das mag ich so nicht stehen lassen - ich bin erst dann skeptisch, wenn Methoden und Erkenntnismöglichkeiten überfordert werden.
Genetische Analysen antiker Knochen können keine Auskunft über den Sprachgebrauch und die Ethnie ihrer Untersuchungsgegenstände geben.
Bevölkerungsverschiebungen, Wanderungen etc. hat es von der Eisenzeit bis ins Frühmittelalter in Europa gehäuft gegeben; hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass im Fall der Wanderung von Gentes nicht komplett und total Mann und Maus die Wanderschuhe gürteten, sondern dass mehr kriegerische Eliten umherzogen als ganze "Völker".
Skepsis ist erstmal nichts Falsches. Im Gegenteil - bei Ergebnisoffenheit ist es sie dem Erkenntnisgewinn sicherlich förderlich.
Wanderungen bringen kulturellen und sozialen Austausch mit sich - machmal freiwillig und gleichrangig, manchmal durch unterschiedliche Machtpositionen bestimmt, wobei die Wandernden häufig, aber sicherlich nicht immer in der Rolle der Stärkeren gewesen sein mögen (es gab auch Deportation, Sklaverei etc.). Damit einher gehen fast immer lexikalische Übertragungen, teilweise Änderung oder Übertragung der ethnischen Eigen- oder Fremdbenennung, manchmal auch grundlegender Sprachwechsel. Da muss man sicherlich genau auf den jeweiligen Einzelfall sehen. Die Genanalyse ist ein Instrument, dass
zusammen mit Quellenanalyse, Archäologie, Linguistik etc. helfen kann, einen historischen Befund besser zu erfassen und zu rekonstruieren.
Allein die für uns heute immer noch zu spärlichen schriftlichen Überlieferungen bzgl. der modern gesagt Mobilität von Bevölkerungsteilen im genannten Zeitraum zeigen ein Bild, welches einem schier unentwirrbaren Flickenteppich entspricht. Dieses große konfuse Durcheinander macht es schon höchst unwahrscheinlich, genetische Auffälligkeiten oder Häufungen einer bestimmten historischen Ethnie zuzuschreiben. (ein schönes Exempel hierfür könnten die Alanen sein)".
Siehe mein Beispiel der Untergruppe von I2a2b. Die erste Migration erfolgte vermutlich (ganz sicher können wir da auch nicht sein) als Teil der Kelten. Für die zweite Migrationswelle kann keine exakte Zeitstellung gegeben warden (man rekonstruiert "Stammbäume", die aber natürlich lückenhaft sind); die Individuen können also entweder als "(Gallo-)Römer" vor der Völkerwanderung ins stabiler gewähnte Britannien geflüchtet sein, oder an dieser als "Germanen" (dann wohl eher Franken denn Sachsen) teilgenommen haben. An der dritten Migrationswelle nahmen sie als "Normannen" teil. Weitere Migrationen (z.B. Wikingerzeit, einzelne Miglieder dieser Gruppe wohnen heute in Dänemark / Südschweden) sind nicht auszuschließen.
Dennoch erhalten wir wichtige und neue Informationen, z.B.:
- Die eisenzeitliche keltische Migration berührte vermutlich nicht die Niederlande;
- Die völkerwanderungszeitliche Migration (ob als "Römer" oder als "Germane") nach Britannien reichte tiefer nach Süden (Rheinland/ Mittelrhein) als üblicherweise vermutet;
- Die normannische Invasion/ Siedlung erfolgte nicht ausschließlich durch eine Oberschicht aus romanisierten Wikingern, an ihr nahmen auch Bevölkerungsgruppen teil, die schon in Kelten- und/oder Römerzeit dort ansässig waren.
Nebenbei wird auch klar, dass
dieser genetische Marker nicht geeignet ist, Auskunft über die angelsächsiche Landnahme bzw. die Verdrängung von Kelto-Romanen in Britannien zu geben.
Bzgl. der Weichsel-Veneter kennt man nur die Fremdbezeichnung in griech. und röm. Quellen, mehr nicht. Aus dieser arg spärlichen Quellenlage bzgl. der sprachl. Überlieferung lässt sich über die ethnische Zugehörigkeit Weichsel-Veneter nichts (!) greifbares/beweisbares aussagen.
Deswegen brauchen wir ja andere Informationsquellen wie die Linguistik oder die Genetik. Die
Genetik deutet auf intensive genetische Interaktion zwischen Dalmatien (weniger jedoch Venetien) und Osteuropa bis hoch nach Weißrussland, sowie Britannien/ Bretagne, hin. Das genetische Profil Ostpreußens vor dem 2. Weltkrieg ist verloren, mag aber über die DNA ostpreußischer Auswanderer in die USA teilweise rekonstruiert werden. Die gegenwärtige Auflösung reicht für belastbare Befunde nicht aus, aber da wird sicherlich in den nächsten Jahren noch einiges mehr kommen, weil das Thema die slowenische und kroatische Forschung (und offensichtlich nicht nur diese) beschäftigt.
Linguistisch haben wir das erklärungsbedürftige Phänomen, dass das venezisch-illyrische "terg" seinen Eingang in alle nordgermanischen Sprachen (einschließlich Isländisch!) gefunden hat. Die weiter oben verlinkte Studie, die ich mir noch mal genauer ansehen muss, kommt zu dem Ergebnis, linguistische Parallelen zwischen den drei "Venetern" seien festzustellen. EQ hat jedoch korrekterweise darauf hingewiesen, dass solche Parallelen auch durch Ähnlichkeiten des Sprachumfelds hervorgebracht werden können. Also auch hier kein belastbarer Beleg, aber v.a. sicherlich kein Beweis, dass baltische und adriatische Veneter
nicht verwandt sind. Die Tiroler und Kärntner Ortsnamensforschung ist gerade dabei, etwas mehr Licht ins "Ostalpenindogermanisch" zu bringen, zu dem vermutlich auch Venetisch gehört. Schaun' mer mal, was da noch so kommt..
Dann die
Archäologie: Auf den Kaliningrader Oblast setze ich in dieser Hinsicht eher wenig, aber die polnischen Ausgrabungen rund um Elblag (Elbing), sind durchaus vielversprechend und dürften genug Material für Vergleichsanalysen mit adriatischen Artefakten liefern.
Truso - Wikipedia, the free encyclopedia
z J Okulicz-Kozaryn, Weklice. A Cemetery of the Wielbark Culture on the Eastern Margin of Vistula Delta (Excavations 1984-2004). In Monumenta Archaeologica Barbarica 17, A. Bitner Wróblewska (ed). Warszawa. | Magdalena Natuniewicz-Seku?a - Academia
Zusammengefasst sehe ich zur Zeit einige Anzeichen, dass bretonische, adriatische und baltische Veneter mehr als nur den Namen geteilt haben könnten. Was dieses "mehr" im einzelnen umfasst, und wie es ggfs. zustandekam, wird man sehen, da ist die Forschung sicherlich noch nicht am Ende. Das Gegenargument "Die baltischen Veneter waren doch ab dem 5.6. Jahrhundert Slawen" überzeugt jedenfalls nicht. Im Gegtenteil: Die adriatischen Veneter waren nur wenig später zum guten Teil auch Slawen (Slowenen).
In diesem Sinne sehe ich übrigens auch den
Lacus Venetus, ebenso wie die nicht allzu weit von ihm enfernt siedlenden Vindeliker (Veneter am Lech?), als Anlass, über Beziehungen zur Adria noch intensiver nachzuforschen. Die bereits zur Bronzezeit bestehende Handelsverbindung von Augsburg über Fernpass und Brenner zur Adria ist ja gut bekannt..