Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....

Dion

Aktives Mitglied
Natürlich darf jeder moralische Urteile oder auch schlicht Sympathie oder Antipathie für historische Persönlichkeiten äußern, auch ein Historiker. Nur sind das keine wissenschaftlichen Aussagen über historische Gegebenheiten, vielmehr sagt der Urteilende damit etwas über sich selbst aus.
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

* Vor allem rechte Zeitungen, die damals bedeutend waren (Die Welt, Christ und Welt), hetzten gegen Fischer.
 
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

* Vor allem rechte Zeitungen, die damals bedeutend waren (Die Welt, Christ und Welt), hetzten gegen Fischer.

Es wird wohl niemand bestreiten, dass die eigene Haltung eines Historikers und seine Überzeugungen eine gewisse Rolle spielen, wenn es um seine Einschätzung historischer Ereignisse geht. Dazu kommen manchmal auch noch persönliche Befindlichkeiten, wie sie beispielsweise bei der Trojakontroverse um 2002 sicherlich eine Rolle spielten. Man kann solche Vorurteile (jetzt nicht im pejorativen, sondern im analytischen Sinn gesprochen) allenfalls offen benennen, ganz entkommen wird man ihnen wohl nicht.

Dennoch ist die Kriegsschuldkontroverse nicht ganz mit Diskussionen über antike Ereignisse vergleichbar, weil wir hier von einer ganz anderen Quellenbasis sprechen. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges und erst recht in seinem Verlauf und nach seinem Ende wurden eine Fülle schriftlicher Dokumente, Einschätzungen und Überlegungen verfasst, die man als Grundlage für Diskussionen heranziehen kann. In der Antike haben wir häufig bloß eine kurze Einschätzung eines einzelnen Autoren oder sogar nur die unkommentierte Notiz über ein Ereignis.

Trotz aller Meinungsunterschiede wird man also über Wilhelm II., Georges Clemenceau oder Alexei Brussilow eher auf einer sicheren Quellenbasis schreiben können als über Caligula, Claudius oder Nero.
 
Dennoch ist die Kriegsschuldkontroverse nicht ganz mit Diskussionen über antike Ereignisse vergleichbar, weil wir hier von einer ganz anderen Quellenbasis sprechen.
Gut, aber die Datenbasis war für alle annährend die gleiche. Trotzdem wurde das, was Fischer schrieb, angegriffen. Warum? Weil es nicht wahr sein durfte!

Aber um auf die Antike zurückzukommen. Theodor Mommsen z.B. schrieb den Julius Caesar in den Himmel – was wir noch 100 Jahre später in der Schule vorgesetzt bekamen –, weil er den Caesar als den starken Mann darstellen wollte, der mit der Uneinigkeit und den Streitereien des Senats aufräumen wollte. Warum tat Mommsen das? Weil er von der Uneinigkeit der 1848er Revolutionäre enttäuscht war, dachte, wäre unter ihnen ein starker Mann gewesen, der sie geeint hätte, die Revolution hätte gesiegt.

Dieser Ruf nach starkem Mann ist später erfüllt worden – und der führte Deutschland in die Katastrophe.
 
@Dion wikipedia stellt das ein wenig abweichend von deinem tendenziösen Urteil dar:
(...) Seine berühmteste Publikation ist dabei die zu Beginn seiner Karriere verfasste Römische Geschichte. Sie erschien von 1854 bis 1856 in drei Bänden und schilderte die Geschichte Roms bis zum Ende der römischen Republik und der Herrschaft Gaius Iulius Caesars, den Mommsen als genialen Staatsmann darstellte. Damit prägte Mommsen das höchst positive Caesarbild der deutschen Forschung für fast ein Jahrhundert. Die politischen Auseinandersetzungen vor allem der späten Republik werden von Mommsen in der Terminologie mit den politischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts (Nationalstaat, Demokratie) verglichen. Das engagiert geschriebene Werk gilt, wiewohl in vielem überholt, nicht zuletzt aufgrund seiner literarischen Qualität als Klassiker der Geschichtsschreibung.(...)
https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Mommsen#Wissenschaftliche_Werke

aber irgendwie sind wir da im falschen Faden...
 
Weil er von der Uneinigkeit der 1848er Revolutionäre enttäuscht war, dachte, wäre unter ihnen ein starker Mann gewesen, der sie geeint hätte, die Revolution hätte gesiegt.

Dieser Ruf nach starkem Mann ist später erfüllt worden – und der führte Deutschland in die Katastrophe.
tust du damit dem Mommsen nicht ein wenig Unrecht?
Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Mommsen auch politisch aktiv und beschäftigte sich unter anderem kritisch mit den Themen Antisemitismus, Imperialismus und als Zeitgenosse der Revolutionen 1848/1849 mit dem Liberalismus.

Mommsen war 1861 Mitgründer der liberalen Deutschen Fortschrittspartei. Von 1863 bis 1866 und von 1873 bis 1879 war er Abgeordneter im preußischen Landtag, von 1881 bis 1884 im Reichstag, zuerst für die Fortschrittspartei, später für die Nationalliberalen, schließlich für die Liberale Vereinigung. Er beschäftigte sich vorwiegend mit Fragen der Wissenschafts- und Bildungspolitik und genoss beträchtliche Autorität: „Wenn der als liberal geltende Mommsen, der gegen Imperialismus und Antisemitismus eintrat, sich äußerte, gab es große Resonanz.“[9] Aus Enttäuschung über die Politik des Kaiserreichs, dessen Zukunft er sehr pessimistisch sah, empfahl er schließlich eine Zusammenarbeit der Liberalen mit der Sozialdemokratie. Über die Sozialpolitik geriet Mommsen 1881 in Auseinandersetzung mit Otto von Bismarck.

Im sogenannten Berliner Antisemitismusstreit 1879/1880 wandte er sich gegen seinen Historikerkollegen Heinrich von Treitschke, der die Parole „Die Juden sind unser Unglück“ geprägt und den Judenhass damit in Mommsens Augen salonfähig gemacht hatte. Mommsen war im Jahr 1890 einer der führenden Gründer des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Die Freie Wissenschaftliche Vereinigung wählte ihn 1887 zum Ehrenmitglied.
 
... aber irgendwie sind wir da im falschen Faden...
Kann schon sein, aber du hast das selbst provoziert, indem du dich bei meinem Beispiel über die I. Weltkriegsschuldfrage beschwert hast
und was sagt uns das über den hier diskutierten Teilbereich der antiken römischen Geschichte?
und, jetzt, als ich auf diese Kritik einging und ein Beispiel aus der römischen Geschichte brachte, ist dir das auch wieder nicht recht.

Fest steht, Mommsen bewunderte starke Männer, verglich Julius Caesar mit Perikles und Napoleon, und verließ damit den Pfad der Objektivität, zu dem ein Historiker ja verpflichtet sein soll.

Apropos Perikles. Habe gerade in der Wikipedia nachgeschaut und das gefunden – Zitat:

Gerade in der jüngsten Perikles-Forschung zeigen sich unvereinbare Standpunkte. Wolfgang Will unterlegt sein Abschiedsgeleit so: „Historiker und Archäologen machten sich auf die Suche nach dem großen Mann des 5. Jahrhunderts und fanden Perikles, genauer gesagt, sie erfanden ihn und eine ganze Ära dazu – die perikleische.“[4] Gustav Adolf Lehmann dagegen bescheinigt Perikles „staatsmännische Leistungen von überzeitlicher und damit welthistorischer Bedeutung“ im Zusammenhang mit „den institutionellen Vorkehrungen, die den im Parteienkampf der 460er Jahre entstandenen Ordnungsbegriff der demokratia mit festen rechtsstaatlichen Garantien sowie mit hohen sozialkulturellen Zielsetzungen unlösbar verbunden haben“. Für ihn entspricht es insofern „durchaus der historischen Logik, dass die Großbauten auf der Akropolis […] zum Symbol der perikleischen Ära, als der überragenden Blütezeit Athens, geworden sind.“[5]

Entsprechend unterschiedlich fällt das Urteil über die Zuverlässigkeit der historischen Quellen zu Perikles aus. Lehmann stellt angesichts der „exakt 2500 Jahre“, die seit dem anzunehmenden Geburtsjahr des Perikles vergangen sind, fest: „Gleichwohl hat die historische Quellenbasis ausgereicht, um in einer vorsichtigen Annäherung […] alle wichtigen Stationen im Werdegang und Lebensweg dieses Staatsmannes und Mitbegründers der <radikalen> attischen Demokratie zu erfassen.“ Will dagegen betont: „Die Quellen zur Geschichte des Alkmeoniden Perikles fließen spärlich. Über keinen anderen der berühmten Staatsmänner oder Feldherrn der Antike ist so wenig bekannt.“[6]

Da kann man sich als Laie aussuchen, wem man glaubt. Und ist es dann ein Wunder, wenn die Dokumentationen in TV im Bemühen, allen gerecht zu werden, mal den und mal jenen Historiker zu Wort kommen lassen und damit fast zwangsläufig Widerspruch der jeweils anderen Seite provozieren?

Das Fernsehen und das Internet bilden nur ab, was sich in der Gesellschaft tut. Sie sind Spiegelbilder der jeweiligen Gesellschaft, mehr nicht.
 
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Hierfür hätte ich gerne den Nachweis, wann das gewesen sein und wer das vertreten haben soll.
Eine ganze Menge Historiker sind nicht zu dem Schluss gekommen, dass bei Deutschland eine herausgehobene Schuld/Verantwortung für den 1. Weltkrieg zu suchen sei, mal mit besseren, mal mit schlechterer Argumenten, abeer mir wäre niemand, den man ernst nehmen müsste geläufig, der Nachdem die entsprechenden Akten zugänglich wurden, zu dem Schluss gekommen wäre dass eine Mitverantwortung Deutschlands nicht vorläge.
Wenn du das weiterhin behaupten möchtest, würde ich jetzt gerne ein paar Namen lesen, wer dass postuliert haben soll.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

Was hat denn Fischer mit deiner obigen Behauptung zu tun? Nichts. Fischers maßgebliche These war nicht, dass Deutschland am 1. Weltkrieg eine Mit- sondern dass es die Hauptverantwortung dafür trage, bzw. ihm die "Hauptschuld" zufiele, woraus die populäre Rezeption dann später die "Alleinschuld" machte, die Fischer in dieser Form nicht postuliert hatte.

Die Kritik, die an Fischer anzubringen ist und in jüngerer Zeit auch angebracht wurde, lautet nicht, dass er überzogen hätte, sondern dass:

- Er erstens nur die deutschen Quellen zum Kriegsausbruch gesichtet und eine Spezialstudie zu den deutschen Verhältnissen erstellt hat, die das Hanndeln aller anderen maßgeblichen Akteure weitgehen unberücksichtigt gelassen und deren Quellenbestand nicht ausgewertet hat.

Insofern kann man an Fischer mit einigem Recht den Vorwurf äußern, dass er sich mit seiner "Hauptverantwortung" zu Schlussfolgerungen hat hinreißen lassen, die nach seinen Untersuchungen überhaupt nicht zulässig sind, da eine Schuldzumessung ohne Würdigung der Gesamtsituation und das heißt des Handels aller Akteure, im objektiven Sinne unmöglich ist, zumal es im Gegensatz zum 2. Weltkrieg für den 1. Weltkrieg keine Schlüsseldokumente gibt, die nachweisen würden, dass die politische Führung darauf hingearbeitet hätte.

Münkler hat Fischers Arbeitsweise mal in einer Debatte anlässlich einer Besprechung von Claks "Schlafwandlern" mit folgender Parabel (paraphrasiert, den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf) beschrieben:

"Was Fischer da gemacht hat, war so, als würde nach einer Kneipenschlägerei der zuständige Richter sich einen einzigen Verdächtigen heraussuchen, der nachweislich mit einem Knüppel in das Wirtshaus gegangen ist und sich weigern sich mit den anderen Beteiligten auch nur zu beschäftigen, zumal er zu dem einen schon so gründlich gearbeitet und nachgeforscht hat."

Dem Argument, dass Fischers Arbeitsweise ihn methodisch/methodolgisch zu solchen Schlussfolgerungen überhaupt nicht berechtigte, wird man sicherlich zustimmen können. Wenn jemand für sich in Anspruch nimmt ein Urteil zu fällen, wird man von ihm erwarten dürfen sich mit der Situation auch umfassend zu beschäftigen, nicht nur mit Teilaspekten davon.


Der zweite Punkt ist, dass das "Septemberprogramm" und alle anderen greifbaren tiefergehenden Diskussionen über Kriegsziele einmal nachweislich erst nach Kriegsbeginn zusammengestellt wurden (Septemberprogramm) oder greifbar wurden und es somit unzulässig ist, aus ihnen herleiten zu wollen, dass in Deutschland zielgerichtet auf den Krieg hingearbeitet worden wäre.
Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn solche Programme/Phantasien bereits vor Kriegsbeginn greifbar wären, dann könnte man in der Tat argumentieren, der Krieg wäre losgetreten worden um sie zu verwirklichen, sind sie aber nicht, jedenfalls nicht auf Regierungsebene.


Fischers Untersuchung und seine Erkenntnisse über das deutsche Handeln in der Julikrise sind nach wie vor wichtig, seine Schlussfolgerung im Hinblick auf Verantwortung hingegen taugt nichts.
Nicht weil er "überzogen" hätte. "Überzogen" ist kein Argument, sondern eine Frage beliebig definierbarer persönlicher Maßstäbe.

Nein, Fischers Schlussfolgerung taugt nichts, weil sie auf methodischen Defiziten und unzulässigen Rückprojizierens von Quellen, bzw. ihren Inhalten vor ihrerem Entstehungszeitraum beruht, weil sich aus der Analyse des Handels eines Einzigen Akteurs keine Würdigung der Verantwortung aller Beteiligter ableiten lässt und weil was in der zweiten Augusthälfte und im September '14 innerhalb der deutschen Regierung ausgebrütet wurde, kein Nachweis dafür ist, dass man solches auch bereits im Juli und Anfang August bei einer völlig anderen Lage beabsichtigt hätte.

Diese Kritik an Fischer ist vollkommen berechtigt und hat nichts, aber auch gar nichts mit zeitgebundenen Wertmaßstäben zu tun.
 
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

* Vor allem rechte Zeitungen, die damals bedeutend waren (Die Welt, Christ und Welt), hetzten gegen Fischer.

Auf Anhieb fällt mir beispielsweise Egmont Zechlin ein, der eine Mitschuld des Kaiserreichs an dem Weltkrieg grundsätzlich überhaupt nicht in Frage stellte. Und er nicht der Einzige. Nur ging er in seiner Bewertung nicht so weit wie Fischer. Fischer sein Buch ist meines Wissen nach 1961 erschienen; also 50 Jahre sind es nun nicht.

Fischer hat bei seinen Untersuchungen sein Fokus auf Deutschland gerichtet und das sein Urteil gefällt. Ich denke aber schon, das es notwendig ist, alle Akteure zu betrachten, um zu einem belastbaren Ergebnis zu gelangen. Clark hat da doch eine etwas andere Sichtweise. Kannst du hier nachlesen:

https://www.geo.de/magazine/geo-epo...t-unbedingt-zu-einem#die-deutsche-schuldfrage


Und Fischer selbst ist auch nun nicht über jeden Zweifel erhaben. Lies dir diesen Artikel im Hamburger Abendblatt mal durch:

Historiker Fritz Fischer schummelte bei seiner Biografie - Hamburger Abendblatt
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Gut, aber die Datenbasis war für alle annährend die gleiche.
Nein war sie nicht. Im Besonderen für dieejenigen Publikationen, die zeitlich noch einigermaßen eng mit den Ereignissen korrespondierten.

Das fängt schon bei beim Wissen um Achivmaterial und dessen Zugänglichkeit (Sperrfristen etc.) an. Dazu gehört bei einem so umfangreichen Thema wie dem 1. Weltkrieg auch die Zugänglichkeit zu den Archiven im Ausland, die Sparchbarrieren und die ventuelle Notwendigkeit auf übersetzte/edierte Quellenwerke zu warten, die Diskrepanz zwischen Quellensammlungen und tatsächlichem, das Vorhandensein von vorausgegangenen Studien, auf die sich das folgende Material stützen konnte und so weiter und so weiter.

Nach 1918 hatten die Historiker ein relativ kurzes Zeitfenster, in dem sie einigermaßen frei in Mittel- und Westeuropa arbeiten konnten, wobei natürlich die Angelegenheit insofern ein Politikum war, als dass damit die Repatationsfrage und das politische Überleben von Persönlichkeiten in der Politik, die nach dem 1. Weltkrieg noch im Amt waren (Großbritannien und Frankreich) abhing, so dass es nicht eeinfach gewesen sein wird, zu manchen Themen überhaupt zu recherchieren.

Freie Forschung war in der Sowjetuinion seit 1921 spätestens nicht mehr möglich. Die Bolschweiki hatten zwar um das Zarenreich und die Regierung Kerenskij zu diskreditieren Teile der russischen Interna im Besonderen hinsichtlich der Kriegziele veröffentlicht, ob das aber alles war und was da noch in St. Peetersburger Archiven lag, dass wusste außerhalb Russlands niemand.
Die russischen Quellen wirklich umfassend zu erfassen dürfte erst nach 1991 möglich geworden sein.

In Deutschland wurde es spätestens 1933 unmöglich zu bestimmten Dingen frei zu forschen und zu publizieren, die Historiker hatten also vor dem Nationalsozialismus was Deutschland betrifft knapp 15 ziemlich chaotische Jahre um sich ein Bild von der Quellenlage zu machen, was kein besonders langer Zeitraum ist, im Beesonderen wenn man bedenkt, dass Material erstmal zusammengetragen, gesichtet, sortiert etc. werden musste.
danach konnten sie in Teilen weiter sichten, aber nicht mehr frei öffentlich diskutiren und publizieren, was den Erkenntnisprozess hemmt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste bei einigem wieder bei Null angefangen werden, weil man erstmal feststellen musste, was den Krieg überhaupt überlebt hatte, wohin Archive evakuiert worden waren, ob sie ggf. den Siegermächten in die Händegefallen und außer Landes gebracht wurden, was sich noch auf dem Territorium der Westzonen oder der sowjetischen Zone und später in der Bundesrepublik oder der DDR befand und so weiter und so weiter.

Was Österreich betrifft, weiß ich nicht, wie das Dollfuß-Regime und später dann Schuschnigg mit dem Thema umgegangen sind und ob sich hier ab 1934 eine ähnliche Entwicklung zeigte, wie in Deutschland, was die Möglichkeit der Forschung und Publikation betrifft.
Falls ja, dauerte es auch hier bis Kriegsende 1945, dass übeerhaupt wieder vernünftig daran gearbeitet werden konnte, mit teilweise ähnlicher Grundproblematik wie in Deutschland.

Trotzdem wurde das, was Fischer schrieb, angegriffen. Warum? Weil es nicht wahr sein durfte!

De facto aus sehr verschiedenen Gründen. Von einer bestimmten Seite her, weil es aus politischen/weltanschaulichen Gründen nicht sein durfte, von anderer Seit her und die unterschlägst du hier, aus sehr guten fachlichen Gründen, wie im vorangegangenen Beitrag dargelegt, nämlich weil diese Schlussfolgerung methodisch unzulässig ist.
 
Zu Fischer kann ich wenig beisteuern, ich habe sein magnum opus nicht gelesen und auch keinen Überblick zur fachlichen Kritik daran. Wer wirklich firm ist in der Materie, möge mich ggf. korrigieren.

- Das Quellenmaterial zur Vorgeschichte des 1. Weltkriegs ist dermaßen umfangreich, dass kein Mensch jemals in der Lage sein wird, alles zu überblicken.

- Fischers großangelegte Materialsammlung war seinerzeit ein Meilenstein der Forschung; die Illusion, dass damit das Thema abgehakt war, dürfte er wohl kaum gehegt haben.

- Fachlich fundierte Kritik war damit unausweichlich; ich nehme an, dass diese damals auch geäußert wurde und dass manche Kritikpunkte auch aus heutiger Sicht Bestand haben.

- Ob Fischer menschlich "über jeden Zweifel erhaben" ist, ob er vor 1945 ein Opportunist oder gar ein überzeugter Nazi war, ob er die dunklen Punkte in seiner Biographie vertuscht oder beschönigt hat, interessiert in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Erzähle mir nichts
Ich erzähle Dir trotzdem was: Schuld, Mitschuld, Alleinschuld oder Unschuld sind entweder juristische Kategorien (dann muss eine Entscheidung nach juristischen Kriterien gefällt werden), oder sie sind moralische Kriterien. Wenn Du Geschichte ausschließlich aus moralischer Perspektive zu betrachten gewillt bist, wird Dir der wissenschaftliche Zugang auch weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln bleiben.
 
Ob Fischer menschlich ""über jeden Zweifel erhaben" ist, ob er vor 1945 ein Opportunist oder gar ein überzeugter Nazi war, ob er die dunklen Punkte in seiner Biographie vertuscht oder beschönigt hat, interessiert in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.

Da darf man ja geteilter Meinung sein.
 
Da darf man ja geteilter Meinung sein.
Natürlich darf man sich auch für Fischers Biographie interessieren.

Aber falls Du damit zum Ausdruck bringen wolltest, dass der Wert einer wissenschaftlichen Arbeit daran zu messen ist, ob der Verfasser menschlich gesehen ein feiner Kerl ist, dann würdest Du damit Deiner Urteilskraft ein blamables Zeugnis ausstellen. Auch wenn Du menschlich gesehen ein feiner Kerl bist.
 
Hier könnt ihr nachlesen, wie das ablief mit Kriegsschuldfrage I. Weltkrieg und dem Verhalten der Historiker bis zum Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht“ und darüber hinaus.
 
Mittlerweile gilt Fischers Alleinschuldthese ja wieder als angreifbar; bemerkenswerterweise scheinen sich (jedenfalls von meiner Warte aus) viele Autoren der letzten vierzig Jahre auf einen Standpunkt zurückzuziehen, wie er in den Dreißigerjahren in der englischsprachigen Welt schon einmal vorherrschte:

Dass die Hasardeure und Nationalisten in Europas Hauptstädten sich in einem selbst gesponnenen Netz verfingen, aus dem es kein Entkommen mehr gab, dass also der Weltkrieg eher Produkt der Inkompetenz und Rücksichtslosigkeit aller Regierungen war, als dass er der Absicht einer einzigen Regierung entsprang.

Könnte jemand, der in der Fischer-Kontroverse firm ist, kurz einen Überblick darüber geben, ob die Fischer seinerzeit entgegengebrachte Kritik durch die spätere Arbeit z.B. von Clark und McKeekin entlastet wird? Ob also die damalige Kritik mit der heutigen deckungsgleich war, oder sich deutlich unterschied?
 
Du weißt aber schon, dass das eine trotzkistische Website ist bzw. war?
Wenn das ein Gegenargument sein soll zu dem, was Alexander Bahar geschrieben hat, dann ist das nur ein Scheinargument. Statt darauf hinzuweisen, wo er seinen Aufsatz veröffentlichte, versuche lieber zu widerlegen, was er schrieb.

Mittlerweile gilt Fischers Alleinschuldthese ja wieder als angreifbar;
Ursprünglich schrieb Fischer nur von einem „entscheidenden Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges“, aber nach den Angriffen seiner Gegner, die ihm den Verrat an Deutschland unterstellten, verschärfte er seine These, was ihn natürlich noch angreifbarer machte.

Im Nachruf auf Fritz Fischer schrieb der Spiegel – Zitat:

Den Nerv der Nation traf vor allem die Implikation: Wenn es schon vor dem NS-Staat einen aggressiven deutschen Imperialismus gegeben hatte – stand dann nicht Hitler in einer Tradition, war mithin nicht als „Ausrutscher“ oder „Betriebsunfall“ abzutun?

Ja, wenn man das zu Ende denkt, dann war Hitler kein Betriebsunfall. Heute denken so viele – u.a. auch ich –, aber 1961 war das ein Tabubruch, sonst wären die heftigen Reaktionen nicht zu erklären.
 
Wenn das ein Gegenargument sein soll zu dem, was Alexander Bahar geschrieben hat, dann ist das nur ein Scheinargument. Statt darauf hinzuweisen, wo er seinen Aufsatz veröffentlichte, versuche lieber zu widerlegen, was er schrieb.
Nichts für ungut, aber wenn Bahar Beifall aus dem rechten Lager erhalten hätte, würdest Du das auch für bemerkenswert halten. Natürlich ist damit noch nichts über die Richtigkeit der Aussagen bewiesen, aber es ist durchaus zulässig, a priori von einer gewissen Einseitigkeit der Betrachtung auszugehen.

Entsprechend einseitig ist dann auch die Wortwahl Deiner Quelle:
Anders als in der DDR, wo sich die meisten Historiker darüber einig waren, waren, dass die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beim deutschen Kaiserreich lag, blieb der Nachfolgestaat des Dritten Reiches auch in dieser Frage seinen Wurzeln treu.
Das ist nur die Fortschreibung des wahrheitswidrigen DDR-Gründungsmythos, der für sich in Anspruch nahm, das gute, historisch unvorbelastete Deutschland zu vertreten.

Von einer Quelle, die Fischer derart ostentativ zustimmt, darf man keine unvoreingenommene Betrachtung der Positionen seiner Kritiker erwarten.
Ursprünglich schrieb Fischer nur von einem „entscheidenden Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges“, aber nach den Angriffen seiner Gegner, die ihm den Verrat an Deutschland unterstellten, verschärfte er seine These, was ihn natürlich noch angreifbarer machte.

Im Nachruf auf Fritz Fischer schrieb der Spiegel – Zitat:

Den Nerv der Nation traf vor allem die Implikation: Wenn es schon vor dem NS-Staat einen aggressiven deutschen Imperialismus gegeben hatte – stand dann nicht Hitler in einer Tradition, war mithin nicht als „Ausrutscher“ oder „Betriebsunfall“ abzutun?

Ja, wenn man das zu Ende denkt, dann war Hitler kein Betriebsunfall. Heute denken so viele – u.a. auch ich –, aber 1961 war das ein Tabubruch, sonst wären die heftigen Reaktionen nicht zu erklären.
Ich habe diesen Deutungsansatz nie ganz verstanden. Eher scheint es mir im nationalistischen Lager darum zu gehen, dass man nicht auch noch am Ersten Weltkrieg Schuld sein wollte, als dass explizit das Kaiserreich entlastet werden sollte.

Sogar Deine Quelle betont, dass Fischer die Alleinschuldthese (eher sollte man sagen: Hauptschuldthese) als Kontrapunkt zu einer Position eingeführt hat, die selbst beim ehemaligen Kriegsgegner verbreitet war und dementsprechend überzeugend schien.

Realistisch eingeschätzt, musste Fritz Fischer auf Widerstand stoßen, wenn mit David Lloyd George gar ein ehemaliger Regierungschef der Siegermächte – einer der "Großen Vier" bei der Pariser Konferenz von 1919 – der Alleinschuldthese eine Art Absage erteilte.

Dass dieser Widerstand umso schärfer ausfallen würde, umso mehr man sich dazu berufen fühlte, Deutschlands Ruf zu verteidigen, liegt dabei leider auf der Hand.
 
Natürlich darf man sich auch für Fischers Biographie interessieren.

Aber falls Du damit zum Ausdruck bringen wolltest, dass der Wert einer wissenschaftlichen Arbeit daran zu messen ist, ob der Verfasser menschlich gesehen ein feiner Kerl ist, dann würdest Du damit Deiner Urteilskraft ein blamables Zeugnis ausstellen. Auch wenn Du menschlich gesehen ein feiner Kerl bist.

Vielleicht solltest du erst einmal hinterfragen, statt gleich zu verurteilen.

Es geht mir um die Person Fritz Fischers.
Ein Mann, der Mitglied der SA und der NSDAP, ich muss sicher nicht erwähnen was für verbrecherische Organisationen das waren, und Nazi gewesen war, der hat meiner bescheidenen Meinung nach nichts auf einem Lehrstuhl für Geschichte verloren. So ein Mann ist meines Erachtens nicht dazu berufen, den akademischen Nachwuchs in einem Fach wie Neuere Geschichte auszubilden.
 
Wir leben in einem Rechtsstaat. Er wurde nicht so verurteilt, dass ihm eine Tätigkeit in der Lehre verwehrt war. Das haben wir zu akzeptieren, zumal die Beschränkung von Berufsverboten auf Gerichte Verfassungsrang hat. (Er kam '45 in Haft. Wie sein Urteil ausfiel, fand ich bei meiner sehr kurzen Recherche nicht.)

Er hat allerdings zugegeben, sein Fähnlein in dem Sinne nach dem Wind zu drehen, dass es ihn fördert, was seine Biographen in der Regel bestätigten.

Im Diskurs in der Bundesrepublik wählte er einen Platz auf der linken oder eher linken Seite, was ihm auch förderlich war.

In diesem Sinne sind natürlich aus heutiger Sicht alle seine Arbeiten kompromittiert und gehören überprüft.

Auf der anderen Seite ist auch ihm zuzugestehen, dass er nach '45 seine Meinung geändert haben, bzw. überhaupt eine Meinung angenommen haben kann. Der Ausruf "Einmal Nazi - immer Nazi!" ist schließlich nur gefährlicher Blödsinn.

Und, wenn wir dann einen Schritt von der Tafel zurücktreten, sehen wir drei Dinge:

1- Die Wissenschaft überprüft sich immer wieder. Dass geschieht auch mit Fischers Theorien, die Überprüfung wird also schon kontinuierlich abgehakt.
2- Die Verschärfung seiner Aussage erfolgte schon im politischen Diskurs, ist in der Form nicht als reine Wissenschaft zu verstehen.
3- Clarkes Schlafwandler-Theorie widerspricht Fischer damit keinesfalls kontradiktionär. Es ist vielmehr nur eine andere Gewichtung bei Erweiterung des Blickwinkels.
 
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