Aufbau von norditalienischen Republiken

Venedig hatte auch nie ein Interesse am Schicksal der einheimischen Bevölkerung, in seinen Kolonien gezeigt, die es in abhängiger Knechtschaft hielt und restlos ausplünderte. Die Venezianer blieben verhasste Besatzer und schufen keinerlei Zugehörigkeitsgefühl bei ihren griechischen und slawischen Untertanen.

Zunächst ist festzuhalten, dass Besatzungsregimes stets unbeliebt sind. Wer möcte schon von einer fremden Macht aus einem völlg anderen geografischen Winkel beherrscht werden?

Bei Venedig kam erschwerend hinzu, dass die "Lateiner" in der gesamten griechisch-byzantinischen Ökumene verhasst waren, da griechisch-orthodoxer Glaube und katholischer für die Menschen nicht kompatibel waren. Das erlebten die fränkischen Kreuzritter in Konstantinopel ebenso, wie die Venezianer auf Zypern oder Kreta, obwohl sie auf diesen Inseln lange Zeit - auf Kreta sogar Jahrhunderte - saßen. Auf Kreta gab es unzählige Aufstände gegen die venezianischen Besatzer, allerdings kamen sie nach der Eroberung durch die Türken vom Regen in die Traufe. In den Städten bildeten bald die Türken die Mehrzahl und auch gegen sie kam es zu Aufständen.
 
Auf Kreta gab es unzählige Aufstände gegen die venezianischen Besatzer, allerdings kamen sie nach der Eroberung durch die Türken vom Regen in die Traufe. In den Städten bildeten bald die Türken die Mehrzahl und auch gegen sie kam es zu Aufständen.
Es gibt aber den Unterschied, dass es auf Kreta Aufstände gab, die von venezianischen Feudalherren geführt wurden. Ihnen waren die Abgaben zu hoch, die sie an Venedig zu leisten hatten.In die sogenannte Sankt- Titus- Revolte, 1363 waren Grundbesitzer, Mitglieder altehrwüdiger venezianischer Familien wie Veniero, Querini und Gradenigo verwickelt, die eine neue Steuer zur Wartung des Hafens von Candia nicht entrichten wollten und sich mit den Griechen verbündeten.
 
Es ging hier nicht um die venezianische Nobilität, sondern um das, was rückblickend für das Überleben der Republik Venedig nützlich gewesen wäre. In diesem Punkt sind sich die Historiker ziemlich einig, dass die Einbindung der Bevölkerung der Terra ferma bzw. ihrer Oberschicht für den venezianischen Staat politisch und wirtschaftlich vorteilhaft gewesen wäre.
Die Betonung liegt auf "rückblickend". Es stellt sich aber die Frage, was Fehleranalysen und Verbesserungsvorschläge im Rückblick, unter Zugrundelegung heutiger Denkweisen, bringen sollen, wenn sie völlig die historischen Umstände, Interessen und Denkweisen derer, die quasi im Rückblick belehrt werden sollen, ignorieren.

Es geht völlig an der historischen Realität und dem Denken des Mittelalters und der frühen Neuzeit vorbei, wenn man Venedig rückblickend vorwirft, dass es nicht seinen privilegierten Status in seinem Reich aufgegeben und sich nicht freiwillig mit einem Status als eine Stadt unter vielen begnügt hat, bzw. wenn man der Nobilität Venedigs rückblickend vorwirft, dass sie nicht freiwillig auf ihre Macht und ihren Einfluss (und wohl auch einen Teil ihres Wohlstands) verzichtet hat.

Im Übrigen garantiert Mitsprache allein noch lange nicht Treue zum Gesamtstaat und die Identifikation mit diesem. Mitsprache hatte auch die Bevölkerung der Südstaaten der USA vor der Sezession. Mitsprache haben auch die Katalonen in Spanien und die Schotten in Großbritannien.
 
Die Betonung liegt auf "rückblickend". Es stellt sich aber die Frage, was Fehleranalysen und Verbesserungsvorschläge im Rückblick, unter Zugrundelegung heutiger Denkweisen, bringen sollen, wenn sie völlig die historischen Umstände, Interessen und Denkweisen derer, die quasi im Rückblick belehrt werden sollen, ignorieren.

Es ist eine gute historische Tradition, die Effektivität von Staaten sowie deren machtpolitisches Wirken zu bewerten. Was z.B. Rom oder Karthago betrifft, so haben wir das in diesem Forum in endlosen Threads praktiziert, ganz abgesehen von diesbezüglichen Publikationen. Warum sollte das für die aristokratische Republik Venedig nicht gelten?

Es geht völlig an der historischen Realität und dem Denken des Mittelalters und der frühen Neuzeit vorbei, wenn man Venedig rückblickend vorwirft, dass es nicht seinen privilegierten Status in seinem Reich aufgegeben und sich nicht freiwillig mit einem Status als eine Stadt unter vielen begnügt hat, bzw. wenn man der Nobilität Venedigs rückblickend vorwirft, dass sie nicht freiwillig auf ihre Macht und ihren Einfluss (und wohl auch einen Teil ihres Wohlstands) verzichtet hat.

Es geht am "Denken des Mittelalters" keineswegs vorbei, wenn Staaten oder Reiche ihren Adel an der Staatsführung beteiligen. Venedig hat das für seinen neu gewonnenen Festlandsbesitz nicht praktiziert, was eine Identifikation des festländischen Adels mit dem Staat verhinderte. Das sehen zahlreiche Historiker kritisch und dieser Meinung kann man sich durchaus zustimmen.

Warum Venedig dadurch allerdings eine "Stadt wie viele" geworden wäre, erschließt sich mir nicht. Angesichts der strikten Aufnahmebedingungen in die verschiedenen venezianischen Staatsorgane wären wichtige Repräsentanten der Nobilität der Terra ferma im Großen Rat, Kleinen Rat, der Quarantia, dem Senat und dem Rat der Zehn vertreten gewesen. Das hätte weder die Macht noch die Effizienz oder das Selbstverständnis der Republik von San Marco beschädigt, sondern ganz im Gegenteil die Stabilität des Staates gefördert.
 
Faszinierend finde ich, das Rechtswesen Venedigs, welches, trotz auch drakonischer Strafen und der Anwendung der Folter, den übrigen mittelalterlichen Staaten um jahrhunderte voraus war. So waren, z.B. Minderjährige und geistig Behinderte vor der Todesstrafe geschützt. Zeugen konnten zur Verhandlung nach Venedig geholt werden und es gab Berufungsverfahren, die nicht selten, aus Mangel an Beweisen oder Verfahrensfehler mit dem Freispruch endeten. Es gab bereits die strenge Unterscheidung bei Tötungsdelikten, in Mord und fahrlässiger Tötung. Das ganze wurde nochmals in versehentliches töten, Notwehr, hinterhältigen und vorsetzlichen Mord untergliedert. Gleiches Recht galt für alle, egal welchen Standes. Im Rechtssystem Venedigs konnten sowohl mildernde Umstände geltend gemacht, als auch Klagen, mangels Beweisen oder wegen Geringfügigkeit abgewiesen werden.
Jedem Statthalter wurden die Knie weich, wenn die" provveditori", die Untersuchungsbeamten erschienen, Bücher prüften und Klagen anhörten. Mancher hohe Provinzfürst musste die Beamten, in Ketten nach Venedig begleiten. Die Republik kannte keine Gnade für korrupte Beamte oder bei Rechtsbeugung.
Dieses Rechtssystem dürfte auch ein Grund für den Erfolg des Staates gewesen sein. Es galt der Grundsatz: "Die Ehre der Republik verlangt, dass all ihre Lenker hervorragendes leisten."
 
Es ist eine gute historische Tradition, die Effektivität von Staaten sowie deren machtpolitisches Wirken zu bewerten. Was z.B. Rom oder Karthago betrifft, so haben wir das in diesem Forum in endlosen Threads praktiziert, ganz abgesehen von diesbezüglichen Publikationen. Warum sollte das für die aristokratische Republik Venedig nicht gelten?
Soweit es mich betrifft, habe ich es noch nie als sonderlich sinnvoll erachtet, darüber zu sinnieren, ob die römische Republik stabiler gewesen wäre, wenn man den Senat und die Volksversammlungen durch ein von allen Reichsbewohnern gewähltes Parlament nach heutigem Vorbild ersetzt hätte. Genauso gut könnte man fragen, ob es für das Frankenreich vorteilhaft gewesen wäre, die Republik mit einem gewählten Präsidenten einzuführen, um die ständigen Erbteilungen zu vermeiden.

Die Effektivität von Staaten sowie deren machtpolitisches Wirken kann man natürlich bewerten. Wenn man aber "Lösungsvorschläge" aus der heutigen Perspektive heraus erstellt und dann noch ableitet, wenn sie damals umgesetzt worden wären, hätten die Staaten besser funktioniert, ist das kontrafaktische Geschichtsschreibung.

Es geht am "Denken des Mittelalters" keineswegs vorbei, wenn Staaten oder Reiche ihren Adel an der Staatsführung beteiligen. Venedig hat das für seinen neu gewonnenen Festlandsbesitz nicht praktiziert, was eine Identifikation des festländischen Adels mit dem Staat verhinderte. Das sehen zahlreiche Historiker kritisch und dieser Meinung kann man sich durchaus zustimmen.

Warum Venedig dadurch allerdings eine "Stadt wie viele" geworden wäre, erschließt sich mir nicht. Angesichts der strikten Aufnahmebedingungen in die verschiedenen venezianischen Staatsorgane wären wichtige Repräsentanten der Nobilität der Terra ferma im Großen Rat, Kleinen Rat, der Quarantia, dem Senat und dem Rat der Zehn vertreten gewesen. Das hätte weder die Macht noch die Effizienz oder das Selbstverständnis der Republik von San Marco beschädigt, sondern ganz im Gegenteil die Stabilität des Staates gefördert.
Ich denke schon, dass es für eine Stadt und ihren Adel einen Unterschied macht, was Macht, Einfluss und Selbstverständnis betrifft, ob ihre Organe zu 100% oder nur zu 10% von Adligen aus der Stadt besetzt sind und die restlichen 90% von Provinzialen. Für eine völlige Integration nach heutigem Verständnis hätte obendrein natürlich auch der Doge in der Regel aus der Provinz sein müssen. Ob es wirklich weder die Macht noch das Selbstverständnis der Republik von San Marco beschädigt hätte, wenn ein Friauler oder gar ein Kreter oder Zypriot Doge gewesen wäre?
Aber da kann man wohl unterschiedlicher Ansicht sein.

Man hätte natürlich nicht so weit gehen müssen und sich auch darauf beschränken können, lediglich ein paar Alibi-Vertreter aus der Terra ferma aufzunehmen, die gegen die Nobilität Venedigs eh nicht ankommen. Dann aber stellt sich die Frage, ob das etwas gebracht hätte oder ob sie nicht auch als genau das, nämlich als Augenauswischerei, betrachtet worden wären. Zufrieden wäre dann erst recht niemand gewesen.
 
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Man hätte natürlich nicht so weit gehen müssen und sich auch darauf beschränken können, lediglich ein paar Alibi-Vertreter aus der Terra ferma aufzunehmen, die gegen die Nobilität Venedigs eh nicht ankommen. Dann aber stellt sich die Frage, ob das etwas gebracht hätte oder ob sie nicht auch als genau das, nämlich als Augenauswischerei, betrachtet worden wären. Zufrieden wäre dann erst recht niemand gewesen.

Mit der venezianischen Geschichte vertraute Autoren sind da ganz anderer Meinung als du. Sie heben die Frustration der Nobilität der Terra ferma ausdrücklich hervor und sehen sie als eines der zentralen Motive für den Niedergang der Republik Venedig.

Dass die führenden Schichten der Terra ferma keinen Zugang zur Lenkung des venezianischen Staates erhielten, blieb ein dunkler Punkt. In den Augen der meisten war dies die Achillesferse der venezianischen Politik, das Hauptmotiv des späteren Niedergangs, der tragischen Schwäche, die Venedig und Venetien dreihundertvierzig Jahre nach dem Tod Francesco Foscaris in die Hände des Generals Bonaparte und dann in die der Habsburger fallen ließ.

Neben anderen Umständen, die zur Schwächung Venedigs führten, war es die Frustration jener Schichten, die einen Mangel an Solidarität zur Folge hatte; denn wären sie nicht so zurückgesetzt worden, hätten sie sich eher mit dem venezianischen "Vaterland" identifiziert und sich durch aufrichtige Loyalität mit ihm verbunden gefühlt.

(Alvise Zorzi, Venedig. Geschichte der Löwenrepublik, Mailand 1979/Düsseldorf 1985, S. 177)

Die Einbindung der Terra ferma in die Organe der Regierung hätte die Stabilität des venezianischen Staates unbestreitbar gefördert und zur Abwehr feindlicher Mächte auf dem Festland beigetragen. Die meisten anderen Faktoren des Niedergangs wie die Verlagerung der Handelswege in den Atlantik oder das Vordringen der Türken konnte Venedig nicht beeinflussen. Man muss sich wundern, dass die Republik von San Marco überhaupt so lange überlebte: immerhin rund 1200 Jahre.
 
Mit der venezianischen Geschichte vertraute Autoren sind da ganz anderer Meinung als du. Sie heben die Frustration der Nobilität der Terra ferma ausdrücklich hervor und sehen sie als eines der zentralen Motive für den Niedergang der Republik Venedig.
Dass die Nobilität der Terra ferma frustriert war, habe ich doch überhaupt nie thematisiert oder bestritten.
Mir ging es nur um die Nobilität Venedigs.
 
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