Ich verstehe den Artikel von Seewald nicht wirklich, beginnend mit diesem Satz:
Vor wenigen Tagen kamen nun rund 220 Münzen ans Licht, der größte antike Münzhort, der bislang östlich der Elbe gefunden wurde. Er könnte die Forschung in eine völlig neue Richtung weisen. Denn an dem Fundort hatten die Archäologen vieles erwartet, aber gewiss keine römischen Denare.
Also vor den neuen Münzfunden der letzten Wochen sind 1628 Münzen gefunden worden worden, darunter die höchste Anzahl an Aurei in der Germania libera (schon vor den acht neuen Aurei vom letzten Jahr). Denare waren auch immer in ausreichender Zahl in Kalkriese vorhanden. Daher verstehe ich die Aussage nicht, die Archäologen hätten "gewiss keine römischen Denare" erwartet. :nono: Zumal sich ja an der Datierung nichts ändert. Die Schlussmünze war der Gaius/Lucius-Typ, die Schlussmünze bleibt der Gaius/Lucius-Typ.
Der von Carolus zitierte Satz ist ein weiterer Fehler im Artikel (ein vorheriger Fehler ist die Datierung der Münzen taq 2 v. Chr., sie müssen auf taq 2 n. Chr. datiert werden, da starb Lucius, Gaius starb 4. Manche meinen sogar, dass die Münzen trotz Lucius' Tod weiter geprägt wurden und setzen daher sogar einen taq 4 n. Chr. an, ich halte das für unplausibel), den ich allerdings im Eifer des Gefechts dieser Diskussion auch schon gemacht habe:
Ihr Fundort liegt am Fuß des Wiehengebirges, etwa 150 Meter südlich des Walls aus Grassoden, der nach üblicher Lesart bislang als Verschanzung der Germanen angesehen wird.
Korrekt ist
nördlich. Da hat Seewald wohl, wie ich damals, bergab so sehr mit südlich (auf der Karte unten) assoziiert, dass hier dieser Fehler zustande gekommen ist.
Dass Seewald nun wieder die
pontes longi-Hypothese ins Spiel bringt, kann ich nun gar nicht verstehen. Also abgesehen davon, dass die
pontes longi südlich oder westlich der Ems zu suchen sind, wären hier doch nach Kölner Brandhorizont 14 n. Chr. bis zu einem Siebtel postvarianischer Münzen zu erwarten, bisher gibt es aber keine einzige und das bei ca. 1850 Münzen, die man in Kalkriese mittlerweile gefunden hat. Zudem werden die Vertreter einer
pontes longi-Hypothese immer das Problem haben zu erklären, warum in Kalkriese so dermaßen viel Geld zu finden ist, wo doch nach den Erfahrungen der Varusschlacht Tiberius ausdrücklich befohlen hatte, dass man nur noch mit leichtem Gepäck ins Feindesland marschierte und dies angeblich sogar überprüfte. Germanicus war dabei sein Unterfeldherr und auch von Caecina, eine alten militärischen Hasen wissen wir zwar nicht zu seiner Haltung zu Gepäck, aber etwa zu Frauen auf Feldzügen. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Germanicus-Legionen über viel Geld im Feindesland und Luxusgegenstände, wie wir sie aus Kalkriese kennen, verfügten.
Was Seewald übersieht, ist, dass Ortisi bereits im letzten Jahr der These Schlüters nachgespürt hat, ob es sich bei Kalkriese nicht um ein Lager der Varuslegionen handelte anstatt um einen germanischen Wall - letztes Jahr konnte Schlüters These nicht überzeugend bewiesen werden, wie es dieses Jahr aussieht, weiß ich noch nicht, dazu hätte man weitere Wallstrukturen finden müssen. Die Idee ist also nicht neu, daher ist auch diese Aussage
Es könnte sich bei dem Silberschatz um die Reste einer Truppenkasse einer römischen Einheit gehandelt haben. Das aber würde der bisherigen Deutung des Fundorts Kalkriese eine gänzlich neue Wendung geben. Das Behältnis mit dem Sold der Legionäre wird sich im Feindesland kaum von der Truppe entfernt haben. Wenn die Kasse aber in ihrer Mitte lag, könnten römische Soldaten hier, am Saum des Wiehengebirges, ein Lager aufgeschlagen haben. Das aber würde bedeuten, dass dort, wo man bislang das Aufmarschgebiet der Germanen vermutete, sich Legionäre verschanzt hatten
also nicht neu, sondern eine Fortsetzung dessen, was man schon im letzten Jahr versucht hat zu verifizieren und was Schlüter bereits 2011 als Hypothese formuliert hat. Wir werden abwarten müssen. Ich halte es jedenfalls für eher unplausibel, dass 220 Silberstücke die "Truppenkasse" ausmachten. Und - diese Kritik richtet sich aber (vorausgesetzt Seewald gibt Ortisi richtig wieder) eher an Ortisi als Seewald - es gibt ja durchaus mehr als nur die beiden Extreme
Truppenkasse und
am Körper getragen.
Der Fund der 220 neuen Münzen ist toll, vielleicht sogar sensationell, aber er ist - da sich durch diesen Fund im Grunde genommen keine Neubewertung Kalkrieses ergibt - nicht wichtig. Wichtig ist die Frage, ob die Schlütersche Hypothese von 2011 nun endlich be- oder widerlegt werden konnte.