WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Gandolf schrieb:
Hier möchte ich zu bedenken geben, dass Deutschland im Zuge der 1. Marokkokrise 1905/06 bereits den Rücktritt des französischen Außenminister Delcassé, den Architekten der "Entente cordiale", erreicht hatte und dass der französische Ministerpräsident Rouvier Bereitschaft zeigte, sich mit Deutschland zu vergleichen

Interessant in diesem Kontext ist, das Bülow am 06.Juni 1905 von Wilhelm II. in den Fürstenstand erhoben wurde, just an dem Tage, an dem Delcassè seinen Rücktritt eingereicht hatte. Der Zusammenhang ist kaum zu übersehen.
 
Das waren allenfalls mediale Verkrampfungen, wenn man den Begriff benutzen möchte.

Die differerenzierten geschichtswissenschaftlichen Studien, siehe auch das ausschnittsweise Literaturverzeichnis hier im Forum, über die letzten Jahrzehnte geben da ein anderes Bild, sowohl zum deutschen Schuldanteil, als auch zu den Fehlern der übrigen Großmächte.
 
Das waren allenfalls mediale Verkrampfungen, wenn man den Begriff benutzen möchte.

Die differerenzierten geschichtswissenschaftlichen Studien, siehe auch das ausschnittsweise Literaturverzeichnis hier im Forum, über die letzten Jahrzehnte geben da ein anderes Bild, sowohl zum deutschen Schuldanteil, als auch zu den Fehlern der übrigen Großmächte.

Bezieht sich das auf den Welt Artikel?
 
Bezieht sich das auf den Welt Artikel?
Nein, das bezog sich eher allgemein auf die Diskussion über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges.

Der Hype um Clark ist ja fast schon amüsant, angesichts der Tatsache, dass das Buch überhaupt nichts Neues bringt, sondern nur einiges (unvollständig) aus den letzten Jahrzehnten zusammenfasst.
 
Nein, das bezog sich eher allgemein auf die Diskussion über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges.

Der Hype um Clark ist ja fast schon amüsant, angesichts der Tatsache, dass das Buch überhaupt nichts Neues bringt, sondern nur einiges (unvollständig) aus den letzten Jahrzehnten zusammenfasst.

Immerhin sei Clark Dank, dass er einer breiteren Leserschaft dies vermitteln kann.
Als britischer Australier ist er eher unverdächtig, geschichtsrevisionistische Thesen zu vermitteln. Zudem ist das Buch - nach den Rezensionen - gut geschrieben.

In meiner Schulzeit (80er Jahre) wurde die These der Alleinschuld des DR nicht mehr im Geschichtsunterricht vertreten. Das hat mich damals überrascht, weil in der breiteren Öffentlichkeit diese damals noch vorherrschend war.
 
Das ist zweifelsohne sein Verdienst, und auch in Bezug auf das geweckte breite Interesse an sich.:winke:

Das haben frühere Publikationen nicht geschafft.
 
In meiner Schulzeit (80er Jahre) wurde die These der Alleinschuld des DR nicht mehr im Geschichtsunterricht vertreten. Das hat mich damals überrascht, weil in der breiteren Öffentlichkeit diese damals noch vorherrschend war.

Ich habe Anfang der 80er Geschichtsabitur gemacht. Da erinnere ich mich noch gut an manche Lehrer, die Ende der 60er ihr Studium absolvierten und alle Zweifel am bösen preußischen Militarismus, dem Kriegstreiber Wilhelm II. und Relativierungshinweise zur deutschen Kriegsschuld energisch niederbügelten...

So ein Unterricht hält sich halt energisch in den Köpfen der breiten Bevölkerung und es braucht wahrscheinlich zwei Generationen, um den Beton zu sprengen.
 
Ich habe Anfang der 80er Geschichtsabitur gemacht. Da erinnere ich mich noch gut an manche Lehrer, die Ende der 60er ihr Studium absolvierten und alle Zweifel am bösen preußischen Militarismus, dem Kriegstreiber Wilhelm II. und Relativierungshinweise zur deutschen Kriegsschuld energisch niederbügelten...

Nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten: weder gibt es an der Rolle des deutschen Militarismus und seiner Rolle beim Kriegsausbruch etwas zu relativieren (inkl. Operationsplan und Dynamik der Mobilisierung), noch an der deutschen Kriegsschuld oder Wilhelms Beitrag.

Entgehen Fischer geht es um die Berücksichtigung und Abwägung der verantwortlichen Beiträge der übrigen Mächte, nicht um Exkulpation der deutschen Seite.
 
Entgehen Fischer geht es um die Berücksichtigung und Abwägung der verantwortlichen Beiträge der übrigen Mächte, nicht um Exkulpation der deutschen Seite.

Es geht ja nicht um eine Schuldlosigkeit, sondern um die Frage der Alleinschuld. Überlegungen zu solchen Fragen:

- Hätte auch eine deutsche Republik seinen Bündnisverpflichtungen gegenüber ÖU voll erfüllt? Wo wäre dann die Schuld des Kaisers gewesen?

oder

- Wenn Preußen genauso militaristisch wie GB war. Wie groß ist da der Schuldanteil der Stellung des Militärs in Preußen?

waren praktisch "Blasphemie" am Dogma der deutschen Alleinschuld.
 
Ups, läuft der Thread hier immer noch?

Ich glaub, "Alleinschuld" hat hier noch nie jemand behauptet. Wir schwanken zwischen "Deutschland trägt Hauptschuld", "Deutschland trägt große Schuld" und "alle sind's verantwortlich" ...

Zum Welt-Artikel:
a) Erscheint mir der erste Teil doch sehr gegenwartsorientiert ... ich hab stellenweise den Eindruck, hier geht es weniger um historische Fakten, als um gegenwärtige Politik.

b) "Erst der britische Kriegseintritt aber machte aus dem Ursprungskonflikt ein globales Desaster." ... Ein Krieg Deutschland, Österreich, Russland, Frankreich, Serbien etc. reicht also noch nicht für ein "globales Desaster"?

c) "Auch der völkerrechtswidrige Durchmarsch durch Belgien mit den ihn begleitenden Grausamkeiten machte das wilhelminische Deutschland nicht zum Oberschurken und "Barbaren". In den englischen und französischen Kriegsstrategien war Belgien ebenso wenig tabu gewesen. Die Verletzung der Souveränität Belgiens war nicht der Grund, sondern der willkommene Vorwand für das britische Eingreifen."

Erstens: Nein, der Durchmarsch durch Belgien macht Deutschland zum Aggressor - es ist dabei völlig unerheblich, ob die anderen auch planten, die Neutralität Belgiens zu verletzen ... das Planspiel ist nicht "strafbar", das "in die Tat Umsetzen" dagegen schon.

Deutschland wusste auch, dass dies Unrecht war (vgl. Rede des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg vor dem Deutschen Reichstag am 4.8.1914). Man sah durchaus die Möglichkeit, dass England dies als Vorwand nutzen könnte, ging das Risiko aber ein.

d) "So kämpfte Russland nicht in erster Linie für das Selbstbestimmungsrecht der slawischen Brudervölker, sondern für eigene expansive Ziele in Osteuropa und am Bosporus. Frankreich war nicht passives Opfer deutscher Aggression, sondern durchaus selbst zu einem Waffengang bereit, sofern es Russland und möglichst auch England an seiner Seite wusste."

Alles richtig, nur ... wenn man England keinen Vorwand liefert, stellt es sich nicht auf Frankreichs Seite ... und Frankreich wäre vielleicht nicht zum Waffengang bereit. Ah ... ich vergaß, das deutsche Verhalten hat Frankreich ja die Entscheidung, ob es den Waffengang will oder nicht abgenommen (Ultimatum, Kriegserklärung, Einmarsch in Belgien).

e) "Österreich-Ungarn war nicht das willenlose Objekt sinistrer Kriegstreiber in Berlin."

Sicher nicht ... und das hat auch niemand behauptet. Aber ohne den Blanko-Scheck aus Berlin, hätte Österreich die Krise nicht so verschärfen können ... und wenn Serbien dann sogar günstiger auf das Ultimatum reagiert, als man angenommen hatte, und für Wilhelm II damit sogar "jeder Kriegsgrund weggefallen" ist ... und Österreich besteht aber auf Krieg und man hält weiter am Blanko-Scheck fest ... naja ...

f) "Die deutsche Führung schließlich verfolgte, getrieben von Abstiegsängsten und Einkreisungssorgen, das defensive Ziel, jene prekäre Situation einer begrenzten Hegemonie auf dem europäischen Kontinent wieder zu errichten, die das Reich unter Bismarck besessen hatte, weit entfernt davon, übermütig und größenwahnsinnig nach der Weltmacht zu greifen."

Ah ja ... gab es diese Hegemonie unter Bismarck wirklich? Und: Das doch teilweise aberwitzige Streben nach Kolonien (einschließlich der dicken Patzer Wilhelms wie das Verhalten in den Marokko-Krisen, das Daily-Telegraph Interview etc) halfen dem Reich, diese Hegemonie zurück zu gewinnen?

g) "Dass man diesen Krieg habe führen müssen, um jeglichem Krieg ein Ende zu machen oder, wie der amerikanische Präsident Wilson proklamierte, die Welt sicher für die Demokratie zu machen, dass es sich also im Krieg gegen das Deutsche Reich um einen "gerechten Krieg" gehandelt habe, erweist sich heute als der Versuch, ein Massenschlachten, das mindestens elf Millionen Soldaten das Leben kostete, zu rechtfertigen – also als Sinngebung des Sinnlosen.

In Wirklichkeit beseitigten der große Krieg und der Friedensschluss, der ihm folgte, kein einziges Problem. Sie hinterließen im Gegenteil viele neue Konflikte, die uns, etwa im Nahen Osten, noch heute beschäftigen."

Dass der Friedensschluss keine Probleme beseitigte hat aber mit der Größe der dt. Schuld aber auch gar nix zu tun.

Dass die Amerikaner nicht in den Krieg eintraten, um die Welt sicher für die Demokratie zu machen ... hat auch nix damit zu tun.

Also der Artikel überzeugt mich nun überhaupt nicht, da hab ich von den betreffenden Autoren auch schon bessere gelesen.
 
Ups, läuft der Thread hier immer noch?
[...]
b) "Erst der britische Kriegseintritt aber machte aus dem Ursprungskonflikt ein globales Desaster." ... Ein Krieg Deutschland, Österreich, Russland, Frankreich, Serbien etc. reicht also noch nicht für ein "globales Desaster"?
[...]

1. Angesichts des aktuellen Datums, 2014, wird der Erste Weltkrieg schwer in den Mittelpunkt historischer Betrachtungen rücken.

Und b.) Nein, der Krieg zwischen den Zentralländern Europas hat lange noch nicht zu einer Globalen Ausweitung geführt, aber mit dem Eintritt Großbritanniens, haben sich die britischen Konfliktherde ihrer eigenen imperialistischen Außenpolitik auch auf die Schlachtfelder der Welt erweitern.
Ohne britischen Kriegseintritt, keine Ostasiengeschwader Kämpfe im Pazifik, ohne britischen Kriegseintritt kein Kreuzer- bzw. Zufuhrkrieg im Atlantik, der auch Neutrale Seeverbindungen betrifft! Und die Rivalitäten um die dt. Besitzungen in Afrika sollten hier auch genannt werden.
Hinzukommt das immerwieder starke Interesse der Briten an dem Machtbereich Mittelmeer, Zugang zum Schwarzen Meer und dem Suezkanal ...

Irgendwelche Einwände?
 
Zuletzt bearbeitet:
Jain ... Ich denke, das Desaster war ohne England groß genug (und auch global, denn selbst ohne England wären die Kolonien in Afrika in den Krieg einbezogen gewesen - durch Frankreich, wenn auch in geringerem Umfang).
Dass der Kriegseintritt Englands die anderen von Dir angesprochenen Punkte mit sich brachte - einverstanden. Aber ... welche Kriegsseite hat denn in besonderem Maße die "Regeln" bzgl. der "neutralen Seeverbindungen" verletzt? Und ja, ich weiß auch, dass auf der Lusitania mehr war als Gummikugeln.

Mir verkehrt dieser Zeitungsartikel etwas die Vorzeichen. England und Frankreich haben auch mit der Verletzung der belgischen Neutralität gedanklich gespielt - Deutschland hat Fakten geschaffen.
Durch Englands Kriegseintritt wurde es zum globalen Desaster - die gröberen Verletzungen der internationalen Regeln / Vereinbarungen gingen von Deutschland aus ... ist es jetzt die Entschuldigung, wenn England sich nicht eingemischt hätte, hätte Deutschland nicht so viele Regeln verletzt?

Den USA ging es nicht um Demokratie - welche Erkenntnis ... aber sagt das etwas über die Kriegsschuld Deutschlands aus?

Soll die Tatsache, dass den Siegern kein gescheiter Friede eingefallen ist, etwas darüber aussagen, wer am Krieg die Verantwortung trägt?

Ich will die 20 Seiten Diskussion nicht nochmal führen, aber der Artikel enttäuscht mich durchaus.

Edit: Der ist flach wie diese WELT Geschichtshefte, dich ich noch abonniert habe, die aber außer einigen schönen Fotos und Bildern oft nicht viel bieten.

Und: Man ignoriere mich am Besten, bin etwas gefrustet ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
[...]Aber ... welche Kriegsseite hat denn in besonderem Maße die "Regeln" bzgl. der "neutralen Seeverbindungen" verletzt? Und ja, ich weiß auch, dass auf der Lusitania mehr war als Gummikugeln.
[...]

Und: Man ignoriere mich am Besten, bin etwas gefrustet ;)

Kein Problem, eine gesunde straffe Diskussion muß nicht immer entschuldigt werden.:winke:

Aber zum Thema Regel der Seefahrt waren zwar schon 1856 mit den Seerechtsdeklarationen geregelt wurden, aber keiner der Kriegsparteien hielt sich wirklich daran. Großbritannien ging schon im August 1914 mit dem Standpunkt an die Fernblockade der Nordsee, Deutschland auszuhungern, wenn es auch Jahre dauern sollte! Und das auch Konterbande von Neutralen Seeverbindungen bzw. Nationen als Vorsatz beschlagnahmt wurde, interessiert die Siegermächte 1918 nicht mehr, zumal die Fernblockade noch weit bis über 1919 aufrecht erhalten wurde. Mit welchem Recht?
Und was war mit der Dresden? Da wurde ein Schiff auf Neutralen Gewässer beschossen, versenkt und deutsche Soldaten getötet. Mit welchem Recht?

Was sich damit sagen möchte, keiner der Kriegsparteien hat sich mit Ruhm und Ehre bekleckert.
 
Den letzten Satz unterschreibe ich sofort. Die meisten anderen auch ;)

Aber (im Seekrieg bin ich nun wirklich kein Fachmann):

- wenigstens war die Dresden ein Kriegsschiff, im Gegensatz zu einigen von dt. U-Booten beschossenen Schiffen
- hat sie sich nicht selbst versenkt? (auch wenn sie tatsächlich beschossen wurde und dabei ... ich glaub 8? ... Soldaten getötet wurden).
 
- wenigstens war die Dresden ein Kriegsschiff, im Gegensatz zu einigen von dt. U-Booten beschossenen Schiffen
- hat sie sich nicht selbst versenkt? (auch wenn sie tatsächlich beschossen wurde und dabei ... ich glaub 8? ... Soldaten getötet wurden).

Wollen wir jetzt anfangen die Toten als Maß der Schuld, der Grausamkeit oder sonst-was nehmen?

Aber hauptsächlich ging es um die Behauptung, des Globalen Krieges, der erst durch die Briten Global wurde und daran gibt es keinen Zweifel.

Immerhin gab es im deutsch-französischen Krieg auch Kämpfe von Kriegsschiffen Preußens und Frankreichs, zumal es hier um Waffenlieferung der US Amerikaner ging ... aber der Krieg wurde dennoch nicht Global geführt. Nur so als Beispiel.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, die Opferzahl wollte ich nicht im Sinne Deiner Einlassung verstanden haben.

Ich glaube aber, dass man im Ersten Weltkrieg auch bei einem Krieg ohne England den Krieg globaler geführt hätte - Deutschland und Frankreich hatten inzwischen (mehr) Kolonien, die USA hätte möglicherweise auch erneut an die Franzosen Waffen geliefert (und dies zum U-Bootkrieg geführt). Aber da wird's dann arg spekulativ vom meiner Seite ...

Der Artikel sprach übrigens von einem "globalen Desaster", nicht von globaler Kriegsführung - und ich bleibe dabei: Ein weltweites Desaster war der Erste Weltkrieg auch ohne Englands Beteiligung.
 
Der Artikel sprach übrigens von einem "globalen Desaster", nicht von globaler Kriegsführung - und ich bleibe dabei: Ein weltweites Desaster war der Erste Weltkrieg auch ohne Englands Beteiligung.

Ganz ehrlich, daß Globale Desaster hatten wir schon vor 1914, denn die vielen kleinen Spannungen und Kriege seit etwas 1890 und das waren zumeist Spannungsfelder des britischen Imperialismus und anderen Mächten (Frankreich, Deutschland, Russland usw.) waren auch mit ausschlaggebend, zu den Aktionen Sommer 1914.
Und mit den Militäraktionen der Briten 1914, waren dann auch alle diese Spannungsfelder mittendrin, statt nur dabei.
 
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