauerkrise.

Ich habe mich mit russicher Geschichte nicht so intensiv beschäftigt, kenne aber die Bücher von Orlando Figes und Helmut Altrichter. Besonders Figes zeigt in meinen Augen deutlich, dass der Zar zwischen 1905 und 1914 innenpolitisch seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen war.


das sehe ich genauso. "Niki" war sicher weder ein herrischer, noch ein grausamer Monarch, und seine große Tragik war, dass er zu einer Zeit Zar war, die auch eine weit stärkere persönlichkeit vor große Probleme gestellt hätte. Er hat allerdings als Autokrat sich als ein ziemlicher Versager erwiesen, der durch seine Personalpolitik und nicht zuletzt Rasputins Eskapaden das Ansehen der Monarchie innerhalb der eigenen Familie und unter den "Oberen 10.000" gründlich diskreditierte. Hätten die Bolchewiken ihn mit Alix, Familie und Privatvermögen nach Finnland oder die Schweiz ausreisen lassen, er wäre als eine tragisch-komische Figur, ein "Ritter von der traurigen Gestalt" in die Geschichte eingegangen.

Lenin aber hatte wenig Sinn für Humor, und die Ermordung der Zarenfamilie war eíne klare Ansage an In- und ausland, dass es keinen Weg zurück gab, dass nie wieder ein Zar regieren würde. Diese Ermordung war eine Instrumentalisierung der Geschichte, sozusagen Geschichte als politische Waffe. Seine Heiligsprechung ist ziemlich genau das Gleiche. Es ist Glorifizierung und Geschichtsmysthifizierung. Indem der Zar heiliggesprochen wird, wird auch die orthodoxe Kirche erhöht, die damit ihre unheilige Allianz von Thron und Altar ausblendet.

Ähnliches wie den Romanows ist auch Marie antoinette und Ludwig XVI. widerfahren, die von der Revolution zu Monstern stilisiert, von der Restauration aber zu Märtyrern aufgewertet wurden. Ein idyllisches, vorbildliches Familienleben ist durchaus nicht Kennzeichen der Heiligkeit, und Himmler, Heydrich, Rudolf Höss und Arthur Liebehenschel waren zärtliche Väter.
 
Hätten die Bolchewiken ihn mit Alix, Familie und Privatvermögen nach Finnland oder die Schweiz ausreisen lassen, er wäre als eine tragisch-komische Figur, ein "Ritter von der traurigen Gestalt" in die Geschichte eingegangen.
Schön gesagt :D Wer seinen Lebenslauf kennt, muss aber auch irgendwo zugeben, dass er etwas von einem Don Quijote hat: dieser spindeldürre lange Dilletant, der sich für einen grossen Imperator hält, für den Schutzpatron aller Slawen und Schutzwall gegen "die gelbe Bedrohung". Lässt sich feiern und glaubt naiverweise daran, sein Volk liebe ihn - und die Städte brennen, die Massen revoltieren. Orlando Figes hat das in seinem Buch über den russischen Bürgerkrieg schön wiedergegeben.

Letzens sah ich eine Dokumentation über Nikolai II. im russischen Fernsehen (RTR glaub ich) und hab mich grün und blau geärgert :motz:
Die ganze Doku über wurde der Mann glorifiziert, als Opfer böser Mächte dargestellt - ohne dass man seine eigenen blutigen und fahrlässigen Verdienste und Nicht-Verdienste erwähnte. Und wenn doch, dann wurde das ganze relativiert, weißgewaschen. Und am Ende wurde schließlich mehr oder weniger behauptet, Russland unter Nikolai wäre ein schönerer Ort gewesen (bewahrten Traditionen etc.), wenn nicht die (bösen) Revoluzzer gewesen wären.

Himmel, wenn sie hier nicht den Zarismus rühmen, dann zumindest die Autokratie. Hier wird der falsche zum Helden/Märtyrer erkoren...
 
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Schön gesagt :D Wer seinen Lebenslauf kennt, muss aber auch irgendwo zugeben, dass er etwas von einem Don Quijote hat: dieser spindeldürre lange Dilletant, der sich für einen grossen Imperator hält, für den Schutzpatron aller Slawen und Schutzwall gegen "die gelbe Bedrohung". Lässt sich feiern und glaubt naiverweise daran, sein Volk liebe ihn - und die Städte brennen, die Massen revoltieren.

Sowas denken alle Herrscher.
 
Sowas denken viele Herrscher ;)
Aber unser Zar hat natürlich den entscheidenden Vorteil, dass auf ihn ein Regime folgte, das viele Menschen als noch furchtbarer einstuften.
Das ebnet dann wohl auch den Weg für die Verklärung solcher Personen. Auch in der französischen Revolution lief die Geschichte so ab.
Denn die Revolutionäre sind natürlich auch nicht immer die Menschen von besonderer Erleuchtung.
Lichtenberg hatte doch einmal einen ganz treffenden Aphorismus gefunden, er ging etwa so:
"Ich weiß freilich nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber so viel weiß ich, es muss anders werden, wenn es gut werden soll."
 
Es ist eine weit verbreitete Erscheinung, dass ehemalige Monarchen noch Generationen später verklärt werden, weil das was darauf folgte, für die Menschen oft als Rückschritt und Chaos empfunden wurde und meist auch war. Ob es hierzulande Bayern ist (König Ludwig) oder ganz Deutschland ("Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder ham...").
Es hat Jahrzehnte gedauert, sich davon frei zu machen - dabei war die "gute alte Zeit" für die Mehrheit so toll nun auch wieder nicht. Vielleicht liegt dieser Konservatismus, dazu zähle ich auch die verbreitete DDR-Nostalgie, in der menschlichen Natur.
 
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