Zu dem ersten Teil Deiner „Zusammenfassung“, ein paar Anmerkungen:
Ich möchte noch einmal die bisherige Diskussion zusammenfassen: Bis etwa 1480 n.Chr. entsprach das anschauliche Weltbild dem Glauben. Der Taghimmel leuchtend blau mit dahin ziehenden weißen Wolken. Bei bedecktem Himmel Lichtstrahlen, welche die Wolkendecke durchdringen, aber erkennbar von einer Stelle in der Wolke ausgehen. Der Himmel als Thron des Herrn ist für jeden sichtbar [...]
Der Himmel umgibt von allen Seiten die Erde, aber bis zu welcher Höhe? Heute wissen wir, bloß bis ca. 20 km. Bei einem Globus von 1 Meter Durchmesser sind dies nur 2 Millimeter. Für einen Sitz Gottes ist das wenig, allzu wenig.
Schon in früheren Beiträgen hast Du bei den Christen den Glauben an einen ziemlich körperlichen und örtlich lokalisierbaren Gott vorausgesetzt. Ich dachte, das sollte lediglich überspitzt sein. Aber wieder sagst Du, die Christen hätten die Erdatmosphäre bzw. die Wolkenschicht als den Sitz Gottes aufgefasst und ein Problem damit haben müssen, dass ihr Umfang so gering ist. Das wird der damaligen Vorstellung von Gott m. E. nicht gerecht, denn man hat ihn als Geist, als transzendent aufgefasst, der seiner Schöpfung, dem Kosmos, eben nicht innewohnte. Der „Himmel“ als Wohnung Gottes ist auch damals m. E. nicht als sichtbarer Himmel gemeint gewesen, nicht als der Himmel am Tage mit Blau und Wolken und nicht als der Nachthimmel mit seinen Sternen, sondern als eine transzendente Dimension (von deren Größe und Herrlichkeit der sichtbare Himmel nach damaligem Verständnis maximal eine vage Ahnung vermittelt haben dürfte).
Darum dürfte jene nur 2mm hohe Atmosphären-Schicht auf einem 1-Meter-Durchmesser-Globus die Kirche und ihre Schäfchen damals nicht gerade in Verzweiflung gestürzt haben. Man muss die Damaligen nicht geistig plumper und unreflektierter machen, als sie es waren.
Unter dem Himmel eine flache Erde, von oben einsehbar. Andere Modelle von Himmel und Erde werden von Gelehrten diskutiert, aber weit weg vom Bürger. Dann zu Beginn der Entdeckungsfahrten wird es offenkundig: Die Erde ist ein geschlossener Körper, sicher eine große Kugel. Auf handliche Körper aus Pappe werden nun die Landkarten geklebt. Hier kann der Bürger nachvollziehen, welcher Seeweg nach Indien nun der kürzere ist, um die Südspitze Afrikas herum oder quer über den Ozean nach Westen [...]
Die Kirchen stellen sich schützend vor ihre Gemeinden. Nicht der gesamte Fortschritt wird verteufelt, wohl aber das neue Weltbild. Je offensiver sich dessen Vertreter äußern, desto härter die Reaktion. Erst allmählich verliert das neue Weltbild seine Schrecken, und der Widerstand läßt nach.
Das hört sich so an, als sei der Kirche die Kugelgestalt der Erde neu und gefährlich vorgekommen. Dabei war doch die Kugelgestalt der Erde keinesfalls ein Problem für die Kirche, sondern die Frage, ob sich alles um die Erdkugel oder ob sich die Erdkugel mit allem anderen zusammen um die Sonne bewegt. Heliozentrisches Weltbild – damit hatte die Kirche ihre Probleme. Kopernikus oder Ptolemäus war die Streitfrage, nicht die Kugelgestalt der Erde.
(Ich denke, Dir ist das klar. Aber Du hast Dich dann sehr missverständlich ausgedrückt).
Verstaubt ein Globus in seinem Regal, fragt sich der Bürger: Sind auch wir solche Stäubchen? Kümmert sich Gott um uns, ist er fern? Erreichen unsere Gebete ihn überhaupt?
Dass der Mensch vor Gott nichts weiter als ein Staubkörnchen ist (vgl. z. B. Psalm 103, 14) und dass gar die Völker der Erde vor Gott nur wie ein Tropfen am Eimer u. wie Staub auf der Waagschale sind (siehe Jes. 40, 15), wusste man aus der Bibel. Der Clou war ja gerade, dass Gott den Menschen trotz seiner Niedrigkeit als wertvoll ansah und ihn so zu etwas machte. Da dürfte ein verstaubter Globus im Regal den damaligen Betrachter nicht so sehr eine ganz neue Ahnung in der Brust aufsteigen lassen haben, die ihn in seinem Glauben erschütterte. Der verstaubte Globus wäre doch ein schönes Sinnbild jener biblischen Aussagen gewesen.
(Natürlich kann man die Medaille auch wenden und mit jenen biblischen u. theologischen Aussagen argumentieren, in welchen der Mensch sinngemäß als „Krone der Schöpfung“ betrachtet wird. Aber um in einem verstaubten Globus ein Argument gegen diese zu erblicken, scheint es mir doch einer sehr phantasievollen Transferleistung zu bedürfen.)
Ich fand also die implizierte Gleichsetzung von Kugelgestalt der Erde und neuem Weltbild, außerdem den sichtbaren Himmel als Wohnort Gottes sowie das Bild des verstaubten Globus' als Zweifelsbringer nicht gerade glücklich gewählt. Allerdings will ich damit nicht behaupten, dass Deine hinter diesen Beispielen stehenden Grundüberlegungen falsch sein müssen.
Solltest Du z. B. jenen Globus im Regal gewissermaßen als Sinnbild einer sich auch im Bürgertum verbreitenden naturwissenschaftlichen Erklärung der Welt begreifen, mag da viel daran sein. Diese naturwissenschaftliche Welterklärung mag allmählich für viele den Schöpfer- und Lenker-Gott entbehrlich gemacht und einen sich um den Menschen kümmernden Gott zweifelhaft gemacht haben; somit mag das Bedürfnis nach Gebet usw. abgenommen haben. Das wäre dann eine Tendenz, die es den Kirchen u. ihren Mitgliedern erschwert haben müsste, der „neuen Wissenschaftlichkeit“ geneigt zu sein (so man diese Tendenz auf zunehmende Naturwissenschaftlichkeit zurückführte). Meine vielen „mag sein“, „lässt sich vermuten“ und Konjunktive in diesem Abschnitt zeigen allerdings deutlich, dass mir letztlich die Kenntnis entsprechender Quellen sowie generelles Wissen über solche komplexen Entwicklungen i. d. Frühen Neuzeit fehlen, weshalb ich es hiermit mal lieber gut sein lasse.