Julikrise/Kriegsausbruch

Silesia hat die Aussagen des Textes, auf die es ihm ankam, in dem Abschnitt über dem Zitat in eigenen Worten wiedergegeben, sodass das Zitat gewissermaßen nur "Zusatz" ist, wenn ich das richtig sehe.

Genau. Ich versuche immer, ein Extrakt zu liefern, auf das es mir ankommt.

Falls erforderlich, übersetze ich wortgetreu. Der genaue Text war aber eigentlich nur "Zugabe", weil auf die Person Tirpitz bezogen nur umfangreich in dem Hopmann-Schinken zu finden.
 
Genau. Ich versuche immer, ein Extrakt zu liefern, auf das es mir ankommt.

Falls erforderlich, übersetze ich wortgetreu. Der genaue Text war aber eigentlich nur "Zugabe", weil auf die Person Tirpitz bezogen nur umfangreich in dem Hopmann-Schinken zu finden.

Na mich würden die Aussagen zu den Marineangehörigen, ausserTirpitz schon interessieren. Den Googleübersetzer habe ich schon bemüht, aber das ist wie das Glücksrad ...

Daher würde mich es schon interessieren,was der Text auf deutsch angibt, wenn er schon als Argumentation genutzt wird. Oder ist das zuviel verlangt, in einem deutschsprachigen Forum nach Übersetzungen zu verlangen?
 
ergänzend: Noch um 21:00 (Telegramausgang) insistiert Bethmann bei Tschirschky, Wien solle annehmen, weil man sonst in eine unhaltbare Situation käme und Russland "schuldfrei" bleibe (wörtlich), Wien und eben auch Berlin also den schwarzen Peter haben. (Geiss-dtv, Dok 143, p. 308)

Im Telegramm steht, "Wir können deshalb nur dringend empfehlen, dass Österreich den Greyschen Vorschlag annimmt, der seine Position in jeder Beziehung wahrt."

Weiter:"Ew.Exz. wollen sich sofort nachdrücklichst in diesem Sinne Graf Berchthold, eventeull auch Graf Tisza gegenüberäussern."
 
@ Turgot Ach Mist, ist mir so rausgerutscht, war nicht böse gemeint. Ich war ehrlich erstaunt darüber, dass Dein Blick bisher noch nicht so stark auf die Dramatik fokussiert war, die dem Abend des 30. Juli innewohnt.


Hier das Telegram Bethmann an Tschirschky vom 30. Juli, Ausgang 21:00 Uhr, die zeitgenössischen Höflichkeitsfloskeln Ew.Exc. etc habe ich weggekürzt...


Wenn Wien, wie nach Ihrem Telefongespräch mit von Stumm anzunehmen, jedes Einlenken, insbesondere den letzten Greyschen Vorschlag, ablehnt, ist es kaum mehr möglich, Russland die Schuld an der ausbrechenden Konflagration zuzuschieben. Seine Majestät hat auf Bitten des Zaren die Intervention in Wien unternommen, weil er sie nicht ablehnen konnte, ohne den unwiderleglichen Verdacht zu erzeugen, daß wir den Krieg wollen. Das Gelingen dieser Intervention ist allerdings erschwert dadurch, daß Russland gegen Österreich mobilisiert hat. Dies haben wir heute England mit dem Hinzufügen mitgeteilt, dass wir eine Aufhaltung der russischen und französischen Kriegsmassnahmen in petersburg und Paris bereits in freundlicher Form angeregt hätten, einen neuen Schritt in dieser Richtung also nur durch ein Ultimatum tun könnten, was den krieg bedeuten würde. Wir haben deshalb Grey nahegelegt, seinerseits nachdrücklich in diesem Sinne in Paris und Petersburg zu wirken, und erhalten soeben seine entsprechende Zusicherung durch Lichnowsky. Glücken England diese Bestrebungen, während Wien alles ablehnt, so dokumentiert Wien, dass es unbedingt einen Krieg will, in den wir hineingezogen sind, während Russland schuldfrei bleibt. Das ergibt für uns der eigenen Nation gegenüber eine ganz unhaltbare Situation. Wir können deshalb nur dringend empfehlen etcetc – folgt Dein Zitat. (Ganzer Text zB im dtv-Geiss, Doku 143, p. 308-309)
Dann noch zur Kenntnis Tschirschkys ein Telegram Wilhelms an Franz Joseph, in der nochmals der halt-in-Belgrad-Vorschlag ins Spiel gebracht wird, Franz Josef solle sich schnell entscheiden.




Ganz ehrlich: ich komme mit diesem zutiefst widersprüchlichen Text nicht klar. Auf der einen Seite alles wie gehabt (das ging die ganze Julikrise über so): Bloß aufpassen, dass man schön Russland ins Unrecht setzt! Andererseits ist dieser Text, wie auch die Weltbrandtelegramme, schon recht dringend formuliert. Am ehesten einen konsistenten Sinn ergibt er vielleicht, wenn man unterstellt, Bethmann fahre zweigleisig:


Wien soll akzeptieren – schöner Triumph für die Mittelmächte...


Wenn Wien nicht akzeptiert...tja, liebe SPD, ich hab alles versucht – Russland aber machte mobil (genau so kam es ja auch)


Also wieder die Doppelgleisigkeit a la Riezler 7. Juli (ein Beleg dafür, dass die Riezler-TBs in Teilen authentisch sein dürften – nur fehlt eben wichtiges)


Allerdings bei der Interpretation dieses Textes bitte auch folgendes im Hinterkopf haben: Seit dem 28. läuft ja die Bethmann-Vermittlung (es sind in Wahrheit zwei fast identische, die vom 28. auf Wilhelms Vorschlag hin und die jetzige auf Greys fast identischen). Seit zwei Tagen signalisiert Bethmann Wien auch (und nicht nur als Subtext, sondern zT ganz wörtlich): Psst, passt mal auf, wir verstehen Euch ja, aber wir müssen jetzt so ein bißchen Vermittlung spielen... Für den 28. ist das evident. Am 28. hat Bethmann zweifellos Schein-Vermittlung betrieben und dies Wien (edit: Und tschirschky!!!) auch eindeutig so signalisiert. Und selbst dieses Telegram enthält diesen Gedanken (leider, liebes Wien, muss ich aus politischen Gründen so ein bißchen Vermittlung simulieren) ja mehr oder weniger offen. Vergl auch die angeblichen Schwierigkeiten der Vermittlung wg russischer T e i lmobilmachung. Bethmann hat, wenn er dieses mal die Vermittlung ernst meinte, dies nicht dringlich genug signalisiert. Er hätte im Zweifelsfall mit Bündniskündigung drohen müssen, um Wien die Ernsthaftigkeit klar vor Augen zu stellen. W e n n Berlin diese Vermittlung ernsthaft gemeint hat. Was man zumindest bezweifeln muss, zumal sie ja zwei Stunden später abgebrochen wurde.


Und: Bethmann insistiert auf vermittlung, weil er wg SPD nicht mehr völlig frei pro krieg entscheiden kann. Der krieg muss nach Verteidigungskrieg gegen den Zarismus „schmecken“.


Übrigens: Belgrad besetzen dürfen, europäisch garantiert, und die Serben dürfen sich nicht wehren...das ist doch nicht pille-palle! Das war auch und gerade nach damaligen Maßstäben schon eine ziemlich heftige Nummer, um das mal so zu sagen. Indem Wien seinen kleinen Krieg einfach durchzockte, trägt Wien ganz zweifellos schwere Mitverantwortung. Das habe ich aber auch nie bestritten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kannst Du Bitte den Text übersetzen?

Mein Versuch:

"By the next day, 30 July, Bethmann and the Emperor were under extreme pressure from Moltke and Falkenhayn to mobilize, as it was clear that a general Russian mobilization was imminent. In this context Bethmann called a meeting of the Prussian State Ministry where Tirpitz was present. The Chancellor said that the situation had become so grave that he no longer believed that a peaceful solution was possible. Once again Tirpitz passively went along with the army’s idea of preventive war. Afterward Bethmann agreed that the navy could undertake some preliminary security measures. That afternoon Pohl, Behncke, Prinz Heinrich, and Tirpitz met concerning possible operations plans. Tirpitz made the case that, if the British fleet approached Helgoland, the High Seas Fleet should attack it as soon as possible. At this meeting he did not raise the possibility, as he had with Ingenohl in May 1914, of what to do if the Brit- ish did not come. Behncke advocated patience until the newest ships were ready and the reserve fleet fully manned. Even so, the RMA was not completely convinced that the British were not bluffing. In this sense the RMA’s calculations were no more realistic than those of the Chancellor or the Foreign Office"

Am nächsten Tag, dem 30. Juli, standen Bethmann und der Kaiser unter extremem Druck von Moltke und Falkenhayn, zu mobilisieren, da klar war, dass eine russische Generalmobilmachung unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund berief Bethmann eine Sitzung des preußischen Staatsministeriums ein, bei der Tirpitz anwesend war. Der Kanzler sagte, die Situation sei so ernst geworden, dass er nicht mehr glaube, dass eine friedliche Lösung möglich sei. Einmal mehr ging Tirpitz passiv einher mit der Vorstellung der Armee von einem Präventivkrieg. Hernach war Bethmann einverstanden, dass die Marine einige vorbereitende Sicherheitsmaßnahmen treffen könne. An diesem Nachmittag trafen sich Pohl, Behnke, Prinz Heinrich und Tirpitz bezüglich möglicher Operationspläne. Tirpitz plädierte, falls sich die britische Flotte Helgoland nähern sollte, solle die Hochseeflotte sie so bald wie möglich angreifen. In dieser Sitzung erörterte er, anders als mit Ingenohl im Mai 1914, nicht die Möglichkeit, was zu tun sei, falls die Briten nicht kämen. Behnke riet zur Geduld, bis die neuesten Schiffe fertig seien und die Reserveflotte vollständig bemannt. Trotzdem war das RMA nicht völlig überzeugt, dass die Briten nicht blufften. In diesem Sinne war das Kalkül des RMA nicht realistischer als das des Kanzlers oder des Auswärtigen Amtes.
 
Ergänzend: Vieles Rätselhafte, das dem Verhalten Bethmanns mE eignet, wäre erklärbar, wenn er im Juli ganz wirklich unsicher war. Sozusagen um 14 Uhr dachte "Krieg-muss-wohl-sein", um 15 Uhr "Ich will den Krieg nicht" und um 16 Uhr "Eigentlich doch gut, dass der Krieg kommt". Damit würden, was die individuelle Person Bethmann betrifft, alle im Zweifelsfall wirklich authentischen Berichte ihren Wert verlieren, jedenfalls jeglichen Wert dafür, Bethmann eine eindeutige Haltung zuzuschreiben. Es wurde analysiert, dass die ursprünglichen Tagebücher Riezlers einen "kriegslustigen" Kanzler gezeigt hätten. Insbesondere Bernd F. Schulte hat sich neben anderen da sehr verdient gemacht. Zusammenfassung in: Fischer, Fritz, Wir sind nicht hineingeschlittert, Das Staatsgeheimnis um die Riezler-Tagebücher, Reinbek 1983, p. 48 - 82. Philologisch/textanalytisch gibts da nicht viel zu mäkeln. Nur zeigt sich eben auch an seinen Aktionen ein Hin und Her... Für mich bleiben seine Intentionen ein Rätsel.
 
Kelly hält noch die Tirpitz-Darstellung für glaubwürdig, dass ihm erst in der Sitzung 1.8. die Tragweite des Schlieffen-Planes bewusst wurde, wegen des Einmarsches in Belgien und den von Falkenhayn und Moltke vorgetragenen Plan-Details sei fest mit einem Krieg mit Großbritannien zu rechnen. Möglw. stimmt das sogar, denn noch am 29.7. in der Krise plante Tirpitz die Rückreise nach St. Blasien.

Zwei Möglichkeiten:

Entweder das stimmt. Dann war Tirpitz, verzeihung, eine unfähige, realitätsflüchtige Tröte.

Oder das stimmt nicht. Dann log Tirpitz nach dem Krieg zum Balkenbiegen. (tat er sowieso... ist nachweisbar...hat er mit zB Jagow gemein, der den Reichstagsuntersuchungsausschuß belogen hat wie Bolle)

Wie realistisch ist Variante 1? Der wichtigste Navy-Mann hat sich mit den Planungen des Feldheeres nicht stringent auseinander gesetzt? Na klar doch... Hat der Kanzler ja auch nicht... diesen, abermals Verzeihung, Blödsinn hat ja sogar Wehler zum Schluß geglaubt Interview mit Hans-Ulrich Wehler: Der Krieg war im Oktober 1914 verloren | Der Erste Weltkrieg- Frankfurter Rundschau vergl demgegenüber bethmanns Stellungnahme 30. Juli 1914 preussischer Staatsraat frühabends...

Im Grunde ist die sog. Kriegsschuldfrage relativ einfach (die Probleme beginnen erst hinterher): Wer hat den Krieg erklärt?

Richtig! Deutschland! (Herfried Münkler wird diesen neuesten, sensationellen Forschungsstand in seinen zukünftien Seminaren ganz gewiss berücksichtigen. Er wird ferner berücksichtigen, dass es in der sozialistischen Internationalen leider keine Einigung gab, schon gar keine für einen Generalstreik. Darüber hinaus wird es in seinen Exzellenz-Seminaren gewiefte Diskussionen über die Alldeutschen geben, und es wird sich heraus stellen, dass die Alldeutschen mitnichten eine politisch folgenlose Radaubande waren, sondern massiv Einfluß nahmen, bis hin ins König/Kaiser-Haus, von allen Weiterungen mal abgesehen. Dass Heinrich Claß - @Turgot: danke, ich wusste das gar nicht - für die NSDAP als sozusagen "Ehrengast" im Nazireichstag saß, wird sich als folgerichtig erweisen...ja, so wird es kommen bei diesem Qualitätswissenschaftler...)

Kam Deutschland damit lediglich einer unmittelbar bevorstehenden Kriegserklärung Russlands und Frankreichs zuvor?

Richtig: Nein!

Noch Fragen?
 
Mein Versuch:

Am nächsten Tag, dem 30. Juli, standen Bethmann und der Kaiser unter extremem Druck von Moltke und Falkenhayn, zu mobilisieren, da klar war, dass eine russische Generalmobilmachung unmittelbar bevorstand. Vor diesem Hintergrund berief Bethmann eine Sitzung des preußischen Staatsministeriums ein, bei der Tirpitz anwesend war. Der Kanzler sagte, die Situation sei so ernst geworden, dass er nicht mehr glaube, dass eine friedliche Lösung möglich sei. Einmal mehr ging Tirpitz passiv einher mit der Vorstellung der Armee von einem Präventivkrieg. Hernach war Bethmann einverstanden, dass die Marine einige vorbereitende Sicherheitsmaßnahmen treffen könne. An diesem Nachmittag trafen sich Pohl, Behnke, Prinz Heinrich und Tirpitz bezüglich möglicher Operationspläne. Tirpitz plädierte**, falls sich die britische Flotte Helgoland nähern sollte, solle die Hochseeflotte sie so bald wie möglich angreifen. In dieser Sitzung erörterte er, anders als mit Ingenohl im Mai 1914, nicht die Möglichkeit, was zu tun sei, falls die Briten nicht kämen. Behnke riet zur Geduld, bis die neuesten Schiffe fertig seien und die Reserveflotte vollständig bemannt. Trotzdem war das RMA nicht völlig überzeugt, dass die Briten nicht blufften. In diesem Sinne war das Kalkül des RMA nicht realistischer als das des Kanzlers oder des Auswärtigen Amtes.

Vielen Dank!

Beachtenswert ist folgendes: Von Bethmann wird am 30.7. durch seinen Staatssekretär übermittelt, er "glaube nicht mehr an eine friedliche Lösung".

Die Erläuterung außerhalb dieses Textes geht noch weiter: "habe sich in Englands Haltung getäuscht, Italien sei flau, Rumänien mache nicht mit, auch Bulgarien nicht, wo Ministerium wohl durch russenfreundliches gestürzt werde, Zar habe noch nicht geantwortet, Verhandlungen (sic!) mit Wien seien schwierig. ... Mobilmachungsbefehl kommt wohl morgen... Besprechung über Operationsplan*...

Tirpitz für möglichst baldige Schlacht, falls englische Flotte in die Nähe von Helgoland kommt" (Epkenhans, Hopmann Tagebuch)

* es handelt sich hier um den Operationsbefehl Nr. 1 für die Flotte, vom Admiralsstab am 24.7. entworfen, und am 30.7. von Wilhelm genehmigt. Der Operationsplan rechnete "nur" mit einem Krieg gegen Frankreich und Russland (Epkenhans, Hopmann, S. 403). Behnke: "bewertet Nachrichten über englische Maßnahmen nicht sehr hoch, da englische Admiralität in allen Krisen stets sehr weitgehende Mobilisierungsmaßnahmen durchgeführt hat. Hält russische Vorbereitungen für bedenklicher."

Das klärt die Haltung und Ansichten der Marine bis zum 30.7. auf, und bestätigt die Einschätzung, England werde nicht eingreifen. Es ist kompatibel zu der Angabe, dass die Marine erst am 1.8. die volle Tragweite der Heeresplanungen gegen Frankreich und Belgien wahrgenommen hat.

** Hier wird auch die Übersetzung problematisch: Tirpitz besprach am 30.7. diesen Aspekt des Operationsplanes (gerichtet gegen Frankreich und Russland), für den Fall, dass die englische Flotte (dennoch!) in der Deutschen Bucht auftauchen sollte: "Tirpitz made the case that, if ..."
 
Zwei Möglichkeiten:

Entweder das stimmt. Dann war Tirpitz, verzeihung, eine unfähige, realitätsflüchtige Tröte.

Oder das stimmt nicht. Dann log Tirpitz nach dem Krieg zum Balkenbiegen. (tat er sowieso... ist nachweisbar...hat er mit zB Jagow gemein, der den Reichstagsuntersuchungsausschuß belogen hat wie Bolle)

Wir sollten aufpassen, nicht zu sehr die "historische Vogelperspektive" einzunehmen, schon allein deshalb, weil bei solchen Wertungen ein Informationsgleichstand der damaligen Akteure unterstellt wird. Das geht schief.

Tatsächlich können wir von einem (zuweilen starken) Informationsgefälle ausgehen, nämlich zu Lasten der Akteure. Der Admiralstab war weder von Deppen noch von Lügnern durchsetzt, sondern ging nachweislich zwischen dem 24.7./30.7. tatsächlich davon aus, dass England draußen gehalten werde. Das macht nur Sinn, wenn die Tragweite des Schlieffen-/Moltke-Angriffs gegen Frankreich nicht erkannt worden ist.

OP 1 ("England zuverlässig neutral") wurde dann am 1.8. Makulatur. Zum Plan siehe auch hier:
http://www.geschichtsforum.de/f62/offensive-der-hochseeflotte-im-august-1914-a-32235/index5.html

Das faktische "Nichterkennen" bewirkte, dass die Marine chancenlos war, trotz drohender Blockade nicht Bethmann gegen das Heer und den Frankreich-Krieg unterstützte, und auch anders als beim "Kriegsrat" Dezember 1912 keine wesentlich zögernde Haltung bei Wilhelm vortrug, um diesen mit diesen Bedenken zusätzlich zu beeinflussen.
 
Tatsächlich können wir von einem (zuweilen starken) Informationsgefälle ausgehen, nämlich zu Lasten der Akteure. Der Admiralstab war weder von Deppen noch von Lügnern durchsetzt, sondern ging nachweislich zwischen dem 24.7./30.7. tatsächlich davon aus, dass England draußen gehalten werde.

In diesem Zusammenhang ist sicherlich auf die Einschätzung von "Stumm" relevant, der als Experte diese Einschätzung gegenüber Jagow und Bethmann vertreten hatte (Otte: July Crisis).

Und auch bis zum Schluss versuchte, beispielsweise durch Lancieren von deutschen Telegrammen in englischen Zeitungen in der Endphase der Juli-Krise, die prognostizierte Neutralität möglichst lange hinauszuschieben.
 
Am Morgen des 24.Juli 1914 rief der russische Finanzminister Peter Bark Sasonow an. Dieser war nicht anwesend, dafür aber seines Stabschefs Schilling.
Bark fragte ganz direkt nach der Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Die Antwort von Schilling ist bemerkenswert: "Sasonow Krieg als unvermeidlich ansehe."

Anschließend unterhielt man sich über finanzielle Transaktionen, um aus Berlin staatliche Fonds abzuziehen und das bereits am 24.07. morgens. der Ministerrat hatte zu dieser Zeit noch gar nicht getagt gehabt. Die serbische Antwort auf das Ultimatum Wiens war aber noch gar nicht bekannt; die erfolgte erst am 25.07.. Die Russen wußten natürlich schon vor Übergabe des Ultimatum hiervon und reagierten entsprechend.

Sasonow hat auf der Sitzung des Ministerrats ja die sogenannte Teilmobilmachung erfolgreich durchgesetzt. General Dobrorolskii meinte dazu, das so eine Anordnung Wanhninsinn sei. Der Plan 19 sah eine gemeinsame Mobilmachung gegen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich vor. Wenn nur gegen Österreich-Ungarn mobilisiert wird, dann könne man den Eisenbahnknotenpunkt Warschau nicht nutzen, ansonsten würde Berlin alarmiert. Ohne Nutzung von Warschau sei aber gemäß Dobrorolskii eine Mobilmachung, die sich nur gegen Österreich-Ungarn richten soll, nicht durchführbar.

Quelle: Sean McMeekin, Russlands Weg in den Krieg, S.96 ff
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei Schmidt finde ich auch den Hinweis, das Poincare und Palélogue Russland am 23.07 und 24.07 den uneingeschränkte Beistand zusicherten. (S.306)

Darübe hinaus informiert Schmidt uns darüber, das die französischen Staatsmänner das Risiko eines unkalkulierbaren Kriegsrisikos in Kauf nahmen, denn es war ja mehr als unsicher, ob Berlin und Wien aufgrund einer machtpolitischen Pression wie gwünscht einlenken würden. (S.356)
 
Vielen Dank!

Beachtenswert ist folgendes: Von Bethmann wird am 30.7. durch seinen Staatssekretär übermittelt, er "glaube nicht mehr an eine friedliche Lösung".

Die Erläuterung außerhalb dieses Textes geht noch weiter: "habe sich in Englands Haltung getäuscht, Italien sei flau, Rumänien mache nicht mit, auch Bulgarien nicht, wo Ministerium wohl durch russenfreundliches gestürzt werde, Zar habe noch nicht geantwortet, Verhandlungen (sic!) mit Wien seien schwierig. ... Mobilmachungsbefehl kommt wohl morgen... Besprechung über Operationsplan*...

Tirpitz für möglichst baldige Schlacht, falls englische Flotte in die Nähe von Helgoland kommt" (Epkenhans, Hopmann Tagebuch)

* es handelt sich hier um den Operationsbefehl Nr. 1 für die Flotte, vom Admiralsstab am 24.7. entworfen, und am 30.7. von Wilhelm genehmigt. Der Operationsplan rechnete "nur" mit einem Krieg gegen Frankreich und Russland (Epkenhans, Hopmann, S. 403). Behnke: "bewertet Nachrichten über englische Maßnahmen nicht sehr hoch, da englische Admiralität in allen Krisen stets sehr weitgehende Mobilisierungsmaßnahmen durchgeführt hat. Hält russische Vorbereitungen für bedenklicher."

Das klärt die Haltung und Ansichten der Marine bis zum 30.7. auf, und bestätigt die Einschätzung, England werde nicht eingreifen. Es ist kompatibel zu der Angabe, dass die Marine erst am 1.8. die volle Tragweite der Heeresplanungen gegen Frankreich und Belgien wahrgenommen hat.

** Hier wird auch die Übersetzung problematisch: Tirpitz besprach am 30.7. diesen Aspekt des Operationsplanes (gerichtet gegen Frankreich und Russland), für den Fall, dass die englische Flotte (dennoch!) in der Deutschen Bucht auftauchen sollte: "Tirpitz made the case that, if ..."

Dann korrigiere ich mich: dann war die gesamte militärische Planung 1914 wenig professionell (und zwar auch nach damaligen Maßstäben). Wenn Marine nicht einmal Moltkes Plan kannte/einordnen konnte. da wir Lichnowskys Telegramme aus London seit 95 Jahren kennen, muss man sich schon fragen: Wie kommunizierten Militärs/Zivile damals miteinander? Dass England nicht neutral bleiben würde, musste der Reichsleitung klar sein. Letztlich ja sogar seit 1912! (Daher damals ja die Krisenknferenzen) Zwei Details bitte: Wenninger erbittet sich im Verlauf des Frankreichfeldzugs Spätsommer 14 von seiner Frau allen Ernstes den Baedecker Nordost-Frankreich! Das muss man sich mal vorstellen! Und Ritter von Endress wird am 29. 07. telegraphisch aus dem Urlaub zurückbeordert. Das Heer weiß also ab spätestens 28.07. (nach damaligen technischen Standards darf ein Vorlauf von Minimum 1 Tag unterstellt werden): Es wird Ernst. Nicht: Es gibt definitiv Krieg. Aber: Es wird Ernst. Berlin weiß also ab 28.07.: a) es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit für krieg b) England wird nicht neutral sein.

Wenn Deine reko der Marine-Sicht zutrifft - und ich habe keine Veranlassung, diese reko zu bestreiten -, dann sitzt man nur noch fassungslos davor.

Übrigens ist dies alles - Stichwort: Arthur Bernstein - schon von den zeitgenossen verhandelt worden.

Deine Belege klären aber auch die Frage, ob Bethmann seine Vermittlung am 30./Nacht zum 31. 07. noch Ernst gemeint hat. Vermutlich demnach eher nicht.
 
Bei Schmidt finde ich auch den Hinweis, das Poincare und Palélogue Russland am 23.07 und 24.07 den uneingeschränkte Beistand zusicherten. (S.306)

Das ist aber doch seit den Zwanzigern unstreitig. Und? Hat Paris, hat St. Petersburg eskaliert? Mitnichten. Es wurden Deeskalationsvorschläge gemacht - ob die ernst gemeint waren haben Berlin und Wien nie ausgetestet.

Fritz Stern hat damals wg Riezler-Tagebücher etwas sehr, sehr Kluges gesagt: Die Riezler-Tagebücher (in der Erdmann-Fassung, wohlgemerkt!) belasteten die deutsche Politik vor allem dadurch, was sich nicht in ihnen fände: Es fände sich kein Versuch einer Deeskalation! Keiner!
 
Und? Hat Paris, hat St. Petersburg eskaliert?
Ja. Eine relativ frühzeitige Mobilmachung und die entsprechende Rückendeckung hierfür ist doch keine Deeskalition. Ganz im Gegenteil.


Es wurden Deeskalationsvorschläge gemacht - ob die ernst gemeint waren haben Berlin und Wien nie ausgetestet.
Ich wiederhole mich gern. Den ersten Konferenzvorschalg wurde vom russischen Botschafter Benckendorff in London zurückgewiesen. Der zweite wurde von den Mittelmächten, Wien hatte, nicht ganz zu unrecht, kein Vertrauen mehr in das Konzert der Großmächte. Die unerfreulichen Erfahrungen der Londoner Botschafter Konferenz zeichnen hierfür verantwortlich.

Fritz Stern hat damals wg Riezler-Tagebücher etwas sehr, sehr Kluges gesagt: Die Riezler-Tagebücher (in der Erdmann-Fassung, wohlgemerkt!) belasteten die deutsche Politik vor allem dadurch, was sich nicht in ihnen fände: Es fände sich kein Versuch einer Deeskalation! Keiner!
Die gab es auch nur von einer Großmacht und das war Großbritannien. Aber ich möchte in diesem Kontext auf die Bremsertätigkeit seitens Wilhelm bzw. bethman am Ende der Julikrise hinweisen. War reichlich spät, aber der Versuch wurde gemacht. Mit ist vergleichbare Einwirkung auf Petersburg seitens Paris oder London nicht bekannt.
Währende der Balkankriege wurde von London noch gebremst, da man nicht bereit war für einen serbischen Hafen an der Adria Krieg zu führen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist aber doch seit den Zwanzigern unstreitig. Und? Hat Paris, hat St. Petersburg eskaliert? Mitnichten. Es wurden Deeskalationsvorschläge gemacht - ob die ernst gemeint waren haben Berlin und Wien nie ausgetestet.

Fritz Stern hat damals wg Riezler-Tagebücher etwas sehr, sehr Kluges gesagt: Die Riezler-Tagebücher (in der Erdmann-Fassung, wohlgemerkt!) belasteten die deutsche Politik vor allem dadurch, was sich nicht in ihnen fände: Es fände sich kein Versuch einer Deeskalation! Keiner!
Stern wird hier so zitiert
Fritz Stern brachte
dieses Faktum auf den Punkt,
als er 1967 schrieb, dass Riezlers
Aufzeichnungen „für die deutsche
Politik am meisten durch das
belasten, was sie nicht enthielten
– durch das Fehlen von Stellen, die
Bethmanns Bemühungen um den
Frieden dokumentiert hätten.“
Daraus lässt sich aber weder der Schluss ziehen, dass das DR am Höhepunkt der Krise eskalierte, noch dass Russland nicht eskalierte.

Folgt man Trachtenberg, so war in der Schlussphase der Krise die russische Mobilisierung entscheidend eskalierend.
Es ist nach dieser Quelle so gewesen, dass die russische Mobilisierungsentscheidung eine bewußte Kriegsentscheidung war. Die Gefahr einen großen europäischen Konflikts auszulösen wurde nach dieser Quelle von russischer Seite als von geringer Wichtigkeit eingestuft, da man diesen bereits als ohnehin unvermeidlich ansah.

In jedem Falle aber, war spätestens eine Generalmobilmachung gefährlich eskalierend. Dies umsomehr als diese im Bewusstsein der zeitlichen Enge möglicher Gegenmaßnahmen durch das DR durchgeführt wurde.
Die These Petersburg habe "mitnichten" eskaliert halte ich für nicht haltbar.
 
Die These Petersburg habe "mitnichten" eskaliert halte ich für nicht haltbar.

Zweifellos hat Petersburg eskaliert, das war so von der deutschen Risikopolitik mit dem Ziel des lokalen Krieges antizipiert und für die Zuspitzung der Krise angestrebt worden.

Die Reichsleitung hat sich hier verzockt, wie nun gerade Epkenhans in seiner Gesamtdarstellung der Historikerdebatten zum 100-jährigen festgestellt hat.
Daher ein Hinweis auf diese Neuerscheinung:

Michael Epkenhans: Der Erste Weltkrieg – Jahrestagsgedenken, neue Forschungen und Debatten, VfZ 2015 (April-Heft), S. 135-165, hier S. 165:

"Auch was die „leidige“ Frage nach der Verantwortung für den Krieg betrifft, scheint mir noch nicht alles gesagt. Keine Frage: der emotional und historisch so belastete Begriff der „Kriegsschuld“ sollte endlich aus dem Vokabular der Historiker bei der Interpretation der „Juli“-Krise verschwinden. Dies gilt aber auch für den von Clark eingeführten Begriff der „Schlafwandler“ – Bethmann Hollweg und Leopold Berchtold, Poincaré, Sasonow und Grey wussten im Juli 1914 genau, was sie taten oder was sie eben nicht taten. Angesichts der zahlreichen Studien aus deutscher oder anderer Feder führt auch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass viele alte Interpretationen heute nicht mehr tragen. Doch selbst wenn die meisten von uns inzwischen anders gewichten, die ja sehr gut belegte Risikostrategie von Reichsleitung und österreichischer Regierung bleibt ein Schlüssel zur Erklärung der Katastrophe des Jahres 1914. Jost Dülffers Bild von den Pokerspielern verwendend, geht kein Weg daran vorbei, dass es am Ende vor allem die Reichsleitung war, die sich „verzockt“ hatte. „Die Direktion“, so gestand Reichskanzler Bethmann Hollweg in der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 30. Juli 1914 etwas hilflos wirkend ein, „ist verloren und der Stein ins Rollen geraten.“ Der Fehler, nie eine wirklich alternative Strategie entwickelt zu haben, rächte sich nun mit fatalen Konsequenzen."

Es bedurfte nicht einmal der russischen politischen Drohung mit der Teilmobilmachung, um klarzumachen, dass man dem angestrebten lokalen serbisch-österreichuschen Krieg nicht zusehen werde. Bereits vor dem Ultimatum wurde deutlich, dass man sich verzockt hatte und für diesen Fall keinen Plan B hatte. Epkenhans dazu (S. 159):

"...spiegeln zudem genau jenes Szenario wider, das die Reichsleitung ansteuerte, das aber nach Lage der Dinge mit hohen, nicht kalkulierbaren Risiken behaftet war. Viele Verantwortliche waren sich darüber auch durchaus im Klaren. So berichtete der Leiter des Nachrichtenbureaus des Reichsmarineamts nach Gesprächen im Auswärtigen Amt bereits am 21. Juli 1914, also dem Tag, als die eigentlichen Gespräche zwischen dem französischen Präsidenten und der russischen Regierung in St. Petersburg begannen, und zwei Tage vor Überreichung des der Reichsleitung ja in großen Zügen bekannten Ultimatums an Serbien:

„Wie ich gelegentlich privater Unterhaltung im A.A. feststellen konnte, ist man dort keineswegs an allen Stellen der Ansicht, daß es Österreich möglich wäre, ohne russischen Widerspruch eine serbische Gebietsabtretung zu erreichen. Ich begegnete bei einem älteren Diplomaten und Balkankenner der ausgesprochenen Überzeugung, daß 1) wenn Österreich eine serbische Gebietsabtretung verlangen werde, dies den Krieg mit Rußland bedeute, daß aber 2) Österreich der russischen ‚Vermittlung’ gegenüber bestimmt zurückweichen werde, und daß schließlich 3) wenn es doch zu einem Kriege zwischen Dreibund und Entente aus diesem Anlaß käme, England nicht zurückhalten vielmehr auf Seiten der Entente teilnehmen werde.“
[Quelle: Janson an Capelle, 21. 7. 1914, in: Bundesarchiv, RM 3/10398]"
 
Ja. Eine relativ frühzeitige Mobilmachung und die entsprechende Rückendeckung hierfür ist doch keine Deeskalition. Ganz im Gegenteil.

Bei der ganzen Thematik ist ein Aspekt interessant, den ich bisher in der Literatur nicht komparativ beleuchtet gefunden habe.

Einen Verweis auf eine sich abzeichnende Mobilisierung. Als typische Indikatoren werden das Zurückrufen von Armeeeinheiten von Übungen, Ausgangssperren, Zurückrufen von Schiffen oder das Umdirigieren von Waren bzw. Kapitalströmen in den eigenen Machtbereich genannt.

Hat ein Autor diesen Aspekt mal systematisch bearbeitet? Bisher hatte ich zu dem Thema nur immer vereinzelt Hinweise gefunden.
 
Einwirken Londons auf Paris und Petersburg: Alles offenkundige Tun oder Unterlassen von Seiten des britischen Kabinetts hatte direkte Auswirkung auf die Intensivierung der Krise (falls die Annahme korrekt ist dass sowohl die Mittelmächte als auch der Zweibund den Konflikt zu mindest nicht scheuten). Die britische Diplomatie hätte, um erfolgreich zu sein, den Franzosen klarmachen müssen, dass Großbritannien in KEINEM Fall in einen Krieg zu deren Gunsten beitreten wird (wenn Deutschland Frankreich nicht angreift), und den Deutschen entsprechend das Gegenteil, das Großbritannien in JEDEM Fall auf Seite des Zweibunds in einen potentiellen Krieg eintritt (wenn Deutschland Frankreich angreift). Die Bündnissituation zwischen Großbritannien und Russland einerseits, bzw. Frankreich andererseits hätte das wohl zugelassen. Das wäre Diplomatie im Geiste Metternichs gewesen und deeskalierend in Bezug auf die Krise. Allerdings hätte es sich Großbritannien damit vor allem mit Frankreich verdorben und ein Krieg Deutschlands allein gegen Russland war bekanntlich keine Option.
 
Zurück
Oben