Die Entwicklung von "theo-" nach "tiu-" ist, phonetisch betrachtet, gar keine so große Veränderung. Wie ich schon anklingen ließ, gibt es im Deutschen keine übergangslos eindeutige Trennung zwischen e und i - und dies gleichwohl zwischen o und u.
In einem Opernrecitativ wird es offenbar. Es ist ein Unterschied ob ich singen lasse:
-
1. "Ich muß zum Boss"
2. "Ich muß zum Bus"
3. "Ich muß zur Bußmesse"
-
Weil es sich nämlich nur in den Fällen 1. und 3. um ein eindeutiges >o< bzw. >u< handelt.
Rußlanddeutsche neigen beim Sprechen öfters dazu "Buhshaltestelle" zu sagen, ebenso wie sie sich gern als "Ruhßen" bezeichnen. Und haben damit strenggenommen recht, weil der Bus im Deutschen eben den gleichen Vocal enthält, wie die "Bosheit" - nur daß er bei "Bus" eben sehr kurz gesprochen wird. - Ist in unserer Buchhalter-Oper "Bus" länger auszuhalten, singt man "Booß" und eben nicht "Buuß". Das gleich Prinzip führte ich für das "bitten" aus, das im Gegensatz zu "bieten" ein >e< enthält (und ganz am Rande erwähnt, besteht bei der vertonten Ankündigung : man verabschiede sich ins "Bett", die Gefahr, daß der Zuhörer erwarten möchte, man wollte sich zum Schlafen etwa zwischen den Schnabelbohnen im "Beet" vergraben, wo man nicht bedenkt, daß im Princip ein >ä< zu singen ist).
Soweit unser 'teutonesistischer' Vocalschludrian.
-
Nun zum sch - wo sich leider nichts Gewisses vermelden läßt. Fest steht, daß dem Mittelalter - gerade dem Frühmittelalter - das lateinische >ch< (Charta) sehr geläufig ist. Deshalb kann man schlecht sagen, ob im Mittelhochdeutschen das sch wirklich so ausgesprochen wurde wie heute. Man kann auch munkeln, daß man "tiutsch" eben 'tiutsk' ausgesprochen haben könnte - eben wegen des lateinischen ch. - Bleiben wir bei einer solchen Aussprachepraxis, so befinden wir uns bereits dicht an etwa 'teotsk' (siehe obige Vocalverwandtschaften) und das mutet in der Tat wie ein verstümmeltes THEOTISCVS an.
Das ist folgerichtig, aber natürlich nicht gewiß.
-
Was ich am wahrscheinlichsten annehme, ist der gemeinsame Einfluß von theotisc- und tevtonicvs auf das spätere Wort "Teutsch". Denn, um TEVTONICVS diesen anteiligen Einfluß abzusprechen, hat dieser Ausdruck an der Schwelle zur Neuzeit bereits zuviel Gewicht!!
-
Was die vorgeblich eindeutigen Lautgesetze angeht : kann mein Mißtrauen nicht umhin, fort zu grimmen. Ähnlich vielen Verbrauchern, die der Ernährungswissenschaft mißtrauen, welche heute dies als wissenschaftlich erwiesen ausposaunt und morgen das genaue Gegenteil. Es gibt viele aufrichtige Wissenschaftler. Es gibt aber auch solche, die leider voreilig, ja anmaßend sind. Deshalb bleibe ich vorsichtig und sage lieber: "Ich weiß das mit der Entstehung des Begriffes "Teutsch" nicht genau.
Diese Lautgesetze können ja auch schlecht eindeutig ausfallen, wenn man bedenkt, daß die unterschiedlichen Mundarten eine Vielzahl von Eigenarten beinhalten. Und nirgendwo läßt sich anhand der Ausschreibung wirklich exact die Aussprache ableiten. Das ist unmöglich - man kann nur vermuten, wie sie gewesen sein könnte.
-
Ich habe gestern mal meine Mappen durchgesehen und stieß u.a. auf ein Facsimile des Heidelberger Sachsenspiegels um die Mitte des 14. Jahrhunderts - ein Abdruck in der Mitteldeutschen Zeitung - recht gut lesbar. Ins Auge springt mir "... daz he wol richten můz al di dage ..." : Dieses "dage" gemahnt mich jener mundartlichen Färbung, wie man sie später noch bei Madame (v.d. Pfalz) findet. Im mhdt. Wörterbuch findet sich die Variante "dag" nicht, sondern nur "tag/tac".
Eindeutiger verhält es sich mit diutsch/tiutsch: Wir dürfen hier nicht außer Acht lassen, daß eben beide im Mhdt. nebeneinander geläufig sind. Und ich glaube (weiß es nicht!), daß diutsch die mundartliche Variante von tiutsch ist. In der Tat scheint diutsch gehäufter vorgekommen zu sein und es wäre ja auch nicht neu, wenn sich hier eine mundartliche Variante vorübergehend durchgesetzt hätte.
Was aber Mundarten, wie etwa das Schwäbische, angeht, gehe ich davon aus, daß dererlei Färbungen recht alt sind und weit veränderungsresistenter als überregionale 'Hochsprache'.
-
Zur Lautverschiebung von th nach d: Daß beispielsweise das frühmittelalterliche "warth" später zu "ward" wird, ist in der Tendenz eindeutig. An Wortanfängen spielen sich aber selten die gleichen Wandlungen ab, wie am Ende. Bei "ward" vermute ich nicht so sehr eine mundartliche Färbung, wie bei "diutsch". - Was man aber selbst bei "ward" nie wissen kann, ist, ob nicht doch das sprichwörtliche Pferd vor der Apoteke schon ein solches "ward" (v)erbrochen haben könnte, als "warth" scheinbar noch absolut regierte. So wenig uns an Originalen erhalten geblieben ist, so steht doch zu befürchten, daß in dem einen oder anderen verloren gegangenen Pergament Varianten gestanden haben werden, von denen die Etymologie nicht die leiseste Ahnung hat. Ich glaube nicht, daß man die eigenwilligen Ergüsse des Frühmittelalters, in ihrer Vielfalt, auf regelmäßige Structuren herunter brechen kann. Was man sehen kann, ist ein besonders großer Variantenreichtum - und der ist für jeden, der genau festlegen will, tückisch.
-
Ähnliche Ungewißheiten gibt es noch mehr: Ich wollte nicht wetten, wie man etwa aus Zeitungen um 1700 die Worte "Käyser" und "Mäy" abgelesen hätte. Das >äy< ist nicht wenig verdächtig*, daß man es evtl. anders als den heutigen Monat "Mai" ausgesprochen haben könnte.
Meine Vermutung ist, daß der Leser in Hannover, wenn er die Zeitung laut vorlas, wohl "Kaiser" abgelesen hat, um somit die mundartliche Färbung gewohnheitsmäßig zu umschiffen. In Wien hat man's wohl anders gesprochen, denn da paßt "Käyser/Käyßer/Keyßer" (das zweite, mundartig treffenste, findet man exact auch bei Madame) wie die Faust auf's Auge.
In jener Zeit, wo ich meine originalsprachliche Radiosendung präsentierte, waren das mitunter quälende Fragen. Denkbar wäre hier immerhin, daß etwa in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek ein 300 Jahre altes Werk schlummert, worin solche phonetischen Varianten discurriert werden ... - Diesen litterarisch vielberedten Reichtum bietet uns das Mittelalter leidergottes nicht. Und ich finde, daß man mit einer gewissen Demut im Nebel stochern sollte, um sich nicht in Scheingewißheiten zu verrennen. Und fände es artiger, wollten die Herren Etymologen offen bekennen: "Wir glauben, aber wissen nicht."
-
* Übrigens: „vertächtig“ dominiert um 1700, es sieht also wiederum so aus, als bedienten wir uns heute einer ursprünglich mundartlichen Variante. So weit zu diesem Vertacht.