Der Begriff "Deutsches Reich"

Ich denke, man kann getrost sagen, dass "Germania" und "Dutschelant" gleichbedeutend sind.

Dies hatte ich auch nicht bestritten; nur ist das eine eine offizielle - auf antike bzw. frühmittelalterliche Bezeichnungen für das rechtsrheinische und nordalpine Gebiet zurückgehende - Nomenklatur (Teile des HRR: Germania, Gallia, Roma, S(c)lavinia), während das andere volkstümlich bzw. umgangssprachlich zu sehen ist.

Soweit ich weiß, wird iu gesprochen wie ü, sprich "düütsch".

Das ist richtig.

... ich glaube kaum, daß man diutsch wie düütsch ausgesprochen hat.

Das ist falsch.

Vgl. dazu auch:
Mettke § 27 Diphthongierung schrieb:
Die mittelhochdeutschen langen Vokale /î/, /û/ und <iu> (= /langes ü/)...
Von Grammatikartikel zum kommentierten Textausschnitt (Mettke)

iu entsprach einem langen ü, auch wenn ab dem 12. Jh. bereits die Wandlung zum späteren - noch heute üblichen - eu einsetzte.
In Dialekten erkennt man mitunter diesen Lautwandel übrigens noch heute - Bsp. mhd. vriunte, heutiges Deutsch Freunde, Kölsch Fründe
:fs:
 
Nicht zu vergessen, dass die Sprache im Niederdeutschen auch heute noch "Düütsch" heißt. Vgl. "plattdüütsch" und "hochdüütsch"
 
Diese Gesetzmäßigkeiten musst Du nicht glauben, Du kannst sie überprüfen!*



Ich habe mir das Ludwigslied angeschaut. Tatsächlich steht es dort und die Handschrift ist sogar zeitgenössisch. Das finde ich wirklich interessant! Nur ein wichtiges Detail hast Du übersehen: es handelt sich hierbei um eine lateinische Überschrift:**



Es wäre zu fragen ob der Verfasser der lateinischen Überschrift mit dem Verfasser des deutschen Gedichtes überhaupt identisch ist. Da der Text in einem ganzen Codex ist, u.a. mit dem französischen Eulalialied, scheint mir die Überschrift mehr das abstract eines Kompilators zu sein.***


P.S.: Das Ludwigslied eignet sich sogar imho recht gut, die Lautgesetze mal daran abzuarbeiten...****

* Gut, ich komme darauf zurück ...
** Ich weiß und ich finde es trotzdem bezeichnend. Ich meine hier ja auch die Bedeutung des lateinischen Begriffs.
*** Nunja, der Begriff Tevtonicus mag damals was abstractes gehabt haben - interessant ist, daß er schon in der Luft lag - ohne daß es mit den alten Teutonen zu tun hatte!
**** Hab ich schon mit angefangen: warth -> ward (siehe nächstes Opus, was Du mir vielleicht auch noch verzeihen möchtest ...) ...
 
Die Entwicklung von "theo-" nach "tiu-" ist, phonetisch betrachtet, gar keine so große Veränderung. Wie ich schon anklingen ließ, gibt es im Deutschen keine übergangslos eindeutige Trennung zwischen e und i - und dies gleichwohl zwischen o und u.
In einem Opernrecitativ wird es offenbar. Es ist ein Unterschied ob ich singen lasse:
-
1. "Ich muß zum Boss"
2. "Ich muß zum Bus"
3. "Ich muß zur Bußmesse"
-
Weil es sich nämlich nur in den Fällen 1. und 3. um ein eindeutiges >o< bzw. >u< handelt.
Rußlanddeutsche neigen beim Sprechen öfters dazu "Buhshaltestelle" zu sagen, ebenso wie sie sich gern als "Ruhßen" bezeichnen. Und haben damit strenggenommen recht, weil der Bus im Deutschen eben den gleichen Vocal enthält, wie die "Bosheit" - nur daß er bei "Bus" eben sehr kurz gesprochen wird. - Ist in unserer Buchhalter-Oper "Bus" länger auszuhalten, singt man "Booß" und eben nicht "Buuß". Das gleich Prinzip führte ich für das "bitten" aus, das im Gegensatz zu "bieten" ein >e< enthält (und ganz am Rande erwähnt, besteht bei der vertonten Ankündigung : man verabschiede sich ins "Bett", die Gefahr, daß der Zuhörer erwarten möchte, man wollte sich zum Schlafen etwa zwischen den Schnabelbohnen im "Beet" vergraben, wo man nicht bedenkt, daß im Princip ein >ä< zu singen ist).
Soweit unser 'teutonesistischer' Vocalschludrian.
-
Nun zum sch - wo sich leider nichts Gewisses vermelden läßt. Fest steht, daß dem Mittelalter - gerade dem Frühmittelalter - das lateinische >ch< (Charta) sehr geläufig ist. Deshalb kann man schlecht sagen, ob im Mittelhochdeutschen das sch wirklich so ausgesprochen wurde wie heute. Man kann auch munkeln, daß man "tiutsch" eben 'tiutsk' ausgesprochen haben könnte - eben wegen des lateinischen ch. - Bleiben wir bei einer solchen Aussprachepraxis, so befinden wir uns bereits dicht an etwa 'teotsk' (siehe obige Vocalverwandtschaften) und das mutet in der Tat wie ein verstümmeltes THEOTISCVS an.
Das ist folgerichtig, aber natürlich nicht gewiß.
-
Was ich am wahrscheinlichsten annehme, ist der gemeinsame Einfluß von theotisc- und tevtonicvs auf das spätere Wort "Teutsch". Denn, um TEVTONICVS diesen anteiligen Einfluß abzusprechen, hat dieser Ausdruck an der Schwelle zur Neuzeit bereits zuviel Gewicht!!
-
Was die vorgeblich eindeutigen Lautgesetze angeht : kann mein Mißtrauen nicht umhin, fort zu grimmen. Ähnlich vielen Verbrauchern, die der Ernährungswissenschaft mißtrauen, welche heute dies als wissenschaftlich erwiesen ausposaunt und morgen das genaue Gegenteil. Es gibt viele aufrichtige Wissenschaftler. Es gibt aber auch solche, die leider voreilig, ja anmaßend sind. Deshalb bleibe ich vorsichtig und sage lieber: "Ich weiß das mit der Entstehung des Begriffes "Teutsch" nicht genau.
Diese Lautgesetze können ja auch schlecht eindeutig ausfallen, wenn man bedenkt, daß die unterschiedlichen Mundarten eine Vielzahl von Eigenarten beinhalten. Und nirgendwo läßt sich anhand der Ausschreibung wirklich exact die Aussprache ableiten. Das ist unmöglich - man kann nur vermuten, wie sie gewesen sein könnte.
-
Ich habe gestern mal meine Mappen durchgesehen und stieß u.a. auf ein Facsimile des Heidelberger Sachsenspiegels um die Mitte des 14. Jahrhunderts - ein Abdruck in der Mitteldeutschen Zeitung - recht gut lesbar. Ins Auge springt mir "... daz he wol richten můz al di dage ..." : Dieses "dage" gemahnt mich jener mundartlichen Färbung, wie man sie später noch bei Madame (v.d. Pfalz) findet. Im mhdt. Wörterbuch findet sich die Variante "dag" nicht, sondern nur "tag/tac".
Eindeutiger verhält es sich mit diutsch/tiutsch: Wir dürfen hier nicht außer Acht lassen, daß eben beide im Mhdt. nebeneinander geläufig sind. Und ich glaube (weiß es nicht!), daß diutsch die mundartliche Variante von tiutsch ist. In der Tat scheint diutsch gehäufter vorgekommen zu sein und es wäre ja auch nicht neu, wenn sich hier eine mundartliche Variante vorübergehend durchgesetzt hätte.
Was aber Mundarten, wie etwa das Schwäbische, angeht, gehe ich davon aus, daß dererlei Färbungen recht alt sind und weit veränderungsresistenter als überregionale 'Hochsprache'.
-
Zur Lautverschiebung von th nach d: Daß beispielsweise das frühmittelalterliche "warth" später zu "ward" wird, ist in der Tendenz eindeutig. An Wortanfängen spielen sich aber selten die gleichen Wandlungen ab, wie am Ende. Bei "ward" vermute ich nicht so sehr eine mundartliche Färbung, wie bei "diutsch". - Was man aber selbst bei "ward" nie wissen kann, ist, ob nicht doch das sprichwörtliche Pferd vor der Apoteke schon ein solches "ward" (v)erbrochen haben könnte, als "warth" scheinbar noch absolut regierte. So wenig uns an Originalen erhalten geblieben ist, so steht doch zu befürchten, daß in dem einen oder anderen verloren gegangenen Pergament Varianten gestanden haben werden, von denen die Etymologie nicht die leiseste Ahnung hat. Ich glaube nicht, daß man die eigenwilligen Ergüsse des Frühmittelalters, in ihrer Vielfalt, auf regelmäßige Structuren herunter brechen kann. Was man sehen kann, ist ein besonders großer Variantenreichtum - und der ist für jeden, der genau festlegen will, tückisch.
-
Ähnliche Ungewißheiten gibt es noch mehr: Ich wollte nicht wetten, wie man etwa aus Zeitungen um 1700 die Worte "Käyser" und "Mäy" abgelesen hätte. Das >äy< ist nicht wenig verdächtig*, daß man es evtl. anders als den heutigen Monat "Mai" ausgesprochen haben könnte.
Meine Vermutung ist, daß der Leser in Hannover, wenn er die Zeitung laut vorlas, wohl "Kaiser" abgelesen hat, um somit die mundartliche Färbung gewohnheitsmäßig zu umschiffen. In Wien hat man's wohl anders gesprochen, denn da paßt "Käyser/Käyßer/Keyßer" (das zweite, mundartig treffenste, findet man exact auch bei Madame) wie die Faust auf's Auge.
In jener Zeit, wo ich meine originalsprachliche Radiosendung präsentierte, waren das mitunter quälende Fragen. Denkbar wäre hier immerhin, daß etwa in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek ein 300 Jahre altes Werk schlummert, worin solche phonetischen Varianten discurriert werden ... - Diesen litterarisch vielberedten Reichtum bietet uns das Mittelalter leidergottes nicht. Und ich finde, daß man mit einer gewissen Demut im Nebel stochern sollte, um sich nicht in Scheingewißheiten zu verrennen. Und fände es artiger, wollten die Herren Etymologen offen bekennen: "Wir glauben, aber wissen nicht."
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* Übrigens: „vertächtig“ dominiert um 1700, es sieht also wiederum so aus, als bedienten wir uns heute einer ursprünglich mundartlichen Variante. So weit zu diesem Vertacht.
 
Es wäre zu fragen ob der Verfasser der lateinischen Überschrift mit dem Verfasser des deutschen Gedichtes überhaupt identisch ist. Da der Text in einem ganzen Codex ist, u.a. mit dem französischen Eulalialied, scheint mir die Überschrift mehr das abstract eines Kompilators zu sein.

*** Nunja, der Begriff Tevtonicus mag damals was abstractes gehabt haben - interessant ist, daß er schon in der Luft lag - ohne daß es mit den alten Teutonen zu tun hatte!

Würdest Du bitte berücksichtigen, dass hier nicht alle das tote Deutsch um 1700 schreiben? Ein abstract ist eine Textsorte (Inhaltsangabe).
 
Die Entwicklung von "theo-" nach "tiu-" ist, phonetisch betrachtet, gar keine so große Veränderung. Wie ich schon anklingen ließ, gibt es im Deutschen keine übergangslos eindeutige Trennung zwischen e und i - und dies gleichwohl zwischen o und u.
Wieso kommst Du jetzt "theo-"? Wegen der latnisierten Form des Deutschen thiudisc, theodiscus? Wohin soll uns das führen?

Weil es sich nämlich nur in den Fällen 1. und 3. um ein eindeutiges >o< bzw. >u< handelt.
Rußlanddeutsche neigen beim Sprechen öfters dazu "Buhshaltestelle" zu sagen, ebenso wie sie sich gern als "Ruhßen" bezeichnen. Und haben damit strenggenommen recht, weil der Bus im Deutschen eben den gleichen Vocal enthält, wie die "Bosheit" - nur daß er bei "Bus" eben sehr kurz gesprochen wird.
Also zunächst einmal: die meisten Russlanddeutschen - bis auf ein paar alte Muttchen, die noch ihren schwäbischen Dialekt in der Jugend gelernt haben - sprechen Deutsch als Fremdsprache. Russlanddeutsche Aussprache ist also argumentativ nur dann zu verwenden, wenn es sich tatsächlich um die Sprache der Wolgadeutschen handelt, nicht um die Sprache der meist kasachischen Spätaussiedler. Da Wolgadeutsch so gut wies ausgestorben ist, brauchen wir das hier wohl kaum weiter auszuführen.

Wieviele Vokale gibt es im heutigen Deutsch? Die Antwort wird Dich verwundern: 19! In Worten: Neunzehn.

Woher stammt das Wort Bus? Bus ist ein modernes Kunstwort, abgeleitet aus dem Dativ des lateinischen omnes - 'alle'. Der Dativ/Ablativ lautet omnibus. Also gleicher Vokal wie 'boshaft'? Diese Behauptung kann man wohl nur als Boshaftigkeit Deinerseits auslegen.

Nun zum sch - wo sich leider nichts Gewisses vermelden läßt. Fest steht, daß dem Mittelalter - gerade dem Frühmittelalter - das lateinische >ch< (Charta) sehr geläufig ist. Deshalb kann man schlecht sagen, ob im Mittelhochdeutschen das sch wirklich so ausgesprochen wurde wie heute. Man kann auch munkeln, daß man "tiutsch" eben 'tiutsk' ausgesprochen haben könnte - eben wegen des lateinischen ch. - Bleiben wir bei einer solchen Aussprachepraxis, so befinden wir uns bereits dicht an etwa 'teotsk' (siehe obige Vocalverwandtschaften) und das mutet in der Tat wie ein verstümmeltes THEOTISCVS an.
Das ist folgerichtig, aber natürlich nicht gewiß.
In welche Richtung zielt diese Argumentation? <ch> kommt in Thiudisc nicht vor...


Was ich am wahrscheinlichsten annehme, ist der gemeinsame Einfluß von theotisc- und tevtonicvs auf das spätere Wort "Teutsch". Denn, um TEVTONICVS diesen anteiligen Einfluß abzusprechen, hat dieser Ausdruck an der Schwelle zur Neuzeit bereits zuviel Gewicht!!
Ich weiß nicht was das jetzt noch soll: Ich habe Dir die Ableitung von deutsch aus thiudisc vorexerziert. Du kannst das anhand der Sprachgesetze - die sich auf alle Wörter, die früh genug in die deutsche Sprache gekommen sind, anwenden lassen - nachprüfen. Teutonicus hätte - wenn es in die deutsche Sprache aufgenommen worden wäre, eine Entwicklung Richtung *tseutsonisch/*zeuzonisch o.ä. genommen (vgl. titta - 'Zitze' (Titte ist eine Rückentlehnung von englisch tit, Tide - 'Zeit', tabula - 'Zabel' (was wiederum ausgestorben ist)). Ich komme mir langsam vor wie ein Langspielplattenspieler auf dem eine zerkratzte Scheibe aufgelegt ist... :motz:


Ich habe gestern mal meine Mappen durchgesehen und stieß u.a. auf ein Facsimile des Heidelberger Sachsenspiegels um die Mitte des 14. Jahrhunderts - ein Abdruck in der Mitteldeutschen Zeitung - recht gut lesbar. Ins Auge springt mir "... daz he wol richten můz al di dage ..." : Dieses "dage" gemahnt mich jener mundartlichen Färbung, wie man sie später noch bei Madame (v.d. Pfalz) findet. Im mhdt. Wörterbuch findet sich die Variante "dag" nicht, sondern nur "tag/tac".
Was vielleicht daran liegt, dass das Sächsische als Niederdeutsche Sprache die zweite bzw. hochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht hat?:autsch:

Zur Lautverschiebung von th nach d: Daß beispielsweise das frühmittelalterliche "warth" später zu "ward" wird, ist in der Tendenz eindeutig. An Wortanfängen spielen sich aber selten die gleichen Wandlungen ab, wie am Ende. Bei "ward" vermute ich nicht so sehr eine mundartliche Färbung, wie bei "diutsch". - Was man aber selbst bei "ward" nie wissen kann, ist, ob nicht doch das sprichwörtliche Pferd vor der Apoteke schon ein solches "ward" (v)erbrochen haben könnte, als "warth" scheinbar noch absolut regierte. So wenig uns an Originalen erhalten geblieben ist, so steht doch zu befürchten, daß in dem einen oder anderen verloren gegangenen Pergament Varianten gestanden haben werden, von denen die Etymologie nicht die leiseste Ahnung hat. Ich glaube nicht, daß man die eigenwilligen Ergüsse des Frühmittelalters, in ihrer Vielfalt, auf regelmäßige Structuren herunter brechen kann. Was man sehen kann, ist ein besonders großer Variantenreichtum - und der ist für jeden, der genau festlegen will, tückisch.
"Wart" ist in der Tat ein Problem, da, wie Du richtig erkannt hast, kein einheitliche Schreibung existierte. Die Leute haben geschrieben,was sie hörten. Und da wir im Deutschen die Auslautverhärtung haben, hat man im Mittelalter auch so geschrieben. So kann auch ein wurde ein wart sein. Geh mal in eine erste Klasse und schau wie die Kinder schreiben: Aus "Uli und Uwe" wird *"Uli unt Uwe", da den Kindern das mittelhochdeutsche unde nicht mehr geläufig ist.
 
Die Entwicklung von "theo-" nach "tiu-" ist, phonetisch betrachtet, gar keine so große Veränderung. Wie ich schon anklingen ließ, gibt es im Deutschen keine übergangslos eindeutige Trennung zwischen e und i - und dies gleichwohl zwischen o und u.
In einem Opernrecitativ wird es offenbar...

Auch ich darf mich da wiederholen: nimm als Beispiele doch einmal Dialekte, welche noch nicht ausgestorben sind. Gerade die o/u-Entsprechung, welche charakteristisch für den oberdeutschen Sprachraum - besonders in Abgrenzung zum mitteldeutschen Sprachraum - ist, macht deutlich, welche Trennlinien es durchaus gibt.

Hier die ab dem 16. Jh. künstlich geschaffene Hochsprache (Standarddeutsch/Schriftdeutsch, gemeinhin als Hochdeutsch bezeichnet) anzulegen, führt nicht weiter.

Fest steht, daß dem Mittelalter - gerade dem Frühmittelalter - das lateinische >ch< (Charta) sehr geläufig ist. Deshalb kann man schlecht sagen, ob im Mittelhochdeutschen das sch wirklich so ausgesprochen wurde wie heute.

Im Frühmittelalter wurde Althochdeutsch gesprochen, welches in der Tat kein sch kennt.
http://www.geschichtsforum.de/275838-post14.html
Im Hochmittelalter aber gilt für das Mittelhochdeutsch, daß einerseits ch nicht mehr als k und andererseits sch nicht als sc/sk gesprochen wurde. Ich erlaube mir Zitatstellen bei Walther von der Vogelweide:
Hie liez er sich reine toufen,
daz der mensche reine si...
...
Daz er herre ir huote brach,
und man in sit lebendic sach,
den ir hant sluoc unde stach...
...
Kristen juden unde heiden...

... ir kardenale, ir decket iuwern kor...

... iedoch swaz mir da von geschiht, in scheid ir von ein ander niht...
...
... man sach Liupoltes hant da geben, daz si des niht erschrac...

Was die vorgeblich eindeutigen Lautgesetze angeht : kann mein Mißtrauen nicht umhin, fort zu grimmen...
Diese Lautgesetze können ja auch schlecht eindeutig ausfallen, wenn man bedenkt, daß die unterschiedlichen Mundarten eine Vielzahl von Eigenarten beinhalten. Und nirgendwo läßt sich anhand der Ausschreibung wirklich exact die Aussprache ableiten. Das ist unmöglich - man kann nur vermuten, wie sie gewesen sein könnte.

Die Lautgesetze fallen immerhin eindeutig genug aus, daß man bspw. sagen kann, daß die zweite Lautverschiebung bspw. in allen hochdeutschen Dialekten - d.h. mitteldeutschen und oberdeutschen Dialekten in Abgrenzung zum Niederdeutschen - stattgefunden hat.

Ähnliche Ungewißheiten gibt es noch mehr: Ich wollte nicht wetten, wie man etwa aus Zeitungen um 1700 die Worte "Käyser" und "Mäy" abgelesen hätte. Das >äy< ist nicht wenig verdächtig*, daß man es evtl. anders als den heutigen Monat "Mai" ausgesprochen haben könnte.
Meine Vermutung ist, daß der Leser in Hannover, wenn er die Zeitung laut vorlas, wohl "Kaiser" abgelesen hat, um somit die mundartliche Färbung gewohnheitsmäßig zu umschiffen. In Wien hat man's wohl anders gesprochen, denn da paßt "Käyser/Käyßer/Keyßer" (das zweite, mundartig treffenste, findet man exact auch bei Madame) wie die Faust auf's Auge.

Der Leser in Hannover wendete sich ab dem 16./17. Jh. und v.a. dann in den folgenden Jahrhunderten mehr und mehr von seinem gewohnten Niederdeutsch ab, weil sich die - übrigens auf das Thüringisch-Obersächsische zurückgehende (Stichwort: Martin Luther) - Hochsprache als Schriftsprache durchsetzte. Dies gilt übrigens für weite Teile Norddeutschlands, wo die niederdeutschen Dialekte nach und nach verdrängt wurden bzw. nur noch in der Umgangssprache verwendet wurden/werden.
Das "Umschiffen der mundartlichen Färbung" scheitert diesbezüglich also bereits im Ansatz bzw. geht es genau andersherum...
 
@timotheus: Im Frühmittelalter wurde Althochdeutsch gesprochen, welches in der Tat kein sch kennt.
Übersetzung in altdeutsch bzw Mittelalter
Im Hochmittelalter aber gilt für das Mittelhochdeutsch, daß einerseits ch nicht mehr als k und andererseits sch nicht als sc/sk gesprochen wurde.

:eek:fftopic:
Bei den Skandinaviern heißt es zum Beispiel "fisk" statt Fisch, auch so ausgesprochen. Man kann einen Dänen in den Wahnsinn treiben, wenn man ihn auffordert "Schweineschwänzchen" auszusprechen. :rofl:
 
Um das aufzulösen:

Bei den Skandinaviern heißt es zum Beispiel "fisk" statt Fisch, auch so ausgesprochen...

Das ist richtig; nur spielen hier die (erste) Lautverschiebung (Bildung und Ausprägung der germanischen Gemeinsprache), die Auflösung der der germanischen Spracheinheit sowie die spätere (zweite) Lautverschiebung (Auseinanderdriften innerhalb der westgermanischen Sprachen sowie die Trennung der deutschen Sprach- bzw. Dialekträume Nieder- und Hochdeutsch) eine Rolle.
Vgl. dazu auch meine Ausführungen in einem anderen Thread:
http://www.geschichtsforum.de/280897-post10.html
http://www.geschichtsforum.de/281761-post37.html
http://www.geschichtsforum.de/281877-post38.html
 
Wieviele Vokale gibt es im heutigen Deutsch? Die Antwort wird Dich verwundern: 19! In Worten: Neunzehn.
Es gibt principiell unendlich viele Färbungen/Zwischentöne, aber man braucht gewisse Haltepuncte. Wußtest Du, daß es eine Vocalscala gibt, die Sänger auf einem Ton üben können? Ähnlich wie eine Tonleiter kann man die auch 'glissandieren' - und ähnlich wie die Tonleiter unendlich viele zwischentöne enthält, ist das auch mit der Vocalscala.
Woher stammt das Wort Bus? Bus ist ein modernes Kunstwort, abgeleitet aus dem Dativ des lateinischen omnes - 'alle'. Der Dativ/Ablativ lautet omnibus. Also gleicher Vokal wie 'boshaft'? Diese Behauptung kann man wohl nur als Boshaftigkeit Deinerseits auslegen.
Sing es mal durch, dann geht es Dir vielleicht auf. Du kannst auf "Bus" keine gewöhnliches u aushalten - es muß ein o sein, aber keine offenes, sondern ein gedecktes. Der gewisse Russe war ein Mittdreißiger. Welchen Tipp findes Du günstiger, ihm zu helfen, damit er nicht immer Buuß sagen muß (er äußerte damals den Wunsch, den Accent abzulegen)? ...
Was vielleicht daran liegt, dass das Sächsische als Niederdeutsche Sprache die zweite bzw. hochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht hat?
Also ist's doch so, daß Frühmittelalterdeutsch nicht eindeutig bestimmbar ist.

Timotheus schrieb:
Der Leser in Hannover wendete sich ab dem 16./17. Jh. und v.a. dann in den folgenden Jahrhunderten mehr und mehr von seinem gewohnten Niederdeutsch ab, weil sich die - übrigens auf das Thüringisch-Obersächsische zurückgehende (Stichwort: Martin Luther) - Hochsprache als Schriftsprache durchsetzte. Dies gilt übrigens für weite Teile Norddeutschlands, wo die niederdeutschen Dialekte nach und nach verdrängt wurden bzw. nur noch in der Umgangssprache verwendet wurden/werden.
Das "Umschiffen der mundartlichen Färbung" scheitert diesbezüglich also bereits im Ansatz bzw. geht es genau andersherum...

"Käyser" klingt aber nicht niederdeutsch und so war's auch nicht gemeint. Ich gehe nur davon aus, daß der Hannoveraner anders abliest, als der Wiener, was zunächst eine Binsenweisheit ist. Aber er liest (im Gegensatz zum Wiener) nicht was da steht. In der renommierten Braunschweiger Zeitung stand jedenfalls "Käyser".
 
Also ist's doch so, daß Frühmittelalterdeutsch nicht eindeutig bestimmbar ist.

Aber natürlich sind Althochdeutsch, Altniederdeutsch (Altsächsisch) sowie Altniederländisch eindeutig bestimmbar.

"Käyser" klingt aber nicht niederdeutsch und so war's auch nicht gemeint.

Ich hatte auch nichts dergleichen geschrieben.

Ich gehe nur davon aus, daß der Hannoveraner anders abliest, als der Wiener, was zunächst eine Binsenweisheit ist. Aber er liest (im Gegensatz zum Wiener) nicht was da steht. In der renommierten Braunschweiger Zeitung stand jedenfalls "Käyser".

Noch einmal: der Hannoveraner muß während des 16. und 17. Jh. genau das ablesen, was in Standarddeutsch geschrieben steht, eben weil es nicht seiner traditionellen niederdeutschen Sprache bzw. seinem traditionellen niederdeutschen Dialekt entspricht.
 
Noch einmal: der Hannoveraner muß während des 16. und 17. Jh. genau das ablesen, was in Standarddeutsch geschrieben steht, eben weil es nicht seiner traditionellen niederdeutschen Sprache bzw. seinem traditionellen niederdeutschen Dialekt entspricht.
Das klingt sehr nach Schablone und ich mißtraue allen Schablonen. Überwiegender Standart war damals im Druck "Käyser". Aber in Current sieht das höchst wunderlich aus, weil hier noch die Strichelchen über das y gehören. Da schreibt mans gerne mit ey.
Nach Deiner Schablone müßte der Hannoverische Leser das "Käy-" ähnlich dem Englischen "hey" abgelesen haben. Ich vermute aber nicht zwingend, daß er nicht "ai" gesprochen hat. Weshalb ich die Aussprache "ey" damals nicht in meine Sendung einführte. - Der Mensch geht nicht nach Schablonen oder Tabellen, sondern intuitiv nach Gewohnheit. Und hier kann man sich freilich fragen, ob im Hannover um 1700 nicht vielleicht doch das "ey" gewohnheitsmäßig Vorfahrt hatte. Vielleicht war es ja auch durchmischt ...

Bitte knallt nicht überall den preußischen Ampts-Stempffel druff. Man sollte nicht alles categorisieren - der Mensch ist nicht gar so genormt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieb∫te Freundin;

Hat die∫e Di∫cv∫sion noch einen Sinn? Sollten Sie ∫ich nicht er∫t einmal mit dem uueiten Feld der Sprachwi∫sen∫chaft vertravdt machen?

Nehmen wir die Lavtge∫etʒe. Sie lehnen die∫e ab, uueil die∫e Ihre The∫is von der Ab∫tammunck des UUortes Tevt∫ch von Tevtonicvs uuiderlegen. Leider verga∫ʒen Sie dabej zv berveck∫ichtigen, da∫ʒ die Lavtge∫etʒe eben nicht der edlen Jvri∫prvdentia entuuachsen, svndern da∫ʒ ∫ie der empirischen Beobachtvnck geschvldedt seindt. Item handeldt es ∫ich hierbej mitnichten vmb einen paragraphvs jvristicvs gvmmicvs, svndern umb ein Gebilde, dem Naturge∫etʒe nicht unähnlich. Mademoi∫elle ∫ollte die Gvete be∫itʒen, ∫ich ertlich mit den Lavtge∫etʒen av∫einanderzv∫etʒen vnd die notuuendige Competentia erarbeiten, beuor Mademoi∫elle die Stirne be∫itʒt die Lavtge∫etʒe als vnuuwahr zv decla∫sifizieren.

Bedanckt.
 
Ein anderer Aspect, um mal die Schablonen durcheinander zu wirbeln:

Es gab und gibt deutsche Accente, die nicht nur zum Deibel neigen, sondern auch zum Deitschen. Wobei es dann wieder die Varianten daitsch und deytsch gibt.

Und da soll ausgerechnet im Frühmittelalter Homogenität herzustellen sein? ich vermeide ja den Begriff "Althochdeutsch", weil ich ihm ebenfalls mißtraue.

Es gibt Bereiche, wo ich mich viel energischer ausspreche. "Barocktanz" bezeichne ich ohne Not als Unfug. Wenn es um "Althochdeutsch" geht, kann ich nur mein Mißtrauen bekunden, weil ich da eben nicht so zuhause bin. Aber je mehr Schablonen man mir vor die Nase hält, desto größer wird mein Mißtrauen ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieb∫te Freundin;

Hat die∫e Di∫cv∫sion noch einen Sinn? Sollten Sie ∫ich nicht er∫t einmal mit dem uueiten Feld der Sprachwi∫sen∫chaft vertravdt machen?

Nehmen wir die Lavtge∫etʒe. Sie lehnen die∫e ab, uueil die∫e Ihre The∫is von der Ab∫tammunck des UUortes Tevt∫ch von Tevtonicvs uuiderlegen. Leider verga∫ʒen Sie dabej zv berveck∫ichtigen, da∫ʒ die Lavtge∫etʒe eben nicht der edlen Jvri∫prvdentia entuuachsen, svndern da∫ʒ ∫ie der empirischen Beobachtvnck geschvldedt seindt. Item handeldt es ∫ich hierbej mitnichten vmb einen paragraphvs jvristicvs gvmmicvs, svndern umb ein Gebilde, dem Naturge∫etʒe nicht unähnlich. Mademoi∫elle ∫ollte die Gvete be∫itʒen, ∫ich ertlich mit den Lavtge∫etʒen av∫einanderzv∫etʒen vnd die notuuendige Competentia erarbeiten, beuor Mademoi∫elle die Stirne be∫itʒt die Lavtge∫etʒe als vnuuwahr zv decla∫sifizieren.

Bedanckt.

Das ist wunderschön. Man sollte es einrahmen.
 
Nur um ein weiteres Missverständnis aufzuklären: Hochdeutsch ist nicht gleich Standardsprache. Hochdeutsch ist die Dialektgruppe der ober- und mitteldeutschen Mundarten, die sich von den niederdeutschen Mundarten dadurch abgrenzt, dass sie die zweite bzw. hochdeutsche Lautverschiebung mitgemacht hat.
 
Ich sehe jetzt, daß wir am Endpunct des Discurses angekommen sind:

Nämlich der Frage, ob die Wissenschaft im allgemeinen, sowie die der Lautgesetzte insonderheit, unfehlbar seien. Dies Gipfelt letztlich in der Frage, ob der Mensch und sein Wissen und Können vollkommen sein könne ...

Das aber sind philosophische, ja sogar theologische Fragen und gehören somit nicht in dieses Forum.

Den gleichen Streit hatte ich mit einem Tanzcollegen. Er bestand darauf, daß der Menuetschritt immer mit dem gleichen Fuß beginnen müsse, wobei er sich auf überlieferte Originalchoreographien stützte. In den Büchern der Originaltanzmeister wird aber betont, daß nur die Grundtechnik entscheidend sei und daß ansonsten Freiheit herrschen sollte.
Es hilft aber nichts, wenn sich einer auf Schablonen versteift - man bringt ihn eh nicht davon ab.
 
@El Quijote: Ich weiß, die Hochdeutschen sitzen platt gesagt im Hochland und die Niederdeutschen unten in den Fischen.

Deshalb setzte ich irgendwo hier auch 'Hochdeutsch' in ' - heute meint man damit ja was anderes.
 
Ich sehe jetzt, daß wir am Endpunct des Discurses angekommen sind:

Nämlich der Frage, ob die Wissenschaft im allgemeinen, sowie die der Lautgesetzte insonderheit, unfehlbar seien. Dies Gipfelt letztlich in der Frage, ob der Mensch und sein Wissen und Können vollkommen sein könne ...

Falsch. Wir sind an der Stelle angekommen, an der Du Dir endlich mal die Kompetenz aneignen solltest, die Lautgesetze zu kritisieren. Wenn Du die Lautgesetze stichhaltig kritisieren kannst und belegen kannst, dass sie fehlerhaft sind, dann können wir weiterdiskutieren.
 
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