Konflikt und Gewalt durch komplexere neolithische Gesellschaften?

Danke für den Link! Die Zeitstellung (Endphase Linearbandkeramik) ist klar, und der Kontext (gewaltsamer Frauenraub) aus der Zeit leider schon wohlbekannt (Thalheim etc.).
@Augusto ich verstehe deine Wertung nicht, denn vergangene Realitäten haben nicht den Auftrag, dir oder mir zu gefallen.
Eindeutige Funde bzgl. kollektiver Gewalt belegen, dass die moralphilosoph. Idealvorstellungen eines goldenen Urzustands eher im Bereich der Fiktion anzusiedeln sind - und seit man derartige Funde überhaupt macht und untersuchen kann, gibt es keinen Grund, Idealvorstellungen zurück zu projizieren.
Über die Motive der Angreifer können Meyer und seine Kollegen aber nur mutmaßen. Sie gehen davon aus, dass bei dem Massaker eine gesamte Siedlung ausgelöscht wurde. Das sei kein einzigartiger Vorfall für die Jungsteinzeit. Neu sei hingegen die Brutalität der Angreifer.
(aus dem Link) in diesem Zitat ist der letzte Satz bemerkenswert, da er sozusagen qualitative Abstufungen (so krass das auch klingt) vorgeschichtlicher Massaker andeutet.
 
Hier passt nach dem Witwe-Bolte-Prinzip*) ein Beitrag von mir aus dem Jahre 2009 :
Sie sind absolut friedfertig. Die Stammesangehörigen der Mangyan können keiner Fliege etwas zuleide tun.
Mir kommen die Tränen !

Versuchen wir uns einmal, die Gründe zu verstehen. Der Humanethologe I. Eibl-Eibesfeldt beschreibt Besuchsrituale bei den Khoi-San. Jeder hat mehrere Freunde in anderen Sippen, die sich nach festgelegten Regeln besuchen und bewirten. Diese Freundschaften werden sogar vererbt. Das ist bis an die Grenzen des Machbaren zeitaufwändig, führt aber zu einem friedlichen Miteinander der beteiligten Sippen.

Der Grundgedanke ist dabei offensichtlich, dass das "persönliche Band" einer Sippe nur für eine begrenzte Zahl von Personen ausreicht und dass man durch gezielte Vernetzung der persönlichen Verknüpfungen für eine größere Anzahl von Individuen eine soziale Einheit schaffen kann.

Er beschreibt ähnlich intensive Kontaktpflege auf Papua-Neuguinea und schildert den Gegensatz zwischen zwei Tälern : Das eine ist seit langer Zeit, das andere erst seit wenigen Jahrzehnten besiedelt. In ersterem herrscht Frieden, im zweiten Mord & Totschlag. Die Erklärung : Es braucht sehr lange Zeit, bis das Netz der sozialen Beziehungen so kunstvoll geknüpft werden kann.

Man kann also schließen, dass die "natürliche" Situation der Zusammenhalt einer Sippe von weniger als hundert Mitgliedern ist, die ein persönliches Verhältnis zueinander haben. Die Größe dieser Sippe ist durch die Anzahl der Leute begrenzt, zu denen man mit dem dazu notwendigen Zeitaufwand ein persönliches Band aufbauen kann.

Eine solche Sippe steht in Konkurrenz zu allen Menschen außerhalb. Jede Ausweitung der Zusammenarbeit über die Sippengrenzen hinaus ist eine Kulturleistung, die viel Anstrengung verlangt. Das im Artikel beschriebene zwanzigmalige Kochen am Tag bei den Mangyan interpretiere ich in diesem Sinne. Dass die Leute bereit sind, praktisch den ganzen Tag für die Pflege der sozialen Kontakte aufzuwenden, deutet auf eine sehr lange Tradition hin, sowie dem Bewusstsein (bzw. der Erfahrung), dass anderenfalls etwas ganz Schlimmes droht. Außerdem müssen die Mangyan die Bevölkerungskontrolle eisern im Griff haben (was für die Betroffenen wenig romantisch sein dürfte), so dass das soziale Gesamtkunstwerk stabil ist und auch die Nahrungsversorgung zur allseitigen Zufriedenheit klappt.

Ich hätte lieber etwas über diese offensichtlich gut gelungene, enorme Kulturleistung der Mangyan erfahren, anstatt so ein ... über unschuldige Naturkinder zu lesen.

*) wovon sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt
 
vergangene Realitäten haben nicht den Auftrag, dir oder mir zu gefallen.
Sicher nicht. Aber ich habe mir Mitleid mit den Opfern erlaubt, die (und das ist die im Link beschriebene "neue Qualität") nicht "nur" auf der Flucht von hinten erschlagen, sondern offenbar bei lebendigem Leib gefoltert wurden, z.B. durch systematisches Brechen ihrer Beine.
 
Sicher nicht. Aber ich habe mir Mitleid mit den Opfern erlaubt, die (und das ist die im Link beschriebene "neue Qualität") nicht "nur" auf der Flucht von hinten erschlagen, sondern offenbar bei lebendigem Leib gefoltert wurden, z.B. durch systematisches Brechen ihrer Beine.

Ich habe einige Schwierigkeiten mit deiner Formulierung:
a) so menschlich wie sympathisch Mitleidsempfinden auch ist, es ist eine Übertragung heutiger Moralvorstellungen und Denkmuster. Wir wissen so gut wie nichts über die Umstände warum diese Menschen zu Tode gekommen sind. Was wenn sich die "Massakrierten" zuvor in ähnlich brutaler Weise gebärdet haben, der auf uns gekommene Fund in einen Rache-Kontext einzuordnen wäre - nur eine denkbare Option.
b) wie sie zu Tode gekommen sind bleibt ebenso spekulativ. Folterung ist möglich muss aber nicht so gewesen sein. Zudem lassen mir bei lebendigem Leibe gebrochene Beine ein Erschlagen von hinten auf der Flucht eher unwahrscheinlich erscheinen.
c) ob da zudem eine "neue Qualität" von Brutalität vorliegt ist meines Erachtens schwer zu sagen. Einem solchen Ereignis kann ein einmaliger, völlig ausufernder Exzess zu Grunde liegen, der in keiner Weise repräsentativ sein muss.

Sorry wenn ich gerade korinthenkackerisch mit deinem Post umgehe, doch bei über die vorliegende Tatsache, dass da Menschen zu Tode gekommen sind, hinausgehenden Interpretationen des Funds öffnet sich ein weites Feld der Möglichkeiten...
 
*) wovon sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt

Da will ich auch noch ein paar Sachen aufwärmen:

Brutale Gewalt gibt es nicht erst seit dem Neolithikum:

Z. B. die 33 Menschenschädel, die man in der Großen Ofnethöhle gefunden hat. Oder die drei Schädel aus dem Hohlenstein-Stadel.
7. Jahrtausend v. Chr.

Dabei ist in zahlreichen Fällen das Schädeldach perforiert, so daß von mit großer Wucht ausgeführten Schlägen ausgegangen werden kann. Zwei der Schädel der Großen Ofnet weisen multiple Verletzungen auf (Ind. 2: vier Traumata; Ind. 21: sieben Traumata),247 so daß auf ein hohes Maß an Entschlossenheit und Brutalität seitens der Angreifer geschlossen werden kann.
...
Bezogen auf die Befunde der Großen Ofnet-Höhle und des Hohlenstein-Stadel liegen deutliche Anzeichen für feindliche Handlungen zwischen Gruppen vor, bei denen auch Frauen und Kinder getötet wurden. Hier zeigt sich eine abweichende Lage der Verletzungen am Schädel, die sich hier auch im Hinterhauptsbereich finden. Das spricht dafür, daß offenbar auch auf am Boden liegende oder flüchtende Opfer eingeschlagen wurde. Mehrfachverletzungen dokumentieren die Heftigkeit der Angriffe.
Dissertation Gundula Lidke


Und auch Jäger-und-Sammlergesellschaften sind keine gewaltfreien Paradiese:




„Da wird den Wildbeutern ihre egalitäre Gesellschaftsform zum Verhängnis", erklärt der Züricher Forscher. „Es gibt keinen Häuptling oder eine andere Autoritätsperson, die solche Konflikte unblutig entschärft." Der letzte Ausweg heißt bei Jäger-Sammler-Kulturen normalerweise: Konfliktvermeidung durch Ausweichen – einer zieht fort, zu einer anderen wandernden Kleingruppe seiner Ethnie. Das ist meist ohne besondere Umstände möglich, da weit verzweigte Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den nomadisierenden Gruppen bestehen und man deshalb andernorts sofort Aufnahme findet. Doch zu bestimmten Zeiten gibt es diesen Ausweg nicht. Die meisten Tötungen geschehen, wenn mehrere Gruppen sich aus jahreszeitlichen Gründen an einem Ort versammeln müssen. Bei den Inuit in der Arktis ist es die Winterrobbenjagd, bei den !KungSan und den australischen Aborigines der Rückzug an permanente Wasserstellen während der Trockenzeit. Hier kann kaum einer einem eskalierenden Konflikt ausweichen, einen mit Macht ausgestatteten Konflikt-Moderator gibt es nicht – und so kommt es zum bitteren Ende.
Totschlag im Paradies - bild der wissenschaft

Die Kriminologin Amy Nivette von der Universität Cambridge kommt zu einem eindeutigen Schluss. Sie wertete kürzlich Studien zur Häufigkeit von Gewalt unter nicht-staatlichen Gesellschaften aus (British Journal of Criminology, Bd. 51, S. 578, 2011). Selbst die friedlichsten der untersuchten indigenen Völker weisen demnach "vergleichsweise hohe Gewaltraten auf".
Das gleiche Bild zeichnet der Ethnologe Jürg Helbling von der Universität Luzern, Autor des Buches "Tribale Kriege. Konflikte in Gesellschaften ohne Zentralgewalt." Im Schnitt sterbe in nicht-staatlichen Gesellschaften ein Viertel der Bevölkerung durch Gewalt, unter Männern betrage die Mortalitätsrate sogar ein Drittel.
Für einzelne Ethnien liegen die Sterberaten durch gewalttätige Konflikte teils dramatisch hoch, zum Beispiel bei den Waorani (auch Huaorani), die in den Regenwäldern im Osten Ecuadors leben. Die Zeit zwischen 1860 und 1960 klingt wie ein 100-jähriges Gemetzel.
Die Mortalitätsrate in den Kriegen, die Waorani-Gemeinschaften gegeneinander führten, lag bei 44 Prozent - fast die Hälfte aller Menschen verlor in den Auseinandersetzungen ihr Leben. Unter den Männern fanden 53,6 Prozent einen gewaltsamen Tod. Die Waorani führten außerdem Kriege gegen andere Ethnien, die zusätzliche Opfer forderten. "Die haben sich gegenseitig fast ausgerottet", sagt Jürg Helbling, "die musste man in den 1950er-Jahren von außen pazifizieren."
Die Waorani sind ein extremes Beispiel. Doch auch in anderen Völkern ist ein gewaltsamer Tod ein häufiges Ereignis. Unter den Yanomami in Amazonien erreicht die kriegsbedingte Mortalität Raten bis zu 20,9 Prozent der Bevölkerung; bei den Abelam in Neuguinea liegt die Rate bei 30 Prozent. Zum Vergleich: Während des Ersten Weltkrieges lag die kriegsbedingte Mortalität bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Frankreich und Deutschland bei etwa drei Prozent.
Trotzdem hält sich auch unter Ethnologen das Gerücht vom friedliebenden Wilden. Immer wieder wird ein Aufsatz des Anthropologen David Fabbro zitiert, der 1978 ein Bild egalitärer, freiheitlicher Gemeinschaften zeichnete, in denen die Menschen ohne Krankheit, Leid und Gewalt miteinander auskamen.
Die Daten sprechen dagegen, doch sind diese Forschungsergebnisse im Einzelnen immer angreifbar, wie Kriminologin Nivette betont. "Beobachtungen von Ethnologen sind meist auf wenige Dörfer beschränkt und zeitlich limitiert", sagt auch Helbling. Dies verzerre die Daten für einzelnen Ethnien. Das Gesamtbild, wonach Gewalt in nicht-staatlichen Gruppen häufig ist, sei aber unstrittig.
Menschliche Gewalt - Hauen und Stechen unter Jgern und Sammlern - Wissen - Sddeutsche.de
 
Abgesehen von dem einen, beinahe beiläufigen Satz zu einer anhand der Gräberfelder als militarisiert einzustufender kulturellen Grenze, kann ich eigentlich in den hier veröffentlichten Auszügen zur Michelsberger Kultur keine Hinweise auf eine politisch-territoriale Einheit erkennen.
 
Da will ich auch noch ein paar Sachen aufwärmen:

Brutale Gewalt gibt es nicht erst seit dem Neolithikum:




Und auch Jäger-und-Sammlergesellschaften sind keine gewaltfreien Paradiese:




Totschlag im Paradies - bild der wissenschaft

Menschliche Gewalt - Hauen und Stechen unter Jgern und Sammlern - Wissen - Sddeutsche.de

Ins selbe Horn stößt Jared Diamond in seinem Buch "Vermächtnis", dass meines Wissens nicht mehr die Aufmerksamkeit anderer Titel von ihm erreichte. Abgesehen davon, dass seine Wertungen zur Gewalt in "zivilisierten" und "unzivilisierten" Gesellschaften durchaus kontrovers sind, konstatiert er bei den von ihm beobachteten ursprünglichen Gesellschaften ein extremes Territorialverhalten. Grenzübertritte von einem Stamm zum anderen würden sehr genau beobachtet und es könne dabei rasch zu gewalttätigem Verhalten kommen.
 
Der Thread http://www.geschichtsforum.de/f22/frostige-volksz-hlung-50999/ bezieht sich auf eine Studie zur Abschätzung der Bevölkerungsdichte in der Eiszeit.

Ein Einwand war :
Soweit ich den Artikel verstanden habe, geht das Berechnungsmodell von der Annahme aus, dass so viele Menschen in Europa lebten, wie theoretisch maximal leben konnten, also so viele, wie z. B. theoretisch ernährt werden konnten. Das wäre wohl erstmal zu hinterfragen.
Die Fälle von Gewaltanwendung sprechen dafür, dass es tatsächlich so war, dass die Bevölkerung bis an die Grenzen wuchs, die durch die Ernährungssituation möglich war, und dann entweder (a) die "überschüssigen" Menschen verhungerten, (b) (natürliche oder soziale) Mechanismen zur Senkung der Geburtenzahl einsetzten und/oder, wie hier behandelt, (c) der Kampf um die Nahrungsressourcen zum Kampf auf Leben und Tod eskalierte.


(Zu Erinnerung noch ein Uralt-Thread : http://www.geschichtsforum.de/f35/wieviel-platz-gibt-es-auf-der-erde-26482/ )
 
Die Fälle von Gewaltanwendung sprechen dafür, dass es tatsächlich so war, dass die Bevölkerung bis an die Grenzen wuchs, die durch die Ernährungssituation möglich war

Ist das nicht ein bisschen kurz gesprungen?

In der Geschichte der Menschheit ist es auch in Situationen, wo für alle Beteiligten genug zu beißen da war, öfters zu Fällen von Gewaltanwendung gekommen.
 
Oft ging es aber offensichtlich um Nahrungsressourcen :
Die meisten Tötungen geschehen, wenn mehrere Gruppen sich aus jahreszeitlichen Gründen an einem Ort versammeln müssen. Bei den Inuit in der Arktis ist es die Winterrobbenjagd, bei den !KungSan und den australischen Aborigines der Rückzug an permanente Wasserstellen während der Trockenzeit. Hier kann kaum einer einem eskalierenden Konflikt ausweichen, einen mit Macht ausgestatteten Konflikt-Moderator gibt es nicht – und so kommt es zum bitteren Ende.
In langen Zeiträumen führt eine Geburtenrate (inkl. Erreichen der Geschlechtsreife) von leicht unter 1,00 Töchtern pro Frau zum Verschwinden der Population, bei leicht über 1,00 zu unbegrenztem Wachstum - schon ein Überschuss von 5 % führt nach 100 Generationen die 130-fache Bevölkerungszahl. Es ist nicht einzusehen, dass eine Gruppe Menschen rein zufällig genau die 1,00000 treffen würde, die zu einer konstanten Bevölkerungszahl führt. Es muss einfach Rückkopplungsmechanismen geben, die proportional zur Bevölkerungszahl zu einer Verringerung derselben führen. Da ist doch die Nahrungsmittelbasis eine naheliegende Möglichkeit.

Damit wären wir wieder beim Thema des Threads : Durch die neolithische Revolution wurde die Nahrungsmittwelbasis vergrößert, und tatsächlich führte sie zu einer dramatischen Erhöhung der Bevölkerungszahlen. Vermutlich hätte diese schon vorher stattgefunden, wenn es mehr Nahrung gegeben hätte.

Natürlich hat der neue (Nahrungs-)Reichtum zu neuen Konflikten, auch wegen der Nahrung, geführt. Einer davon war der zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehhaltern. Den haben, wie es in der Geschichte von Kain und Abel überliefert ist, erstere (Kain) mit brachialen Mitteln für sich entschieden (wg. der höheren Bevölkerungsdichte, die sich mit Ackerbau ernähren lässt), obwohl die Sympathien offenbar auf der Gegenseite lagen.

Diese Ausbreitung mit Hilfe einer landwirtschaftlichen Ernährung findet sich später übrigens bei den Bantu in Afrika wieder, die sich von der Hochebene von Nigeria/Kamerun ausgehend in das östliche und südliche Afrika ausgebreitet und dort die Vorbevölkerungen von Jägern und Sammlern verdrängt haben.
 
Oft ging es aber offensichtlich um Nahrungsressourcen

Richtig, und oft ging es offensichtlich nicht um Nahrungsressourcen:

Funken stieben vom Lagerfeuer um das Paar, das nebeneinander kauert. Auf der anderen Seite des Feuers schlafen zwei halbwüchsige Kinder. Die Eltern haben auch diesen Abend Streit. Irgendwann dreht der Mann ihr den Rücken zu und legt sich schlafen. Sie bleibt sitzen und starrt ins Feuer. Irgendwann holt sie den drei Kilogramm schweren Reibstein, für das Mahlen von Pflanzensamen. Sie kniet neben dem Mann nieder und schmettert den Stein auf den Schädel des Schlafenden. Benommen hockt sie noch eine Weile neben dem Toten. Dann beginnt sie das Lager abzubrechen.
Und nun raten Sie: Wo sind derartige Totschlagsdelikte häufiger – bei archaischen Jäger-Sammler-Gesellschaften oder in amerikanischen Großstädten wie New York, Chicago oder Miami?


...


„Gewalt" ist ein Verhalten zwischen Individuen und allenfalls Familien, das darauf zielt, einen bestimmten Menschen körperlich zu schädigen – im Extremfall bis zu dessen Tötung. Das Spektrum reicht von spontanen Gewaltausbrüchen zwischen zwei Menschen bis zu Rachetötungen und Fehden zwischen zwei Familien. Diese Kategorie von Gewalt ist in Jäger-Sammler-Kulturen häufig zu beobachten.
 
a) Wir wissen so gut wie nichts über die Umstände warum diese Menschen zu Tode gekommen sind. Was wenn sich die "Massakrierten" zuvor in ähnlich brutaler Weise gebärdet haben, der auf uns gekommene Fund in einen Rache-Kontext einzuordnen wäre - nur eine denkbare Option.
b) wie sie zu Tode gekommen sind bleibt ebenso spekulativ.
c) ob da zudem eine "neue Qualität" von Brutalität vorliegt ist meines Erachtens schwer zu sagen. Einem solchen Ereignis kann ein einmaliger, völlig ausufernder Exzess zu Grunde liegen, der in keiner Weise repräsentativ sein muss.

Sorry wenn ich gerade korinthenkackerisch mit deinem Post umgehe, doch bei über die vorliegende Tatsache, dass da Menschen zu Tode gekommen sind, hinausgehenden Interpretationen des Funds öffnet sich ein weites Feld der Möglichkeiten...
Manchmal hilft ein Blick in die Quelle. Zum Beispiel zur Feststellung, daß ich hier nicht spekulierte, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse paraphrasierte. Aus dem von Ravenik verlinkten Artikel (meine Hervorhebung):
Mindestens 26 Menschen wurden wahrscheinlich gefoltert, erschlagen und dann in eine Grube geworfen", sagt Christian Meyer, Erstautor der im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie. Auffallend sei, dass vor allem Männer sowie vermutlich zwölf Kinder begraben waren, so Meyer. Die einzigen zwei Frauen seien zum Zeitpunkt ihres Todes wohl über 40 Jahre alt gewesen, vermuten die Forscher. "Das kann bedeuten, dass die jungen Frauen von den Angreifern entführt wurden", sagt Meyer. (..) "An vielen Schädeln und vor allem an den Waden- und Schienbeinen haben wir Frakturen gefunden", erklärt Meyer, der sich auf die Analyse alter Knochen spezialisiert hat. "Diese Knochenbrüche müssen mit einer enormen Wucht entstanden sein." (..) . "Wir wissen, dass viele der Menschen mit Steingeräten erschlagen wurden und wahrscheinlich an den Schädelverletzungen gestorben sind." Außerdem seien die Beinknochen fast systematisch zertrümmert worden.
Über die Motive der Angreifer können Meyer und seine Kollegen aber nur mutmaßen. Sie gehen davon aus, dass bei dem Massaker eine gesamte Siedlung ausgelöscht wurde. Das sei kein einzigartiger Vorfall für die Jungsteinzeit. Neu sei hingegen die Brutalität der Angreifer.
Die im SZ-Artikel verlinkte Ur-Publikation abstrahiert (meine Hervorhebung):
The massacre sites of Talheim, Germany, and Asparn/Schletz, Austria, have long been the focal points around which hypotheses concerning a final lethal crisis of the first Central European farmers of the Early Neolithic Linearbandkeramik Culture (LBK) have concentrated. With the recently examined LBK mass grave site of Schöneck-Kilianstädten, Germany, we present new conclusive and indisputable evidence for another massacre, adding new data to the discussion of LBK violence patterns. At least 26 individuals were violently killed by blunt force and arrow injuries before being deposited in a commingled mass grave. Although the absence and possible abduction of younger females has been suggested for other sites previously, a new violence-related pattern was identified here: the intentional and systematic breaking of lower limbs. The abundance of the identified perimortem fractures clearly indicates torture and/or mutilation of the victims. The new evidence presented here for unequivocal lethal violence on a large scale is put into perspective for the Early Neolithic of Central Europe and, in conjunction with previous results, indicates that massacres of entire communities were not isolated occurrences but rather were frequent features of the last phases of the LBK.
Das ist übrigens auch deutlich eine andere Qualität als Gattenmord am Lagerfeuer, oder zwei aneinander geratene Alfa-Männchen während der alljährlichen Brautschau beim gemeinsamen Treff zur Winterrobbenjagd, an Wasserstellen oder im Flint-/ Obsidiansteinbruch.
Ich bin mit Dir einig, sepiola, daß die Steinzeit alles andere als "Friede, Freude, Eierkuchen" war. Gewalt lediglich auf fehlende Hierarchien zurückzuführen, greift meiner Ansicht nach aber zu kurz. Es gab die demographische Notwendigkeit, sich mit anderen Gruppen zu verständigen, um die statistisch unvermeidlichen zeitweiligen Frauen- oder Männerüberschüsse in den einzelnen Kleingruppen auszugleichen, und (extremen) Inzest zu vermeiden. Wem solche Verständigung nicht gelang, konnte sich kurzfristig mit Frauenraub behelfen; langfristig war die Gruppe aber zum Aussterben verdammt. Dieser extrem wirksame kulturelle Selektionsmechanismus hat schon früh soziale Normen hervorgebracht - Geschenke, als Urform des Handels, das Prinzip der Gastfreundschaft, und vermutlich auch eine Art Thing- oder Weihnachtsfrieden während der alljährlichen Zusammenkünfte.
Die spannende Frage ist, warum solche sozialen Normen zeitweilig versagten, oder - neutraler formuliert - wann und unter welchen Bedingungen sie effektiver, wann weniger effektiv waren. Da lohnt ein genauer Blick auf einzelne Zeitstellungen. Die LBK war lange Zeit relativ gewaltfrei, dann eskalierte die Gewalt offenbar, und zwar während bzw. am Ende einer "kleinen Eiszeit" (das Phänomen ist ja auch für Völerwanderungszeit, und Spätmittelalter/ früher Neuzeit bekannt). Ich bin jetzt in die Zeitstellung für Große Ofnet-Höhle nicht tiefer eingestiegen, aber gab es da vielleicht auch eine Klimaverschlechterung?
 
Zuletzt bearbeitet:
@Augusto
Ich wollte dir kein Spekulieren unterstellen, da habe ich unsauber formuliert - sorry!
Womit ich Schwierigkeiten habe, ist die Übernahme wissenschaftlicher Interpretationen ohne wie ich finde solch entscheidende Worte wie "wahrscheinlich", "vermutlich" oder "sie gehen davon aus"...
Anbei, ich hatte die Quelle gelesen, bevor ich schrieb. ;)

Die seitens der Forscher für das Massengrab von Schöneck-Kilianstädten angedachte Interpretation für ein mit Sicherheit äußerst brutales Ereignis mit dem Ziel des Frauenraubs ist meines Erachtens eine Wahrscheinliche, aber für mich nur eine von möglichen Optionen.
Dass ein zum Tod durch Erschlagen zeitnahes systematisches Zerbrechen der Beinknochen vorliegt scheint wohl gesichert, ob das Folterung gewesen sein muss, stelle ich in Zweifel. Ein nach der Tötung erfolgtes rituelles Zerbrechen der Beinknochen um ein Wandern rachedurstiger Geister zu verhindern wäre für mich eine ebenso denkbare Option, von sicher noch weiteren denkbaren Möglichkeiten.
Aus dem was ich bislang über den Fund gelesen habe, geht für mich gleichfalls nicht zwingend hervor, dass ein gesamtes Dorf ausgelöscht worden sein muss, die Getöteten könnten ebensogut von Angreifern wie überlebenden Angehörigen beerdigt (verscharrt) worden sein.

Mich irritiert bei der Interpretation von vorgeschichtlichen Funden, trotz verwendeten Konjuntivs, mitunter die "Geradlinigkeit" mancher Interpretationen. Wir wissen doch oftmals viel zu wenig, nicht nur hinsichtlich der archäologischen Funde selbst, sondern vor allem von der geistigen Lebenswelt der damaligen Menschen, auch wie räumlich differenziert Verhaltensweisen von Einzelnen, Dorfgemeinschaften und Stämmen gewesen sein könnten.
Eine Auffächerung der Gedankenpfade würde ich meist viel lieber lesen - auch auf die "Gefahr" hin, dass die Publikationen dann halt viel länger werden.

Den Ansatz von die Lebenswelt verändernden (verschlechternden) klimatischen Faktoren als Mit- oder gar Erst-Auslöser für sich veränderndes Interagieren und möglichen Normenzerfall von Gruppen wie Individuen in Betracht zu ziehen halte ich übrigens für ziemlich plausibel.
 
Den Ansatz von die Lebenswelt verändernden (verschlechternden) klimatischen Faktoren als Mit- oder gar Erst-Auslöser für sich veränderndes Interagieren und möglichen Normenzerfall von Gruppen wie Individuen in Betracht zu ziehen halte ich übrigens für ziemlich plausibel.
Interessant, dass der Eine bei "Klimaverschlechterung" an Nahrungsmangel, der Andere an Normenzerfall denkt.
Vielleicht stimmt ja beides ?
 
Dass ein zum Tod durch Erschlagen zeitnahes systematisches Zerbrechen der Beinknochen vorliegt scheint wohl gesichert, ob das Folterung gewesen sein muss, stelle ich in Zweifel.
Diese Zweifel lassen sich noch vermehren: es dürfte unmöglich sein, festzustellen ob die Beinbrüche vor, während oder nach dem finalen Keulenschlag auf den Kopf zugefügt worden sind.

Wirklich sicher scheint nur eines zu sein: dass man mehrere Funde gemacht hat, die eindeutig massive Gewalt nachweisen (das ist ja nicht der einzige "Massakerfund") - die Spekulation beginnt schon, wenn man überlegt, ob es sich um Ausnahmefälle handelt oder ob dergleichen quasi zur Tagesordnung gezählt hatte (man aber erst nur wenige Funde gemacht hat, es aber viel mehr davon geben könne (abgesehen davon, dass man sehr viel nicht finden kann, weil die natürlichen Konservierungsbedingungen vielerorts ungünstig sind))
 
Abgesehen von dem einen, beinahe beiläufigen Satz zu einer anhand der Gräberfelder als militarisiert einzustufender kulturellen Grenze, kann ich eigentlich in den hier veröffentlichten Auszügen zur Michelsberger Kultur keine Hinweise auf eine politisch-territoriale Einheit erkennen.
Der "beiläufige" Satz (eigentlich ein ganzer Absatz in einem fünf Absätze zählenden Abriß eines Jahrtausends) bezog sich nicht mehr auf die Michelsberger Kultur, sondern..
Fast forward, aber immer noch neolithisch, bestenfalls chalkolithisch
... auf deren Nach-Nachfolgekultur, die Bernburger Kultur, eine Spätform der unter Einfluß der Michelsberger Kultur entstandenen Trichterbecherkultur. Zu der militarisierten Grenze ist erwähnenswert, daß beide "Kontrahenten" ein sehr unterschiedliches genetisches Profil zeigen: Bei den Bernburgern dominiert mit fast 40% die mesolithische mtDNA U5 (70% Anteil bei nordischen Jägern und Sammlern). Die typisch danubisch-frühneolithischen Haplogruppen HV, J und N1 fehlen dagegen ganz. Bei der Salzmünder Gruppe findet sich dagegen 20% J , 10% N1a und 5% HV, aber nur 5% U5*.
Spulen wir etwas zurück: Die Trichterbecherkultur hatte zwei prägende Elemente. Das namensgebende knüpft an die keramische Kultur des Elbe-Saale Raums an. Das augenfälligere, megalithische Element ("Hünengräber") hat ungeklärte Wurzeln, zeigt frühen geographischen Schwerpunkt auf den dänischen Inseln und in Ostholstein, und expandierte ab Mitte des 4. Jahrtausends ca. 100 km/ Jhd. nach Süden. Zunächst noch durch die siedlungsarme norddeutsche Tiefebene, aber um den Harz herum wurde es dann, im alten neolithischen Siedlungsraum, deutlich voller.
Voller unter anderem auch deswegen, weil in Salzmünde ein frischer Schub mtDNA J, und, v.a. die sowohl damals als auch heute in Europa extrem rare mtDNA U3 angekommen war. Heute hat U3 die höchsten Konzentrationen in Jordanien, gefolgt von Armenien, Libanon, Irak und Georgien. Bei mtDNA J reden wir heute von Saudi-Arabien, Yemen, Ossetien, Kuwait und Iran, die Haplogruppe war aber auch schon in der Starčevo-Kultur auf dem Balkan gut vertreten*. mtDNA J hielt sich recht gut in Mitteleuropa (heute 9% in D, U3 wurde nach dem Ende von Salzmünde so gut wie nicht mehr gesehen. [Die Sachen mit den Salzmünder Pferdegräbern, und der zu dieser Zeit beginnenden Kupferverarbeitung im Elbe-Saale-Raum vertiefen wir wohl besser im Indogermanen-Thread].

Auch vorher war es im Elbe-Saale-Raum (und wohl nicht nur dort) genetisch fleißig hin und her gegangen. Die auf LBK folgende Rössener Kultur war stärker südwesteuropäisch geprägt (deutliche Zunahme von mtDNA H, dominierend bei südwesteuropäischen Jägern/Sammlern sowie im baskischen u. portugiesischen Neolithikum, dazu HV0/V, heute stärkste Konzentration ini Spanien und im Maghreb, insbes. Berber, auch im portugies. Neolithikum repräsentiert). Mit der nachfolgenden Schöninger Gruppe wurde es wieder westkarpatisch-danubisch (Hg J/K - dazu erstes "Einsickern" nordeuropäischer Jäger/Sammler), die Baalberger Kultur (originäre Elbe-Saale Trichterbecherkultur) tendierte dann genetisch wieder "westlich" (H), diesmal jedoch ohne südiberisch-maghrebinischen Einschlag (HV0/V)*.
Nach dem Siedlungsbefund verliefen diese Wechsel im Elbe-Saale-Raum weitgehend friedlich - die Vorbevölkerung starb teilweise aus (Krankheiten?), und gab landwirtschaftlich schlechtere Lagen auf, die dann die Zuwanderer neu besiedelten. Am Rhein ging es aber offenbar zeitweise heftig zur Sache. Schön wärs, wenn wir vom Rhein und aus Belgien/ Nordfrankreich auch mal ein bißchen neolithische aDNA bekämen, dann könnte man besser erkennen, wie einschneidend die Bevölkerungsverschiebungen dort waren. Für die norddeutsche Tiefebene und Dänemark gilt ähnliches - trotz jahrhundertelanger Plünderung von Hünengräbern müßte sich ja hier und da noch ein auswertbares Stück Knochen finden lassen.
Langer Rede, kurzer Sinn - Expansionen aus (Süd-)West- nach Mitteleuropa sind archäologisch und genetisch faßbar, aber ihre Intensität ist bislang noch weitgehend unbekannt. Dies betrifft, neben Rössen, vor allem die Michelsberger Kultur. Wir wissen von befestigten Höhensiedlungen an Rohstoffzentren (Salz, hochwertiger Werkzeugstein), einem weitreichenden Austauschsystem (Piemonteser Jadeit verbreitet über ganz Westeuropa, mit sekundärem Veredelungszentrum in Carnac), technischen Innovationen (hitzebeständige Keramikplatten zum Brotbacken, verbreitet auch in die frühe Trichterbecherkultur) und neuen, sich schnell ausbreitenden, "megalithischen" Grabformen (Galeriegräber) in technisch anspruchsvoller Ausführung. Für mich hat das Ensemble ein bißchen was von "La Tene light".
Weiterhin wissen wir von einer aktiven Rolle der Michelsberger Kultur bei der wirtschaftlichen Integration und letztlich auch Neolithisierung der "Peripherie" - nicht nur im westbaltischen Raum (Ertebölle->Trichterbecher), sondern auch in den Niederlanden (Swifterband) und auf den britischen Inseln. Skandinavische frühe Neolithiker zeigen die engste genetische Ähnlichkeit zu heutigen Basken. Allerdings zeigen auch die genetischen Spuren der Saami nach Iberien. Der Genfluß mag also schon auf die meerseitige mesolithische Re-Kolonialisierung Norwegens am Ende der Eiszeit zurückgehen, und muß nicht aktive Aufsiedlung Skandinaviens bedeuten.
Also: Territorial - sicherlich, im Sinne von miteinander vernetzten Handelszentren. Geeint - durch weiträumigen Austausch von (Prestige-)gütern, Technologie, Baustilen und Begräbnissitten. Sprachlich - steht zu vermuten, ohne lingua franca funktioniert solch Netzwerk nicht. Politisch - Prestigegüter wie Jadeitäxte deuten auf soziale Differenzierung, die Höhenfestungen auf systematische Ausbeutung und Monopolisierung von Ressourcen.
Die Monopolisierung wird nicht alle glücklich gemacht haben. Ein paar Indizien für krisenhafte Entwicklung, z.B. die vorerwähnten Brandspuren am holzverkleideten Steinwall von Michaelsberg/Bruchsal gibt es, aber die Gründe für den Zerfall sind noch weitgehend unbekannt. Um 3.500v. Chr. brach, wohl infolge Klimaabkühlung und Vergletscherung der hochliegenden Fundstelle, die Jadeitzufuhr aus dem Piemont ab. Gleichzeitig begann das Kupfer von der unteren Donau aus seinen Siegeszug durch Europa, verbunden mit dem Vorrücken der Badener Kultur. Diese brachte, wie ihr Ausläufer Salzmünder Gruppe zeigt, nicht nur neue Technologie, sondern auch neue Siedler nach Mitteleuropa.


* Vgl. die vor kurzem im "anderen" Neolithik-Faden von silesia verlinkte Studie, insbes. Datasets S8 ("ancient DNA") und S14 (aktuelle mtDNA) aus dem Data Supplement
Tracing the genetic origin of Europe's first farmers reveals insights into their social organization | Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences
 
die Bernburger Kultur, eine Spätform der unter Einfluß der Michelsberger Kultur entstandenen Trichterbecherkultur. (...) Bei den Bernburgern dominiert mit fast 40% die mesolithische mtDNA U5 (70% Anteil bei nordischen Jägern und Sammlern). (...) Salzmünder Gruppe (...)Die Trichterbecherkultur (...)Das augenfälligere, megalithische Element ("Hünengräber") (...) Starčevo-Kultur (...) Rössener Kultur (...) Schöninger Gruppe nordeuropäischer Jäger/Sammler), die Baalberger Kultur (...) die Vorbevölkerung starb teilweise aus (Krankheiten?) (...) die Zuwanderer (...)
Langer Rede, kurzer Sinn - Expansionen aus (Süd-)West- nach Mitteleuropa sind archäologisch und genetisch faßbar, aber ihre Intensität ist bislang noch weitgehend unbekannt. Dies betrifft, neben Rössen, vor allem die Michelsberger Kultur.
@Augusto das ist eine beeindruckende Liste - lässt sich denn irgend eines der ergrabenen Massaker eindeutig einer dieser Kulturen zuordnen?
 
@Augusto
Ich wollte dir kein Spekulieren unterstellen, da habe ich unsauber formuliert - sorry!
Schon o.k. Und sorry meinerseits, daß ich Dir implizit Lesefaulheit unterstellte -jetzt weiß ich, welche Gedanken Dich eigentlich umtrieben.
Ich verfolge Gronenborns Forschung schon länger - er und sein Team machen aus meiner Sicht eine Super-Arbeit. Von daher war mir präsent, in welchen Analysekontext er die neuen Befunde einordnet. Hier ist eine Kurzpräsentation vom Archäologentag 2011, die etwas mehr Hintergrund bietet, als im SZ-Artikel zu finden ist:
http://www.dirk-schimmelpfennig.de/ag_neo/pdf/AG-Neo_2011_Programm_Bremen.pdf

Detlef Gronenborn, Hans-Christoph Strien (Mainz, Grafschaft): Aufbruch, Umbruch, Zusammenbruch –
das Ende der Bandkeramik im 52./51. Jh. v. Chr.

Das Verbreitungsgebiet der Bandkeramik verandert sich mit dem Ubergang vom 52. zum 51. Jh. v. Chr. sehr rasch: grossräumige Aufsiedlung der belgischen Lössfächen, im Elsass die Verlagerung in niederschlagsreichere Gebiete, nicht so gut datierbar, aber wahrscheinlich ähnlich spät einzelne Siedlungsversuche im Voralpenland. Etwa gleichzeitig beginnt die schrittweise Ablosung der LBK in Südwestdeutschland durch eine dichte Besiedlung der Hinkelstein-Gruppe (HST), bei sehr scharfem kulturellem Bruch.(..) Im Rheinland schließlich, wird zunachst ein Bevolkerungsmaximum erreicht, dann bricht die Besiedlung gegen 5000 v.Chr. rasch und vollstandig zusammen mit anschliesender Wiederbewaldung.​
Die Verschiebungen beginnen vor dem Bau des älteren Brunnens von Kuckhoven. Die Tatsache, dass der Brunnenkasten erhalten ist, deutet auf einen niedrigen Grundwasserstand hin. Verschiedene weitere Klimaproxydaten unterstutzen diese Hypothese, somit mögen trockenere Bedingungen die Ursache fur das Aufsuchen höherer und damit niederschlagsreicherer Lagen gewesen sein. Bemerkenswert ist, dass in Südwestdeutschland und dem Elsas HST offenbar diese feuchten Lagen meidet. Hierin könnte sich eine gegenüber der Bandkeramik verbesserte wirtschaftliche Anpassung an trockenere Bedingungen andeuten.​
Also zwei Faktoren - Trockenheit, die das Kulturmodell (wohl Ackerbau plus Rinderhaltung) in Frage stellt, und externer Druck durch (neu einsiedelnde?), besser an Trockenheit angepasste Gruppen (Schafe & Ziegen, mediterrane Kulturpflanzen?).​
Zur "geistigen Lebenswelt" Auszüge aus zwei weiteren Präsentationen der selben Tagung:​

Erich Claßen (München): Das Ende der bandkeramischen Besiedlung im Rheinland
Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen bandkeramischen Siedlungen des Rheinlandes auf Grundlage bestimmter Gefasverzierungen zeigen fur die altere und mittlere Bandkeramik konstante Beziehungsmuster.Diese lassen sich, unter Bezugnahme auf die bandkeramische Besiedlungsgeschichte, durch verwandtschaftliche Traditionen erklaren. Mit der jungeren Bandkeramik setzte jedoch ein Wandel ein, der auf einen Bruch mit diesen Traditionen hindeutet. Die etablierten Beziehungsnetzwerke lösten sich auf, Siedlungen in benachbarten Regionen grenzten sich gegeneinander ab oder fuhrten

zuvor gepflegte Beziehungen nicht mehr weiter. Dem Besiedlungsabbruch in der Bandkeramik des Rheinlandes geht also ein Bruch mit den althergebrachten gesellschaftlichen Regeln voraus, die zuvor sowohl fur die ‘erfolgreiche’ Expansion als auch fur eine uber mehrere Jahrhunderte stabile Struktur des bandkeramischen Sozialsystems verantwortlich gewesen waren.​
Hans-Christoph Strien (Grafschaft): Friedhöfe und Rechtsgeschichte: Warum wurden bandkeramische Gräberfelder angelegt?​
Zwar ist schon lange klar, dass im Verhaltnis zur Zahl der Hauser viel zu wenige bandkeramische Graber gefunden wurden. So wurden etwa in der Siedlung von Vaihingen a.d.Enz nur 138 Skelette gefunden, die zu etwa 400-500 Hausern gehorten. (..) Jedoch fehlt bisher eine Erklarung, weshalb z.B. bei schon länger bestehenden Siedlungen plötzlich ein Graberfeld gegründet und u.U. nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wird, oder weshalb Gräberfelder teils unmittelbar neben der Siedlung, teils ohne erkennbaren räumlichen Zusammenhang angelegt wurden.​
Anhand einer Reihe von Beispielen wird eine rechtshistorische Deutung vorgeschlagen: Gräberfelder wurden angelegt, wenn Ansprüche auf Land umstritten waren. Mal galt es, nach der Verlegung der Siedlung den fortbestehenden Anspruch auf das Gelände, mal bei Neugründung der Siedlung in einer bisherigen Siedlungslücke den Neuerwerb nachzuweisen, mal wurden Erbstreitigkeiten um einen einzelnen Hof ausgetragen.​
In Stuttgart-Muhlhausen und Vaihingen a.d.Enz stehen die Gräberfelder – und damit die Rechtsstreitigkeiten um Land – in Zusammenhang mit den Umbrüchen am Ende der ALBK bzw. von Flomborn, als jeweils die gesamte Siedlungsstruktur verandert wurde. Die nahezu zeitgleiche Gründung der bisher datierten Graberfelder im Rhein-Maas-Gebiet – hier sogar zusammen mit den frühesten Erdwerken – könnte eine Phase sozialer Spannungen wahrend der jüngeren LBK anzeigen, die sich auch in einer Auswanderungswelle nach Westen aussern (Beginn der Besiedlung an Mosel und Marne sowie in Teilen Belgiens).​
Ressourcen / Land wurde knapp, man stritt sich ums Erbe, tauschte keine Keramik mehr mit dem Nachbardorf - auch in der frühen Jungsteinzeit "menschelte" es offenbar schon ordentlich.​
Die Krise ist auf allen Ebenen greifbar. Warum sich das Rheinland dann letztendlich vor 5.000 Jahren komplett entvölkerte, wo doch vorher mit allen Tricks um den Erbhof gekämpft wurde, bleibt aber nach wie vor rätselhaft. (Bürger-)Krieg (man sollte auch nicht vergessen, daß um diese Zeit Doggerland versank und die Nordsee massiv vorrückte)? Klimatisch-ökologische Krise? Epidemien bei Mensch und/oder Tier? Fest steht, daß so gut wie keine frühneolithische mtDNA in der heutigen mitteleuropäischen Bevölkerung vorkommt - die ersten Bäuerinnen starben aus, und zwar spätestens um 4.000 v. Chr.
 
Gewalt lediglich auf fehlende Hierarchien zurückzuführen, greift meiner Ansicht nach aber zu kurz.
Richtig, nur hat das so niemand behauptet.

Die eine einfache Erkärung für Mord und Totschlag gibt es nun mal nicht.

Oder?

Emilia: O my good lord, yonder’s foul murders done!
Othello: What, now?
Emilia: But now, my lord.
Othello: It is the very error of the moon,
She comes more nearer earth than she was wont
And makes men mad.
 
Gewalt lediglich auf fehlende Hierarchien zurückzuführen, greift meiner Ansicht nach aber zu kurz.
Richtig, nur hat das so niemand behauptet.
Stand so in einem Deiner Zitate weiter oben. Aber wir haben hier ja keinen Dissens.
Die eine einfache Erkärung für Mord und Totschlag gibt es nun mal nicht.
Neben dem Einfluß des Mondes auf den Hormomhaushalt verdient unter den sonstigen, nicht zeitspezifischen Aspekten auch der im Rheinland für die LBK belegte Mohnanbau Erwähnung. Mohnkuchen buken die, mangels "Backblechen" (erst für TRB/ Michelsberger Kultur belegt) daraus wohl nicht. Für die mesolithischen Ertebölle (Holstein/ Dänemark/Schonen) und Swifterband (Niederlande/Ostfriesland) -Kulturen gibt es Anzeichen für Bierbrauen aus Haselnüssen. Obstweine (Wildäpfel, Brombeeren etc.) waren wohl auch nicht unbekannt. Die spezifische Form der Trichterbecher wird teilweise damit erklärt, daß die Auswölbung im unteren Teil des "Trichters" Braurückstände (abgestorbene Hefe etc.) effektiv zurückhielte.
In Sibirien ist Gebrauch von Fliegenpilzen als Rauschmittel ethnologisch gut belegt. Wie lang die Tradition zurückreicht, ist allerdings unklar.
 

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