Ahoi,
Ich hab noch mal etwas in der Fachliteratur (Deutschland in der Steinzeit von Ernst Probst, München 1999, ab jetzt DidS) geschmökert, um meine meine dann folgenden Spekulationstiraden zumindest etwas abzustützen.
Das Tauschen spielte in Europa bereits in der Altsteinzeit eine bescheidene Rolle. Manche Schmuckstücke schon für die Zeit vor mehr als 20.000 Jahren erstaunliche Verbindungen zu weit entfernten Gebieten. Vielleicht fungierten diese Schmuckstücke als eine Art Zahlungsmittel.
DidS, S. 26
Auch wenn die Vorstellung eines prähistorischen „Geldes“ mE in die Irre führt; mehr dazu s.u.
Bspw wurden in Mainz-Linsenberg neben 26 einheimischen auch 2 durchbohrte Schmuckschnecken aus dem Mittelmeergebiet gefunden, die dem Gravettien zugeordnet werden.
Allerdings gibt es Spuren, die noch wesentlich älter sind als 20.000 Jahre. Aus dem Aurignacien gibt es Hinweise auf Rohstofftransporte über größere Entfernungen. Nach dem folgenden Wiki-Link könnte das 32.000 bis 36.000 Jahre sein.
Die Rohmaterialversorgung mit
Hornstein erfolgte wohl vorrangig aus der Umgebung; gebänderter
Jaspis verweist allerdings auf Verbindungen der Bewohner in den bayerischen Raum.
Geißenklösterle ? Wikipedia
Kann man daraus schon auf „professionellen Handel“ schließen? Sicherlich nicht auf ökonomisches, kaufmännisches Denken in unserem heutigen Sinne, weswegen ich den Hinweis, es könne sich um Zahlungsmittel gehandelt haben, für falsch bzw irreführend halte.
Einer der Punkte, in dem sich alle mir bekannten, anthropologisch untersuchten steinzeitlichen Gesellschaften ähneln, ist die praktisch nicht vorhandene Arbeitsteilung. Ähnliches kann man mE auch für die europäische Altsteinzeit annehmen. Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bzw jung oder alt kann es gegeben haben (auch wen das ja auch hier im Forum heiß diskutiert wird/wurde
), vielleicht auch eine Mitversorgung von wenigen hochgestellten Personen (Anführer, „Schamanen“).
Handel in unserem Sinne ist unter diesen Voraussetzungen v.a. bei langlebigen Objekten sinnvoll und vorstellbar, er erfasst aber nur einen sehr kleinen Teil der natürlichen und sozialen Umwelt der damaligen Menschen. Sowohl innerhalb der Sozialgruppe als auch unter benachbarten Sozialgruppen standen mE die sozialen Beziehungen mit allen ihren Implikationen im Vordergrund, nicht dinglicher Besitz. Sowohl die Rollenverteilung innerhalb der Gemeinschaft (wie immer die auch im einzelnen ausgesehen haben mag, wir werdens nie genau wissen), als auch die Beziehungen verschiedener Gruppen beruhten auf Vorstellungen, die weniger materiell denn ideell geprägt waren.
ME ist es sinnvoll, sich auch den Austausch von Gegenständen eher auf dieser Basis zu nähern. Die Nutzung der Begriffe Tausch und Handel lässt unweigerlich unsere Vorstellung von Ökonomie in die Analyse einfließen, die aber wenig dienlich sind.
Evtl gab es im Aurignacien oder Gravettien schon Menschen, die Dinge über größere Entfernungen beförderten. Nachweisen lässt sich das nicht, auch mit einem reinen „Hand-zu-Hand-Tausch“ verschiedener Gruppen hintereinander lassen sich größere Entfernungen überbrücken, zumindest bei nicht-sesshaften Gesellschaften. Aber mal angenommen, es gab einzelne Personen, die längere Reisen unternommen wollten und v.a. konnten.
Wird die Motivation für eine solche Reisen v.a. in der Handelstätigkeit gelegen haben? ME nein. Der „Gewinn“, der einem Reisenden winkte, war weniger ein materieller, da die Vorstellungswelt mE nicht materiell war, sondern ein ideeller. Es könnte der Zuwachs an sozialem Ansehen gewesen sein, der im Vordergrund stand, oder völlig individuelle Gründe wie Neugier, Reiselust oder der Ausbruch aus sozialen Verhältnissen (und seis der Rauswurf als Konsequenz für nicht-konformes Verhalten).
Wurden Dinge aus entfernten Regionen von Reisenden weitergegeben, waren dies vielleicht keine Tauschwaren in unserem Sinne, sondern Geschenke bzw Abgaben, um eine Zeit über bei einer anderen Gruppe akzeptiert zu werden bzw deren Ressourcen nutzen zu dürfen. Dinge, die heimkehrende Reisende mitbrachten, stellten evtl keinen materiellen Gewinn dar, sondern waren ansehen-steigernde Trophäen oder Mitbringsel.
Auch räuberische Betätigungen solcher Reisender bzw Überfälle auf diese sind natürlich nicht auszuschließen, eher im Gegenteil. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer umherzogen, und sich dabei das nahmen, was sie konnten, und nur das eintauschten, was sie nicht mit Gewalt kriegen konnten, gabs ja auch später in der Geschichte nicht allzu selten.
Da sich das alles v.a. auf vor-neolithische Kulturen bezieht noch ein Hinweis zur Jungsteinzeit:
Feuersteinstraße ? Wikipedia
In der Jungsteinzeit blühte der Tausch mit seltenem Feuerstein als Rohstoff für Werkzeuge und Waffen, aber auch mit Bernstein für Schmuckzwecke.
DidS, S. 26
So long,
Reinecke