Hätte man den Untergang Westroms noch abwenden können?

Das ganze ist eine etwas merkwürdige Rezension, da sich Heather eben nicht auf diese eine Erklärung beschränkt.
Vor allem hat er zur zitierten Zeile das umfangreiche Werk "Empires and Barbarians" vorgelegt, das diese Aspekte ausführlich beleuchtet.

Es ist eine Rezension seines bekanntesten Buches „Der Untergang des Römischen Weltreichs“ und nicht späterer Publikationen. Ich hatte nur Auszüge kopiert. Hast du sie komplett gelesen? Heather hat sich diesen Kritikpunkt in seinem neuen Werk wohl angenommen. Das sollte für sich sprechen.
 
Ränge auf Widerruf!

Was wirklich Integrationswilligen Barbarenfürsten weitgehend vorenthalten wurde, war ein dauerhafter und fester Platz im Gefüge des Imperiums – natürlich an einer Stelle, die ihrer Bedeutung entsprach: Will sagen recht weit oben im Staate! Statt eines solchen Platzes erhielten sie nur eher geduldete Militärränge, oft genug auf Widerruf, sobald sich die Reichzentrale entschlossen hatte, ein Foederiertenvolk gegen ein anderes auszuspielen.
Das kann man so kaum stehen lassen, angesichts der Dominanz der germanischen Adligen im 4. und 5. Jahrhundert, wo sie höchste Posten besetzten, sei es nun der des magister militum, oder auch des Konsulats.
Und ob ich das so stehen lassen kann. Danke an Ravenik, der den Punkt bereits näher ausgeleuchtet hat.

Ich schrieb von Militärrängen und das amtierende Barbarenfürsten nicht in das „normale Establishment“ des Reiches integriert waren. Es handelte sich dabei um „Sonderämter“, nicht um eine Rolle unter der „staatstragenden Schicht reichen Grundbesitzer“. Deren Bedeutung wird doch gerade von dir oben unterstrichen! Auch Heather bemüht sie als fast schon „sakrosankte Gruppe“, die anzurühren für den Bestand des Reiches unmöglich gewesen sei. Eine Behauptung, gegen die ich mich im Vorposts doch gewehrt habe! Ich verstehe darum nicht leicht, wie man mich derart missverstehen konnte.

Militärämter waren abhängig von der Gunst der Kaiser (oder ihrer wichtigsten Ratgeber). Man vergleiche: So wie sie konnten auch „unmögliche Personen“ in höchste Ämter mit dieser Gunst aufsteigen. Günstlinge waren etwa die Freigelassenen der julischen Kaiser, oder noch der Eunuchengeneral Narses in der Spätantike. Ihr Schicksal war völlig mit jenem ihrer Patrone verwoben, ohne diese stürzten sie gewöhnlich ins Bodenlose/Verderben. Es war also eher Hausmachtpolitik exponierter Mächtiger und Notsituationen, welche Barbarenfürsten in die höchsten Militärämter katapultierten. Keine echte, gezielte Integration in die führende Schicht der Großgrundbesitzer des Imperium. Ein entscheidender Unterschied!

Direkt mit dem Sturz des Stilicho gingen Reichsangehörige gegen die Familien, der durch Stilicho foederierten Soldaten, in Pogromen vor, was die vorher dem Reich gewonnenen Barbaren in die Reihen ihrer Feinde treiben musste. Das geschah, obwohl sich die „barbarischen Truppen“ nichts hatten zuschulden kommen lassen. Sieht so eine erfolgreiche Integration in den römischen Militärapparat aus? Deinen Einwand sehe ich damit als völlig entkräftet an.

Weiterhin schrieb ich durch den Kontext von „integrationswilligen Barbarenfürsten foederierter Völker“ nicht von Einzelpersonen, oder unbedeutenden Gruppen. Der (eigentliche Römer) Stilicho gehörte also ebenso wenig zu der von mir angesprochenen Gruppe, wie der mächtige halbalane Aspar. Dieser konnte durch seine guten Beziehungen zu Römern wie Barbaren, eine gewaltige Stellung erreichen. Die lange Liste ranghoher Militärpersonen der Spätantike mit „barbarischen Wurzeln“, bereinigt um diese Punkte, dampft dann doch gewaltig zusammen. Oder sollen wir „Gesten der Beschwichtigung“, gegenüber außerhalb des Reiches residierende Barbarenfürsten, wie Attila ernst nehmen, dem zeitweilig ebenfalls ein römisches Heermeisteramt „anvertraut“ wurde? Es ging mir um die Einbindung von führenden Repräsentanten, der innerhalb des Imperiums angesiedelten, durch einen Foederatenvertrag an Rom gebundenen Völker mit meiner Aussage!

Wie relativ schwach die institutionelle Bindung eines Foederatenvertrages schon an sich war, zeigte sich nicht zuletzt an deren Befristung: Sie endeten mit dem Tode eines der beiden vertragsschließenden Repräsentanten. Also starb der Barbarenkönig, war der Vertrag abgelaufen - ebenso galt dies für den führenden „Minister“, oder den Kaiser der Römer selbst. Rom tat sich sehr schwer „ewige Verträge“ mit den Foederierten zu schließen. Unter Kaiser Justinian wurden die einzigen, nicht an Personen gebundenen Verträge annulliert:
- Der Vertrag mit den Vandalen, bei denen ein nachgeordneter Prinz die Königskrone ergegriffen hatte (Gelimer 530).
- Der Vertrag mit den Ostgoten wurde 5 Jahre später für beendet erklärt, als die Tochter des Theoderich von ihrem Mitregenten (ebenfalls ein Angehöriger der königlichen Familie der Amaler) ermordet worden war. Der Kaiser machte seine besondere Bindung zu Amalaswintha dabei geltend.
Hier haben wir also die „umfassendste, jemals erreichte Form“ einer nominalen Integration in die „Reichsführung“ von Barbarenkönigen in ihren Auswirkungen zu bewundern.
 
Viele barbarische Großverbände hatten das Interesse, ins Imperium integriert zu werden, aber bitteschön an Fleischtöpfe ganz oben (also als Militäraristokratie), nicht auf die Felder - manche nutzten Krisenphasen für einen gewaltsamen Einbruch (Vandalen, Alanen, Sueben), andere suchten mit mehr oder weniger Druck eine etwas friedlichere Integration.

Das ist mir ein klein wenig zu einseitig. Denn grundsätzlich bot das Militär ja ohnehin schon in den Anfängen der Kaiserzeit eine ganz wesentliche Möglichkeit für Nichtrömer, sich selbst zu "romanisieren" und das Bürgerrecht zu erlangen. Und schon damals scheint es - man denke an die batavischen Einheiten - teilweise Praxis gewesen zu sein, auch auf Soldaten aus Gebieten außerhalb des Reiches zurückzugreifen. Es war also auch in gewissem Maße ein gängiges Mittel römischer Politik, auch noch nach der Constitutio antoniana.

Abgesehen davon, ließen die Römer es lange Zeit einfach nicht zu, dass sich fremde Gruppen bloß zur Siedlung im Reichsgebiet niederließen. Eine Ausnahme mögen die Aufgabe des Dekumatlands und eines kleinen Streifens des niedergermanischen Rheinlimes im 3. und frühen 4. Jahrhundert gewesen sei - allerdings waren diese Grenzgebiete auch nicht mehr direkt römisch beherrscht.

Aber sonst wurde die Ansiedlung ja gar nicht gewährt, ohne dass die Siedler auch Männer für den Militärdienst bereit stellten.

Interessant finde ich auch noch, dass das oströmische Heer die Praxis beibehielt, eine große Anzahl nichtrömischer und auch "außerreichischer" Krieger unter Sold zu halten - ohne dass es dabei zu Versuchen selbständiger Territorialgründungen kam.
 
Deinen Einwand sehe ich damit als völlig entkräftet an.

Auch wenn du noch so langatmig antwortest, sehe ich das nicht so.


Und zu deinen Anmerkungen zu den Föderatenverträgen: Selbstverständlich waren die Personengebunden, woran auch sonst? Die Barbarenherrschaften waren schließlich Personenherrschaften. Eine Art Staat existierte dort nicht.
 
Abgesehen davon, ließen die Römer es lange Zeit einfach nicht zu, dass sich fremde Gruppen bloß zur Siedlung im Reichsgebiet niederließen. Eine Ausnahme mögen die Aufgabe des Dekumatlands und eines kleinen Streifens des niedergermanischen Rheinlimes im 3. und frühen 4. Jahrhundert gewesen sei - allerdings waren diese Grenzgebiete auch nicht mehr direkt römisch beherrscht.
Ich vermute einmal, Du meinst damit Gruppen, die nach ihrer Umsiedlung ins Reichsgebiet nicht römischer Kontrolle unterstanden. Dann stimme ich Dir zu. Gruppen, die neue Untertanen werden sollten, wurden hingegen auch früher schon auf Reichsgebiet angesiedelt. Z. B. siedelte Mark Aurel in den Donauprovinzen Markomannen, Quaden und Iazygen an. Aber eines der bekanntesten Beispiele ist wohl die Umsiedlung der Ubier auf das linksrheinische Reichsgebiet.
 
Auch wenn du noch so langatmig antwortest, sehe ich das nicht so.


Und zu deinen Anmerkungen zu den Föderatenverträgen: Selbstverständlich waren die Personengebunden, woran auch sonst? Die Barbarenherrschaften waren schließlich Personenherrschaften. Eine Art Staat existierte dort nicht.

Schade das du deine Ansicht nicht nachvollziehbar ausführen willst, um deinen entscheidenden Kritikpunkt teilen zu können… „Ich stimme nicht zu“ hilft mir dabei nicht.

Barbarenherrschaften waren natürlich Personenherrschaften. Es geht doch auch um eine dauerhafte Integration ins Reich und da ist eine dauerhafte Komponente unumgänglich. Da dies nicht über Foederatenverträge erreichbar war, hätte es durch eine Integration in die römische Gesellschaft geschehen müssen - und die unterblieb. Das ist doch mein Punkt!

In der frühen Kaiserzeit hätte man Gruppen, die man integrieren wollte an sich gebunden, indem man ihre wichtigsten Repräsentanten zu Römern (Bürgerrecht) gemacht hätte. Man hätte ihren Leuten Siedlungsgrund und Aufgaben übergegeben und langsam in das römische System einbezogen. Das Mittel einer echten Bürgerrechtsverleihung gab es in der Spätantike nicht mehr. Siedlungsgrund wurde nur leihweise, zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Die wichtigsten Repräsentanten wurden nicht mehr in funktionierende Klienteln eingebunden und in einem Maße romanisiert, dass sich ihre Gruppen am römischen Ideal ausgerichtet hätten. Sie blieben ein "römisches Heer" auf Leiharbeiterbasis. Bestenfalls Römer zweiter Klasse. Dabei war es ihre militärische Kraft, die den Untergang des Weströmischen Reiches noch einige Zeit hinauszögerte.
Gelungene Integration setzte auch eine eher "zivile Komponentee" voraus. Diese Chance hatten die Foederaten nie erhalten - und so verhielten sie sich auch. Ist das so unverständlich?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die wichtigsten Repräsentanten wurden nicht mehr in funktionierende Klienteln eingebunden und in einem Maße romanisiert, dass sich ihre Gruppen am römischen Ideal ausgerichtet hätten. Sie blieben ein "römisches Heer" auf Leiharbeiterbasis. Bestenfalls Römer zweiter Klasse. Dabei war es ihre militärische Kraft, die den Untergang des Weströmischen Reiches noch einige Zeit hinauszögerte.
Gelungene Integration setzte auch eine eher "zivile Komponentee" voraus. Diese Chance hatten die Foederaten nie erhalten - und so verhielten sie sich auch. Ist das so unverständlich?
Nein. Ich finde das nicht unverständlich, sondern treffend.
Und diese barbarischen Truppen mit ihren Heerkönigen mussten sich, auch wenn sie zeitweilig für den Kaiser fochten, hin und wieder gegen diesen stellen, da - wie du sehr treffend beschrieben hast - die Integration eben keine wirklich, keine dauerhafte war. Theoderich der Ostgote ist ein schönes Beispiel für diese Überlebenspolitik eines barbarischen Großverbandes auf Reichsboden (man denke an seine gar nicht friedlichen Balkanzüge - und er hatte immerhin mit dem sehr mächtigen Ostreich zu tun!)
 
Personenherrschaft und Usurpationen

@Personenherrschaften & Gedanken:
Bekanntlich sind die heutigen, europäischen Staaten aus der mittelalterlichen Staatenwelt hervorgegangen. Deren Wichtigste haben häufig bereits eine ähnlich lange Geschichte, wie das außeritalische, europäische Römische Reich der Antike. Und doch sind sie aus Personenverbänden hervorgegangen.

Man mag einwenden, dass mittelalterliche Reiche weniger Institutionen kannten, als wir es heute für einen modernen Staat als notwendig erachten. Auch im Vergleich zum Römischen Reich! Dennoch haben sie sich als Stabil erwiesen.
Hilft ein Blick in die Zeit der großen, hellenistischen Diadochenreiche? Gerade die Seleukiden hatten in ihrem Machtbereich nicht nur Poleis als Grundstrukturen ihrer Macht. Sie umfasste auch die Oberherrschaft über monarchisch regierte Gemeinschaften, "Stammesverfassungen" und ähnliches mehr. Interessant bei hellenistischen Großreichen ist auch, dass bei ihnen nicht nur die oben genannten "Organisationsformen" als politische Rechtsgemeinschaften anerkannt waren, sondern auch Regimenter der Truppen! Es waren dann immer Rechtsgemeinschaften: Egal ob eine griechische Polis, eine orientale Tempelstadt... oder eben ein Regiment, das irgendwo angesiedelt worden war.

Ich will so eine Organisationsform nicht zur Alternative zur römischen Praxis der Foederatenansiedlung in den Raum stellen. Bedenkenswert ist dennoch, dass diese Fülle von segmentären "politischen Organisationen" unter einem König, sich als Personenverband weitgehend tragfähig erwiesen hatte. Zumindest solange der hellenistische König nicht auf die staatlich stärker durchstrukturierten Römer, mit ihrem immensen militärischen Potential traf!

Rom hatte früher eng an das Imperium angelehnte Klientelkönige gekannt, vor allem in der orientalen Staatenwelt. Auf eigenem Reichsgrund wollte es solche Regelungen in der Spätantike nicht wieder einführen. Die Idee einer "Familie der Könige unter Vorsitz des Kaisers" entstand, entwickelte aber keine "staatsrechtliche Relevanz".


@Innerrömisches:
Warum das Imperium zugrunde ging lag mE. nicht nur an angesiedelten Barbarenvölkern im Reich, sondern auch an innerrömischen Problemen. Heather sieht sie durchaus, hält sie aber nicht für entscheidend (solange das Imperium selbst militärisch stark blieb). Aber widerspricht sich das nicht selbst?

Gerade der Kontext mancher Usurpation, die Heather brillant herausgearbeitet hat, bietet doch Raum genug für Überlegungen. Er schreibt selbst, dass Regionen, die sich vernachlässigt und Invasionen preisgegeben fühlten, auf solche Zustände oft mit der Erhebung eines eigenen Kaisers antworteten. Von diesem erwarteten sie Abhilfe. Der Zentralisierung des Imperiums war die Eigendynamik geschuldet, dass derartige Usurpatoren sich im Reich durchsetzen mussten, indem ihre Herrschaft legitimiert werden sollte. Da dies, wenn überhaupt nur geschah, wenn sich ein solcher Mann militärisch gegen die Zentrale behaupten konnte – oder in der Regel selbst das komplette Ruder des Reiches übernahm. Ein wurde Bürgerkrieg unausweichlich. Bürgerkriege wurden mit größter Erbitterung, meist bis zum Tode des feindlichen Repräsentanten ausgefochten. Dies band nicht nur die militärische Schlagkraft Roms für die Dauer bis zur Entscheidung, sondern entblößte zwangsweise weitere Territorien von Truppen... Die dabei oft anfallenden, hohen Verluste an Soldaten waren schwer auszugleichen und schwächten das Imperium insgesamt. Ich glaube Constantius III. war es, der es als General bis zum Mitregenten Kaiser Honorius brachte. Es gelang ihm dabei unter Anderem etwa ein halbes Dutzend Usurpatoren-Augusti oder Caesares zu besiegen! Konstantin der Große räumte auf seinem Weg zur Alleinherrschaft ähnlich viele Kontrahenten aus dem Wege. Aber das Reich Konstantins konnte die angefallenen Verluste verkraften, das Westreich des Honoris dagegen kaum. Selbst wenn ein vorheriges Foederatenvolk schließlich militärisch ausgemerzt worden war, so drangen doch immer neue Gruppen ins Reich, solange der Druck der Hunnen anhielt. Als dieser Druck verschwunden war, kehrte wieder keine Ruhe ein, sondern der Streit im Barbaricum um die Dominanz wurde umso heftiger auf kleinerer Ebene weitergefochten. Wer unterlag, konnte sich bestenfalls ins Imperium zu retten versuchen.

Odoaker war einer jener Königssöhne, eines gegen die Goten unterlegenen Volkes gewesen. Er trat in römische Dienste. Nach einigen Wirrungen wurde er später König von Italien, anstelle eines Kaisers. Dabei fußte seine Macht auf dem regulären, römischen Militär aus „römischen Truppen“ (die ihn anerkannten) und jenen, kleineren Teilgruppen von Dienstverpflichteten Foederatensoldaten, die erfolgreich für ihre Gleichstellung mit dem regulären, römischen Militär revoltiert hatten. Diese Tat wurde das Ende des Weströmischen Imperiums.

...sorry für die Gedankenflüge. Ich möchte weiters klarstellen, dass ich Heathers Buch sehr wohl hoch schätze!
 
Gerade der Kontext mancher Usurpation, die Heather brillant herausgearbeitet hat, bietet doch Raum genug für Überlegungen. Er schreibt selbst, dass Regionen, die sich vernachlässigt und Invasionen preisgegeben fühlten, auf solche Zustände oft mit der Erhebung eines eigenen Kaisers antworteten. Von diesem erwarteten sie Abhilfe.
Ich möchte diesen Zusammenhang nicht direkt abstreiten, aber trotzdem darauf hinweisen, dass es sich um eine verfehlte Verknüpfung von Ursache und Wirkung handeln könnte. Denn die meisten Usurpationen gingen von der Armee aus. Und wo war die Armee stationiert? Richtig, in den Krisengebieten! Somit ist es logisch, dass die meisten Usurpationen in gefährdeten Regionen erfolgten. Oder andersherum ausgedrückt: Dass es so gut wie keine Usurpationen in Spanien gab (mir fällt im Moment nur der Fall von Maximus ein, der aber von einem Feldherrn des Konstantin III. erhoben wurde), muss nicht unbedingt daran liegen, dass dieses Gebiet bis ins frühe 5. Jhdt. relativ sicher war, sondern kann auch darauf zurückzuführen sein, dass dort kaum Truppen stationiert waren, nämlich während des Großteils der Kaiserzeit nur die Legio VII Gemina, in der Spätantike dann noch weniger Truppen.
Wenn man aber meinen Zusammenhang Truppenstationierung - Usurpationen zugrundelegt, dann hätte sich am Usurpationsverhalten zwischen dem 3. Jhdt. und der Spätantike nicht wirklich etwas verändert.
 
Für mich ist im Zusammenhang mit dem „Untergang“ des römischen Reiches gerade die Frage interessant, warum das oströmische Reich im Gegensatz zum weströmischen Reich noch so lange überlebte und für 200 Jahre auch noch eine Blüte erlebte. In diesem Zusammenhang kann ich das Buch „The Rome That Did Not Fall: The Survival of the East in the Fifth Century: The Phoenix in the East” von Stephen Williams empfehlen. Ist zwar schon einige Zeit her, dass ich das gelesen habe, aber einige Gründe, die dort gennant werden, waren folgende:

- Die strategisch sehr günstige Lage Konstantinopels
- Dadurch die dortige Zentralisierung der Staatsgewalt (im Gegensatz zum Westen)
- Größere Urbanisierung als im Westen
- Auch dadurch größere Steuereinnahmen
- Eine Aristokratie und ein Senat, die sich wesentlich mehr mit Reich und Kaiser identifizierte, als im Westen, vermutlich dadurch bedingt, dass der Adel im Osten eine wesentlich „kürzere“ Geschichte hatte und kein so ausgeprägtes Selbstverständnis als Gegengewicht zum Kaiser hatte. Außerdem konnte man wohl im Osten tatsächlich durch Leistung eine „Karriere“ starten während im Westen der alteingesessene Adel bestimmte Posten immer für sich beanspruchte (bin mir allerdings bei diesem Punkt nicht ganz sicher, ob ich ihn so richtig widergebe).
- Beschränkung der Macht der Germanen innerhalb der Armee, dadurch größere Handlungsfreiheit für den Kaiser bzw. für die oströmischen Generäle
- Ableitung der Goten Richtung Westen und implizit Akzeptanz der dadurch folgenden Auflösung des weströmischen Reiches

Für mich stellt es sich kurz gefasst so dar, dass der Hauptgrund der Schwierigkeiten des römischen Reiches militärischer Natur waren (übrigens sind ja auch die wirtschaftlichen Probleme und hohen Steuerbelastungen seit Diocletian letztendlich der militärischen Bedrohung geschuldet. Nur durch seine Kraftanstrengungen in Bezug auf Bündelung der Kräfte hat Rom wahrscheinlich die Krise des 3. Jhdts. überhaupt überlebt). Im 5. Jahrhundert war der Osten einfach besser aufgestellt, um die militärischen Bedrohungen zu überleben (und dass wie gesagt teilweise auf Kosten Westroms).

Wie sind Eure Meinungen hierzu?
 

Wie sind Eure Meinungen hierzu?

Die wesentlichen Ursachen für die relativ lange Lebensdauer von Byzanz hast du oben schon aufgeführt.

Für mich stellt es sich kurz gefasst so dar, dass der Hauptgrund der Schwierigkeiten des römischen Reiches militärischer Natur waren (übrigens sind ja auch die wirtschaftlichen Probleme und hohen Steuerbelastungen seit Diocletian letztendlich der militärischen Bedrohung geschuldet. Nur durch seine Kraftanstrengungen in Bezug auf Bündelung der Kräfte hat Rom wahrscheinlich die Krise des 3. Jhdts. überhaupt überlebt). Im 5. Jahrhundert war der Osten einfach besser aufgestellt, um die militärischen Bedrohungen zu überleben (und dass wie gesagt teilweise auf Kosten Westroms).

Die zentralen Gründe für den Zusammenbruch Westroms wurden in den bisherigen Beiträgen genannt:

1. Die germanische Invasion

2. Die Barbarisierung des Heeres

3. Die Desintegration des Reiches durch den Kirchenkampf

4. Niedergang der Landwirtschaft und der Städte

5. Strukturelle Probleme hinsichtlich der Gesellschaft und der Administration

6. Finanzielle Destabilisierung,

7. Unerträgliche Steuerlast für die Reichsbewohner

7. Dynastische Probleme

In der Vergangenheit wurde Roms Untergang (oder auch Fortleben) mit verschiedenen Hypothesen erklärt: Dekadenztheorie, Katastrophentheorie, Kontinuitätstheorie. All diese Erklärungen sind unzureichend, denn dieser Untergang ist ein komplexes Problem und nur multikausal erklärbar.

In diesem Zusammenhang ist die Invasion der Germanen natürlich ein wichtiges Phänomen und allein betrachtet Kern der Katastrophentheorie. Allein das erklärt aber den Zusammenbruch nicht, sondern es müssen - wie oben angeführt - noch strukturelle Probleme hinzutreten, z.B. auf dem gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Sektor. Wie alle diese Faktoren zu gewichten sind, darüber streitet die Geschichtswissenschaft bis heute.
 
Die zentralen Gründe für den Zusammenbruch Westroms wurden in den bisherigen Beiträgen genannt:
[........................]
3. Die Desintegration des Reiches durch den Kirchenkampf
Beziehst Du Dich auf den Donatismus?
Die große Zeit des innerrömischen Konflikts zwischen Katholizismus und Arianismus war das 4. Jhdt., und er konzentrierte sich (innerrömisch) im Wesentlichen auf den Osten des Reiches. Im Westen gab es stattdessen den Konflikt mit den Donatisten, der sich aber im Wesentlichen auf Nordafrika beschränkte. Er nahm aber im 4. Jhdt. durchaus auch sozialrevolutionäre Züge an, und es kam zu gewaltsamen Ausschreitungen von Donatisten gegen katholische Kleriker und Großgrundbesitzer. Wie weit sich dieser Konflikt letztlich auf die Getreideversorgung auswirkte, weiß ich nicht. Ob die Donatisten möglicherweise die Wandalen unterstützten, um von ihnen vor den Katholiken geschützt zu werden, muss wohl Spekulation bleiben.
Die Konflikte mit dem Pelagianismus und Semipelagianismus konzentrierten sich zwar auch auf den Westen, blieben aber ohne gröbere Auswirkungen.
 
sie hatten ein mentales Problem

Ich gebe Ravenik Recht, an der Religionspolitik lag es sicherlich nicht, die römische(-katholische) Staatskirche [die bis heute verbliebene letzte Institution des weströmischen Imperiums] hatte einen integrativen Einfluss auf das Reich.
Der Untergang des Westreiches beruht hauptsächlich auf dem dynastischem Regierungssystem, welches zusammen mit der Mentalität der Römer (Hang zur Arroganz und zur Selbstzerstörung) zu ständigen Bürgerkriegen führte. Und das war in der Spätantike bei erstarkten äußeren Feinden fatal.
Hätte sich nicht in der Schlacht am Frigidus der Großteil der römischen Soldaten gegenseitig umgebracht, und man hätte sich stattdessen ohne Kampf auf einen neuen Herrscher geeinigt, wäre diesem evtl. mit der zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch schlagkräftigen Armee eine Stabilisierung in den westlichen Provinzen gelungen (die Rheingrenze wäre vielleicht nicht zusammengebrochen, das Westreich wäre auf den Hunneneinfall besser vorbereitet gewesen, ...)
Andererseits sage ich mir immer, wer weiß wozu der Zusammenbruch des Westens gut war. Hätten sich die beiden Reichshäften zivilisatorisch und technisch ungestört weiterentwickelt, hätten sie vielleicht irgendwann um das Jahr 1000 herum die Möglichkeit gehabt, sich gegenseitig in einem Atomkrieg zu vernichten, aufgrund ihrer Mentalität hätten sie das vielleicht auch getan, und das hätte Europa zivilisatorisch um mehr als 1000 Jahre zurückgeworfen, wie es ja der Zusammenbruch des Westreiches ohnehin schon getan hat.
 
Der Untergang des Westreiches beruht hauptsächlich auf dem dynastischem Regierungssystem,

Dynastisches Regierungssystem? Welche Dynastien kannte das Westreich denn? Die Julisch-Claudische Familie, die noch für das Gesamtreich stand, die Flavier, ebenfalls Gesamtreich und dann noch mal die Konstantinische Dynastie. Aber dann?
Ist es nicht eher so, dass aufgrund des Umstandes, dass es keine festen Dynastien gab, es dem weströmischen Reich an Stabilität mangelte? Die Theodisianer haben noch mal so etwas ähnliches, wie eine Dynastie zustande gebracht, aber danach war die Herkunft der Kaiser doch eher zufällig.
welches zusammen mit der Mentalität der Römer (Hang zur Arroganz und zur Selbstzerstörung) zu ständigen Bürgerkriegen führte.
Ich tue mich schwer damit einer ganzen Bevölkerung eine Mentalität zuzuordnen.


Andererseits sage ich mir immer, wer weiß wozu der Zusammenbruch des Westens gut war. Hätten sich die beiden Reichshäften zivilisatorisch und technisch ungestört weiterentwickelt, hätten sie vielleicht irgendwann um das Jahr 1000 herum die Möglichkeit gehabt, sich gegenseitig in einem Atomkrieg zu vernichten, aufgrund ihrer Mentalität hätten sie das vielleicht auch getan, und das hätte Europa zivilisatorisch um mehr als 1000 Jahre zurückgeworfen, wie es ja der Zusammenbruch des Westreiches ohnehin schon getan hat.

Ob Europa durch den Zusammenbruch des Westreiches nun um 1000 Jahre zurückgeworfen wurde, das ist zu bezweifeln. Sicher ist, dass vielerorts die römische Verwaltung und damit auch die Verantwortlichkeit für die Pflege der Infrastruktur zusammenbrach. Der Rest ist Spekulation und in hohem Maße unwahrscheinlich.
 
Die zentralen Gründe für den Zusammenbruch Westroms wurden in den bisherigen Beiträgen genannt:

1. Die germanische Invasion

2. Die Barbarisierung des Heeres

3. Die Desintegration des Reiches durch den Kirchenkampf

4. Niedergang der Landwirtschaft und der Städte

5. Strukturelle Probleme hinsichtlich der Gesellschaft und der Administration

6. Finanzielle Destabilisierung,

7. Unerträgliche Steuerlast für die Reichsbewohner

7. Dynastische Probleme

1 & 2 hängen sehr stark zusammen in meinen Augen. Je älter das Römische Reich wurde, desto weniger Soldaten konnten aus Italien herangezogen werden, später kamen auch aus dem immer weniger Rekruten aus dem restlichen Reich. Also mussten immer mehr Soldaten von aussen angeheuert werden. Und wenn diese dann nach dem ende ihrer Dienstzeit zurück in ihre Heimat gingen, kam auch militärisches Know-how zu den Barbaren.

Die Desintegration began in meinen Augen schon vor dem Siegeszug der Christlichen Kirchen. Die Strukturellen Probleme der Römischen Gesellschaft haben das Christentum zum Ende nur bevorzugt.

Dadurch das das Reich immer kleiner wurde kam es zu viel höheren Steuerlasten für den einzelnen. Das Militär musste bezahlt werden, aber immer weniger Leute konnten die Steuern aufbringen, das führte in einen Teufelskreis.

Zu den Dynastischen Problemen hat ja El Quijote sich ja geäussert.

Die Frage ist vielmehr ob die Abspaltung Ostroms vom Gesamtreich nicht den Niedergang beschleunigt hat.

Wobei se erstaunlich ist wie lange das Römische Reich bestand hatte und sich keine lange Zeit den Gegebenheiten anpassen konnte.

Apvar
 
Dynastisches Regierungssystem? Welche Dynastien kannte das Westreich denn? Die Julisch-Claudische Familie, die noch für das Gesamtreich stand, die Flavier, ebenfalls Gesamtreich und dann noch mal die Konstantinische Dynastie. Aber dann?
Ist es nicht eher so, dass aufgrund des Umstandes, dass es keine festen Dynastien gab, es dem weströmischen Reich an Stabilität mangelte? Die Theodisianer haben noch mal so etwas ähnliches, wie eine Dynastie zustande gebracht, aber danach war die Herkunft der Kaiser doch eher zufällig.
Ich vermute mal, Sacer Comitatus meint damit, dass die theodosianische Dynastie einige unfähige Kaiser an die Macht brachte, im Westen Honorius und Valentinian III.
Aber grundsätzlich ist Dein Einwand berechtigt, eine dynastische Erbfolge gab es im Römischen Reich offiziell nicht.
Ich würde aber nicht sagen, dass der Mangel an festen Dynastien automatisch ein Nachteil sein muss, denn durch die dynastische Erbfolge können auch ungeeignete Personen an die Macht gelangen, schlimmstenfalls über Generationen hinweg. Dem römischen Reich tat es manchmal durchaus gut, dass immer wieder neue Personen an die Macht gelangten, die nicht irgendwie dynastisch mit ihren Vorgängern verbunden waren, zumal dieser Wechsel nicht immer mit blutigen Bürgerkriegen einherging.

Dadurch das das Reich immer kleiner wurde kam es zu viel höheren Steuerlasten für den einzelnen.
Das lag aber (anfangs - das Schrumpfen kam erst allmählich hinzu) weniger am Schrumpfen des Reiches, sondern mehr daran, dass verschiedene - oft finanziell eigentlich besonders potente - Kreise entweder steuerlich privilegiert wurden (z. B. hohe Hofbeamte, Kleriker, Rhetoriker, Grammatiker) oder einfach die Steuerzahlung verweigerten und aufgrund ihrer Macht nicht dazu gezwungen werden konnten (z. B. Großgrundbesitzer mit ihren Bucellarii).

Die Frage ist vielmehr ob die Abspaltung Ostroms vom Gesamtreich nicht den Niedergang beschleunigt hat.
Meiner Meinung nach weniger die Abspaltung an sich (die ja auch gar nicht offiziell stattfand), sondern eher, dass die beiden Reichsteile oft eher gegeneinander als miteinander arbeiteten, vor allem dass der Osten immer wieder nervige Invasoren durch Diplomatie und Bestechung dazu brachte, doch lieber den Westen heimzusuchen.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Der Untergang des Westreiches beruht hauptsächlich auf dem dynastischem Regierungssystem....

Dieser Diagnose kann man nur zustimmen! Aus folgendem Grund:

Die Aspekte, die Dieter dankenswerter Weise zusammen gefaßt hat, bildeten Herausforderungen für das damalige politische System, an denen es nicht sui generis zwangsläufig hätte scheitern müssen.

Vielmehr wäre für eine Bewertung der Bedeutung der einzelnen Herausforderungen eine Orientierung an Theorien zur Funktionsfähigkeit politischer Systeme notwendig gewesen.

In diesem Sinne scheitere das Westreich, abstrakt gesprochen, weil die politische Problemlösung, gemessen an der Komplexität und dem Umfang der sukzessiven und parallen Probleme scheiterte.

Die Gründe für dieses antike Politikversagen liegt in der offensichtlich nicht ausreichenden (retrospektiv bewertet) Differenzierung des politischen System und versagte, auf diesem Wege so eine angemessene Problemlösung zu ermöglichen.

AGIL-Schema ? Wikipedia

https://www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/isw/systemtheoretische_perspektiven.pdf

Man muss sich dabei nicht an der struktur-funktionalistischen Sichtweise orientieren, sondern kann sich auch bei der Analyse an der Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas) orientieren, um das Versagen des politischen Systems zu erklären.

http://www.zib.nomos.de/fileadmin/zib/doc/ZIB_1_1995.pdf#page=5

Die Behandlung dieser hypothetischen Frage kann natürlich auch diskutiert werden ohne das Modell der Problemlösung exemplarisch festzulegen, dann bleibt es jedoch implizit und jeder formuliert sein persönliches Modell des damaligen politischen Systems.
 
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