Lili
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Aber gut, machen wir weiter mit Longerichs Ergüssen zur Psyche Goebbels:
Insbesondere im Fazit kommt es noch zu einigen Wiederholungen der hier zitierten Behauptungen, bahnbrechend neues weiß Longerich dazu aber nicht mehr zu ergänzen.
Mein Fazit – auch wenn ich gerade einen seitenlangen Verriss geschrieben habe: eine absolut lesenswerte historische Biografie. Die gutachterischen Entgleisungen zur Psyche Goebbels sind aufgrund der wenigen Präsenz im Buch verzeihbar und dürften einem Nichtpsychologen vielleicht auch gar nicht auffallen.
P.S.: Huiuiui meine Ausführungen waren gerade zu lange um sie in einen Post zu bekommen :red:
Nicht "die Psychoanalyse geht heute" sondern vielmehr die Psychoanalyse ging 1973 davon aus – er bezieht sich hier auf Kohut und seine Ausführungen zur Ich-Psychologie. Dazu direkt der Hauptkritikpunkt: welches Kind löst sich im Alter von zwei bis vier von der Mutter? Im Allgemeinen argumentiert Kohut sehr nah an Freud und seinem Entwicklungsmodell der Psyche, dem Triebmodell und der infantilen Sexualität, welche alle drei als wissenschaftlich überholt gelten. Und wie Longerich richtig anmerkt, "die Erziehung des kleinen Joseph kann hier natürlich nicht rekonstruiert werden", dementsprechend kann man auch nur mutmaßen und nicht behaupten, für die unterstellte narzisstische Persönlichkeitsstörung liegen nämlich nicht die einschlägigen Belege vor und die vermutete Autonomiestörung kann aufgrund mangelnder Wissenschaftlichkeit des Kohutschen Gesamtkonzepts ad acta gelegt werden. Blieben noch die ein oder andere Behauptung im oben zitierten Auszug, die ich ergänzend zu den bereits aufgeführten herauspicken möchte: es ist nicht abnormal sich einen Lebenspartner zu suchen, der sich einem ganz und gar zuwendet, im Gegenteil, das ist sogar normal. Es ist auch normal, wenn Männer eine Partnerin haben, die Ähnlichkeiten mit der Mutter hat, insbesondere, wenn die Mutter-Sohn-Beziehung harmonisch ist.Longerich - S. 25f. schrieb:Die Psychoanalyse geht heute davon aus, dass narzisstische Persönlichkeitsstörungen ihre Wurzeln in Fehlentwicklungen haben, die zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr liegen. Man spricht von einer gestörten Autonomieentwicklung: das Kind ist nicht in der Lage sich von der fürsorgenden und bevormundenden Mutter zu lösen, seine eigene Persönlichkeitsentwicklung gerät ins stocken. Die Ursachen für ein solches gestörtes Verhältnis können vielfältig sein: zeitweilige Vernachlässigung durch die Mutter zum Beispiel oder eine häusliche Erziehung die unter unterschiedlichen Maximen hin und her schwankt und durch die das Kind widersprüchliche Signale empfängt, etwa übertriebene Fürsorge auf der einen und übergroße Strenge auf der anderen Seite. Es gehört nicht allzuviel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass in einer vielköpfigen, mit materiellen Wohlstand keineswegs gesegneten Familie wie den Goebbels solche Bedingungen geherrscht haben können. Die Erziehung des kleinen Joseph kann hier natürlich nicht rekonstruiert werden; das ist auch nicht nötig, denn es genügt, dass für den ohne Zweifel vorhandenen Narzissmus plausible Erklärungen vorliegen.
Welche Folgen eine Autonomiestörung haben kann, lässt sich am Beispiel Joseph Goebbels geradezu exemplarisch beobachten. Ein Narzisst ist, um seine eigene, als unzureichend wahrgenommene Identität zu stärken, ständig auf der Suche nach Anerkennung, vor allem sucht er einen Lebenspartner, der sich ihm ganz zuwendet und von dem er sich – nach dem Vorbild der fürsorgenden Mutter – Anerkennung und Bestätigung verspricht. Narzissten fällt es schwer, sich abzugrenzen gegen diejenigen, die ihnen Anerkennung zollen, manchmal scheint in ihrer Wahrnehmung ihre eigne Persönlichkeit mit der anderer Menschen zu verschwimmen. Insofern ist Goebbels Versuch mit "Michael Voormann" eine Variante seiner eigenen Entwicklung zu liefern, ein typischer Ausdruck für die Unsicherheit bezüglich seiner Identität. Der Roman ist also ein spielerisches Experiment mit der eigenen Biographie, keine Selbstenthüllung.
Narzissten haben generell Schwierigkeiten, zwischen Tagtraum und Wirklichkeit, Schein und Realität, Erfolg und Erfolgsphantasie zu unterscheiden, denn ihr Verhältnis zur Umwelt ist unterentwickelt, ihr Selbstbewusstsein nicht sicher verankert: sie leben zu sich selbst bezogen und neigen zu Selbstüberschätzung und Größenwahn. Sie werden aber auch – wegen ihrer Ich-Schwäche – von Trennungs- und Verlustängsten heimgesucht, empfinden das Ausbleiben von Erfolgen leicht als Versagen und neigen aus diesem Grund zu Depressionen.
Insbesondere im Fazit kommt es noch zu einigen Wiederholungen der hier zitierten Behauptungen, bahnbrechend neues weiß Longerich dazu aber nicht mehr zu ergänzen.
Mein Fazit – auch wenn ich gerade einen seitenlangen Verriss geschrieben habe: eine absolut lesenswerte historische Biografie. Die gutachterischen Entgleisungen zur Psyche Goebbels sind aufgrund der wenigen Präsenz im Buch verzeihbar und dürften einem Nichtpsychologen vielleicht auch gar nicht auffallen.
P.S.: Huiuiui meine Ausführungen waren gerade zu lange um sie in einen Post zu bekommen :red: