Das Thema ist zwar schon etwas älter, aber vielleicht besteht ja bei dem Einen oder Anderen noch Interesse:
Gerade für Autodidakten, die meist nur äußerst begrenzt Zeit aufbringen können, ist der ungeheure Formenreichtum des Altgriechischen eine Herausforderung. Schon das regelmäßige Verb bietet inklusive Infinitiven, Partizipien und Verbaladjektive ca. 370 Formen. Zwar muss nicht jede einzelne Form gelernt werden, es reichen Regeln oder Endungen. Dennoch sinkt meiner Beobachtung nach mit jeder neuen Form die Motivation, konsequent weiterzumachen.
Dazu kommen die bis ins Extreme gesteigerten "Unregelmäßigkeiten" (Bsp: échw, héxw, éschon), die sich nur stumpf und mit viel Zeit auswendig lernen lassen oder zur Erschließung eines Gräzistik- und / oder Indogermanistikstudiums bedürfen.
Ein weiteres Problem für Autodidakten sehe ich im "Tempus"-System. Selbst wer des Lateinischen mächtig ist, wird spätestens hier Probleme bekommen. Das Tempus innerhalb der Sprache ist für den alten Griechen keine bedeutsame Kategorie. Es geht um Handlungsaspekte, nicht um Zeiten. Hat das Lateinische eine strikte (!) Zeitenfolge, so kennt das Griechische wirkliche Zeiten nur bei den Augmenttempora (Imperfekt, Aorist, Plusquamperfekt des Indikativ) und im Futur.
Die oftmals als Willkür empfundene Tempuswahl der Autoren lässt sich häufig allein über den Kontext erschließen, was eine genaue Kenntnis der Syntax voraussetzt.
Damit wären ich beim nächsten Thema:
Die Syntax ist mE nicht so kompliziert wie die Syntax des Lateinischen. Die Wortfolge ähnelt oft dem Deutschen. Allerdings gibt es häufig Sätze, die selbst nach gewissenhafter Analyse viel Zeit und Gehirnschmalz verbrauchen. Erst kürzlich blieb ich bei folgendem Satz komplett [sic!] hängen:
ὡς ἐμοί, ἐὰν σὺ ἀποθάνῃς, οὐ μία συμφορά ἐστιν, ἀλλὰ χωρὶς μὲν τοῦ ἐστερῆσθαι τοιούτου ἐπιτηδείου οἷον ἐγὼ οὐδένα μή ποτε εὑρήσω, ἔτι δὲ καὶ πολλοῖς δόξω, οἳ ἐμὲ καὶ σὲ μὴ σαφῶς ἴσασιν, ὡς οἷός τ᾽ ὤν σε σῴζειν εἰ ἤθελον ἀναλίσκειν χρήματα, ἀμελῆσαι.
(Platon, Kriton, 44b)
Fazit:
Ich halte es nicht für unmöglich, Altgriechisch rein autodidaktisch bis zum Graecumsniveau zu lernen. Allerdings muss dafür mMn eine strenge Disziplin, sehr viel Zeit und ein ausgesprochen gutes Gespür für die Logik von Sprache vorhandensein.
Hippias