Steppenökonomie, Prestigeökonomie und die Hunnen
[FONT="]Meist habe ich mich in meinen bisherigen Beiträgen auf den Höhepunkt hunnischer Machtausübung in Europa bezogen, wobei dies nur eine Phase der hunnischen Präsenz betrifft. Die Hunnen waren nicht von Anfang an eine Großmacht, hatten auch nicht immer unter wenigen (oder gar nur einem, wie Attila!) gestanden und auch ihre Wohnsitze vom östlichen Bereich des Schwarzen Meeres bis hin nach dem heutigen Ungarn verlegt. Attila war es, der spätestens nach dem Mord an seinem Bruder und Mitkönig Bleda, alle machtpolitischen Fäden der hunnischen Macht in seinen Händen vereinigen konnte. Der gewaltige "Einflussbereich" der Hunnen konnte daher nur während des Höhepunktes seiner Herrschaft aufgebaut werden und versank spurlos nach seinem Ableben in blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Mächtigen und Völkern seines Herrschaftsbereiches.
Mir ist im Internet dazu ein sehr hübscher Text von dem geachteten, österreichischen Mediävisten Walter Pohl aufgefallen, in dem er einen extrem langen Zeitraum abzudecken versucht. Der Text hat den Titel "Ein Jahrtausend der Wanderungen 500-1500" und bietet einen Abriss über einige Vorgänge jener Zeit in sehr knapper Form. Ich beschränke mich hier auf einen Abschnitt, in dem er die drei großen Reiche der aufeinander folgenden "Steppenvölker" der Hunnen, Awaren und der Ungarn miteinander verbindet durch allgemeine Betrachtungen über Machtkonzentration und Assimilierung an das europäische, landwirtschaftlich geprägte Lebensmodell.
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http://wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Pohl_Jahrtausend.pdf
(Googeltip: walter pohl jahrtausend)
Aus urheberrechtlichen Gründen weise ich auf Seite 144ff hin. Hätte gerne Auszugsweise zitiert
[FONT="]Falls das nicht deutlich genug war, spinne ich den Faden einmal weiter:[/FONT]
[FONT="]Das Zentrum des hunnischen Macht- (und wohl auch Siedlungsbereichs) lag in der norddanubischen, ungarischen Tiefebene. Versuchen wir die Lebensweise der Hunnen seit ihrem Auftreten in Europa in die Überlegung mit einzubeziehen fällt auf, wie winzig diese Gegend ist, auch wenn sie sicherlich sehr gute Weidegründe für eine steppennomadische Lebensweise boten! Nach ihren Siegen über Alanen und Ostgoten nach 375 konnten sie über weit ausgedehntere und mindestens ebenso ertragreiche Weidegründe westlich (auch östlich?!) des Don verfügen. Genug Land für extensive Weidewirtschaft. Von hier aus versuchten sie sogar Einfälle über den Kaukasus hinweg ins Reich der persischen Sassaniden! Später verschob sich ihr Lebensmittelpunkt weiter nach Westen, blieb aber östlich der Karpaten - verbunden mit den großen Steppen des Ostens. Warum begnügten sich die Hunnen mit dem vergleichsweise winzigen Pannonien, wo sie doch über alle umliegenden Völker die Vorherrschaft errungen hatten?[/FONT]
[FONT="]Man kann wohl sicher davon ausgehen, dass sich die tägliche Lebensweise der Hunnen verändert haben muss. Aber wie weit? Es gibt Stimmen, dass sie ihre nomadische Lebensweise aufgegeben hätten, doch in derart kurzer Zeit ist es undenkbar, dass sie zum Ackerbau übergingen? Wenn man aber vom Oströmischen Reich gleichzeitig gigantische Stillhaltegelder/Tribute erpressen konnte...? Seit Attila ein König der Hunnen war, gelang es ihm die jährlichen Goldzahlungen von etwa 700 Pfund schrittweise bis 2100 Pfund bis zum Jahre 447 zu steigern. Ohne den Versuch einer Gegenwehr war das nicht zu bewerkstelligen gewesen, bis man 447 vor den Toren Konstantinopels stand, 2 römische Feldheere vernichtet hatte und die Festungen der Donaugrenze und befestigte Städte erobert und geplündert hatte! Das waren gewaltige Summen wenn man sich vor Augen hält, dass die von Konstantin dem Großen eingeführte Goldmünze des „Solidus“ gerade einmal gut 4,5 Gramm wog und damit 72 Solidi ein römisches Pfund ergaben! Die alte Goldmünze des Augustus, der Aureus hatte einst bis zu gut 8 Gramm gewogen und entsprach etwa dem damaligen Monatssold eines seiner Legionäre! (Münzfuß ist vereinfacht, inflation nicht berücksichtigt!). [/FONT][FONT="]Aber das war noch nicht alles, denn wie Pohl schon schreibt war auch das Weströmische Reich immer mit eingebunden. Hier beschränkte man sich bis 451 auf Stellung von Hilfstruppen gegen Bezahlung (welcher Art auch immer) zugunsten der Weströmer. [/FONT][FONT="]Man fragt sich, warum die Hunnen hätten beginnen sollen, sich mit Äckern abzuplagen, wenn auf diese Weise derartig viel zu erwerben war? [/FONT]
[FONT="]Üblicherweise besteht die Grundlage der meisten nomadischen Viehhaltergesellschaften auf Nutzvieh, wie vor allem Kühe (Milch, Fleisch, Zugkraft und Felle), Ziegen (Milch, Fleisch und Felle) oder Schafen (Wolle und Fleisch, wobei Wolle ein sehr begehrtes Handelsgut war!). Die Pferdezucht warf vergleichsweise wenig ab und besitzt bei sich selbst versorgenden Reitervölkern zwar einen hohen Prestigewert, aber als Fleisch-, Milch- oder Felllieferant ist es nicht ökonomisch genug im Vergleich dazu, was so ein Pferd an Weidefläche braucht gegen die anderen, genannten Nutztiere. Dagegen ist sein Wert für kriegerische Auseinandersetzungen kaum zu unterschätzen. [/FONT]
[FONT="]Wohl die meisten Autoren, darunter auch Peter Heather sind der Ansicht, dass die Ökonomie der Hunnen in Pannonien stark auf die Tribute anderer Völker angewiesen war. Dass sie sich hinter Pflüge gestellt hätten, glauben nur die Wenigsten. Wahrscheinlicher ist hier die Hypothese, dass sie sich mehr der Pferdezucht widmeten, wofür die „begrenzteren Kapazitäten“ der ungarischen Tiefebene vollauf genügten, ohne die eigene Lebensweise als Nomaden völlig aufgeben zu müssen. Die gesteigerte Pferdezucht ermöglichte ihnen weiterhin ein schlagkräftiges Militär aufrecht zu erhalten und dieses im Sold fremder Mächte zu „vermieten“. Das ist ein recht einleuchtender Ansatz zu erklären, warum ein seit Jahrzehnten siegreiches Volk sich mit Ungarn als „Wohnsitz“ zufrieden gab und in seiner Nähe die bedeutendsten und kriegerischsten Völker seines Herrschaftsgebietes zusammenzog (etwa die Gepiden, die Ostgoten, Sarmaten…). Damit war das kriegerische Potential des hunnischen Machtraumes in großen Teilen nahe seines Zentrums gebündelt, was rasche Operationen ermöglichte – zumal es von Tributen und „Schutzgeldern“ finanziert werden konnte. Das erklärt auch warum die Hunnen und Attila zum Erfolg „verdammt“ waren, um diese Situation aufrecht erhalten zu können. Ebenso gut eignet sich dieses Modell hervorragend dafür den ungeheuren Ausbruch von Gewalt nach dem Tode Attilas zu erklären, als sich all diese Völker gegenseitig nahezu „zerfleischten“! Attilas Erfolge führten ihm weitere Kriegerscharen zu, die beschäftigt und versorgt werden mussten. Das verbirgt sich hinter dem Schlagwort der „Prestigeökonomie“. Es erklärt auch warum die hunnische Herrschaft nicht etwa die „militärischen Gefolgschaften der Mächtigen“ eindämmte, sondern sie im Gegenteil sogar beflügelte und vergrößerte![/FONT]