Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....

Das ist ein Teil des Zitats, das @Sepiola gebracht hat aus Fritz Fischers Antwort in Kontinuität des Irrtums: Zum Problem der deutschen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960)
Der von mir fettgeschriebene Satz Fischers beleuchtet den Zustand der Forschung bis zu seinem Auftreten,

Du benutzt ein Fischer-Zitat, um etwas auszusagen, das Fischer überhaupt nicht ausgesagt hat.
Machst Du das mit Absicht oder hast Du nicht verstanden, was Fischer schreibt?
 
Die These, Deutschland sei in den I. Weltkrieg hineingeschlittert, ist ein Märchen, denn die Vorbereitungen dazu fingen spätestens 1902 mit der Flottenbau an.
Aufgrund der späten Einigung fühlte sich Deutschlands bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen – und wollte diesen Zustand ändern. Dass die anderen Weltmächte ihre Besitzungen nicht freiwillig würden abgeben wollen, war jedem klar: Es würde nur mit militärischen Mitteln gehen und dazu brauchte man eine Flotte, die es mit anderen aufnehmen könnte. Das wurde beobachtet und die Antwort kam prompt: Auch England begann seine Flotte auszubauen.

Tatsächlich? Der Flottenbau war also schon eine Vorbereitung zum Weltkrieg? Kannst du das irgendwie belegen? Also schon 1897, da begann nämlich der Ausbau der Flotte, nicht 1902, begannen die Vorbereitungen zum Weltkrieg. Zu diesem Zwecke wurde Tirpitz Staatssekretär des Reichsmarineamtes.

Deutschland fühlte sich zu kurz gekommen? Bismarck hatte zeitnah nach der Reichsgründung Deutschland für saturiert erklärt und entsprechend seine Politik danach eingerichtet. Wenn du auf die kurze Phase der Kolonialpolitik abheben möchtest, dann empfehle ich folgende Literatur:

Axel Riehl: Der Tanz um den Äquator und
Winfried Baumgart: Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb

Was wurde dann nach Bismarcks Abgang 1890 noch großartig an Kolonien erworben? 1897 Kiautschou und 1899 kamen die Inseln der Karolinen, Marianen und Palau im mittleren Pazifik hinzu. Zustande kam dies durch einen Vertrag mit Spanien.
 
1. Die These, Deutschland sei in den I. Weltkrieg hineingeschlittert, ist ein Märchen, denn die Vorbereitungen dazu fingen spätestens 1902 mit der Flottenbau an.
Aufgrund der späten Einigung fühlte sich Deutschlands bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen – und wollte diesen Zustand ändern. Dass die anderen Weltmächte ihre Besitzungen nicht freiwillig würden abgeben wollen, war jedem klar: Es würde nur mit militärischen Mitteln gehen und dazu brauchte man eine Flotte, die es mit anderen aufnehmen könnte. Das wurde beobachtet und die Antwort kam prompt: Auch England begann seine Flotte auszubauen.

Die ursprünglichen Thesen Fischers haben bis heute bestand. Seine späteren Verschärfungen, die er im Bemühen äußerte, die teils ins Persönliche gehende Kritik abzuwehren, waren in der Tat überzogen. Siehe dazu auch den Beitrag #55 von @hatl.

Wörtlich hat Mommsen das nicht getan. Aber indem er Caesar so überschwänglich lobte und in eine Reihe mit Perikles und Napoleon stellte, hat er klar zu erkennen gegeben, wo seine Präferenzen liegen. Und wenn ein bedeutender Historiker, der für seine Arbeit Nobelpreis bekam, das sagt, dann wäre es illusorisch zu glauben, niemand hätte das bemerkt bzw. sich später selbst als Caesar oder Napoleon sehen wollen.
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Die haben natürlich aufgerüstet, aber keine einzige europäische Macht war auf den "großen Kladderatsch" vorbereitet. Die Donaumonarchie und Russland waren im Grunde gar nicht dazu in der Lage logistisch einen industrialisierten Krieg zu führen, den Russen ging 1914/15 die Munition aus. Das deutsche Reich war nur durch das Haber Bosch-Verfahren in der Lage den Krieg weiterführen zu können.
Es war bisher zumindest bei allen Krisen vor 1914 zumindest immer noch ein Kompromiss gefunden worden, in der 1. Marokkokrise, in der zweiten und auch nach den Balkankriegen.
Es gab keinerlei wirklich plausiblen Kriegsgrund, keine unüberwindbaren Interessengegensätze, die einen Krieg unvermeidbar gemacht hätten.

Die Donaumonarchie hatte nicht so viele Erzherzöge. Um Franz Ferdinand hielt sich freilich die Trauer sehr in Grenzen, aber es deutete einiges darauf hin, dass serbische Geheimdienstkreise mit drin hingen, und wenn Österreich Ungarn kurz danach in Serbien einmarschiert wäre, hätte man das vermutlich akzeptiert. Die Donaumonarchie war dazu nicht in der Lage, ihre Soldaten waren auf Ernteurlaub. Das spricht nicht gerade für den Griff nach der Weltmacht, das Timing war doch so ungünstig wie nur was. Es gab keinen Grund, weshalb aus Sarajewo der Große Kladeradatsch werden musste. Dazu hätte man aber mäßigend auf Österreich einwirken müssen.

Fischers These des planmäßigen Griffs nach der Weltmacht hat sich nicht durchgesetzt.
-Fischers These der Hauptverantwortung Deutschlands hat sich nicht durchgesetzt
-
Du verkennst völlig den Einfluss von Fischer. Das war kein moderner Prometheus der das Licht der Erkenntnis nach Deutschland getragen hat.

Seine Bedeutung liegt mehr in seiner reichhaltigen Quellenbearbeitung, weil er mit seinen äußerst provokanten Thesen Denkanstöße angeregt hat, dazu beigetragen hat, verschiedene Perspektive einzuführen, und es vor allem überhaupt zuzulassen, bestimmte Grenzen zu überschreiten.

Ad Mommsen: Er hat nicht nach dem starken Mann gerufen, er hat starken Männer gründlich misstraut, er hat es nicht in wohlmeinender Absicht getan, auch nicht mit Worten. Mommsen war halt einer aus der Zunft der Historiker und er schien halbwegs zu passen.

Dass er Caesar und Perikles eher positiv beschrieben hat, auch noch Historiker ist natürlich unverzeihlich.
 
Da lässt du eine ganze Menge, was andere und ich schrieben, weg.
Tut mir leid, wenn ich nicht auf alles einging, was du geschrieben hast. Aber auf manche Beiträge von anderen gehen ich grundsätzlich nicht ein – weil es erfahrungsgemäß nichts bringt.

Du benutzt ein Fischer-Zitat, um etwas auszusagen, das Fischer überhaupt nicht ausgesagt hat.
Was ich da mit der Fettschreibung hervorgehoben habe, hat Fischer auch gesagt. Und was ich im Anschluss daran geschrieben habe, ist nur die Wiederholung dessen in zugespitzter Form.

Der Flottenbau war also schon eine Vorbereitung zum Weltkrieg? Kannst du das irgendwie belegen?
Das habe ich bereits getan – Zitat:
Laut Aufzeichnungen von Bethmann Hollweg aus dem Jahr 1903 – Zitat:

„Die erste und Grundidee (des Kaisers sei es), die Weltstellung Englands zu brechen. Deshalb, das ist des Kaisers feste Überzeugung, brauchen wir eine Flotte, und um sie zu bauen, eine große Menge Geld. …“

Also schon 1897, da begann nämlich der Ausbau der Flotte, nicht 1902, …
Okay – ich habe ja gesagt spätestens 1902. Dies ist mir in Erinnerung geblieben, weil in dem Jahr die sog. Schaumweinsteuer zur Finanzierung der Flotte eingeführt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste alle Welt, dass Deutschland aufrüstet.
Die Steuer hat damals nicht viel gebracht, aber es gibt sie noch immer. :D

Deutschland fühlte sich zu kurz gekommen? Bismarck hatte zeitnah nach der Reichsgründung Deutschland für saturiert erklärt und entsprechend seine Politik danach eingerichtet.
Ja, Bismarck. Aber er war schon lange weg vom Fenster.

Es gab keinen Grund, weshalb aus Sarajewo der Große Kladeradatsch werden musste. Dazu hätte man aber mäßigend auf Österreich einwirken müssen.
Ja, man hätte mäßigend auf Österreich-Ungarn einwirken müssen, aber stattdessen hat das Deutsch Reich ihnen einen Blankoscheck ausgestellt. Weil es Krieg wollte? Jedenfall ging es zu 90 % davon ausging, dass es ihn geben wird - und hatte seinen Blankoscheck trotzdem nicht zurückgezogen.

Du verkennst völlig den Einfluss von Fischer. Das war kein moderner Prometheus der das Licht der Erkenntnis nach Deutschland getragen hat.

Seine Bedeutung liegt mehr in seiner reichhaltigen Quellenbearbeitung, weil er mit seinen äußerst provokanten Thesen Denkanstöße angeregt hat, dazu beigetragen hat, verschiedene Perspektive einzuführen, und es vor allem überhaupt zuzulassen, bestimmte Grenzen zu überschreiten.
Dein letzter Halbsatz widerspricht dem, was du in den ersten 2 zitierten Sätzen gesagt hast. Um es ganz deutlich zu sagen: Zu seiner Zeit gab es Grenzen des Sagbaren, und als er diese Grenze überschritten hatte, war das ein Tabubruch und er ein Vaterlandsverräter. Siehst du das anders?

Dass er Caesar und Perikles eher positiv beschrieben hat, auch noch Historiker ist natürlich unverzeihlich.
Mommsen hat Caesar fast alles abgenommen, was dieser schrieb. Caesar führte Eroberungskriege, aber in seinen Schriften stellte er diese als Verteidigung dar: Die anderen hätten ihn angegriffen, also musste er handeln ... Auch dass Caesar die Republik abschaffen und eine Diktatur errichten wollte, sah Mommsen als gutgemeint an, schließlich gab es Bürgerkrieg. Dabei war Caesar ein Kriegsverbrecher wie es im Buche steht. Auch zu seiner Zeit war es nicht üblich Völker unter einem Vorwand einfach abzuschlachten.

Aber ich will das nicht weiter thematisieren, denn Caesar ist hier genauso wenig das Thema, wie der I. Weltkrieg, schließlich sollten wir hier über Historiker als Akteure der Geschichte reden, oder?
 
Du benutzt ein Fischer-Zitat, um etwas auszusagen, das Fischer überhaupt nicht ausgesagt hat.
Machst Du das mit Absicht oder hast Du nicht verstanden, was Fischer schreibt?


Was ich da mit der Fettschreibung hervorgehoben habe, hat Fischer auch gesagt. Und was ich im Anschluss daran geschrieben habe, ist nur die Wiederholung dessen in zugespitzter Form.

Also zweiteres: Du hast überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, worum es in dem gewiss überschaubaren Textabschnitt geht.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass Du Dir angewöhnt hast, Texte gar nicht zu lesen, sondern nur nur nach Stichwörtern abzusuchen, von denen Du glaubst, dass sie Dir nützlich sein können und dann um diese Stichwörter herum irgendwas zusammenfabulierst.

Hier nochmal der Text mit Lesehilfe: In dem zitierten Abschnitt geht es ausschließlich um den Quellenwert von Memoiren und Tagebuchnotizen von Zeitzeugen, ich markiere mal die Stichwörter, die Du nicht wahrgenommen hast.

Zur methodischen Seite des Problems sei folgendes angemerkt: Herzfeld äußert Bedenken, ob eine solche Untersuchung in erster Linie auf den Regierungsakten aufgebaut werden dürfe, und er hat beispielhaft die Tagebücher des Admirals von Müller sowie die Erinnerungen Meineckes herangezogen, um das Bild zu modifizieren. Ohne die Bedeutung von Akten überschätzen zu wollen, wird man aber den Wert von Dokumenten, die den Gang der Handlungen widerspiegeln, vielfach auch die innersten Motive der Planungen, dazu unablässig die Auseinandersetzungen der handelnden Personen, der Instanzen und der Gruppen zu erkennen geben, höher veranschlagen müssen als die im Einblick notwendig begrenzten Tagebuchnotizen oder die rückschauende Memoirenliteratur. Wenn das schon von den Verwaltungs- und Verhandlungsakten in Friedenszeiten gilt, so erst recht im Krieg von den streng geheimen Vorgängen hinter den Kulissen. Alle Beratungen und Erörterungen über Kriegsziele – und das trifft naturgemäß auch für die übrige Welt zu – standen unter dem Siegel strengster Geheimhaltung, nicht selten auch über das Kriegsende hinaus.
Gegenüber den Regierungsakten, die wohl allein nicht ausreichen, aber doch die primären Quellen sind, muß die Memoirenliteratur als sekundär zurücktreten, zumal die Akten, die allein über den bisherigen Stand der Forschung hinaus wesentlich Neues bringen können, bisher noch nicht voll ausgeschöpft worden sind. Erst an Hand der Akten läßt sich ermessen, was der Kaiser, was Bethmann Hollweg, Jagow, Kühlmann, Wallraff, Hertlings Sohn, v. d. Lancken, Kriegsminister Stein, Hindenburg, Hoffmann, Schiffer, Payer, Erzberger, Scheidemann, Rohrbach, Jäckh, Nadolny und viele andere in ihren Memoiren ausgelassen, zweideutig oder schief ausgedrückt, bewußt oder unbewußt falsch dargestellt haben. Manches war Apologie im Kampf um Schuldfragen in der Nachkriegsperiode; anderes war diktiert aus patriotischer Loyalität, so wie man sie verstand.

Den letzten Satz beziehst Du unter völliger Missachtung des Kontextes auf den "Zustand der Forschung". Dabei hätte sogar Dir auffallen müssen, dass die genannten Herren Wilhelm II., Bethmann Hollweg, Erzberger, Scheidemann usw. keine "Forscher" waren. (Auch Meinecke wird in der Debatte von Herzfeld und Fischer als Zeitzeuge, nicht als Forscher herangezogen.)
 
@ Caesar: Doch, das abschlachten von Völkern war leider üblich. Was nicht üblich war, was geächtet war, war das Töten von Gesandten. Und das wurde Caesar denn auch vorgehalten und hinderte ihn, seine Truppen aufzulösen, ohne ein neues Amt, dass ihm Immunität verlieh. Seine Gegner hätten ihn sonst angeklagt.

Im Übrigen, Dion, argumentierst du wie in einer politischen Rede und keineswegs historisch.
 
Laut Aufzeichnungen von Bethmann Hollweg aus dem Jahr 1903 – Zitat:

„Die erste und Grundidee (des Kaisers sei es), die Weltstellung Englands zu brechen. Deshalb, das ist des Kaisers feste Überzeugung, brauchen wir eine Flotte, und um sie zu bauen, eine große Menge Geld. …“

Woher stammt das Zitat von Bethmann?

Das erste Flottengesetz wurde bereits im Jahre 1897 im Reichstag eingebracht. Novellierungen erfolgten in den Jahren 1900, 1906 und 1908. 1912 gelang es Tirpitz gewissermaßen den Schlussstein zu setzen. An dem Bauprogramm der Flotte wurde auch gnadenlos festgehalten, als sich die außenpolitische Isolierung und die klammen Finanzen immer fühlbarer machten. Es war Bethmann der sich abmühte den Einfluss Tirpitz zurückzudrängen. Ja, der Bau der Flotte war eine offensive und unnötige Maßnahme, die nur zu Verwerfungen geführt hatte. Auf der anderen Seite wurde auch "nur" der deutsche Flottenbau so misstrauisch betrachtet und kritisiert. Es haben aber alle Großmächte an Ihrer Flotte gearbeitet. Als Tirpitz im Frühjahr 1914 noch mehr Gelder für die Flotten wollte, lehnte Wilhelm II. ab. Hier hätte Tirpitz eigentlich folgerichtig zurücktreten müssen. Die Julikrise verfolgte Tirpitz weitgehend aus der Ferne.

Und Tirpitz sein Plan, die Dienstschrift IX gibt hier Auskunft, wenn es denn zum Kampf mit der englischen Flotte käme, dann sollte dieser in der Nordsee, Deutsche Bucht, stattfinden. Auf den Gedanken, das die Engländer sich nicht so verhalten würden, wie von Tirpitz gewünscht, kam dieser nicht. Auch als sich die Anzeichen verdichteten, das die Royal Navy gedachte mit einer Fernblockade zu arbeiten, wurden von Tirpitz daraus keine Konsequenzen gezogen. Die Bedeutung des U-Bootes hatte er auch nicht erkannt.

Deutschland wollte Weltmacht sein bzw. werden. Dazu bedurfte es gemäß Mahan einer Seemacht. Mit dieser Zielsetzung war klar, das sich der Bau der Flotte gegen England richten würde. Deutschland wollte von England als gleichberechtigte, wenn nicht sogar als die erste, Weltmacht anerkannt werden.

Der Flottenbau, so sehr man diesem auch durchaus zu Recht kritisieren mag, eine Vorbereitung zum Weltkrieg war er nicht. Wilhelm II. war vieles, vor allem ein Sprücheklopfer aber kein durchgeknallter Adolf Hitler, der eben mal die Weltherrschaft militärisch realisieren wollte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Kaiserreich hatte bereits die stärkste Armee in Europa, was im Zusammenhang mit dem Flottenbau zu Ängsten bei anderen und zur Bildung der Triple-Entente 1904/07 führte.

Sowohl die Entente Cordiale aus dem Jahre 1904 als auch der Ausgleich im Jahre 1907 zwischen England und Russland, der die Beseitigung derkolonailen Reibungsflächen in Asien zum Gegenstand hatten, hatten Deutschland überhaupt nicht zum Gegenstand. Ich empfehle hier sehr zum Nachlesen:

Die Britischen Amtlichen Dokumente zur Vorgeschichte des Weltkrieges Band 4. Über 1000 Seiten werden hier sehr umfänglich Quellen in Form des diplomatischen Schriftverkehrs zum Thema präsentiert.
 
Ja, man hätte mäßigend auf Österreich-Ungarn einwirken müssen, aber stattdessen hat das Deutsch Reich ihnen einen Blankoscheck ausgestellt. Weil es Krieg wollte? Jedenfall ging es zu 90 % davon ausging, dass es ihn geben wird - und hatte seinen Blankoscheck trotzdem nicht zurückgezogen.

Nicht grundsätzlich falsch, aber mM. auch so nicht zutreffend, viel zu kurz gegriffen, läßt zu vieles andere außer Acht. Nur ein Beispiel von so einigen, die Berücksichtigung bei der Würdigung finden sollten.

Am 18.Juli, also während des Staatsbesuchs von Frankreichs Staatspräsidenten und Außenminister, hatte Sasonow erste Hinweise erhalten, das die Monarchie beabsichtige ein Ultimatum an Belgrad zu richten. Russland werde „in keinen Fall einen Anschlag auf die Unabhängigkeit (1) Serbiens dulden.

Sasonow wollte seinem Ansinnen entsprechenden Nachdruck verleihen und strebte deshalb in dieser Frage ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich an. Gegenüber Buchanan, englischer Botschafter in Petersburg, kündigt er an, dass er die französische Führung bitten werde, to give a word of warning at Vienna.“ (2)

Dieses Ansinnen fand allerdings beim französischen Außenminister Viviani keine ungeteilte Zustimmung. Sasonow beschloss sich dann an Poincare zu wenden, wie er den englischen Botschafter wissen ließ. (3)

Am Abend des 22.Juli telegrafierte Sasonow an seinen Botschafter Schebeko in Wien, daß er im gemeinschaftlichen Vorgehen mit seinem französischen Kollegen die Habsburgermonarchie auf die gefährlichen Folgen aufmerksam machen solle, zu denen Forderungen führen könnten, die nicht im Einklang mit der staatlichen Souveränität Serbiens stehen würden. (4)

Dem Tagebuch Poincares ist zu entnehmen, das Viviani sich zu diesem Schritt entschlossen habe, nachdem er sich persönlich darum bemüht hatte, den Außenminister auf Linie zu bringen. (5)

(1)Tagebuchaufzeichnung russisches Außenministerium vom 18.07.19145 in Internationale Beziehungen des Imperialismus Reihe I, Band 4 , Dokument Nr. 272

(2)Die Britischen Amtlichen Dokumente, Band 11, Dokument Nr.60

(3) Die Britischen Amtlichen Dokumente, Band 11, Dokument Nr.76

(4) Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus, Reihe I, Band 4, Dokument 322

(5) Schmidt, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914
 
Dein letzter Halbsatz widerspricht dem, was du in den ersten 2 zitierten Sätzen gesagt hast. Um es ganz deutlich zu sagen: Zu seiner Zeit gab es Grenzen des Sagbaren, und als er diese Grenze überschritten hatte, war das ein Tabubruch und er ein Vaterlandsverräter. Siehst du das anders?

Ja, ich sehe den Widerspruch nicht.
 
Sollten wir nicht zurück zum Thema kommen, also weg von der "Kriegsschuldfrage" bzgl 1914?

"Historiker als historische Subjekte" und in einem Atemzug Mommsen und Fischer... was haben beide samt ihrer jeweiligen Zeitumstände gemeinsam?
 
Aber wie dargestellt, hat Fischer sein Hauptwerk 1961 publiziert – und stand mit seinen Erkenntnissen trotzdem allein da.
Es wäre schön, wenn du mal belegen würdest, von welchen Erkenntnisse du da sprichst. Womit Fischer ziemlich allein stand, war die These von der Hauptschuld, die allerdings keine Erkenntnis, sondern eben lediglich eine (relativ schwache und steile) These darstellt.

Die Gilde der westdeutschen Historiker war zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich anderer Meinung als er – da darf man schon fragen: Was haben sie die ganze Zeit gemacht?
Im Gegensatz zu Fischer nicht spekulativ nach Kriegsbeginn entstandene Zielvorstellungen ohne Quelle vor den Kriegsbeginn rückprojeziert.

Oder lieber der Politik nach dem Mund geredet und/oder einfach nur die Legende wiederholt, die man ihnen ab 1919 auftischte? Dazu bedurfte es schon der Kühnheit, nicht nur die Forschung der DDR-Historiker zu ignorieren, sondern auch die aus dem befreundeten Westen!

So, du unterstellst also den westdeutschen Historikern der Politik nach dem Mund geredet zu haben während du die DDR-Forschung für vorbildlich erklärst? Merkst du hoffentlich selbst.

Der Hauptgrund warum Fischer mit seiner Hauptschuldthese ziemlich allein darstand, sind die methodischen und der Umstand, dass es an Quellenbeweisen dafür fehlte und nach wie vor fehlt.

Die These, Deutschland sei in den I. Weltkrieg hineingeschlittert, ist ein Märchen, denn die Vorbereitungen dazu fingen spätestens 1902 mit der Flottenbau an.

Wenn Deutschland ab 1902 (spätestens den Krieg wollte, erkläre bitte warum):

- Es ihn 1905 oder in der folge nicht begann, obwohl Russland gerade von der Niederlage gegen japan und Revolution geschüttelt am Boden lag und ein Krieg mit wenig Aufwand zu gewinnen gewesen wäre
- Die Rüstung nicht in dem Maße forciert wurde, wie das möglich gewesen wäre, jahrelang wurden überhaupt keine Heeresvermehrungen betrieben, die 1912/1913 beschlossene Aufstockung wurde auf Betreiben des Kriegsministers v. Heeringen von 300.000 auf 100.000 Mann eingedampft. Das Reich gab pro Kopf weniger Geld für das Militär aus als frankreich und bildete auch einen deutlich geringeren Anteil seiner theoretisch wehrpflichtigen Bevölkerung tatsächlich an der Waffe aus.
- 1913 das Flottenwettrüsten stillschweigend beendet wurde, denn der ausbleibende Beginn der Konstruktion weiterer Schiffe und das weitgehende Beschränken auf die Beendigung begonnener Projekte ja den genglichen Vorsprung in der Folge vergrößern musste.
- Trotz des Umstands das dass Haber-Bosch-Verfahren sit 1911 bekannt war, vor Kriegsbeginn keine Anstrengungen unternommen wurden eine autarke Sprengstoffproduktion aufzubauen, die nicht mehr vom Chile-Salpeter abhängig war.
- Keine größeren Investitionsprogramme in die strategischen Bahnen im Osten, den Ausbau von Umspuranlagen für die Russische spurweite etc. aufgelegt wurden.

Das alles widerspricht der Vorstellung es sei auf Krieg hingearbeitet worden massiv, wie auch der Stand der neueren Tirpitz-Forschung und die entsprechenden Thesen zum "Risiko-Gedanken".

Wäre schön, du würdest einfach mal aufhören hartnäckig zu ignorieren, was in den letzten rund 100 Jahren so an Erkenntnissen insgesamt gwonnen worden ist.

Aufgrund der späten Einigung fühlte sich Deutschlands bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen – und wollte diesen Zustand ändern.

Dazu war - das beweist das britisch-deutsche Abkommen über die portugiesischen Kolonien - (war zwar nicht ratifiziert, immerhin aber fertig ausgearbeitete und paraphiert).
Deutschland hätte auf Basis dieses Abkommens reelle Aussichten im Falle dass die Sanierung der portugiesischen Staatsfinanzen die Abstoßung der portugiesischen Kolonien unumgänglich machten, Nord-Mocambique und den größten Teil von Angola auf friedlichem Weg zu übernehmen, was rein territorial den deutschen Besitzstand in Afrika auf einen Schlag verdoppelt hätte.
Deutschland hätte sich auch jederzeit in einen Plan zur Aufteilung des Osmanischen Reiches einlassen können, wie es anderen europäischen Mächten vorschwebte. Auch hier wärenn ohne Weltkrieg Kolonien zu gewinne gewesen, wenn man das unbedingt gewollt hätte. Wollte man aber nicht, da man der Meinung war dass die Erhaltung den eigenen Einflussinteressen eher entgegen kam.
Man machte 1913-1914 Anstalten bei den Briten zu sondieren ob eine Vereinbarung, wie für die portugiesischen Kolonien vorgesehen auch für Belgisch-Kongo erreichbar wäre, falls Belgien nicht mehr in der Lage wäre das Gebiet zu unterhalten.
Und so ganz verteilt, wie es das geflügelte Wort behauptete, war die Welt dann auch noch nicht. Man hätte jederzeit versuchen können seinen Einfluss in China auszubauen, ohne dafür einen Weltkrieg anzetteln zu müssen, man hätte außerdem versuchen können sich in Siam oder Persien weiter festzusetzen.
In Somalia wurde von deutscher Seite her ein Projekt sich als Kolonialmacht dort zu etablieren sogar aufgegeben, um Italien eine Koloniegründung dort zu ermöglichen und die Beziehungen zu Rom zu verbessern.

Zum Ausbau des Kolonialreiches war ein Weltkrieg nicht notwendig.
Im Übrigen wenn man der Meinung gewesen wäre Krieg führen zu müssen um sein Kolonialreich zu vergrößern, wären das logische Ziel die Niederlande gewesen.

Die ursprünglichen Thesen Fischers haben bis heute bestand.
Jede These die mal geäußert wurde hat in ihrer Gestalt als These Bestand. Belege für sein "Hauptschuld"-Postulat, die irgendeinen Bestand haben könnten hat Fischer nie geliefert.

Wörtlich hat Mommsen das nicht getan. Aber indem er Caesar so überschwänglich lobte und in eine Reihe mit Perikles und Napoleon stellte, hat er klar zu erkennen gegeben, wo seine Präferenzen liegen.
Dir ist aber klar, dass Mommsen zu den Begründern der Fortschrittspartei war und in den 1860er Jahren im preußischen Landtag saß?
Heißt er war während des preußischen Verfassungskonfliktes und Bismarcks Vorbeirregieren am Landtag und dessen Budetrecht vertreter der Partei, die sich dieser Entwicklung gegenüber von allen vertretenen Strömungen am kritischsten zeigte und auf die Rechte des Parlamentes pochte.

Auch wenn er sich später mit der Bismarck'schen Politik aussöhnte und sich später zu den Nationalliberalen schlug, die rückwirkend bereit waren über Bismarcks Verfassungsbruch hinweg zu sehen, hat er während der Auseinandersetzung zu einer Partei gehört, die den Ruf nach einem "starken Mann" strikt ablehnte.

Du sagst es: Er trug zu einen Paradigmenwechsel bei – und wurde deswegen von den alten Garde angegriffen, die nicht einsehen wollte, dass sie 20-30 Jahre auf dem falschen Pferd saß.
Ein Paradigmenwechsel bedeutet für dich zum Mitschreiben nicht, dass das alte Paradigma falsch und das neue richtig oder zumindest besser wäre, sondern erstmal nur eine Verschiebung des Diskurses in andere Themenzusammenhänge.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, dass das Dokument über sog. Septemberprogramm schon in den 1940er Jahren entdeckt, aber danach weiter geheim gehalten wurde – bis Fischer es wieder ausgrub.

Wobei du hier fröhlich den Umstand des zweiten Weltkriegs ignorierst, den Umstand, dass möglicherweise nicht bekannt war, wo es durch die Kriegsereignisse abgeblieben war und ob es noch existierte, so wie, denn Umstand, dass zunächst einmal die Siegermächte die Hände auf dem Großteil des Archivguts hatten, es teilweise auch außer Landes brachten, so dass Inaugenscheinnahme und Publikation möglicherweise zeitnah schlicht nicht möglich waren.
Mal abgesehen von der Neuordnung des akademischen Betriebs und die Schwierigkeiten über die Besatzungszonen hinweg zu arbeiten.
 
Die Donaumonarchie hatte nicht so viele Erzherzöge.

Doch, hatte sie, weil in der Habsburgischen Tradition auch den Brüdern des Kaisers erlaubt war diesen Titel zu tragen, jedenfalls nach der Begründung des Kaisertums mitunter schon.

Franz-Jospeh I. etwa hatte 3 Brüder, Sein Vater Karl-Franz hatte zu seinen Gunsten auf den Kaisertitel verzichtet, führte aber weiterhin den Titel eines Erzherzogs von Österreich. Sein abgedankter Großvater Ferdinand durfte zeitlebens gar den Kaisertitel behalten, ob er auch weiterhin den eines Erzherzogs führte, weiß ich nicht.
Nach der Geburt von Franz-Josephs Sohn Rudolf müsste die Habsburger Monarchie also zeitweise über 6-7 Erzherzöge verfügt haben, die diesen Titel gleichzeitig führten.

*duck und weg* ^^
 
Was hast Du von Fischer gelesen?

Seinen "der Griff nach der Weltmacht" selbstredend.

Ficher schreibt da zwar nicht explizit, dass er das "Septemberprogramm" auf die Zeit vor dem Kriegsbeginn zurückprojeziert, dennoch ist diese Rückprojektion inhaltlich notwendig um die fischersche These von der "Hauptschuld" zu stützen.

Näme man diese Rückprojektion nämlich nicht vor und unterstellte nicht das frühere Vorahndensein entsprechender Ziele wäre die Vorstellung Deutschland habe diesen Krieg gezielt herbeiführen wollen, selbst vor dem Hintergrund des "Blankoscheks" an Österreich-Ungarn nicht zu halten.
Der konnte nämlich auch ohne einen Weltkrieg zu beabsichtigen aus einer fatalen Fehleinschätzung der Haltung der anderen Parteien herrühren (hineinschlittern) und belegt lediglich, dass Berlin den kleinen Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien wollte, nicht aber den Weltkrieg.

Das Nichtakzeptieren des "Hineinschlitterns setzt ja durchaus ein vorsätzliches Herbeiführen voraus und dass wird sich bei dieser Sachlage und ohne Nachweis für entsprechende Motive (Kriegsziele) nicht überzeugend belegen lassen, insofern implizierte Fischer zumindest die Rückprojektion.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mommsen hat Caesar fast alles abgenommen, was dieser schrieb. Caesar führte Eroberungskriege, aber in seinen Schriften stellte er diese als Verteidigung dar: Die anderen hätten ihn angegriffen, also musste er handeln ... Auch dass Caesar die Republik abschaffen und eine Diktatur errichten wollte, sah Mommsen als gutgemeint an, schließlich gab es Bürgerkrieg. Dabei war Caesar ein Kriegsverbrecher wie es im Buche steht. Auch zu seiner Zeit war es nicht üblich Völker unter einem Vorwand einfach abzuschlachten.


So ein bisschen Quellenkritik hat Mommsen schon verstanden. Er hat wissenschaftlich sehr sorgfältig gearbeitet, und das merkt man seinen Werken auch an- wenn man sie denn mal liest.

Er glaubte Caesar keineswegs, dass sein Vorgehen gegen die Usipeter und Tencterer eine rein defensive Maßnahme war, spricht in diesem Zusammenhang von einem Massaker, das durch nicht berechtigt war. Der jüngere Cato (von Utica) beantragte, Caesar an die Germanen auszuliefern.

Mommsen Römische Geschichte Band 5 Kapitel 7

Es ist ja nun nicht zu bestreiten, dass sich die römische Republik in Auflösung befand und dass das System, des Prinzipats, die Verfassung, die Augustus dem Imperium verliehen hat, im Wesentlichen Bestand hatte bis zum Ende des Weströmischen Reiches. Das Prinzipat hat sowohl Italien wie vor allem den Provinzen eine sehr lange Periode des Friedens, der Stabilität und des steigenden Wohlstands verschafft, und das haben die Zeitgenossen durchaus zu würdigen gewusst, und das kann man durchaus auch als Historiker würdigen. Mommsen sah im Prinzipat eine Art Beispiel einer günstigen Symbiose aus Monarchie und Demokratie

Mommsen geht übrigens sehr ausführlich auf die Völker des Imperiums ein und einen achten Band seiner Römischen Geschichte widmet er den Provinzen des Imperiums und geht ausführlich auf deren ethnologische Zusammensetzung, politische Entwicklung und Ereignisgeschichte ein. Damit war Mommsenwegweisend, und Wissenschaftler wie Alfred Heuß und Jochen Bleicken sind darin Mommsen gefolgt.
 
Doch, hatte sie, weil in der Habsburgischen Tradition auch den Brüdern des Kaisers erlaubt war diesen Titel zu tragen, jedenfalls nach der Begründung des Kaisertums mitunter schon.

Franz-Jospeh I. etwa hatte 3 Brüder, Sein Vater Karl-Franz hatte zu seinen Gunsten auf den Kaisertitel verzichtet, führte aber weiterhin den Titel eines Erzherzogs von Österreich. Sein abgedankter Großvater Ferdinand durfte zeitlebens gar den Kaisertitel behalten, ob er auch weiterhin den eines Erzherzogs führte, weiß ich nicht.
Nach der Geburt von Franz-Josephs Sohn Rudolf müsste die Habsburger Monarchie also zeitweise über 6-7 Erzherzöge verfügt haben, die diesen Titel gleichzeitig führten.

*duck und weg* ^^

Das ist mir klar, dass nicht nur der Thronfolger den Titel tragen durfte. Aber auch wenn es da sicher noch einige Ersatz-Darsteller gab, war doch der Mord an einem führenden Mitglied des Herrscherhauses ein gewaltiger Affront. In der Familie selbst hielt sich die Trauer doch sehr in Grenzen über Franz Ferdinands Ableben, und Franz Josef sprach gar davon, dass der Himmel die Finger im Spiel hatte.
 
Seinen "der Griff nach der Weltmacht" selbstredend.
Selbstredend... :D
Das Buch hab ich auch gelesen und bei Warum kein Frieden 1917? u.a. verwendet.
(@Turgot, unbedingt lesen, falls noch nicht geschehen)
Ich war erstaunt, dass dieses Werk eine große Kontroverse hervorgerufen haben sollte.
So wie ich es verstehe war erst der "Krieg der Illusionen" der Versuch den Hauptgrund des Krieges im Verhalten des DR zu sehen. Das hab ich nicht gelesen.
Den "Griff nach der Weltmacht" empfehle ich sehr.
 
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