Handel in der Frühzeit - Austausch oder Fernreisende?

Bezüglich Reineckes Papua Neuguinea Analogie.
Angenommen man überträgt ähnliche Verhältnisse aufs neolithische Europa, wie wäre es dann mit einer Überlegung eines "Handelsvolkes"?
Gewissermaßen die Phönizier der Steinzeit.
Denn wenn man davon ausgeht dass die verschiedenen Stämme bloß ihre Nachbarn nicht leiden konnten, fremden aber prinzipiell nicht feindlich gesinnt waren, dann wäre es doch denkbar dass sich Gruppen welche nicht in direktem Nachbarschaftlichen Kontakt mit den Völkern standen mit denen man handeln wollte, dann wäre es vielleicht doch möglich dass sich gewisse Gruppen frei bewegen konnten.

Es ist natürlich nur eine Hypothese und mir fehlt am Ende des zweiten Semesters auch der Überblick über die Quellenlage.

Aber drüber nachdenken kann man ja.

Aus ähnlichen Überlegungen hat sich dieses Thema entwickelt http://www.geschichtsforum.de/588029-post32.html , leider verliert man bei diesen langen Threads leicht den Überblick, was schon alles gesagt wurde.
Es muß noch nicht mal der Kontakt einschränkende Nachbarschaftsstreit sein.
Unterschiede in der Lebensweise bedingen unterschiedliche Mobilität. So könnte man die Funde aus der bandkeramischen Phase evtl. auch interpretieren.
 
Ahoi,

Ich hab noch mal etwas in der Fachliteratur (Deutschland in der Steinzeit von Ernst Probst, München 1999, ab jetzt DidS) geschmökert, um meine meine dann folgenden Spekulationstiraden zumindest etwas abzustützen. ;)

Das Tauschen spielte in Europa bereits in der Altsteinzeit eine bescheidene Rolle. Manche Schmuckstücke schon für die Zeit vor mehr als 20.000 Jahren erstaunliche Verbindungen zu weit entfernten Gebieten. Vielleicht fungierten diese Schmuckstücke als eine Art Zahlungsmittel.
DidS, S. 26

Auch wenn die Vorstellung eines prähistorischen „Geldes“ mE in die Irre führt; mehr dazu s.u.

Bspw wurden in Mainz-Linsenberg neben 26 einheimischen auch 2 durchbohrte Schmuckschnecken aus dem Mittelmeergebiet gefunden, die dem Gravettien zugeordnet werden.

Allerdings gibt es Spuren, die noch wesentlich älter sind als 20.000 Jahre. Aus dem Aurignacien gibt es Hinweise auf Rohstofftransporte über größere Entfernungen. Nach dem folgenden Wiki-Link könnte das 32.000 bis 36.000 Jahre sein.

Die Rohmaterialversorgung mit Hornstein erfolgte wohl vorrangig aus der Umgebung; gebänderter Jaspis verweist allerdings auf Verbindungen der Bewohner in den bayerischen Raum.
Geißenklösterle ? Wikipedia

Kann man daraus schon auf „professionellen Handel“ schließen? Sicherlich nicht auf ökonomisches, kaufmännisches Denken in unserem heutigen Sinne, weswegen ich den Hinweis, es könne sich um Zahlungsmittel gehandelt haben, für falsch bzw irreführend halte.

Einer der Punkte, in dem sich alle mir bekannten, anthropologisch untersuchten steinzeitlichen Gesellschaften ähneln, ist die praktisch nicht vorhandene Arbeitsteilung. Ähnliches kann man mE auch für die europäische Altsteinzeit annehmen. Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau bzw jung oder alt kann es gegeben haben (auch wen das ja auch hier im Forum heiß diskutiert wird/wurde ;)), vielleicht auch eine Mitversorgung von wenigen hochgestellten Personen (Anführer, „Schamanen“).

Handel in unserem Sinne ist unter diesen Voraussetzungen v.a. bei langlebigen Objekten sinnvoll und vorstellbar, er erfasst aber nur einen sehr kleinen Teil der natürlichen und sozialen Umwelt der damaligen Menschen. Sowohl innerhalb der Sozialgruppe als auch unter benachbarten Sozialgruppen standen mE die sozialen Beziehungen mit allen ihren Implikationen im Vordergrund, nicht dinglicher Besitz. Sowohl die Rollenverteilung innerhalb der Gemeinschaft (wie immer die auch im einzelnen ausgesehen haben mag, wir werdens nie genau wissen), als auch die Beziehungen verschiedener Gruppen beruhten auf Vorstellungen, die weniger materiell denn ideell geprägt waren.

ME ist es sinnvoll, sich auch den Austausch von Gegenständen eher auf dieser Basis zu nähern. Die Nutzung der Begriffe Tausch und Handel lässt unweigerlich unsere Vorstellung von Ökonomie in die Analyse einfließen, die aber wenig dienlich sind.

Evtl gab es im Aurignacien oder Gravettien schon Menschen, die Dinge über größere Entfernungen beförderten. Nachweisen lässt sich das nicht, auch mit einem reinen „Hand-zu-Hand-Tausch“ verschiedener Gruppen hintereinander lassen sich größere Entfernungen überbrücken, zumindest bei nicht-sesshaften Gesellschaften. Aber mal angenommen, es gab einzelne Personen, die längere Reisen unternommen wollten und v.a. konnten.

Wird die Motivation für eine solche Reisen v.a. in der Handelstätigkeit gelegen haben? ME nein. Der „Gewinn“, der einem Reisenden winkte, war weniger ein materieller, da die Vorstellungswelt mE nicht materiell war, sondern ein ideeller. Es könnte der Zuwachs an sozialem Ansehen gewesen sein, der im Vordergrund stand, oder völlig individuelle Gründe wie Neugier, Reiselust oder der Ausbruch aus sozialen Verhältnissen (und seis der Rauswurf als Konsequenz für nicht-konformes Verhalten).

Wurden Dinge aus entfernten Regionen von Reisenden weitergegeben, waren dies vielleicht keine Tauschwaren in unserem Sinne, sondern Geschenke bzw Abgaben, um eine Zeit über bei einer anderen Gruppe akzeptiert zu werden bzw deren Ressourcen nutzen zu dürfen. Dinge, die heimkehrende Reisende mitbrachten, stellten evtl keinen materiellen Gewinn dar, sondern waren ansehen-steigernde Trophäen oder Mitbringsel.

Auch räuberische Betätigungen solcher Reisender bzw Überfälle auf diese sind natürlich nicht auszuschließen, eher im Gegenteil. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer umherzogen, und sich dabei das nahmen, was sie konnten, und nur das eintauschten, was sie nicht mit Gewalt kriegen konnten, gabs ja auch später in der Geschichte nicht allzu selten.


Da sich das alles v.a. auf vor-neolithische Kulturen bezieht noch ein Hinweis zur Jungsteinzeit:

Feuersteinstraße ? Wikipedia

In der Jungsteinzeit blühte der Tausch mit seltenem Feuerstein als Rohstoff für Werkzeuge und Waffen, aber auch mit Bernstein für Schmuckzwecke.
DidS, S. 26


So long,

Reinecke
 
Nur um die Debatte noch etwas zu unterfüttern: Aus steinzeitlichen Zusammenhängen in Spanien und Südfrankreich stammen auch immer wieder Strausseneier, diese Tiere waren dort sicherlich nicht heimisch. Dabei steht aber auch die Frage im Raum (wie bei anderen angesprochenen Funden auch) ob die Eier selbst als Schmuckstücke gehandelt wurden oder möglicherweise ihr Inhalt.
 
Aus steinzeitlichen Zusammenhängen in Spanien und Südfrankreich stammen auch immer wieder Strausseneier, diese Tiere waren dort sicherlich nicht heimisch.

Ob in Spanien oder Südfrankreich weiß ich nicht, aber Fossilienfunde von Straßen bzw verwnatden Vogelarten gibt es aus Europa.

Daneben existiert jedoch eine Reihe fossiler und subfossiler Funde aus Asien und Europa, die der Familie zugerechnet werden.
Strauße (Familie) ? Wikipedia

Außerdem gehört der Strauß zu ihnen (den Ratiten, Anm. v. Reinecke), der heute nur noch in Afrika und Arabien vorkommt, früher aber auch in Asien und sogar in Europa verbreitet war.
Geschichten vom Ursprung des Lebens von Richard Dawkins


Dabei steht aber auch die Frage im Raum (wie bei anderen angesprochenen Funden auch) ob die Eier selbst als Schmuckstücke gehandelt wurden oder möglicherweise ihr Inhalt.
Eier bzw deren Inhalt sind als verderbliche Ware denkbar ungeeignet, um in der Steinzeit als Handelsware zu dienen; innehalb der Gruppe vielleicht, aber bisher wurde ja eher über Fernhandel gesprochen. ;)
 
Dass Menschen sich auf lange, beschwerliche und gefährliche Reisen begaben, nur um Höflichkeiten zu erweisen, halte ich für wenig überzeugend. Das Leben damals war sicherlich hart und entbehrungsreich. Großen Aufwand für wirtschaftlich nutzloses Tun muss man sich erst einmal leisten können.

Deshalb kann ich mir in der Regel nur wirtschaftlich sinnvolle Reisen zum Transport von Steinen und dergleichen vorstellen. Religiös motivierte Gewaltanstrengungen wie Stonehenge stehen da auf einem anderen Blatt.

"Wirtschaftlich" muss nichts mit Geld zu tun haben. Eine Tauschwirtschaft ist etwas sehr natürliches und findet sich doch eigentlich überall. Mein Dorf braucht etwas sehr sehr dringend. zwei Wochen entfernt gibt es Leute, die das im Überfluß haben. Da schickt der Häuptling oder der Ältestenrat oder wer auch immer Autorität hat, ein paar junge Leute los und gibt ihnen etwas zum Tauschen mit, womit sie dort willkommen sein werden.

So kann Fernhandel aus Not heraus entstehen. Wenn man erst einmal die Erfahrung gemacht hat, dass dasselbe Gut an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich begehrt ist, kann man doch leicht auf die Idee kommen, dieses Wertschätzungsgefälle auszunutzen.
 
Dass Menschen sich auf lange, beschwerliche und gefährliche Reisen begaben, nur um Höflichkeiten zu erweisen, halte ich für wenig überzeugend. Das Leben damals war sicherlich hart und entbehrungsreich. Großen Aufwand für wirtschaftlich nutzloses Tun muss man sich erst einmal leisten können.

Auch wenn es dich nicht überzeugt, der Austausch von "nur" Höflichkeiten, sei es in Form von Geschenken oder gemeinsamen Festen, Ritualen oder Märkten, kann gerade unter entbehrungsreichen Umweltbedingungen lebenserhaltend wirken. Es könnte dem Erhalt eines großräumigen Sicherungsnetzes gedient haben, die Beziehungen zu den Nachbarn zu pflegen.

Deshalb kann ich mir in der Regel nur wirtschaftlich sinnvolle Reisen zum Transport von Steinen und dergleichen vorstellen. Religiös motivierte Gewaltanstrengungen wie Stonehenge stehen da auf einem anderen Blatt.

"Wirtschaftlich" muss nichts mit Geld zu tun haben. Eine Tauschwirtschaft ist etwas sehr natürliches und findet sich doch eigentlich überall. Mein Dorf braucht etwas sehr sehr dringend. zwei Wochen entfernt gibt es Leute, die das im Überfluß haben. Da schickt der Häuptling oder der Ältestenrat oder wer auch immer Autorität hat, ein paar junge Leute los und gibt ihnen etwas zum Tauschen mit, womit sie dort willkommen sein werden.

So kann Fernhandel aus Not heraus entstehen. Wenn man erst einmal die Erfahrung gemacht hat, dass dasselbe Gut an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich begehrt ist, kann man doch leicht auf die Idee kommen, dieses Wertschätzungsgefälle auszunutzen.

Irgendwann wurde das erkannt und der Handel aus solchen Gründen betrieben. Dieser Zeitpunkt ist an den archäologischen Funden ablesbar, etwa an unterschiedlich reichen Grabbeigaben (z.B. in keltischen Höhensiedlungen) oder an Hort- und Depotfunden.

...Kann man daraus schon auf „professionellen Handel“ schließen? Sicherlich nicht auf ökonomisches, kaufmännisches Denken in unserem heutigen Sinne, weswegen ich den Hinweis, es könne sich um Zahlungsmittel gehandelt haben, für falsch bzw irreführend halte.

Einer der Punkte, in dem sich alle mir bekannten, anthropologisch untersuchten steinzeitlichen Gesellschaften ähneln, ist die praktisch nicht vorhandene Arbeitsteilung. ...Handel in unserem Sinne ist unter diesen Voraussetzungen v.a. bei langlebigen Objekten sinnvoll und vorstellbar, er erfasst aber nur einen sehr kleinen Teil der natürlichen und sozialen Umwelt der damaligen Menschen. Sowohl innerhalb der Sozialgruppe als auch unter benachbarten Sozialgruppen standen mE die sozialen Beziehungen mit allen ihren Implikationen im Vordergrund, nicht dinglicher Besitz. Sowohl die Rollenverteilung innerhalb der Gemeinschaft (wie immer die auch im einzelnen ausgesehen haben mag, wir werdens nie genau wissen), als auch die Beziehungen verschiedener Gruppen beruhten auf Vorstellungen, die weniger materiell denn ideell geprägt waren.

ME ist es sinnvoll, sich auch den Austausch von Gegenständen eher auf dieser Basis zu nähern. Die Nutzung der Begriffe Tausch und Handel lässt unweigerlich unsere Vorstellung von Ökonomie in die Analyse einfließen, die aber wenig dienlich sind.

So sehe ich das auch. Das schließt nicht aus, dass z.B. bestimmte Schmuckmuscheln oder Bernstein begehrt waren und durchaus einen Tauschwert hatten.

Evtl gab es im Aurignacien oder Gravettien schon Menschen, die Dinge über größere Entfernungen beförderten. Nachweisen lässt sich das nicht, auch mit einem reinen „Hand-zu-Hand-Tausch“ verschiedener Gruppen hintereinander lassen sich größere Entfernungen überbrücken, zumindest bei nicht-sesshaften Gesellschaften. Aber mal angenommen, es gab einzelne Personen, die längere Reisen unternommen wollten und v.a. konnten.

Wird die Motivation für eine solche Reisen v.a. in der Handelstätigkeit gelegen haben? ME nein. Der „Gewinn“, der einem Reisenden winkte, war weniger ein materieller, da die Vorstellungswelt mE nicht materiell war, sondern ein ideeller.
Das ist auch für mich der wichtigste Punkt, Besitz hängt mit Seßhaftigkeit zusammen und macht immobil. Mir ist klar, dass der Besitz von mobilen Hirtennomaden sich nach der Viehstückzahl bemißt, da sich diese Erwerbsform erst im Neolithikum entwickelt hat, kann ihre Vorstellungswelt nicht getrennt davon betrachtet werden.
Steinzeitliche Menschen unterschieden sich nicht von uns, sie hatten vielleicht nur andere Prioritäten. Das macht ihre Welt so spannend, weil die Überlegungen zu ihrer Vorstellungswelt, uns ein Fenster öffnet, was hätte möglich sein können, wenn der irgendwann eingeschlagene Pfad ein kleines bißchen anders gewesen wäre.


...Es könnte der Zuwachs an sozialem Ansehen gewesen sein, der im Vordergrund stand, oder völlig individuelle Gründe wie Neugier, Reiselust oder der Ausbruch aus sozialen Verhältnissen (und seis der Rauswurf als Konsequenz für nicht-konformes Verhalten).

Wurden Dinge aus entfernten Regionen von Reisenden weitergegeben, waren dies vielleicht keine Tauschwaren in unserem Sinne, sondern Geschenke bzw Abgaben, um eine Zeit über bei einer anderen Gruppe akzeptiert zu werden bzw deren Ressourcen nutzen zu dürfen. Dinge, die heimkehrende Reisende mitbrachten, stellten evtl keinen materiellen Gewinn dar, sondern waren ansehen-steigernde Trophäen oder Mitbringsel.

Auch räuberische Betätigungen solcher Reisender bzw Überfälle auf diese sind natürlich nicht auszuschließen, eher im Gegenteil. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer umherzogen, und sich dabei das nahmen, was sie konnten, und nur das eintauschten, was sie nicht mit Gewalt kriegen konnten, gabs ja auch später in der Geschichte nicht allzu selten.


Da sich das alles v.a. auf vor-neolithische Kulturen bezieht noch ein Hinweis zur Jungsteinzeit:

Feuersteinstraße ? Wikipedia

In der Jungsteinzeit blühte der Tausch mit seltenem Feuerstein als Rohstoff für Werkzeuge und Waffen, aber auch mit Bernstein für Schmuckzwecke.
DidS, S. 26

Für die alt-mittelsteinzeitlichen, mobilen Jäger- und Sammler läßt sich hinsichtlich der Motivation für den Güteraustausch wahrscheinlich Einigkeit herstellen.
Damit kommen wir zu der Phase, die mich am meisten interessiert. In Mitteleuropa bewirken die bandkeramischen und La-Hoguette-Kulturen den Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise. Muß sich deshalb schon ihre Vorstellungswelt verändert haben?
Kann man an der relativ einheitlichen Kultur ohne Spuren von größeren kriegerischen Auseinandersetzungen, nicht auch das Fortbestehen dieser mehr immateriell geprägten, sozialen Sicherungssysteme ablesen?
 
Damit kommen wir zu der Phase, die mich am meisten interessiert. In Mitteleuropa bewirken die bandkeramischen und La-Hoguette-Kulturen den Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise. Muß sich deshalb schon ihre Vorstellungswelt verändert haben?
Kann man an der relativ einheitlichen Kultur ohne Spuren von größeren kriegerischen Auseinandersetzungen, nicht auch das Fortbestehen dieser mehr immateriell geprägten, sozialen Sicherungssysteme ablesen?

Die Vorstellungswelt der jungsteinzeitlichen Ackerbauern, die in festen Häusern lebten, ihre Felder bewirtschafteten und Vorratswirtschaft betrieben, hat sich sicherlich fundamental von derjenigen der Jäger und Sammler(innen) der Altsteinzeit unterschieden.

Das beginnt schon beim Götterpantheon, denn die Ackerbauern mussten von ihren Göttern - besonders von den Göttinnen - die Fruchtbarkeit ihrer Felder erflehen, mussten um günstige Witterungsverhältnisse und um die Abwehr von Missernten bitten. Entsprechend hat sich auch der Götterhimmel gestaltet, was sich an der Fülle ausladender weiblicher Statuetten szeigt, die als Fruchtbarkeitsgöttinnen gedeutet werden. Männliche Idole sind dieser Epoche äußerst selten.

Die Kulturen des europäischen Neolithikums (Sesklo, Vinca, Starcevo, Tripolje, Bandkeramik u.a.) zeigen allerdings noch keine klassenmäßig geschichteten Gesellschaftsverhältnisse und es fehlen auch Gräber, wo Stammes- oder Clanführer mit Waffen beigesetzt wurden. Vermutlich gab es in den weit verstreuten Dörfern lediglich einen Dorfältesten (oder gar eine Dorfälteste), der gewisse Kontriollfunktionen hatte, daunter die ungeschichtete restliche Dorfbevölkerung. Und so weisen auch die Gräberfelder auf eine gleichförmige Gesellschaftsstruktur hin. Das ändert sich erst mit dem Einsetzen der Bronzezeit, wo eine feudale Kriegeraristokratie sichtbar wird, die in entsprechenden Gräbern mit kostbarem Kriegsgerät beigesetzt wird.
 
Also,vielleicht ist auch die Vorstellung frei umherstreifender Hirtennomaden unrealistisch.
Wenn man sich Hirtenvölker heute anschaut, dann haben wir meist feste Siedlungskerne und fest umrissene jahreszeitlich genutzte Weidegebiete (z.B.Sommer- und Winterweide ), zwischen denen die Herden hin und hergetrieben werden.
Daneben existieren im Bereich der festen "Stammsitze " aber Gartenbau oder sogar Ackerbau in bescheidenem Umfang.

Bei Wildbeutergesellschaften ist dies in gewissem Maße genauso. Auch hier gibt es feste Stammlager und Jagdlager, die teilweise über Jahrhunderte immer wieder aufgesucht werden- beispielsweise der Roche de Solutre´ in Südburgund


Diese festen Siedlungsplätze könnten daher als Stützpunkte von Handelsnetzen oder Handelsrouten gedient haben.
 
Also,vielleicht ist auch die Vorstellung frei umherstreifender Hirtennomaden unrealistisch.

Archäologisch gesichert sind altsteinzeitliche Rastplätze, die immer wieder von Menschen aufgesucht wurden. Dort finden sich auch Überreste von Behausungen in Form von Zelten oder von mobilen Hütten und natürlich gibt es zahlreiche Höhlen und Abris, die als Rastplätze dienten. Ein schönes Beispiel für solche Behausungen von Jägern und Sammlern der Altsteinzeit bietet der paläolithische Fundort Bilzingsleben.

Im Laufe der Ausgrabungen erwuchs Bilzingsleben zu einer der wichtigsten altpaläolithischen Fundstellen in Europa. Bis 2002 wurden 37 Reste des Menschen freigelegt. Das bisher geborgene Fundmaterial umfasst mehr als 140.000 Feuersteinartefakte, Tausende andere Geräte aus Stein, Knochen, Geweih, Elfenbein und Holz sowie mehrere Tonnen an faunistischem und botanischem Material. Aus diesem Material kann die Kultur und Umwelt des frühen Menschen mit hoher Genauigkeit rekonstruiert werden ...

Behausungsstrukturen

Aus der Fundlage lassen sich drei Wohnbauten rekonstruieren. Es handelte sich wahrscheinlich um zeltartige Stangenkonstruktionen, deren Bedeckung, die wohl aus Tierfellen bestand, mit Knochen und Steinen fixiert war. Erhalten waren lediglich die Funde, die zu ebendieser Fixierung genutzt wurden und sich in der Grabungsfläche als Kreise von 4-5 m Durchmesser darstellten. Sie waren jeweils mit einer davor befindlichen Feuerstelle und mit Arbeitsplätzen (mit Ambossen) ausgestattet. Die Lage der Feuerstellen macht die Lokalisierung der Eingänge an den Südseiten der Wohnstrukturen wahrscheinlich.

Fundplatz Bilzingsleben ? Wikipedia
 
Nicht nur das.
Wenn ich mich nicht irre hat man am Roche de Solutre nicht nur die Knochen von 10.000 verschiedenen Pferden, Bisons, Auerochsen und Mammuts sondern auch Überreste eines Steinbaus gefunden
 
Bei der Suche nach alter DNA bin ich auf bild der wissenschaft online - Heftarchiv gestossen.

Daraus möchte ich zitieren:
Besser tauschen als töten
Aus dem fruchtbaren Löss der hessischen Wetterau, zwischen Taunus und dem Vogelsberg, haben Archäologen eine ganze Reihe von bandkeramischen Siedlungsplätzen ausgegraben, beispielsweise bei Friedberg und Bad Nauheim. Dabei fand sich Feuerstein, der nur in den heutigen Niederlanden vorkommt – wohin die neolithischen Einwanderer dieser frühen Besiedlungsphase sicher noch nicht vorgedrungen waren. Ein klarer Fall also: Die Wetterauer Bauern müssen den niederländischen Feuerstein von mesolithischen Nomaden eingetauscht haben, die auf ihren saiso- nalen Wanderungen zwischen der Küste und Jagdplätzen im Inland pendelten. Tauschwirtschaft nützt beiden Seiten. Es ist vorteilhafter, vom anderen zu profitieren als ihn umzubringen. Darum sind solche Beziehungen sogar zwischen Ethnien, die einander misstrauen, manchmal über viele Generationen stabil. Irgendwann siegt dann die Zeit über die Berührungsängste, und die Populationen beginnen sich zu mischen.
Das Szenario wird mit haplogenetischen Ergebnissen aus bandkramischen Gräbern (Häufung der mt-DNA N1a) begründet, die bei Jäger- und Sammlern kaum vorkam und im heutigen Genpool wieder selten ist.

Weiter vorne hatte ich bereits über Handelsanreize im Neolithikum durch unterschiedliche Lebensgrundlagen spekuliert und da paßt der Artikel ganz gut.
 
Ahoi,

Ich hab noch mal etwas in der Fachliteratur (Deutschland in der Steinzeit von Ernst Probst, München 1999, ab jetzt DidS) geschmökert, um meine meine dann folgenden Spekulationstiraden zumindest etwas abzustützen. ;)

Das Tauschen spielte in Europa bereits in der Altsteinzeit eine bescheidene Rolle. Manche Schmuckstücke schon für die Zeit vor mehr als 20.000 Jahren erstaunliche Verbindungen zu weit entfernten Gebieten. Vielleicht fungierten diese Schmuckstücke als eine Art Zahlungsmittel.
DidS, S. 26

...

Da sich das alles v.a. auf vor-neolithische Kulturen bezieht noch ein Hinweis zur Jungsteinzeit:

Feuersteinstraße ? Wikipedia

In der Jungsteinzeit blühte der Tausch mit seltenem Feuerstein als Rohstoff für Werkzeuge und Waffen, aber auch mit Bernstein für Schmuckzwecke.
DidS, S. 26


So long,

Reinecke
Da gibt es einen brandaktuellen Bericht in der Süddeutschen Zeitung:
Erster Weizen Europas deutet auf frhen Handel hin - Wissen - Sddeutsche.de
27. Februar 2015, 10:52 Besiedelung Europas

Steinzeit-Jäger handelten mit Getreide

Paläogenetiker haben vor der Küste Großbritanniens Spuren von 8000 Jahre altem Weizen gefunden.

Diese Region lag damals noch oberhalb des Meeresspiegels. Ackerbau war zu dieser Zeit aber erst in Südeuropa verbreitet. Der Fund ist daher rätselhaft.

Eine mögliche Erklärung ist, dass die Ureinwohner das Getreide importierten.

Es ist ein höchst ungewöhnlicher Fundort elf Meter tief im Meer vor der Küste Großbritanniens. Man würde erwarten, dass die Taucher dort, vor der Isle of Wight, am Bouldnor Cliff, vielleicht nach Schätzen eines gesunkenen Schiffs suchten. Stattdessen haben sie von dort unscheinbare Sedimentproben mitgebracht, die sich vor 8000 Jahren, als der Meeresspiegel deutlich tiefer lag, an der Mündung eines Flusses abgelagert hatten.

Doch diese Proben bergen einen wahren Schatz, wie spätere Erbgutanalysen des darin enthaltenen biologischen Materials zeigen. Paläogenetiker der Universität Warwick entdeckten im Sediment Spuren von 8000 Jahre altem, kultiviertem Weizen. So weit im Norden hatten die Archäologen für die Mittelsteinzeit keine Spuren von Einkorn erwartet, der frühesten von Menschen angebauten Weizenart (Science, Bd. 347, S. 998, 2015).
...

Handelten die einheimischen Jäger mit südeuropäischen Bauern?

...
Die Funde von Bouldnor Cliff sind nun aber älter, und die Implikationen weitreichend: Möglicherweise gab es Handelsbeziehungen zwischen den einheimischen Jägern und Sammlern und den frühen Bauern aus dem südlichen Europa. Das würde ein neues Licht werfen auf interregionale Beziehungen und dem entsprechenden Austausch von Wissen.
...

Diese Vorstellung wird nun gestützt durch die DNA-Analysen des Paläogenetikers Oliver Smith von der Universität von Warwick. Er bestimmte nicht nur das Alter des Weizens sondern zeigte zudem, dass das Einkorn vom Bouldnor Cliff genetisch betrachtet wohl aus der Region des Fruchtbaren Halbmonds im Nahen Osten stammt. Es zeigt jedenfalls keinerlei Übereinstimmung mit dem Genprofil von Getreide aus Nordeuropa oder Großbritannien.
...
 
Neue Untersuchungen in Portugal/Monte da Ramada beschäftigen sich mit dem "Import" bzw. Fernhandel von Material für Bronzeornamente.

Die Autoren ziehen den Schluss, dass die verwendeten Materialien auf einen ausgedehnten Fernhandel Im Mittelmeerraum (auch durch die Gibraltar-Straße) schon vor den Phöniziern hindeuten.

"The composition and manufacture of Late Bronze Age metallic artefacts from funerary and domestic contexts of southern inland Portugal was studied. The prevailing trend comprises binary bronzes (10.3 ± 2.1 wt% Sn) showing deformed equiaxial grains, annealing twins and slip bands. The alloy composition is somewhat independent of artefact type, while the manufacture seems to rely on artefact function and the skilfulness of the metallurgist. The technological characteristics were linked with archaeological and chronological features, disclosing some artefacts of uncommon composition, such as low-tin bronze bracelets (4.3–7.1 wt% Sn) associated with ornaments of exotic materials (glass and Egyptian faience beads, and also ostrich egg shell beads). The assemblage testifies to an archaic trade with the Mediterranean region before the establishment of the first Phoenician colonies on the southern Iberian coast."
Early Imports in the Late Bronze Age of South-Western Iberia: The Bronze Ornaments of the Hypogea at Monte da Ramada 1 (Southern Portugal) - Val[]rio - 2017 - Archaeometry - Wiley Online Library
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieder etwas zur Mobilität, hier ausgehende Bronzezeit und Norditalien ua anhand von Strontiumanalysen:

Flows of people in villages and large centres in Bronze Age Italy through strontium and oxygen isotopes
aus der PLOS.one, im freien download



Abstract ~ deepL

Diese Studie untersucht, inwieweit bronzezeitliche Gesellschaften in Norditalien durchlässig waren, um nicht-lokale Individuen aufzunehmen und zu integrieren sowie ein breites Spektrum an Rohstoffen, Rohstoffen und Ideen aus Netzwerken in Kontinentaleuropa und dem Mittelmeerraum zu importieren.

Im zweiten Jahrtausend v. Chr. findet in den norditalienischen Gemeinden eine fortschreitende Stabilisierung der Siedlungen statt, die in den großen Städten am Ende der Mittel- und Spätbronzezeit ihren Höhepunkt hat, die sich um große verteidigte Zentren (das Terramare) aufbauten. Obwohl eine breite Palette exotischer archäologischer Materialien darauf hindeutet, dass die Bewohner der Poebene zunehmend an den Netzwerken Kontinentaleuropas und des östlichen Mittelmeerraums teilgenommen haben, sollten wir nicht übersehen, dass die Dynamik der Interaktion auch auf lokaler und regionaler Ebene äußerst aktiv war.

Mobilitätsmuster wurden für drei Schlüsselorte untersucht, die die frühe bis späte Bronzezeit (1900-1100 v. Chr.) umfassen, nämlich Sant'Eurosia, Casinalbo und Fondo Paviani, durch Strontium- und Sauerstoffisotopenanalyse an einer großen Probengröße (mehr als 100 Individuen).

Die Ergebnisse, integriert mit osteologischen und archäologischen Daten, dokumentieren erstmals in diesem Bereich, dass Menschenbewegungen meist in einem Umkreis von 50 km stattfanden, aber auch, dass größere Knoten im Siedlungssystem (wie Fondo Paviani) Personen aus weiter entfernten Gebieten umfassten. Dies deutet darauf hin, dass aus demographischer Sicht der Prozess hin zu einem komplexeren gesellschaftspolitischen System im bronzezeitlichen Norditalien durch einen weitgehend, aber nicht vollständig internen Prozess ausgelöst wurde, der sich aus der Dynamik von Siedlungs-Netzwerke und lokale/regionaler Machtverhältnisse ergibt.
 
Schon die späte Frühzeit, aber die Fernhandels-Netzwerke sind oben schon angesprochen worden:

Im Spon ist ein Artikel zu finden, der sich auf eine Publikation zu den ersten sardischen Siedlungen bezieht. Diese sollen von den Phöniziern im Kontext von Silberbergbau angelegt worden sein.
Phönizische Archäologie: Seefahrer im Silberrausch
Publikation in den PNAS (hinter paywall):
Lead isotopes in silver reveal earliest Phoenician quest for metals in the west Mediterranean

Der Kontext ist gut bekannt, als Alternative im open access zum frühen phönizischen Netzwerk von der Iberischen Halbinsel zur Levante:
From Iberia to the Southern Levant: The Movement of Silver Across the Mediterranean in the Early Iron Age
 
Zu der Frage, Fernhandel in der Jungsteinzeit, ja oder nein:

Waren wie Bernstein, Feuerstein und Obsidian waren begehrt und nicht überall vorhanden, also mussten sie über weite Distanzen herangeschafft werden. Und wenn das 18-jährige Egtvet-Mädchen vor 3400 Jahren offenbar mehrmals zwischen Schwarzwald und Jütland hin und her reiste – das sind 900 km einfach, für die man zu Fuß 3-4 Wochen braucht - warum sollte in der Jungsteinzeit das für einen oder mehrere Menschen mit diesen Waren im Gepäck nicht möglich sein?
 
Zurück
Oben