Ups, läuft der Thread hier immer noch?
Ich glaub, "Alleinschuld" hat hier noch nie jemand behauptet. Wir schwanken zwischen "Deutschland trägt Hauptschuld", "Deutschland trägt große Schuld" und "alle sind's verantwortlich" ...
Zum Welt-Artikel:
a) Erscheint mir der erste Teil doch sehr gegenwartsorientiert ... ich hab stellenweise den Eindruck, hier geht es weniger um historische Fakten, als um gegenwärtige Politik.
b) "Erst der britische Kriegseintritt aber machte aus dem Ursprungskonflikt ein globales Desaster." ... Ein Krieg Deutschland, Österreich, Russland, Frankreich, Serbien etc. reicht also noch nicht für ein "globales Desaster"?
c) "Auch der völkerrechtswidrige Durchmarsch durch Belgien mit den ihn begleitenden Grausamkeiten machte das wilhelminische Deutschland nicht zum Oberschurken und "Barbaren". In den englischen und französischen Kriegsstrategien war Belgien ebenso wenig tabu gewesen. Die Verletzung der Souveränität Belgiens war nicht der Grund, sondern der willkommene Vorwand für das britische Eingreifen."
Erstens: Nein, der Durchmarsch durch Belgien macht Deutschland zum Aggressor - es ist dabei völlig unerheblich, ob die anderen auch planten, die Neutralität Belgiens zu verletzen ... das Planspiel ist nicht "strafbar", das "in die Tat Umsetzen" dagegen schon.
Deutschland wusste auch, dass dies Unrecht war (vgl. Rede des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg vor dem Deutschen Reichstag am 4.8.1914). Man sah durchaus die Möglichkeit, dass England dies als Vorwand nutzen könnte, ging das Risiko aber ein.
d) "So kämpfte Russland nicht in erster Linie für das Selbstbestimmungsrecht der slawischen Brudervölker, sondern für eigene expansive Ziele in Osteuropa und am Bosporus. Frankreich war nicht passives Opfer deutscher Aggression, sondern durchaus selbst zu einem Waffengang bereit, sofern es Russland und möglichst auch England an seiner Seite wusste."
Alles richtig, nur ... wenn man England keinen Vorwand liefert, stellt es sich nicht auf Frankreichs Seite ... und Frankreich wäre vielleicht nicht zum Waffengang bereit. Ah ... ich vergaß, das deutsche Verhalten hat Frankreich ja die Entscheidung, ob es den Waffengang will oder nicht abgenommen (Ultimatum, Kriegserklärung, Einmarsch in Belgien).
e) "Österreich-Ungarn war nicht das willenlose Objekt sinistrer Kriegstreiber in Berlin."
Sicher nicht ... und das hat auch niemand behauptet. Aber ohne den Blanko-Scheck aus Berlin, hätte Österreich die Krise nicht so verschärfen können ... und wenn Serbien dann sogar günstiger auf das Ultimatum reagiert, als man angenommen hatte, und für Wilhelm II damit sogar "jeder Kriegsgrund weggefallen" ist ... und Österreich besteht aber auf Krieg und man hält weiter am Blanko-Scheck fest ... naja ...
f) "Die deutsche Führung schließlich verfolgte, getrieben von Abstiegsängsten und Einkreisungssorgen, das defensive Ziel, jene prekäre Situation einer begrenzten Hegemonie auf dem europäischen Kontinent wieder zu errichten, die das Reich unter Bismarck besessen hatte, weit entfernt davon, übermütig und größenwahnsinnig nach der Weltmacht zu greifen."
Ah ja ... gab es diese Hegemonie unter Bismarck wirklich? Und: Das doch teilweise aberwitzige Streben nach Kolonien (einschließlich der dicken Patzer Wilhelms wie das Verhalten in den Marokko-Krisen, das Daily-Telegraph Interview etc) halfen dem Reich, diese Hegemonie zurück zu gewinnen?
g) "Dass man diesen Krieg habe führen müssen, um jeglichem Krieg ein Ende zu machen oder, wie der amerikanische Präsident Wilson proklamierte, die Welt sicher für die Demokratie zu machen, dass es sich also im Krieg gegen das Deutsche Reich um einen "gerechten Krieg" gehandelt habe, erweist sich heute als der Versuch, ein Massenschlachten, das mindestens elf Millionen Soldaten das Leben kostete, zu rechtfertigen – also als Sinngebung des Sinnlosen.
In Wirklichkeit beseitigten der große Krieg und der Friedensschluss, der ihm folgte, kein einziges Problem. Sie hinterließen im Gegenteil viele neue Konflikte, die uns, etwa im Nahen Osten, noch heute beschäftigen."
Dass der Friedensschluss keine Probleme beseitigte hat aber mit der Größe der dt. Schuld aber auch gar nix zu tun.
Dass die Amerikaner nicht in den Krieg eintraten, um die Welt sicher für die Demokratie zu machen ... hat auch nix damit zu tun.
Also der Artikel überzeugt mich nun überhaupt nicht, da hab ich von den betreffenden Autoren auch schon bessere gelesen.