Verlust von Steuergeldern oder fehlende Reformen?
Ich möchte (wieder) einmal abschweifen und eine Parallele finden:
Ein Vergleich zwischen Rom und dem ‘ancien Regime’ Frankreichs mag helfen zu verstehen, da Heather ja den Blick auf Politik und etwas Militär unverrückbar festgebannt hat:
Das Frankreich eines Louis XIV. war prägend für seine Epoche, seine Ausstrahlung durchdrang Europa, es war das Vorbild für alle großen Herrschaften. Doch ab dem Jahre 1789 änderte sich alles: Frankreich befand sich eben nicht unter großem außenpolitischem Druck, seine Armee war stark, doch seine Politik hatte zu enormer Verschuldung und Teils zu Versorgungsengpässen im Lande geführt. Eine seit langem verschleppte
Strukturkrise in wirtschaftlicher- wie gesellschaftlicher Hinsicht lähmte die Möglichkeiten der Krone der Staatsverschuldung Herr zu werden. Die Intervention in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hatte sie weiter steigen lassen. Statt eine rettende Staatsreform zu erreichen, lösten die mit wenig Elan betriebenen Rettungsmaßnahmen der Krone eine Revolution aus: Alles, was Frankreich bislang ausgemacht hatte verschwand in diesem Zusammenhang, inklusive des Monarchen an der Staatsspitze…. Und dennoch ist Frankreich nicht untergegangen durch die Revolution. Sie war blutig, hatte zahlreiche Kulturgüter zerstört, die beeindruckende Welt des Adels vorerst völlig vernichtet… aber es blieb Frankreich! Selbst wenn es zeitweilig mit einem „ausländischem“ Korsen (Napoleon Bonaparte, der erst 11 Jahre vor der Revolution von Korsika (erst seit 1769 französisches Staatsgebiet) an der Spitze als Weltmacht scheitern sollte.
Die Französische Revolution war erst durch die außenpolitischen Ambitionen und die hohe Staatsverschuldung ausgelöst worden… Die Ursachen aber lagen tiefer. Ebenso verhält es sich mE. mit dem Untergang des Römischen Reiches. Der Unterschied ist nur jener, dass Frankreich seine Strukturen anpasste, während Rom festgefügt in der alten Ordnung in den eigenen Untergang voranschritt, statt sich der zahlreichen, neuen Optionen zu bedienen. Auch Frankreich stand dabei zeitweilig unter immensem, militärischem Druck! (Soziale Revolten scheint man in der Antike zu vermissen. Ich erlaube mir auf die teils in diesem Sinne interpretierten Bagauden hinzuweisen.) Zu diesen Optionen gehörten auch die neuen Völker, die nur zu gerne zu einem festen Teil des Reiches geworden wären…
Gerade hier sind die Schwächen von Heathers Entwurf am Offensichtlichsten. Er bleibt auf dem Standpunkt, den Stilicho gut zusammenfasst
Selbst wenn dies möglich oder sinnvoll gewesen wäre - es hätte doch den gesamten römischen Staat auf den Kopf gestellt. Dieser war Zeit seiner Existenz auf Mehrung des Wohlstandes der römisches Elite ausgerichtet.
…So gesehen hätte es auch keine Zukunft für Frankreich nach der Revolution geben können. Das Deutsche Reich ist 1945 untergegangen, aber die Kontinuitäten zur heutigen BRD sind doch nicht zu bestreiten, was entscheidende Teile der Identität betrifft. Politisch waren das alles gewaltige Umbrüche, nicht weniger der Untergang des Weströmischen Reiches. Was blieb waren Kontinuitäten, auch unter den Königen der „Barbaren“. Noch war die Mittelmeerwelt intakt geblieben, welche den beispiellosen Aufstieg Roms erst ermöglicht hatte und Basis seines Imperiums gewesen war. Die kulturelle und wirtschaftliche Verbundenheit dieses Raumes blieb bestehen – Aber nicht für Lange: Im Jahre 632 starb in Medina ein Mann, der eine neue Religion und einen neuen Staat gegründet hatte, indem er sich auf eine göttliche Inspiration berief. Sein Name war Mohammed, der Begründer des Islam. Im Rahmen der islamischen Expansion sollte die Mittelmeerwelt in wenig mehr als gut 100 Jahren nach seinem Tode umfassender und nachhaltiger Umgeformt werden, als es die Zeit der Völkerwanderung in Europa vermocht hatte. Vielleicht mit Ausnahme der Slawisierung des östlichen Europas. Jene mittelmeerischen Kräfte, welche Europa weiterhin dem starken Einfluss einer römisch geprägten Kultur hätte aussetzen und mit formen können, sind seither geteilt. Die aktive Ausstrahlung römischer Kultur auf Europa mit seinem geschwundenen römischen Erbe wurde minimiert. Ich frage mich, ob dieser Umbruch nicht mehr zum Verschütten vieler bis dahin noch lebendiger Traditionen aus römischer Zeit beigetragen hat, als die Jahre der Landnahme durch die neuen Völker? Und das alles sei nur möglich gewesen, weil Rom sozusagen „Pleite“ gegangen ist – um Heathers Ansatz einmal krass zu Überzeichnen. Denn man könnte ja behaupten, dass wenn Rom finanziell in der Lage geblieben wäre die Umwälzungen der Völkerwanderung zu negieren… wäre es dann nicht auch vielleicht in der Lage geblieben, auch die Islamische Expansion zu stoppen?...
Da ich eine derart monokausale Erklärung ablehne, möchte ich meine provokante Frage auch gleich verneinen. Ich hoffe mein Kritikpunkt an Heather wird deutlich genug, ohne ihn ins Lächerliche zu ziehen.