Hier mal passender eine Dissertation, die
interdisziplinär den Einfluss des Osmanischen Reiches auf die in seinem Territorium vertretenen Kulturen aufgreift und den Einfluss europäischer Ideen im Wandel der Zeit. Also z.B. das Aufkommen des Nationalismus bei den "beherrschten" Völkern untersucht, bis diese Idee letztlich auch mit seinen fatalen Folgen bei den "Beherrschern" zum Zuge kommt.
Wie immer reicht es schon, einige letzte Sätze oder einleitende Sätze der Kapitel zu lesen, um einen Eindruck der Arbeit zu erhalten, aber auch die Literaturliste dürfte bei denen von Interesse sein, die sich mit Südosteuropa beschäftigen.
Ich hätte diese Arbeit auch in den Historiographie-Thread hier im Bereich stellen können, zeigt diese Arbeit doch teilweise auf, wie die Südosteuropäer, aber auch Türken, Araber, Zionisten/Juden usw. zu ihrem Geschichtsbild gekommen sind, die z.T. heute noch bei vielen Diskutanten im Forum durchscheint.
Einige Zitate, die mir spontan ins Auge fielen als "Leseproben" - viele unserer Themen in diversen "
Ethnogenese"-Threads werden tangiert:
"Da das Osmanische Reich ein imperialer Machtstaat war, wird die osmanische Kultur mit Unfreiheit und Knechtschaft assoziiert. Die Loslösung von diesem kulturellen Einfluss setzt allerdings voraus, dass dieser nur äusserlicher Natur war, der den wahren Kern des Nationalcharakters eines Volkes nicht wirklich umzugestalten imstande war, eine Entosmanisierung der Gesellschaften mithin automatisch nach Europa führen müsse.
In der Praxis führt dieser Glaube noch heute dazu, dass eine osmanische Herkunft einzelner Elemente der eigenen Kultur nur zu gerne geleugnet wird."
"In den 1880er Jahren begann die griechische Geschichtswissenschaft, eine
griechisch-bulgarische Erbfeindschaft mit dem Mittelalter zu
konstruieren."
"Als [albanisches] Vehikel einer Abgrenzung vom Türkentum dienten die
Kryptochristen, unter die manchmal auch die Anhänger des islamischen Bektaschi-Ordens gezählt wurden. Eine Extrapolation dieser Anschauung liegt in der Behauptung, dass die vermeintlichen Ur-Albaner,
die Illyrer, nach dem Kontakt mit dem Islam Kryptoheiden geblieben seien."
"Das Selbstverständnis von einer Nation, die ihre Wurzeln auf die Antike zurückführt, konnte jedoch ein für die eigene Geschichte bedeutendes Gebiet wie Kleinasien nicht einfach ignorieren. Es war nur konsequent, die Staatsgrenzen auf Kleinasien auszudehnen. ... Ion Dragoumis (1878-1920) fordert in seinem Pamphlet “Die Lebenden” (Όσοι ζωντανοί, 1911), dass die Schaffung des Staates Vorrang vor der der Kultur haben müsse: “Erst ihren Staat, und danach ihre Kultur – dies ist es, was die Griechen gemeinsam schaffen müssen.”
Sein Stil zeichnet sich durch eine naive Blut-und-Boden- Romantik sowie extreme Xenophobie aus."
"Der Forschungsgegenstand ist dabei nicht nur für das Verständnis des Osmanischen Reiches interessant. Er wirft auch neues Licht auf die
Idee von Europa, dem sich zuweilen auch Eliten ausserhalb dessen zugehörig fühlten, während es andererseits in seinem Inneren ebensolche Bestrebungen gab, nicht dazugehören zu wollen.
Europa erscheint damit als weit mehr als nur die Bezeichnung für einen Kontinent."
usw.
Modernismus und Europaidee in der Östlichen Mittelmeerwelt, 1821-1939.
Inaugural-Dissertation
Fakultät für Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM
Michael KREUTZ
INHALT:
I. Ideen 7
1. Europa als Idee 7
2. Die Verbreitung der Europaidee 11
3. Renaissancen 16
II. Moderne 28
1. Kontakte 28
2. Gesellschaft und Wandel 36
3. Die Entstehung einer Öffentlichkeit 47
III. Wiedergeburt 52
1. Phönizier, Pharaonen und das Mittelmeer 54
2. Hellenen und Romäer 73
3. Juden und Hebräer 80
4. Ionien und Anatolien 86
5. Iran und Turan 88
IV. Sprachenfragen 94
1. Griechisch: Zwischen Homer und Koine 94
2. Arabisch: Zwischen Christen und Muslimen 103
3. Hebräisch: Rückkehr in die Zukunft 112
4. Türkisch: Eine neue Sprache für eine neue Nation 117
V. Zivilisation 120
1. Neo-Hellenismus und neue Epik 123
2. Freiheit und Fortschritt 158
3. Nationen und Nationalismen 171
http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/_Weiterleitung/Kreutz/diss.pdf