Vorherrschaft Europas

lieber gegenkaiser, niemand bestreitet ernsthaft, dass die europäische kultur ab der renaissance eine dynamik entwickelt hat, der kein anderer kulturkreis (bis dato) gewachsen war. und natürlich lässt sich das nicht an einem einzigen datum oder einer einzigen technologie festmachen.

was mich an deiner argumentation stört, ist die art, wie du "die europäer" gegenüber den anderen erhöhst. hier sollen keine "was wäre wenn" diskussionen geführt werden, aber überlege einmal, ob die geschichte anders verlaufen wäre, wenn china eine ähnlich aggressive politik betrieben hätte wie die europäer. fraglich, ob die chinesen es bis europa oder gar amerika geschafft hätten, aber vermutlich wäre der aufstieg europas im asiatischen raum gescheitert.
 
Was heißt hier schon "Relativisten"? Du relativierst doch selbst nach Kräften, nur eben in die eine Richtung. Und andere eben in die andere Richtung.

Die typische Antwort eines Relativisten eben. :winke:


Ja wo denn? China vielleicht?

Bitte. Dafuer interessiere ich mich naemlich besonders.

Mal kurz bei Jacques Gernet nachgeblättert (Jacques Gernet, Die chinesische Welt, Frankfurt/Main 1979)

Gleich vorneweg: Wie du ja sicherlich schon laengst weisst, fussen quasi alle Erkenntnisse ueber chinesische Wissenschaft und Technik auf dem vielbaendigen Werk von Joseph Needham: Science and Civilisation in China. Das ist vermutlich auch fuer Gernet die Standardreferenz, obwohl ich in sein Buch schon lange nicht mehr reingeguckt habe.

Das Problem: Needham ist fuer China das, was Lynn White fuer das europaeische Mittelalter war. Ein sehr grosser Enthusiast, der unbestreitbar enorme Fachkompetenz hat, der aber eben auch berechenbar tendenzioes schreibt. Bei Needham heisst das immer: Soviel wie moegliche europaeische Erfindungen und Entwicklungen haben ihren Ursprung in China. Umgekehrt legt er allerdings auf die Authochtonitaet der chinesischen Kultur groesstmoeglichen Wert.

Sein Problem ist dabei, dass sich die meisten seiner Diffusionsvorstellungen von China nach Europa nicht nachweisen lassen und gewoehnlich einzig auf dem Prinzip der Vorzeitigkeit beruhen. Entsprechend sind viele seiner Vorstellungen zur Technik- und Ideendiffusion bereits in der Fachliteratur widerlegt oder abgelehnt worden.

Der Link von oben zur 'Refutation of the claim (of Joseph Needham) that the ancient Chinese described the circulation of blood' ist so ein Beispiel.

Deswegen sind auch Gernets Thesen, die auf Needhmas Werk beruhen, erstmal mit Vorsicht zu geniessen. Jedenfalls was den Aspekt der kulturellen Uebernahme betrifft.





...da finden wir z. B.

Huang Zongxi (1610-1695), Wang Fuzhi (1619-1692), Fang Yizhi (1611-1671), Gu Yanwu (1613-1682), Yan Yuan (1635-1704), Dai Zhen (1723-1777), Zhang Xuecheng (1736-1796) u. a.
Gut, da finden wir, aber was sagt uns das? Beschreib doch mal, was diese Maenner so auszeichnet? Fuer mich vergleichst du naemlich Christoph Metzelder, Christian Ziege und Dieter Eilts mit Pele, Beckenbauer und di Stefano. Chinesische Gelehrte mit europaeischen Wissenschaftler, um mal die Ebenen zu veranschaulichen.

Ich mach dir aber mal ein Angebot, und frage bei meiner chinesischen Freundin nach, ob sie einen oder zwei von denen ueberhaupt kennt. Waehrenddessen kannst du ja darlegen, wo es auch in China revolutionaere Umwaelzungen a la Reformation, wissenschaftliche Revolution und Aufklaerung gab.


Schön, daß Du auch Leibniz erwähnst. Das war ein Denker, der sich sehr für chinesische Philosophie interessiert und sich davon einige Scheiben abgeschnitten hat: Die "mathematische" Eigenschaft der chinesischen Schrift [...] zog auch das Interesse von Leibniz (1646-1716) auf sich und hat möglicherweise die Entwicklung der mathematischen Logik in Europa angeregt.
Dass Leibniz von China begeistert war ist bekannt und die eine Sache. Aber dass seine Monadologie von der chinesischen Philosophie entscheidend beeinflusst sein soll, eine andere. In 'Donald Lach: Leibniz and China' habe ich jedenfalls keine so kuehne Bemerkung finden koennen, aber ich lasse mich gerne durch eine genaue philosophische Darlegung belehren.

Interessant ist vielmehr eine andere Sache, naemlich die Frage, warum im letzten Viertel des 18.Jh. die bis dato positive Meinung zahlreicher europaeischer Intellektueller ueber China quasi ueber Nacht zusammenbrach? Wie kam es so urploetzlich zum Bild des La Chine Immobile?

Ein Gutteil der Antwort liegt im Interpretationsmonopol, das die Jesuiten bis dahin ueber China innehatten. Als Missionare waren sie naemlich sehr daran interessiert, ein positives Bild von China nach Europa zu vermitteln, um moralische und materielle Unterstuetzung fuer ihre schwierige Missionstaetigkeit zu erhalten. Und als der Jesuitenorden 1773 verboten wurde, war es auch schnell aus mit der einseitigen Auslandsberichterstattung und das erstarrte Gesicht des Konfuzianismus wurde in Europa erkennbar.

Auch Leibniz war in seinen Informationen ueber China auf die weichzeichnenden Jesuiten angewiesen: "As far as Leibniz is concerned, his attitude in the controversy was probably to be expected. His ideas on China and Confucius had been formed by the Jesuits. His relations with them had always been agreeable." (Lach S.448)



... "temperierte Stimmung"...
Mit Musiktheorie kenne ich mich nicht so gut aus. Wiki.org erwaehnt auch eine chinesische Ersterfindung (neben dem Vater von Galileo). Wiki.de, Wiki.fr und Encarta dagegen nicht, sondern malen eher ein breiteres Bild.


Medizin:...Li Shizhen (1518-1598)...
Gut, dass du Li erwaehnst, den ich als ameisenfleissigen Kompilator sehr bewundere. Das Problem bloss ist, dass Lis Arbeit exemplarisch genau fuer das steht, was das stagnierende China der Ming und Qing Zeit auszeichnete: Riesige Kompilationen von bekanntem Wissen, aber wenig Neues und Innovatives.


Astronomie:

Man muß sich im übrigen davor hüten, dem Europa des beginnenden 17. Jahrhunderts eine prinzipielle Überlegenheit zuzuschreiben. In dieser Epoche hatten der christliche Westen und die chinesische Welt beide gleichviel voneinander zu lernen.
Eben nicht. Die Jesuitenmission markiert ganz klar, dass der Wissensfluss nunmehr von West nach Ost floss. Dafuer gibt es wirklich zahlreiche Beispiele. Erwaehnt Gernet , dass die jesuitische Mission in China ueberhaupt nur zustande gekommen ist, weil der Kaiser nach Matteo Ricci rief, da seine eigenen Fachleute eine mechanische Uhr nicht reparieren konnten?

Gernet ist 'nur' Allgemeinhistoriker, der das Spezialwissen von Fachleuten synthetisiert. Schauen wir mal, was ein Spezialist auf dem Gebiet der chinesischen Astronomie direkt zu sagen hat:

We can nonetheless already say with confidence that the influence of the mathe-matical techniques of European astronomy on China was enormous: as Chinese mathematical and astronomical bibliographies very eloquently attest, seventeenth- and eighteenth-century Chinese astronomers largely used written reckoning, calculating instruments, plane and spherical trigonometry, geometry of the triangle and of the circle and, to a lesser extent, infinite series developments imported from Europe.
...
Without these common conceptions and without the superiority of Jesuit astronomy compared to any other system of predictive astronomy then available in China, Chinese imperial authorities would not have entrusted missionaries with the task of reforming the calendar and even less appointed them to head the Imperial Bureau of Astronomy. Notwithstanding the opposition of conservative forces, the reform of Chinese astronomy was promulgated as early as 1645, only half a century after the arrival of the first Jesuits in China.

Autochthonous attempts to renovate Chinese traditional astronomy proposed before and after the fall of the Ming dynasty always failed so that European mathematical and instrumental techniques supporting the reform were gradually assimilated to the detriment of Chinese traditional astronomy. Beyond the narrow circle of technicians of astronomy, European astronomy was so much judged worth consideration that numerous authors developed the idea that the Chinese of antiquity had anticipated most of the novelties presented by the missionaries as European discoveries, for example, the rotundity of the earth and the “heavenly spherical star carrier model.” Making skillful use of philology, these authors cleverly reinterpreted the greatest technical and literary works of Chinese antiquity. From this sprang a new science wholly dedicated to the demonstration of the Chinese origin of astronomy and more generally of all European science and technology.

Jean-Claude Martzloff: Space and Time in Chinese Astronomy, S.67-69 (Text als PDF im Internet herunterladbar - ich moechte nicht den ueberlangen Link hiereinkopieren)

Der Ausschnitt illustriert 2 Sachen ganz deutlich:
1. die deutliche Ueberlegenheit der europaeischen Astronomie bei der Ankunft der Jesuiten (Ende des 16.Jh.)
2. den Chauvinismus der Chinesen, die Probleme damit hatten, dass ihre alten Autoritaeten so ueberfluegelt wurden.


seit der Han-Zeit an das äquatoriale Bezugssystem gewöhnt waren, das mit Tycho Brahe (1546-1601) in der modernen Astronomie allgemein anerkannt werden sollte.
Was ist denn das äquatoriale Bezugssystem ? Ich moechte mal an dieser Stelle anmerken, dass den Chinesen bis zur Ankunft der Jesuiten die Kugelgestalt der Erde unbekannt war. Jup, unbekannt.

Wohingegen in Europa dieses Faktum bereits seit dem Altertum (Aristarch von Samos) allgemein anerkannt war und zwar durch das gesamte Mittelalter hindurch, soweit sich das anhand der Quellenlage feststellen laesst

Die Annahme, dass der mittelalterliche Mensch die Erde als Scheibe ansah, wurde als neuzeitlicher Mythos entlarvt:

http://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Erde
http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltraum/0,1518,381627,00.html

Es sind also, um mal einfach unfair zu sein, die Chinesen die Ignoranten gewesen. Schreibt Gernet das auch?


Technik:

Die Idee, Hängebrücken mit Eisenketten zu bauen, wurde in Europa im Jahr 1585 bekannt. Sie wurde sehr wahrscheinich durch die Berichte portugiesischer Reisdneder aneregt [...]
Es ist bekannt, dass die Tibeter und Chinesen die Haengebruecke frueher kannten. Hut ab. Allerdings meines Wissens auch die Inkas und andere Indianervoelker. Wer sagt denn, dass die inspiration nicht viel eher von einem Conquistadoren stammt, der sich mit seinem Plattenpanzer ueber eine Andenschlucht schwanken musste? Der Kontakt zwischen Amerika und Europa war doch durch die spanische Kolonisation viel enger als nach China.


Von den weiteren Entlehnungen seien noch die Windfege (Tarare) erwähnt, die in China seit der Han-Zeit gebräuchlich war, die Vorrichtung der wasserdichten Abteilungen auf Schiffen, die Seidenraupenzucht und die Porzellantechnik (die ersten Versuche, die von J. F. Böttger (1682-1719) gemacht wurden, fanden im Jahr 1705 statt).
Die Existenz wasserdichter Abteilungen ist nicht ganz unbestritten, denn zu einer sinnvollen Nutzung haette es auch leistungsfaehiger Pumpen bedurft, die aber damals nicht vorhanden waren. Ausserdem sind Dschunken (Kastenboote) nach anderen Strukturprinzipien als europaeische Kielschiffe gebaut. Bei der Dschunke brauchte man die Verstrebungen der wasserdichten Abteilungen zur Stabilisierung des Bootsrumpfs. Bei europ. Segelschiffen nimmt dagegen das Schiffsskelett diese Aufgabe wahr. Es bestand also nicht unbedingt akuter Bedarf an dieser chinesischen Erfindung, was man auch daran ablesen kann, dass sie erst spaet im 19.Jh. implementiert wurde, obwohl schon Benjamin Franklin in seiner Korrespondenz davon wusste.

Die Seidenraupenzucht wurde in Europa seit der Zeit Justinians (6.Jh.) betrieben und ich sehe auch nicht ein, warum eine Naturware als zivilisatorischer Vorsprung gewertet werden soll. Die Seidenraupe kam urspruenglich eben nur in China vor und war kein Manufaktur-Produkt wie Keramik oder Porzellan.

Porzellan wiederum wurde in Sachsen bei der Suche nach Gold entdeckt. August des Starken Geldmangel sei Dank. Von einer Uebernahme chinesischen Know-Hows kann also keine Rede sein.

Staat:

Das chinesische "Prüfungssystem" wurde zum erstenmal von Mendoza im Jahr 1585 [...] beschrieben.
Der erste Staat mit modernem Beamtenapparat in Europa war das normannische Sizilien (11.-12.Jh.), wo man von den Arabern modernes Regieren und Verwalten gelernt hat. Friedrich II. liess dann an der eigens zu diesem Zweck gegruendeten Universitaet zu Neapel (1220er) seine Staatsdiener ausbilden. Es besteht also kein Grund, gleich in die Ferne zu schweifen, wenn das Gute so nah lag. Man fand mit dem gewaltigen roemischen und byzantinischen Staatsapparaten in den klassischen Schriften wirklich auch genug heimische Buerokratisierungs-Vorbilder.

Das Gleiche gilt fuer die Volkszaehlungen, die ja bereits regelmaessig in der roemischen Republik zur Bestimmung der Vollbuerger abgehalten wurden und sogar noch etwas frueher als fuer China ueberliefert sind.

Das alles heisst natuerlich nicht, dass man durch das Vorhandensein solcher Modelle in China nicht angeregt worden waere, aber es wurde eben auch keine neuen Idee importiert.

Uebrigens hatte China bis 1920 ueberhaupt keine modern Universitaeten. Europa dagegen um 1500 bereits 40-50. Modern heisst: Lehreinrichtungen, die akademische Titel als Abschluss verleihen, also das Leistungsprinzip betonen und einen strukturierten Lehrplan hatten.

Mal abgesehen davon, dass an europ. Unis schon frueh Diversitaet herrschte, wohingegen an chinesischen Paukschulen immer derselbe konformistische Kanon an konfuzianischen Klassiker runtergebetet wurde.

Auch ein Grund, warum sich Europa um 1500 bereits deutlich an die Spitze gesetzt hat.
 
was mich an deiner argumentation stört, ist die art, wie du "die europäer" gegenüber den anderen erhöhst.

Lieber Collo, dass tue ich eigentlich gar nicht, denn wir haben noch gar nicht ueber die Kehrseite der Moderne gesprochen. Fuer mich ist naemlich die Moderne wie eine Schere, in der das Postive und Negative immer weiter auseinandergehen. Mit jedem technischen Fortschritt waechst nicht nur der Nutzen, sondern auch die potentielle Gefahr. Und bei all dem erscheint der Mensch immer schwaecher und schwaecher.

Mit Atomkraft kann man Millionen von Wohnungen beheizen, aber auch Millionen von Menschen vernichten. Ohne die Industrialisierung waere es Hitler nicht moeglich gewesen, einen industriellen Massenmord durchzufuehren. Die Frz. Revolution hat uns Patriotismus gegeben, aber auch den Keim zum Nationalismus gelegt. Der transatlantische Sklavenhandel wurde nur durch die Entdeckungsfahrten moeglich.

All diese katastrophalen Entwicklungen sind naemlich genauso Produkt der von Europa eingeleiteten Moderne und muessen in eine Gesamtanalyse der Moderne einbezogen werden.

Was aber die konventionelle Geschichtsbetrachtung angeht, in der ohne Blick auf die Schattenseiten nur gefragt wird, wer wann welche zivilisatorischen Fortschritte hervorgebracht hat, dazu folgendes: In einem Buch zur Weltgeschichte, das den Raum von 1500 bis 1950 umfasst, wuerde ich mich auf 150 Seiten von 200 Seiten mit den Entwicklungen in Europa befassen. Tendenz von Jahrhundert zu Jahrhundert steil ansteigend.

Paradoxerweise hat die Industrialisierung im 19.Jh. nur zu einer Relativierung der Erfolgsgeschichte der europaeischen Kultur seit 1500 gefuehrt. Genauso wie die Entdeckungsfahrten und ihre Folgen zu einer Relativierung der Erfolge Europas seit der Romanik gefuehrt hat. Das ist wohl der Fluch des Erfolges, dass der noch groessere den grossen relativiert, und der groesste alle ueberschattet.

Heute nun leben wir in einer Weltgesellschaft, in der kulturelle Grenzen immer mehr schwinden, bis eines Tages vielleicht wirklich der globlale Einheitsbrei hergestellt ist. Ob der europaeische Weg der Moderne der richtige gewesen ist, wird sich erst in der Schlussabrechnung mit Gewissheit sagen lassen koennen. Sicherlich wird niemand von der Glanzleistung Europas sprechen wollen, wenn wirklich die Maschinen eines Tages die Herrschaft uebernehmen werden, wie der Leiter des amerikanische n Roboterprogramms zur Ueberzeugung gekommen ist.

Hier noch einen guten Artikel ueber die derzeitige Diskussion, ob Asien bis zur industriellen Revolution 'mithalten' konnte, oder sogar ueberlegen war, wie einige wenige Autoren meinen (haupsaechlich Frank & Pommeranz, der Rest im Fahrwasser). Zur Einstufung in den Gesamkontext: Es handelt sich um wohl temperierte Kritik an der radikalen Kritik einer eurozentristischen Sichtweise:

http://www.blackwell-synergy.com/do...923.2006.00168.x#search="asia first duchesne"
 
Das ist so nicht richtig. Granaten und Kanonen dienten sicher nicht nur der Unterhaltung oder dem Erschrecken von Pferden.

http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=98639&postcount=9
Ich habe ja auch nicht von "nur" geschrieben. Aber eine konsequente Weiterentwicklung für militärische Zwecke ist unterblieben, während die zivile Verwendung weitergegangen ist. Ob die Mongolenherrschaft der einzige Grund dafür war, kann ich aber nicht sagen. Genau die Ursachen wären aber für diesen Strang sehr interessant. :grübel:

Solwac
 
Gegenkaiser schrieb:
Die typische Antwort eines Relativisten eben. :winke:

Wenn Du jeden, der Deine Ansichten nicht für das Maß aller Dinge hält, allen Ernstes für einen Relativisten hältst, dann bleibt mir nichts übrig, als in Deinen Augen eben ein Relativist zu sein.

Wenn das nur ein Schlagwort ist, um Deine Diskussionspartner herabzusetzen, dann sollten wir uns einmal per PN darüber unterhalten.


Gegenkaiser schrieb:
Ich mach dir aber mal ein Angebot, und frage bei meiner chinesischen Freundin nach, ob sie einen oder zwei von denen ueberhaupt kennt.

Danke für das Angebot, aber da ich die Kompetenz Deiner chinesischen Freundin nicht beurteilen kann, weiß ich nicht, was das bringen soll.

Gegenkaiser schrieb:
Aber dass seine Monadologie von der chinesischen Philosophie entscheidend beeinflusst sein soll, eine andere. In 'Donald Lach: Leibniz and China' habe ich jedenfalls keine so kuehne Bemerkung finden koennen, aber ich lasse mich gerne durch eine genaue philosophische Darlegung belehren.

Die "kühne" Behauptung stammt in dieser Diskussion, so weit ich sehe, von Dir. Ich habe nichts dergleichen behauptet, sondern Gernets vorsichtig formulierte Auffassung zitiert, wonach die "letzte Konzeption der Monadologie ... an die "neokonfuzianische" Auffassung des li" erinnere.

Die Einflüsse sind nicht zu leugnen, inwieweit welche Einflüsse "entscheidend" sind, ist eine Frage, die ich gerne den Fachleuten überlasse.
Mungello schrieb:
In conclusion, how central to Leibniz' philosophy was China? The question cannot yet be conclusively answered but a provisional answer may be given. In my judgement, Chinese philosophy is mor important to Leibniz' philosophy than most American philosophers believe. However, exactly how important is it? [...] Unfortunately, we cannot today clarivy this degree of imporatnce because many aspects, particularly the transmission of Chinese philosophy to Leibniz, have not yet been fully researched.
David E. Mungello, How Central to Leibniz's Philosophy was China? in: Wenchao Li und Hans Poser (Hrsg.) Das Neueste über China - G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697, Stuttgart 2000


Gegenkaiser schrieb:
Interessant ist vielmehr eine andere Sache, naemlich die Frage, warum im letzten Viertel des 18.Jh. die bis dato positive Meinung zahlreicher europaeischer Intellektueller ueber China quasi ueber Nacht zusammenbrach? Wie kam es so urploetzlich zum Bild des La Chine Immobile?

Hier geht's weiter:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?p=196328#post196328



Gegenkaiser schrieb:
Das Problem bloss ist, dass Lis Arbeit exemplarisch genau fuer das steht, was das stagnierende China der Ming und Qing Zeit auszeichnete: Riesige Kompilationen von bekanntem Wissen, aber wenig Neues und Innovatives.

Niemand hat behauptet, daß Lis Arbeit viel Neues und Innovatives enthält. Was Lis Arbeit enthält und was für unseren Zusammenhang interessant ist, ist die Beschreibung der Pockenimpfung mehr als hundert Jahre vor den ersten europäischen Versuchen.

Gegenkaiser schrieb:
Eben nicht. Die Jesuitenmission markiert ganz klar, dass der Wissensfluss nunmehr von West nach Ost floss.

Das ist Deine Ansicht, andere sehen es genau andersherum:
Gregory schrieb:
The movement of ideas was in fact virtually only one way, from China to the West, and it was a movement not at all promoted by the Chinese themselves. It was activated by the experimental vigour and curiosity of Western society as it entered what historians call, reasonably accurately, the Age of Enlightenment.
John S. Gregory, The West and China since 1500, Basingstoke 2003


Gegenkaiser schrieb:
Erwaehnt Gernet , dass die jesuitische Mission in China ueberhaupt nur zustande gekommen ist, weil der Kaiser nach Matteo Ricci rief, da seine eigenen Fachleute eine mechanische Uhr nicht reparieren konnten?

Sollte Gernet jede Anekdote erwähnen? Gernet schreibt, daß Ricci zum Schutzgott der chinesischen Uhrmacher avancierte und noch im 19. Jahrhundert als Bodhisattva verehrt wurde, was gewiß mindestens ebenso amüsant ist.

So ganz kann die von Dir angeführte Anekdote übrigens nicht stimmen, denn Ricci war fast 20 Jahre erfolgreich als Missionar in China tätig, bis der Kaiser auf ihn aufmerksam wurde: http://de.wikipedia.org/wiki/Matteo_Ricci


Gegenkaiser schrieb:
Was ist denn das äquatoriale Bezugssystem ? Ich moechte mal an dieser Stelle anmerken, dass den Chinesen bis zur Ankunft der Jesuiten die Kugelgestalt der Erde unbekannt war. Jup, unbekannt.

Gemeint ist offensichtlich der Himmelsäquator, soweit ich das mit meinem äußerst rudimentären astronomischen Grundwissen beurteilen kann. Um Sternkarten zu erstellen, stellt man sich den Himmel über uns als große Halbkugel vor, und da braucht man irgendeine Bezugsebene, entweder die Ekliptik oder eben den Himmelsäquator. Ob dabei unser irdischer Beobachtungspunkt als Scheibe, Würfel, Kugel oder Tetraeder gedacht wird, ist für diese Zwecke völlig belanglos.

Gegenkaiser schrieb:
Die Annahme, dass der mittelalterliche Mensch die Erde als Scheibe ansah, wurde als neuzeitlicher Mythos entlarvt:

Ich weiß, das ist nun wirklich ein alter Hut: http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=178118&postcount=16


Gegenkaiser schrieb:
Wer sagt denn, dass die inspiration nicht viel eher von einem Conquistadoren stammt, der sich mit seinem Plattenpanzer ueber eine Andenschlucht schwanken musste?

Die ersten Hängebrücken mit Eisenketten haben die Portugiesen zweifellos nicht in den Andentälern zu Gesicht bekommen.
Und die erste derartige Brücke, die dann tatsächlich gebaut wurde, war jedenfalls von chinesischen Vorbildern inspiriert.


Gegenkaiser schrieb:
Die Seidenraupenzucht wurde in Europa seit der Zeit Justinians (6.Jh.) betrieben und ich sehe auch nicht ein, warum eine Naturware als zivilisatorischer Vorsprung gewertet werden soll.
Punkt eins geht an Dich. Punkt zwei: Die Seidenraupenzucht ist keine Naturware, sondern eine zivilisatorische Errungenschaft. Um Seide zu gewinnen, reicht es nicht, sich in den Besitz einiger Raupeneier zu setzen.



Gegenkaiser schrieb:
Das Gleiche gilt fuer die Volkszaehlungen, die ja bereits regelmaessig in der roemischen Republik zur Bestimmung der Vollbuerger abgehalten wurden und sogar noch etwas frueher als fuer China ueberliefert sind.

Das alles heisst natuerlich nicht, dass man durch das Vorhandensein solcher Modelle in China nicht angeregt worden waere, aber es wurde eben auch keine neuen Idee importiert.

Die Idee als solche war bereits im Alten Testament zu finden, wo sie allerdings in schlechtem Licht erscheint, nämlich als Teufelswerk.



Gegenkaiser schrieb:
Porzellan wiederum wurde in Sachsen bei der Suche nach Gold entdeckt.

Dann habe ich interessante Neuigkeiten für Dich:
Tatsächlich steckte Ehrenfried Walter von Tschirnhaus hinter den ersten Experimenten Böttchers. Und der interessierte sich nachweislich für die chinesische Kunst der Porzellanherstellung und korrespondierte darüber u. a. mit Leibniz:

Im Februar 1694 berichtete von Tschirnhaus in Briefen an Leibniz über seine Experimente und erwähnte dabei, dass ihm dabei der Gedanke gekommen sei, Porzellan herzustellen. Die Chinesen hatten die dazu nötige Technik schon im 7. Jahrhundert entwickelt.

Von 1697 bis 1699 machte von Tschirnhaus weitere systematische Versuche zum chemischen Verhalten von Erden und Silicaten bei hohen Temperaturen. Schon 1704 wies er Leibniz' Sekretär Stücke seiner Porzellanerzeugnisse mit der Bemerkung vor: „die Chinesen könnten ohnmöglich den Porcelan anders als auf seine Manier machen“.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenfried_Walter_von_Tschirnhaus
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Lieber Collo, dass tue ich eigentlich gar nicht, denn wir haben noch gar nicht ueber die Kehrseite der Moderne gesprochen. Fuer mich ist naemlich die Moderne wie eine Schere, in der das Postive und Negative immer weiter auseinandergehen. Mit jedem technischen Fortschritt waechst nicht nur der Nutzen, sondern auch die potentielle Gefahr. Und bei all dem erscheint der Mensch immer schwaecher und schwaecher.

Mit Atomkraft kann man Millionen von Wohnungen beheizen, aber auch Millionen von Menschen vernichten. Ohne die Industrialisierung waere es Hitler nicht moeglich gewesen, einen industriellen Massenmord durchzufuehren. Die Frz. Revolution hat uns Patriotismus gegeben, aber auch den Keim zum Nationalismus gelegt. Der transatlantische Sklavenhandel wurde nur durch die Entdeckungsfahrten moeglich.

All diese katastrophalen Entwicklungen sind naemlich genauso Produkt der von Europa eingeleiteten Moderne und muessen in eine Gesamtanalyse der Moderne einbezogen werden.

Was aber die konventionelle Geschichtsbetrachtung angeht, in der ohne Blick auf die Schattenseiten nur gefragt wird, wer wann welche zivilisatorischen Fortschritte hervorgebracht hat, dazu folgendes: In einem Buch zur Weltgeschichte, das den Raum von 1500 bis 1950 umfasst, wuerde ich mich auf 150 Seiten von 200 Seiten mit den Entwicklungen in Europa befassen. Tendenz von Jahrhundert zu Jahrhundert steil ansteigend.

Paradoxerweise hat die Industrialisierung im 19.Jh. nur zu einer Relativierung der Erfolgsgeschichte der europaeischen Kultur seit 1500 gefuehrt. Genauso wie die Entdeckungsfahrten und ihre Folgen zu einer Relativierung der Erfolge Europas seit der Romanik gefuehrt hat. Das ist wohl der Fluch des Erfolges, dass der noch groessere den grossen relativiert, und der groesste alle ueberschattet.

Heute nun leben wir in einer Weltgesellschaft, in der kulturelle Grenzen immer mehr schwinden, bis eines Tages vielleicht wirklich der globlale Einheitsbrei hergestellt ist. Ob der europaeische Weg der Moderne der richtige gewesen ist, wird sich erst in der Schlussabrechnung mit Gewissheit sagen lassen koennen. Sicherlich wird niemand von der Glanzleistung Europas sprechen wollen, wenn wirklich die Maschinen eines Tages die Herrschaft uebernehmen werden, wie der Leiter des amerikanische n Roboterprogramms zur Ueberzeugung gekommen ist. ...

was hat das bitte schön noch mit dem thema zu tun?
 
Interessant ist vielmehr eine andere Sache, naemlich die Frage, warum im letzten Viertel des 18.Jh. die bis dato positive Meinung zahlreicher europaeischer Intellektueller ueber China quasi ueber Nacht zusammenbrach? Wie kam es so urploetzlich zum Bild des La Chine Immobile?

Ein Gutteil der Antwort liegt im Interpretationsmonopol, das die Jesuiten bis dahin ueber China innehatten. Als Missionare waren sie naemlich sehr daran interessiert, ein positives Bild von China nach Europa zu vermitteln, um moralische und materielle Unterstuetzung fuer ihre schwierige Missionstaetigkeit zu erhalten. Und als der Jesuitenorden 1773 verboten wurde, war es auch schnell aus mit der einseitigen Auslandsberichterstattung und das erstarrte Gesicht des Konfuzianismus wurde in Europa erkennbar.

Das finde ich sehr interessant. Erklärt es wirklich lückenlos das Ende und die Ursache der Chinabegeisterung, die im späten 17. und bis zur Mitte des 18.Jh. in Europa herschte? Wenn Interesse dazu vorhanden ist, dann können wir uns zu dem Thema in einem eigen Thread unterhalten. Fände ich prima.
 
Also Leute, mal den Ball flach halten mit 'in keinster Weise'.

So langsam fühle ich mich aber vorgeführt, ich hatte doch klargestellt, dass das anders gemeint war. ;)


Gleich vorneweg: Wie du ja sicherlich schon laengst weisst, fussen quasi alle Erkenntnisse ueber chinesische Wissenschaft und Technik auf dem vielbaendigen Werk von Joseph Needham: Science and Civilisation in China.

Da sprichst du mir aus der Seele. Needham hat ein Mammutwerk geschrieben, aber er übertreibt sehr oft. Nicht wenige seiner Theorien wurde auch schon widerlegt, etwa seine Behauptung, dass die alten Chinesen gezielt Hormone aus menschlichen Urin gewonnen hätten. Vieles ist bei Needham ein wenig konfus, weil unbewiesen.

Ich mach dir aber mal ein Angebot, und frage bei meiner chinesischen Freundin nach, ob sie einen oder zwei von denen ueberhaupt kennt.

Das wiederum ist ein wenig unfair. Du müsstest doch wissen, dass die Chinesen selber nach der Bewegung des Vierten Mai die chinesische Kultur quasi für geistig tot erklärt haben, bloß weil sie militärisch und politisch unterlag. Im Zuge dessen wurde vieles innovative unter den Teppich gekehrt, weil es ja angeblich nichts mehr wert war. Besonders fällt mir da im 18. Jahrh. die Schule der Neutextkonfuzianer ein, die sich entschieden gegen die versteinerte Geisteshaltung der Neokonfuzianer richtete und eine weltoffene und dynamische Gesellschaft forderten. Diese geistige Strömung stand hinter den Reformen des späten 19. Jahrh. Nach der Revolution und 1919 hieß es dann aber "Zerschlagt den Konfuziusladen" und diese Strömung konnte sich nicht fortsetzen. Statt dessen kopierte man den Westen und bis heute werden die geistigen Reformer des 18. Jahrh. in China wenig beachtet, weil die feudalistische Zeit ja angeblich nur verkrustet und fortschrittsfeindlich war. Da passt sowas eben nicht ins Bild eines Chinas das bis heute dem Westen hinterherhächelt. Ergo wird deine Freundich wohl viele dieser Männer nicht kennen.



Sehr guter Text, fasst vieles sehr schön zusammen. Danke dafür. Kleiner historischer Fehler ist aber drin. Die Aufgabe des chin. Seehandels hat es so niemals gegeben. Die einzigen beiden Versuche sowas durchsetzen waren 1500 und 1551, beides scheiterte kläglich, weshalb alle Verbote 1567 wieder aufgehoben wurden. Die Chinesen der Küstenprovinzen befuhren nämlich einfach weiter die Meere und die Provinzverwaltungen mischten ordentlich mit diese Dekrete auszuhebeln, denen war nämlich zeimlich egal was der Kaiserhof da befahl, die wollten weiter Geld verdienen. Dann besann man sich auch wieder in Beijing.

Dennoch, bei all deinen Ausführungen kann man aber trotzdem nicht gleich verkünden, dass Europa im 15./16. Jahrhundert die Vorherrschaft über die Welt errungen hätte. Unbestreitbar ist, dass Europa mit der Frühen Neuzeit die innovativste und dynamischste Region der Welt wird. Und eben das ist doch erst ein Schritt zur Weltdominanz, die dann nach der Industriellen Revolution zu beobachten ist. Globale Vorherrschaft vor 1800 ? Nein, das kannst du mir nicht einreden. Allen deinen Ausführungen, was die wissenschaftliche Kompetenz Europas anbelangt, stimme ich dir völlig zu. Aber dieser eine Punkt überzeugt nicht.
 
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Ich habe letzte Woche eine interessante Hypothese dazu gelesen, nämlich daß die Überlegenheit der Europäer fast ausschließlich aus der Eroberung der Neuen Welt her resultiert die Europa den Vorsprung an Material, Land, Arbeitskräften und Nutzpflanzen brachte, der dann alle weiteren Schritte zur Folge hatte.

Kern dieser Hypothese war es aber nun, daß es primär die Krankheiten waren, gegen die die Europäer immun waren, die Indianer aber nicht, die diese Eroberung überhaupt ermöglichten.

Im Kern also könnte man es so zusammen fassen: das die Dominanz der Europäer und die Vorherrrschaft Europas nur daraus resultierten, daß wir an Pocken nicht starben, die Indianer aber massenweise.

Diese Krankheiten seien sogar noch besser gewesen als nur der bloße Tod der Feinde dort und der Zerfall ihrer Reiche da sie immer noch Menschen dort übrig ließen, die man dann als Sklaven für die Arbeit ausbeuten konnte.

Was mich auch daran erstaunte war, wieviele Indianer bei der Eroberung durch Krankheiten umgekommen sein sollen, im Bereich von Millionen, ganze Landstriche seien völlig entvölkert worden.

Meiner Meinung nach hat diese Theorie zur Erklärung des Europäischen Aufstiegs durchaus etwas für sich. Was haltet ihr davon ?
 
Ich habe im Fernsehen darüber auch schon einen Bericht gesehen, daß man in Nordamerika ganze Städte vorfand, die augenscheinlich hoch entwickelt, aber beim Eintreffen der weißen Siedler bereits verlassen waren.
Solche Berichte können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Europäer die wichtigsten Indianerkulturen kriegerisch beseitigt haben - so die Azteken, die Mayas und die Inkas.
 
Ich habe im Fernsehen darüber auch schon einen Bericht gesehen, daß man in Nordamerika ganze Städte vorfand, die augenscheinlich hoch entwickelt, aber beim Eintreffen der weißen Siedler bereits verlassen waren.
Solche Berichte können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Europäer die wichtigsten Indianerkulturen kriegerisch beseitigt haben - so die Azteken, die Mayas und die Inkas.
Pope hatte mal drei Threads zum Buch 1491 und den der Historiographie wietgehend unbekannten Hochkulturen des nordamerikanischen Kontinents eröffnet.
Was die Maya angeht: mit denen hatte die Spanier zwar auch kriegerische Auseinandersetzungen, aber die Maya als Hochkultur waren längst untergegangen, lange bevor die Spanier einen Fuß auf Yucatán setzten.
Ich hab den Text fett gemacht, um ihn besser vom Zitat abzuheben, aus irgendeinem Grund will die Zitierfunktion nicht funktionieren.
 
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Europas Aufstieg begann nicht erst 1492, sondern es war schon vorher voll auf der Ueberholspur. Kolumbus und Vasco da Gama waren nur das logische Produkt eines Aufstiegs, der spaetestens im 11. Jh. eingesetzt hatte.


Ich habe mich jetzt eine ganze Weile in die fünf Mammutbände der Propyläen Technikgeschichte von Wolfgang König eingelesen. Die Aussage von Gegenkaiser kann man bedenkenlos so stehen lassen. An sich kann man für Europa ab dem 14. Jahrhundert tatsächlich feststellen, dass es auf vielen technologischen Gebieten sehr forschrittlich war, also moderner als alle anderen Gebiete auf der Welt. Ab dem 15./16. Jahrhundert kann man dann tatsächlich von einem europäischen Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt sprechen, natürlich auf dem Gebiet der Technik und Innovation, aber von einer Vorherrschaft natürlich noch nicht.

Sehr prägnant finde ich folgenden Satz:
"Der erreichte und beherrschte Stand der Technik hat die europäischen Staaten zwischen der Mitte des 14. und dem Ende des 16. Jahrhunderts in die Lage versetzt, den Verlauf der Weltgeschichte zu bestimmen." (Band 2, S. 201)

Auch wird erneut bestätigt, dass Joseph Needham mit seinem Werk Science and Civilization in China des öfteren ziemlichen Mist erzählt, ja man kann sagen, etwas tut, was schon an Lügen grenzt. Joseph Needhams Behauptung von so mancher chin. Erfindung, entpuppt sich unter der Lupe des kritischen Technikhistorikers als ursprünglich europäische Erfindung (Parallelerfindung), etwa der eiserne Pflug, die Segmentbogenbrücke und das Prinzip der Dampfmaschine. Wer hat's zuerst erfunden ? Die Europäer der Antike !

Propyläen Technikgeschichte von Wolfgang König, kann ich nur empfehlen. Wirklich erstaunlich, was der westliche Kulturkreis in den letzten 2750 Jahren alles an Innovationen hervorgebracht hat und wie forschrittlich unsere Vorfahren auf vielen Gebieten schon waren. Vor dem chinesischen Erfindergeist braucht sich Europa auch im Mittelalter in keinster Weise zu ducken, beide haben großartiges beigetragen.
 
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Was mich auch daran erstaunte war, wieviele Indianer bei der Eroberung durch Krankheiten umgekommen sein sollen, im Bereich von Millionen, ganze Landstriche seien völlig entvölkert worden.

Zur Rolle der eingeschleppten Seuchen bei der Eroberung Amerikas empfehle ich bei die Buecher von Crosby: "The Columbian Exchange" und von McNeill: "Plagues and Peoples", die beide wesentlich dazu beigetragen haben, dass Seuchengeschichte zu einem anerkannten Teil der Geschichtswissenschaft wurde. Ein bisschen trocken im Ductus, aber vom Informationsgehalt her eindeutig eine Erweiterung des Horizonts.
 
Ich habe mich jetzt eine ganze Weile in die fünf Mammutbände der Propyläen Technikgeschichte von Wolfgang König eingelesen... Propyläen Technikgeschichte von Wolfgang König, kann ich nur empfehlen.

*Neid, Neid* Wo hast du die denn her? :)

Auch wird erneut bestätigt, dass Joseph Needham mit seinem Werk Science and Civilization in China des öfteren ziemlichen Mist erzählt, ja man kann sagen, etwas tut, was schon an Lügen grenzt.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole. Fuer mich segelt Needham eindeutig unter falscher Flagge. Sein deklariertes Ziel ist es, mit dem Eurozentrismus aufzuraeumen und eine wirklich globale Geschichte der Welt zu erzaehlen, aber sein wirklich verfolgtes Ziel ist, die jahrtausendalte Ueberlegenheit des chinesischen Geistes zu propagieren und zu belegen.

Diese rote Faden des Sinozentrismus zieht sich bei ihm wirklich durch ganze Werk, Needham behauptet ja allen Ernstes, dass die chinesische Kultur zwischen 100 v.Chr. und 1500 n.Chr. die dynamischste und fortschrittlichste der Welt gewesen sei. Also 1600 Jahre lang! Dabei negiert er doch eigentlich auch die kulturellen Leistungen der Griechen, Roemer, Inder und Araber, oder nicht?

Summa summarum kann man zu seinem Werk sagen, dass er bei den Erfindungen und technischen Leistungen der Chinesen groesstenteils richtig lag, aber bei seinen ohnehin hochspekulativen Diffusionsvorstellungen nach Europa groesstenteils falsch. Ja mehr noch, wie du schon sagst, im Grunde genommen betrieb er bei letzterem systematische Irrefuehrung, es ging ihm anscheinend wirklich darum, den europaeischen Aufstieg auf Technikklau aus Asien zurueckzufuehren.
 
Ich moechte nochmal meine These von Europa als der dynamischsten Kulturzone seit dem Hochmittelalter anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der Architektur untermauern. Namentlich geht es mir darum zu zeigen, dass Europa im Hoch-, Tief- und Weitbau schon vor der Entdeckung Amerikas global fuehrend war:

Brueckenbau:
- Bruecke ueber die Adda bei Trezzo (Italien), 1377 fertiggestellt von den Visconti, 1416 leider schon zerstoert, aber dennoch: 72 Meter Spannweite --> groesste Spannweite der Welt (bisheriger Rekord 37 m)

- Ponte Vecchio, Florenz, fertiggestellt 1340er Jahre: Verhaeltnis Hoehe zu Spannweite 1 zu 6 --> technisch ausgereiftes Segmentbogenbruecke der Welt (bisheriger Rekord 1 zu 5)

Bergbau:
- Kuttenberg, Boehmen, 13-16 Jh.: Bergwerkschaechte bis 600 m Tiefe --> tiefste Mine der Welt, weit unter dem Grundwasserspiegel, was eine Menge ueber die zum Einsatz gekommene Wasserhebetechniken aussagt

Turmbau:
Bekannt ist ja, dass im Kirchenbau die gothischen Kathedralen alle bisherigen Hoehendimensionen schlugen. Weniger bekannt ist, dass auch im profanen Bau europaeische Tuerme neue Rekorde erzielten:
- Torre del Mangia, Glockenturm des Rathauses, Siena, 1338-1348 errichtet: 102 m hoch
- Torre degli Asinelli, Bologna, Geschlechterturm, 1109-1119 errichtet: 97 m
- Markusturm, Venedig, Glockenturm, 1392 errichtet, 16. Jh. Umbau: 99 m

Chinesische Pagoden kamen dagegen selten ueber die 60 m hinaus und nie ueber die 90 m, jedenfalls nicht nach dem erhaltenen Baubestand zu urteilen.

Kuppelbau:
- duomo Florenz, 1420er fertiggestellt, 42 m Kuppeldurchmesser --> groesste doppelschalige Kuppel der Welt, zweitgroesste Kuppel der Welt (nach Pantheon), erste Kuppel, die ohne Lehrgeruest errichtet wurde

In Europa standen also vor 1492 bereits die laengste Bruecke, die tiefste Mine, die hoechsten Tuerme und die breitesten Kuppeln.
 
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*Neid, Neid* Wo hast du die denn her? :)


Einfach in der Bibliothek ausgeliehen. Und ganz nebenbei in der Uni-Bibliothek Needhams zwanzig Bände Science and Civilization in China genommen und dann pingelig verglichen.

Fazit: Vieles von dem wo er behauptet, dass die Europäer Nachzügler gewesen wären, stimmt gar nicht; wie etwa der Eisenpflug, der Kummet oder die Wassermühle. Das war schon alles in der römischen Antike verbreitet und kam erst später in China auf. So wird es zumindest in der Propyläen Technikgeschichte dargestellt.

Fuer mich segelt Needham eindeutig unter falscher Flagge. Sein deklariertes Ziel ist es, mit dem Eurozentrismus aufzuraeumen und eine wirklich globale Geschichte der Welt zu erzaehlen, aber sein wirklich verfolgtes Ziel ist, die jahrtausendalte Ueberlegenheit des chinesischen Geistes zu propagieren und zu belegen.

Dabei negiert er doch eigentlich auch die kulturellen Leistungen der Griechen, Roemer, Inder und Araber, oder nicht?


Genau das tut er sträflich, weshalb man seine Bücher auch in der Sinologie mit großer Vorsicht genießt.

Kuppelbau:
- duomo Florenz, 1420er fertiggestellt, 42 m Kuppeldurchmesser --> groesste doppelschalige Kuppel der Welt, zweitgroesste Kuppel der Welt (nach Pantheon), erste Kuppel, die ohne Lehrgeruest errichtet wurde


Ich denke das Pantheon und die Hagia Sophia beweisen, dass Europa praktisch seit der Antike über die führende Bautechnik im Kuppelbau verfügte und dann auch beibehielt.

Ich moechte nochmal meine These von Europa als der dynamischsten Kulturzone seit dem Hochmittelalter anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der Architektur untermauern. Namentlich geht es mir darum zu zeigen, dass Europa im Hoch-, Tief- und Weitbau schon vor der Entdeckung Amerikas global fuehrend war.


Ein gutes Buch das sich ebenfalls mit der Technikgeschichte des Mittelalters beschäftigt ist Europäische Technik im Mittelalter 800-1400. Tradition und Innovation. von Uta Lindgren. Es beschäftigt sich explizit mit diesem Bereich des Aufstiegs und damit was Europa übernahm und was eben nicht, sondern was eine völlig eigenständige Entwicklung war und wo Europa bis 1400 die Führung übernahm.

Sehr schön wird z. B. anhand vieler Belege dargelegt, dass nicht die Chinesen, Inder oder Araber die ersten echten Kanonen erfunden haben, sondern dies eine europäische Erstentdeckung war und die Europäer seit dem 14. Jahrh. konsequent führend blieben gegenüber dem Rest der Welt. Grundlage dieser Innovation war die Übernahme des Schießpulvers von den Arabern und die chines. "Wurfbüchse", welche die Europäer zu neuen Innovationen inspirierte: Echte Kanonen und schließlich die mobile Artillerie Mitte des 14. Jahrh's. Die erste mobile Artillerie wurde in China erst 1409 zum ersten mal erwähnt und bisher wurden auch keine früheren Versionen entdeckt. Bis in die Mongolenzeit benutzte man in China weiterhin die Feuer spuckenden "Wurfbüchsen" oder Brandbomben, aber eben keine mobile Artillerie. Das Buch lohnt sich auf alle Fälle auch, eben weil es die außereuropäische Welt nicht völlig ausklammert.
 
Klasse Literatur-Tipp! Vielen Dank! Schick mir mal deine Ebrief-Adresse, ich kann dir ein paar interessante PDFs zur antiken und mittelalterlichen Technik- und Militaergeschichte schicken, die den Horizont erweitern (gilt natuerlich auch fuer alle anderen Benutzer): [email gemäß den Gepflogenheiten gelöscht, bitte per PN austauschen!]

PS: Uebrigens war es neuesten Forschungen zufolge europaeische Militaertechnik, welche entscheidend dazu beitrug, die chinesische Song-Dynastie zu stuerzen und damit die goldene Aera Chinas zu beenden (woraufhin 800 Jahre Seitwaertsbewegung und Stagnation folgten):

http://en.wikipedia.org/wiki/Siege_of_Xiangyang
 
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