Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....

teilweise mit Verbindungen in Richtung Hitler-Bewegung,
... klingt doch etwas euphemistisch:

"Der Bund verfolgte antirepublikanische, völkische Ziele, kooperierte unter der Leitung von Friedrich Weber (1892-1955) eng mit der NSDAP und trat 1923 dem Deutschen Kampfbund bei. Er war 1923 an Sabotageakten im Ruhrgebiet und an den Münchner Putschversuchen vom 1. Mai und 9. November 1923 beteiligt.
[...]
Auf dieser Linie lag dann auch der engere Zusammenschluss des Bundes mit der SA Hitlers und der "Reichskriegsflagge" Ernst Röhms zu dem am 1./2. September 1923 in Nürnberg gegründeten Deutschen Kampfbund. Der Kampfbund übertrug bereits am 25. September die alleinige politische Führung dem NSDAP-Vorsitzenden Hitler."​

Bund Oberland, 1921-1923/1925-1930 – Historisches Lexikon Bayerns

Wie auch immer, zur dieser Zeit dieser war Fritz Fischer kein Historiker, sondern ein fünfzehnjähriger Schüler.
 
Wie auch immer, zur dieser Zeit dieser war Fritz Fischer kein Historiker, sondern ein fünfzehnjähriger Schüler.
Sicher. Die Mitgliedschaft im Bund Oberland Lässt aber eine gewisse politische Prägung vermuten, die eine angebliche Anhängerschaft gegenüber der SPD unwahrscheinlich macht. Nicht unmöglich, schließlich war ein ehemaliger Oberländer auch kommunistischer Widerstandskämpfer.
 
Warum wird hier mit Fischers Mitgliedschaft in der NSDAP ein Nebenschauplatz eröffnet? Weil Argumente gegen seine Thesen fehlen?

Aber es gibt auch 2 User, die sich (nebenbei) auch ernsthaft zum Thema äußerten:
Inhaltlich (auf welche Quellen stützt Fischer sich, was sagen diese aus - auf welche Quellen stützen sich die Einwände auf Fischers Thesen, was sagen diese aus?) schreibt Bahar ja überhaupt nichts, abgesehen vom "Septemberprogramm", das bekanntlich erst nach dem Kriegsausbruch verfasst wurde. Der ganze Artikel teilt uns lediglich die Sichtweise Bahars mit, insbesondere auf welchen Seiten er Gut und Böse verteilt.
Ja – aber steht dir frei, deine Sicht der Geschichte, um die es hier geht, darzustellen.

Einen kurzen Überblick darüber gibt Fischer in seinem Beitrag „Der Stellenwert der ersten Weltkriegs
in der Kontinuitätsproblematik der deutschen Geschichte“, den er 1979 in der Historischen Zeitschrift, Band 229 veröffentlichte; das ist der Abdruck der Rede Fischers auf dem 32. Historikertag in Hamburg am 5. Oktober 1978.

Die Kriegsschulddebatte in Deutschland war belastet durch den Kriegsschuld-Artikel des Versailler Vertrags.
Klar, aber das darf Historiker nicht daran hindern, sich um die Klärung der wahren Ursachen zu bemühen. Und das wurde versäumt – bis eben Fischers 1961 sein Hauptwerk publizierte. Mit anderen Worten: 50 Jahre lang haben Historiker das Märchen verbreitet, in den Weltkrieg seien die Weltmächte hineingeschlittert.

-Es gab keinen planmäßigen Griff nach der Weltmacht.
Laut Aufzeichnungen von Bethmann Hollweg aus dem Jahr 1903 – Zitat:

„Die erste und Grundidee (des Kaisers sei es), die Weltstellung Englands zu brechen. Deshalb, das ist des Kaisers feste Überzeugung, brauchen wir eine Flotte, und um sie zu bauen, eine große Menge Geld. …“

-Das Kaiserreich strebte nicht die Hegemonie in Europa an, vielmehr wollte es als europäische Großmacht anerkannt werden.
Das Kaiserreich hatte bereits die stärkste Armee in Europa, was im Zusammenhang mit dem Flottenbau zu Ängsten bei anderen und zur Bildung der Triple-Entente 1904/07 führte.

-Das DR trifft nicht die alleinige Verantwortung für den Ausbruch des 1. Weltkriegs.
Das behauptet auch Fischer nicht.

-Es hat aber erheblich an der Eskalationsschraube gedreht, es hat den Krieg in Kauf genommen, aus Sorge seinen letzten Verbündeten zu verlieren
Es hat ihn 1914 in Kauf genommen, in der Hoffnung ihn noch gewinnen zu können.
Es hat dabei das Primat der Politik völlig missachtet, stattdessen militärischen Erwägungen alles andere untergeordnet.
Ja – Unterstaatssekretär Zimmermann, der Vertreter Jagows, antwortete am 5. Juli 1914 dem Grafen Hoyos auf dessen Frage nach den Konsequenzen einer kriegerischen Aktion gegen Serbien: „Zu 90 % bedeutet das den Weltkrieg!“

Mit anderen Worten: Das Deutsche Reich wusste, dass der Krieg gegen Serbien Weltkrieg bedeutete – und tat nichts dagegen. Weil man dachte, diesen Weltkrieg gewinnen zu können.
 
Warum wird hier mit Fischers Mitgliedschaft in der NSDAP ein Nebenschauplatz eröffnet? Weil Argumente gegen seine Thesen fehlen?
Fischers Thesen sind überhaupt nicht der Inhalt dieses Threads, sondern Historiker als historische Subjekte. Im Übrigen hat Sepiola bereits richtigerweise festgehalten, dass es für Fischers Thesen unerheblich ist, ob er ein feiner Kerl war.
 
Wie man den liberalen Demokraten Theodor Mommsen, einen der streitbarsten Vorkämpfer gegen den politischen Antisemitismus im Kaiserreich zum Anhänger von Personenkult und Apologeten eines Führerstaats erklären kann, ist mir unbegreiflich.
Das ist eine Fehlinterpretation dessen, was ich geschrieben habe. Dass du das auch anders, also wie ich, sehen kannst, hast du hier gezeigt:
Ja, Mommsen bewunderte herausragende Persönlichkeiten, und er sah in Caesar den Begründer des römischen Prinzipats. Pompeius kam schlecht bei ihm weg. Ganz so unrecht hat Mommsen ja auch nicht: Hätten die 1848er über einen Caesar verfügt, es ist nicht völlig unwahrscheinlich, dass die 1848er Revolution mehr an bürgerlichen Freiheiten erreicht hätte, als das Recht, auf der Straße zu rauchen.
Keine Ahnung, warum du zuerst meine Aussage zurückweist, um sie hinterher selbst zu übernehmen.

Eines sollte ich noch klarstellen: Ich betrachte jeden Ruf nach sog. starken Mann als gefährlich, selbst wenn das, wie bei Mommsen, gut gemeint sein sollte.
 
Schon klar, @El Quijote, aber man sollte schon die Arbeit von Historikern in Fokus stellen, nicht deren Persönlichkeit. Ich brachte Fischer ins Spiel, weil man an seiner Arbeit als Kontrast zu den bis dahin üblichen Betrachtungsweise des I. Weltkriegs, sehen kann, wie Historiker sich von der Politik und dem Nationalstolz haben einwickeln lassen.

Das gleiche kann man jetzt im Zusammenhang mit dem Antisemitismus in Polen während und kurz nach dem II. Weltkrieg sehen. Auch dort werden Historiker, die der vom Staat vorgegebenen Version widersprechen, als Vaterlandsverräter gebrandmarkt und sogar an der Publizierung ihrer Ansichten gehindert.
 
Nur niemand Fischer daran gehindert zu publizieren. Im Ggt. haben sich die Verlage darum gerissen, ihn zu publizieren. Er persönlich hat das später freilich anders dargestellt, Fischer hat sich schon in der Rolle des David, der gegen den übermächtigen Goliath kämpfte, gefallen.
 
1920 war es nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft, 1914 zu interpretieren, eher Quellen zu sichern, evt. auch zu beraten.

Geschichte fängt an, wo der individuelle Mensch nicht mehr politisch involviert ist.

Hinter diesem Zeitpunkt liegt die Zeitgeschichte, auch das eine Erkenntnis und methodische Neuerung aus der Fischer-Kontroverse.

Die Abgrenzung von Politik und Zeitgeschichte ist schwierig, aber 1933 war diese Grenze in meinen Augen noch nicht erreicht, stand evt. kurz bevor. Auch modern gerät vieles nach 20 bis 25 Jahren ins Interesse der Zeitgeschichte. Doch ab 1933 war eine freie historische Tätigkeit in Deutschland bis '45, bzw. '89 ausgesetzt. Und auch nach '45* standen erst mal andere Themen im Vordergrund. Wir reden also von einem Dutzend +/- 3 Jahren aus der Rückschau. Doch müsste natürlich untersucht werden, ob die Gesellschaft, die Historiker erst um 1960 wieder bereit für eine solche Beschäftigung waren.

Was hat das mit dem Thema zu tun? Dass Historiker historische Subjekte sind, begrenzt eben auch die Zeit, zu der sie sich sinnvoll äußern können.

Auf die genauen Grenzen kommt es mir nicht an. Wo keine anerkannten Definitionen zugrunde liegen, habe ich die eher aus dem Ärmel geschüttelt, um das Problem, bzw. den neuen Aspekt, darzustellen.

*Natürlich ein Einschnitt, der das Gestern in die Entfernung rückte und so eine schnellere historische Beschäftigung ermöglichte. Aber solche Einschnitte sind Ausnahmen. 1918 blieb die Kontinuität in Vielem gewahrt, insbesondere die Historiker betrachtend, weshalb ich das dort nicht sehe. 1989/90 müssen wir West und Ost unterscheiden.
 
Auf das Übrige will ich nicht eingehen, weil solche Detaildiskussionen uns aufs falsche Gleis führen würden, und Nutzer wie @Turgot das sehr viel besser können. Aber:
Klar, aber das darf Historiker nicht daran hindern, sich um die Klärung der wahren Ursachen zu bemühen. Und das wurde versäumt – bis eben Fischers 1961 sein Hauptwerk publizierte. Mit anderen Worten: 50 Jahre lang haben Historiker das Märchen verbreitet, in den Weltkrieg seien die Weltmächte hineingeschlittert.
Das ist aber kein "Märchen", sondern eine in weiten Teilen plausible und gut begründete Deutung der Ereignisse. Du gehst hier etwas zu nonchalant darüber hinweg, dass Fischers Thesen nicht allgemein akzeptiert noch auch nur unangreifbar sind. Und dass viel Kritik an Fischer aus Ecken kommt, die kein Interesse daran haben können, deutschen Nationalstolz zu befriedigen.
 
Das ist eine Fehlinterpretation dessen, was ich geschrieben habe. Dass du das auch anders, also wie ich, sehen kannst, hast du hier gezeigt: Keine Ahnung, warum du zuerst meine Aussage zurückweist, um sie hinterher selbst zu übernehmen.

Eines sollte ich noch klarstellen: Ich betrachte jeden Ruf nach sog. starken Mann als gefährlich, selbst wenn das, wie bei Mommsen, gut gemeint sein sollte.

Mommsen allen Ernstes unterstellen zu wollen, er habe sich nach dem "starken Mann" gesehnt, und das einzig mit seiner positiven Caesar-Rezeption begründen zu wollen, ist eine grandiose Fehlinterpretation. Für seine Römische Geschichte hat er übrigens den Literatur-Nobelpreis erhalten.

Theodor Mommsen hat ja gar nicht nach dem "starken Mann" gerufen.

Er war ein liberaler Demokrat, einer der engagiertesten Vorkämpfer gegen den politischen Antisemitismus. Mit dem Nationalliberalen Heinrich von Treitschke war er in einen Historikerstreit verwickelt. Mommsen mochte vielleicht Caesar relativ positiv bewertet haben, politisch hatte er ein gesundes Misstrauen gegen "starke Männer". Selbst der Reichsgründer Bismarck und der mit ihm verbundene Personenkult war Mommsen äußerst suspekt. Mommsen war Gegner des Antisemitismus, Gegner des Imperialismus. Die kaiserliche Außenpolitik sah er sehr kritisch und die Zukunft des Reiches überaus düster. Er empfahl eine Zusammenarbeit der Liberalen mit der Sozialdemokratie.


Jedem, der sich auch nur oberflächlich mit dem Leben und Werk von Theodor Mommsen, mit dessen Vita, seiner politischen Einstellung beschäftigt hat, würde auch sofort auffallen, dass Mommsen sich keineswegs nach dem starken Mann sehnte., dass der Versuch, ihn als Apologeten eines autoritären Staates mit einem "starken Mann" an der Spitze hinzustellen, geradezu absurd ist.

Selbst einem Laien, der nie zuvor von Mommsen gehört hat, der sich bei Wikipedia erst die rudimentärsten Informationen googeln muss, würde das auffallen, wenn er auch nur einen Bruchteil der geforderten historischen Objektivität aufbringen und sich nur 10 Minuten Zeit nehmen würde, die Wiki-Artikel auch zu lesen.

Bei vielen deiner in mehreren Threads verteilten äußerst summarischen Werturteilen fällt schon eine gewisse Unwilligkeit auf, sich mit der Materie und der Methodik auseinanderzusetzen.
 
Bei vielen deiner in mehreren Threads verteilten äußerst summarischen Werturteilen fällt schon eine gewisse Unwilligkeit auf, sich mit der Materie und der Methodik auseinanderzusetzen.
Ich würde eher sagen, dass @Dions erkennbares Misstrauen gegenüber Religion und Konservatismus ihn mitunter einer Bestätigungsverzerrung unterliegen lässt. Bestätigungsfehler unterlaufen uns allen, mir selbstverständlich auch, Dion freilich nimmt gerne rasch das Schlechteste im Menschen an.

Ich dachte eigentlich, das sei meine Aufgabe.
Eines sollte ich noch klarstellen: Ich betrachte jeden Ruf nach sog. starken Mann als gefährlich, selbst wenn das, wie bei Mommsen, gut gemeint sein sollte.
Mit Recht, aber hat Mommsen wirklich nach einem "starken Mann" gerufen?
 
Klar, aber das darf Historiker nicht daran hindern, sich um die Klärung der wahren Ursachen zu bemühen. Und das wurde versäumt – bis eben Fischers 1961 sein Hauptwerk publizierte. Mit anderen Worten: 50 Jahre lang haben Historiker das Märchen verbreitet, in den Weltkrieg seien die Weltmächte hineingeschlittert.


Allein das enorme Aktenmaterial zu sammeln zu archivieren, zu katalogisieren und zu erhalten, war eine gigantische Fleißaufgabe, und das Reichsarchiv hat sich in dieser Beziehung durchaus auch große Verdienste erworben. Es ist selbstverständlich auch zu berücksichtigen, dass es internationale Regularien im Archivwesen gibt, dass für Akten auch bestimmte Sperrfristen gelten.

Was heißt hier Märchen verbreitet? Keine der europäischen Großmächte war auf einen Weltkrieg vorbereitet, keine hat den europäischen Krieg gewünscht, und dass der Krieg das alte Europa vernichten würde, haben durchaus viele geahnt. Das Zarenreich, das Kaiserreich, die Donaumonarchie und das Osmanische Reich waren futsch, und auch das Britische Empire angekratzt. Das Risiko eines Krieges war durchaus bewusst.

Die Deutung, dass die europäischen Mächte ohne es zu wollen im Krieg endeten, hat ja auch etwas für sich, und Fischers These, dass das deutsche Reich 1914 gezielt nach der Weltmacht griff hat sich ja auch gerade nicht durchgesetzt hat.

Fischers Leistung war vielmehr, dass er zahlreiche neue Akten bearbeitete, und dass er den entscheidenden Einfluss Deutschlands herausarbeitete. dass er mit der Fischer Kontroverse dazu beitrug, neue Blickwinkel einzuführen und zu einem Paradigmenwechsel beitrug. Es hat Fischer aber mitnichten das Rad neu erfunden, und eine ganze Reihe seiner Thesen haben sich eben nicht durchgesetzt.

Die Kriegsschuldfrage zum 1. Weltkrieg ist keineswegs abgeschlossen.

Christopher Clark hat in den Schlafwandlern ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich nicht wie in einem Krimi ein Täter mit Tatwaffe in der Hand ermitteln lässt, auch nicht wie bei einem Gutachten die Schuldbeteiligung in Prozent angeben lässt.
Clarks Werk zeichnet sich gerade durch seine Multiperspektivität aus. Clark und andere Autoren richten ihr Augenmerk aber nicht nur auf die aufstrebende Großmacht Deutschland, die ähnlich wie China in den Club rein will, sondern auch auf die etablierten, die den Neuling nicht reinlassen.

Clark entlastet aber nicht Deutschland, jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie manche Patrioten gerne hätten.
 
Clark und andere Autoren richten ihr Augenmerk aber nicht nur auf die aufstrebende Großmacht Deutschland, die ähnlich wie China in den Club rein will, sondern auch auf die etablierten, die den Neuling nicht reinlassen.
… und auf die Rolle Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches, die bei Fischer kaum mehr als von Berlin verführte, im Falle Wiens beinahe willenlose Opfer Deutschlands sind. Nicht umsonst haben vor allem englischsprachige Autoren Fischer Germanozentrismus vorgeworfen. Ein amüsanter Kontrapunkt: Fischer überschätzte nach Meinung Clarks und McMeekins Deutschlands Macht und Einflussmöglichkeiten.
 
Erzähle mir nichts, die ganze Historikerzunft inkl. deren Koryphäen und Professoren, hat sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang geweigert, eine Mitschuld Deutschlands am I. Weltkrieg anzuerkennen, wobei sie diejenigen, die es dennoch wagten, davon zu sprechen, beruflich und gesellschaftlich isolierte.

Und selbst nachdem Fischers Werk „Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ erschienen war, dauerte es noch mal 20 Jahre*, bis sich seine Sicht der Dinge allgemein durchgesetzt hatte, wobei neuerdings wieder Stimmen laut werden, die Fischers Untersuchung als überzogen werten.

* Vor allem rechte Zeitungen, die damals bedeutend waren (Die Welt, Christ und Welt), hetzten gegen Fischer.
Fischers "Griff nach der Weltmacht" ist eine sorgfältige Darstellung und Analyse der erschlossenen Dokumente zur Entwicklung der Kriegsziele des DR ab dem Beginn des Krieges und wurde zum vielzitierten Standardwerk dazu.

Später versuchte er nachzuweisen, dass der Kriegsausbruch 1914 eindeutig dem Verhalten der Regierenden des DR anzulasten ist.
Das ist widerlegt.

.. und klar kommt es nicht gut an wenn jemand den Finger in die nationale Wunde legt.
Man denke an Kurt Eisner der mit seinen Einlassungen zur Kriegsschuldfrage den brennenden Hass der Nationalisten auf sich zog.
 
Warum wird hier mit Fischers Mitgliedschaft in der NSDAP ein Nebenschauplatz eröffnet? Weil Argumente gegen seine Thesen fehlen?

Es ist recht ausgiebig hier im Faden über seine Thesen geschreiben worden, es wäre hilfreich du würdest die entsprechenden Beiträge zur Kenntnis nehmen.

Klar, aber das darf Historiker nicht daran hindern, sich um die Klärung der wahren Ursachen zu bemühen. Und das wurde versäumt – bis eben Fischers 1961 sein Hauptwerk publizierte.
Das ist in dieser Form schlicht faktenwidrig.

Mit anderen Worten: 50 Jahre lang haben Historiker das Märchen verbreitet, in den Weltkrieg seien die Weltmächte hineingeschlittert.
Die These des Hineinschlitterns in den Weltkrieg ist mit nichten ein Märchen, sondern unter Würdigung der Gesamtsituation als wesentlich plausibler anzusehen als Fischers Einlassungen. Warum wurde dir ebenfalls mehrfach aufgezeigt.

Laut Aufzeichnungen von Bethmann Hollweg aus dem Jahr 1903 – Zitat:

„Die erste und Grundidee (des Kaisers sei es), die Weltstellung Englands zu brechen. Deshalb, das ist des Kaisers feste Überzeugung, brauchen wir eine Flotte, und um sie zu bauen, eine große Menge Geld. …“

Ahja. Und wo genau ist der Bezug zu 1914?
Richtig, es gibt keinen.
Den Umstand, dass das deutsch-britische Flottenwettrüsten mehr oder minder erledigt war und dass 1913 und 1914 in Form der Einigungen über die Bagdad-Bahn und das deutsch-britische Abkommen über die eventuelle Teilung der portugiesischen Kolonien und des Flottenbesuchs 1914 die Lage zwischen Deutschland und Großbritannien gerade massiv auf Entspannungskurs war und man im Berlin (Lichnowsky-Zwischenfall) teilweise auf britische Neutralität hoffen zu dürfen glaubte, spielt für dich natürlich keine Rolle?

Natürlich nicht, passt ja nicht in dein vorgefasstes Bild.

Das Kaiserreich hatte bereits die stärkste Armee in Europa, was im Zusammenhang mit dem Flottenbau zu Ängsten bei anderen und zur Bildung der Triple-Entente 1904/07 führte.

Das Kaiserreich hatte eine nummerisch deutlich kleinere Armee als Russland und gab pro Kopf und Einwohner deutlich weniger für das Militär aus als Frankreich. Frankreich bildete tatsächlich an die 80% seiner theoretisch wehrpflichtigen Bürger an der Waffe aus Deutschland lediglich an die 50%.

Der Flottenbau ging zu Lasten der Landrüstung, in der Deutschland seit den französischen Militärkrediten an Russland und den russischen Heeresvermehrungen zunehmend ins Hintertreffen geriet und wie man in Britannien die deutsche Flottenrüstung tatsächlich einschätzte, kannst du unter anderen in Roses "Zwischen Empire und Kontinent, Britische Außenpolitik vor dem 1. Weltkrieg" nachlesen.
Kurzfassung: Man schätzte in Admiralität, Marineministerium und Regierung die deutsche Flottenrüstung nicht wirklich als gefährlich ein, zumal der Dreadnaught-Sprung den britischen Vorsprung vergrößerte und den Deutschen sowohl die Werftkapazitäten fehlten um aufzuholen, als auch das Geld, weil mit den russischen Heeresvermehrungen Mittel von der Marine auf das Landheer umverteilt werden mussten.
Dennoch nam man in Britannien den "naval scare" gerne mit, einfach weil er die Rechtfertigung des Militärbudges erleichterte.

Ja – Unterstaatssekretär Zimmermann, der Vertreter Jagows, antwortete am 5. Juli 1914 dem Grafen Hoyos auf dessen Frage nach den Konsequenzen einer kriegerischen Aktion gegen Serbien: „Zu 90 % bedeutet das den Weltkrieg!“

Mit anderen Worten: Das Deutsche Reich wusste, dass der Krieg gegen Serbien Weltkrieg bedeutete – und tat nichts dagegen. Weil man dachte, diesen Weltkrieg gewinnen zu können.

Nein, das bedeutet, dass Zimmermann das so einschätzte, nur war Zimmermann nicht die Regierung und sowohl der Kaiser als auch Bethmann-Hollweg schätzten die Lage offensichtlich anders ein.


Schon klar, @El Quijote, aber man sollte schon die Arbeit von Historikern in Fokus stellen, nicht deren Persönlichkeit.

Dann solltest du vielleicht mal anfangen das zu tun.
Denn offengestanden, was du bisher in diesem Faden getan hast, bestand größtenteils darin dich darüber zu beklagen, dass Fischer nicht als sakrosankt betrachtet wird und zwar unter einer gehörigen Portion Ignoranz der fachlichen Einwände gegen Fischer zur Zeit der Kontroverse und danach.
Alles was von dir kommt, ist der Versuch Fischer ungeachtet seiner methodischen Defizite und neuerer Erkenntnisse (teilweise auch älterer, die in andere Richtungen deuten), zum Säulenheiligen zu stilisieren und dich gleichzeitig über den Umgang von Historikern und der Gesellschaft mit Geschichte zu beklagen.
Vielleicht solltest du deinen persönlichen Umgang mit (Forschungs)Geschichte mal überdenken.
 
Allein das enorme Aktenmaterial zu sammeln zu archivieren, zu katalogisieren und zu erhalten, war eine gigantische Fleißaufgabe, und das Reichsarchiv hat sich in dieser Beziehung durchaus auch große Verdienste erworben. Es ist selbstverständlich auch zu berücksichtigen, dass es internationale Regularien im Archivwesen gibt, dass für Akten auch bestimmte Sperrfristen gelten.

Erschwerend hinzu kommt, dass sich die spätere Forschung zum 1. Weltkrieg ja durchaus nicht nur auf die Akten der Reichskanzlei des Auswärtigen Amtes, etc. etc. stützte, sondern auch auf die Memoirenliteratur und persönliche Tagebücher und Aufzeichnungen der Beteiligten etc. die in den 1920er Jahren teilweise erst geschrieben wurden (Memoiren) oder erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte aus dem Nachlass der damals handelnden Personen post mortem publiziert wurde.
Von diesem Material konnte die Forschung in der Weimarer Republik Teilweise überhaupt nichts wissen.
 
Ja – aber steht dir frei, deine Sicht der Geschichte, um die es hier geht, darzustellen.
Das habe ich bereits hier getan:
Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....
Ansonsten halte ich mich mit Meinungen zu einem Thema, von dem ich nur sehr wenig Ahnung habe, lieber zurück und versuche erst mal, Informationen zu sammeln.

Einen kurzen Überblick darüber gibt Fischer in seinem Beitrag „Der Stellenwert der ersten Weltkriegs
in der Kontinuitätsproblematik der deutschen Geschichte“, den er 1979 in der Historischen Zeitschrift, Band 229 veröffentlichte; das ist der Abdruck der Rede Fischers auf dem 32. Historikertag in Hamburg am 5. Oktober 1978.
Wenn Du Zugriff auf die Historische Zeitschrift hast, würde ich empfehlen, einmal den Blick auf den Beginn der Debatte zu richten. Das war schon vor 1961.

Fritz Fischer, Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914-1919, in: Historische Zeitschrift 188/2 (1959) beginnt seinen Aufsatz mit den Sätzen:

Eine der jüngsten Darstellungen des ersten Weltkrieges in einem Handbuch wird durch die These eingeleitet: "Die Geschichte der Jahre 1914–1918 ist so gut durchforscht wie kaum eine andere Epoche. Der Historiker bewegt sich überall auf sicherem Boden."
Eine solche Behauptung ist um so überraschender, als die Archive der Ententemächte für diese Periode noch nicht geöffnet sind und die deutschen Zentralakten erst seit wenigen Jahren zu gänglich und noch keineswegs voll ausgeschöpft sind. Alles, was bisher an Akten veröffentlicht worden ist, gibt nur Ausschnitte und ist von vielen Rücksichten bestimmt gewesen, in Deutschland insbesondere von dem Aspekt der Kriegsschuldfrage und der Lage Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg. Als grundlegend für die Frage der deutschen Kriegsziele gilt heute immer noch die Arbeit von Volkmann im Werk des Untersuchungsausschusses. Diese für ihre Zeit durch Freimut ausgezeichnete Untersuchung und Materialsammlung leidet aber durch das stete Hervorkehren der gegnerischen Annexionswünsche (die ein Problem für sich sind, wenn sie auch im Zusammenhang nie außer acht gelassen werden dürfen), durch den gebotenen Zwang zur Auswahl, durch innerpolitische Vorurteile und durch die Beschränkung der "Kriegsziele" auf territoriale Annexionen im engsten Sinne.
Selbst die beiden besten Studien, die der besonders rührigen und spezialisierten amerikanischen Geschichtsschreibung zu verdanken sind, die von H. W. Gatzke über die deutschen Kriegsziele im Westen und die von H. C. Meyer über die Mitteleuropafrage haben zwar in erschöpfender Weise alles gedruckte Material aufgearbeitet, aber noch nicht die deutschen Regierungsakten verwertet. Das gleiche gilt von dem bedeutenden Werk von G. Craig über die preußische Armee in der Politik, ein Buch, das die Dinge freilich dem Thema entsprechend einseitig sieht. Von deutscher Seite hat jüngstens Werner Conze die deutsche Polenpolitik im ersten Weltkrieg in einer breit angelegten Studie behandelt, die auf den Nachlässen Beselers, Kries' und Heinrichs sowie Akten des Auswärtigen Amtes aufgebaut ist. Dabei hat Conze allerdings im Rahmen dieser Studie die deutschen Annexionspläne gegenüber Polen nicht lückenlos behandelt.
Eine umfassende Darstellung der deutschen Kriegsziele im ersten Weltkrieg auf Grund des gesamten deutschen primären Quellenmaterials fehlt noch. Das gleiche gilt auch für die Frage der Revolutionierung Rußlands und der islamischen Welt durch Deutschland, die bisher, soweit überhaupt ernsthaft wahrgenommen, isoliert und ohne inneren Zusammenhang mit den deutschen Kriegszielen gesehen wurde.

Darauf bemerkte Hans Herzfeld, Zur deutschen Politik im Ersten Weltkriege - Kontinuität oder permanente Krise?, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960):

Die Akten des Auswärtigen Amtes sind während ihrer Auslagerung auf englischem Boden der Forschung des Auslandes durch Verfilmung wohl kaum vollständig, aber doch offenbar in ihrer Masse und in den gewichtigsten Teilen zugänglich geworden. Der schon jetzt deutliche Vorsprung der außerdeutschen Forschung ist ganz offensichtlich im Begriff, während der nächsten Jahre an Bedeutung noch erheblich zuzunehmen. Der bedeutsame Aufsatz von Fritz Fischer in dieser Zeitschrift hat jetzt zum ersten Mal eine spürbare Bresche in diesen Zustand geschlagen und dazu Bestände der Reichsämter in Potsdam, der preußischen Staatsministerien in Merseburg, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn und des österreichischen Staatsarchives in Wien benützen können, deren Hauptmasse und Kern in den Weltkriegsakten des Auswärtigen Amtes besteht. Der Inhalt seiner Abhandlung ist noch einmal geeignet, die Gründe für die Stockung der bisherigen Arbeit verständlich zu machen, da er auf Schritt und Tritt Neues bringt und im höchsten Grade erregende Ergebnisse formuliert.
Freilich ist damit auch die Frage aufgeworfen, ob mit der hier bei einem ersten Überblick notwendig und unvermeidlich gegebenen, ausschließlichen Stützung auf eine im amtlichen Schriftwechsel der maßgebenden Behördenstellen gefundene Aktenbasis bereits methodisch eine in sich genügende Grundlage der Interpretation gefunden ist, ob die Vielschichtigkeit und Verflochtenheit der Entwicklung, die Summe der miteinander ringenden Kräfte, die Abhängigkeit der Positionen in der Kriegszielfrage von der wechselnden Bilanz der Kriegslage bereits auf diesem Wege genügend erfaßbar ist.

Darauf antwortete Fritz Fischer, Kontinuität des Irrtums: Zum Problem der deutschen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960)

Zur methodischen Seite des Problems sei folgendes angemerkt: Herzfeld äußert Bedenken, ob eine solche Untersuchung in erster Linie auf den Regierungsakten aufgebaut werden dürfe, und er hat beispielhaft die Tagebücher des Admirals von Müller sowie die Erinnerungen Meineckes herangezogen, um das Bild zu modifizieren. Ohne die Bedeutung von Akten überschätzen zu wollen, wird man aber den Wert von Dokumenten, die den Gang der Handlungen widerspiegeln, vielfach auch die innersten Motive der Planungen, dazu unablässig die Auseinandersetzungen der handelnden Personen, der Instanzen und der Gruppen zu erkennen geben, höher veranschlagen müssen als die im Einblick notwendig begrenzten Tagebuchnotizen oder die rückschauende Memoirenliteratur. Wenn das schon von den Verwaltungs- und Verhandlungsakten in Friedenszeiten gilt, so erst recht im Krieg von den streng geheimen Vorgängen hinter den Kulissen. Alle Beratungen und Erörterungen über Kriegsziele – und das trifft naturgemäß auch für die übrige Welt zu – standen unter dem Siegel strengster Geheimhaltung, nicht selten auch über das Kriegsende hinaus.
Gegenüber den Regierungsakten, die wohl allein nicht ausreichen, aber doch die primären Quellen sind, muß die Memoirenliteratur als sekundär zurücktreten, zumal die Akten, die allein über den bisherigen Stand der Forschung hinaus wesentlich Neues bringen können, bisher noch nicht voll ausgeschöpft worden sind. Erst an Hand der Akten läßt sich ermessen, was der Kaiser, was Bethmann Hollweg, Jagow, Kühlmann, Wallraff, Hertlings Sohn, v. d. Lancken, Kriegsminister Stein, Hindenburg, Hoffmann, Schiffer, Payer, Erzberger, Scheidemann, Rohrbach, Jäckh, Nadolny und viele andere in ihren Memoiren ausgelassen, zweideutig oder schief ausgedrückt, bewußt oder unbewußt falsch dargestellt haben. Manches war Apologie im Kampf um Schuldfragen in der Nachkriegsperiode; anderes war diktiert aus patriotischer Loyalität, so wie man sie verstand.




 
1920 war es nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft, 1914 zu interpretieren, eher Quellen zu sichern, evt. auch zu beraten.
Klar, Geschichte kann erst nach einem zeitlichen Abstand betrachtet werden. Aber wie dargestellt, hat Fischer sein Hauptwerk 1961 publiziert – und stand mit seinen Erkenntnissen trotzdem allein da. Die Gilde der westdeutschen Historiker war zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich anderer Meinung als er – da darf man schon fragen: Was haben sie die ganze Zeit gemacht? Sich nicht getraut an das heikle Thema? Oder lieber der Politik nach dem Mund geredet und/oder einfach nur die Legende wiederholt, die man ihnen ab 1919 auftischte? Dazu bedurfte es schon der Kühnheit, nicht nur die Forschung der DDR-Historiker zu ignorieren, sondern auch die aus dem befreundeten Westen!

Das ist aber kein "Märchen", sondern eine in weiten Teilen plausible und gut begründete Deutung der Ereignisse.
Die These, Deutschland sei in den I. Weltkrieg hineingeschlittert, ist ein Märchen, denn die Vorbereitungen dazu fingen spätestens 1902 mit der Flottenbau an.
Aufgrund der späten Einigung fühlte sich Deutschlands bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen – und wollte diesen Zustand ändern. Dass die anderen Weltmächte ihre Besitzungen nicht freiwillig würden abgeben wollen, war jedem klar: Es würde nur mit militärischen Mitteln gehen und dazu brauchte man eine Flotte, die es mit anderen aufnehmen könnte. Das wurde beobachtet und die Antwort kam prompt: Auch England begann seine Flotte auszubauen.

Du gehst hier etwas zu nonchalant darüber hinweg, dass Fischers Thesen nicht allgemein akzeptiert noch auch nur unangreifbar sind.
Die ursprünglichen Thesen Fischers haben bis heute bestand. Seine späteren Verschärfungen, die er im Bemühen äußerte, die teils ins Persönliche gehende Kritik abzuwehren, waren in der Tat überzogen. Siehe dazu auch den Beitrag #55 von @hatl.

Theodor Mommsen hat ja gar nicht nach dem "starken Mann" gerufen.
Wörtlich hat Mommsen das nicht getan. Aber indem er Caesar so überschwänglich lobte und in eine Reihe mit Perikles und Napoleon stellte, hat er klar zu erkennen gegeben, wo seine Präferenzen liegen. Und wenn ein bedeutender Historiker, der für seine Arbeit Nobelpreis bekam, das sagt, dann wäre es illusorisch zu glauben, niemand hätte das bemerkt bzw. sich später selbst als Caesar oder Napoleon sehen wollen.

Fischers Leistung war vielmehr, dass er zahlreiche neue Akten bearbeitete, und dass er den entscheidenden Einfluss Deutschlands herausarbeitete. dass er mit der Fischer Kontroverse dazu beitrug, neue Blickwinkel einzuführen und zu einem Paradigmenwechsel beitrug.
Du sagst es: Er trug zu einen Paradigmenwechsel bei – und wurde deswegen von den alten Garde angegriffen, die nicht einsehen wollte, dass sie 20-30 Jahre auf dem falschen Pferd saß.

Gegenüber den Regierungsakten, die wohl allein nicht ausreichen, aber doch die primären Quellen sind, muß die Memoirenliteratur als sekundär zurücktreten, zumal die Akten, die allein über den bisherigen Stand der Forschung hinaus wesentlich Neues bringen können, bisher noch nicht voll ausgeschöpft worden sind. Erst an Hand der Akten läßt sich ermessen, was der Kaiser, was Bethmann Hollweg, Jagow, Kühlmann, Wallraff, Hertlings Sohn, v. d. Lancken, Kriegsminister Stein, Hindenburg, Hoffmann, Schiffer, Payer, Erzberger, Scheidemann, Rohrbach, Jäckh, Nadolny und viele andere in ihren Memoiren ausgelassen, zweideutig oder schief ausgedrückt, bewußt oder unbewußt falsch dargestellt haben. Manches war Apologie im Kampf um Schuldfragen in der Nachkriegsperiode; anderes war diktiert aus patriotischer Loyalität, so wie man sie verstand.
Das ist ein Teil des Zitats, das @Sepiola gebracht hat aus Fritz Fischers Antwort in Kontinuität des Irrtums: Zum Problem der deutschen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960)
Der von mir fettgeschriebene Satz Fischers beleuchtet den Zustand der Forschung bis zu seinem Auftreten, der ein Jahr später mit seinem Hauptwerk erfolgte, das zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich – zumindest in großen Teilen – schon geschrieben war.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, dass das Dokument über sog. Septemberprogramm schon in den 1940er Jahren entdeckt, aber danach weiter geheim gehalten wurde – bis Fischer es wieder ausgrub.

Siehe dazu auch: Septemberprogramm.

Wenn man sich das alles anschaut, dann kommt man nicht umhin, Historiker nicht nur als neutrale Beobachter der Geschichte zu sehen, sondern auch als deren Akteure.
 
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