Die Mühen der drei Ebenen (Teil 2)
Kleiner Nachtrag zur Sprachentwicklung: was schon im Laufe der Diskussion gesagt wurde, z.B. dass das Urkeltisch eine aus Funden, sprachwissenschaftlichen Vergleichen mit den lebenden inselkeltischen Sprachen (inklusive bretonisch) rekonstruierte Sprache, setze ich als bekannt voraus.
Birkhan weißt nachdrücklich auf die Zufälligkeit unseres Wissens hin, Inschriften wie keltiberische und die lepontischen Funde könnten jederzeit durch Neufunde ergänzt werden, er nimmt eine Vielfalt von Dialekten auch für den gallischen Sprachraum an.
Da es mir enger um eine Kritik am traditionellen Modell (Kelten = Keltisch Sprechende = Latenekultur -> Ausbreitung durch Expansion und Wanderung), die den Kernraum der Ethnogenese in Ostfrankreich, Schweiz und Süddeutschland und Österreich im Gebiet des Westhallstattkreises sieht,möchte ich dazu noch einige Bemerkungen machen. Wir haben im gesamten Westhallstattraum nur wenige schriftliche Fundstücke (zwei Scherben aus Manching, eine Namenschlagmarke auf einem Schwert aus der Schweiz), aus Noreia meines Wissens nur zwei Inschriften - jedoch keine längeren Texte. dazu kommen numismatische Münzfunde, die jedoch höchstens eine Fürstennamen liefern.
Bleibt die Namenskunde, Personen - Fluss - und Ortsnamen, die aus antiken Quellen (Itinari usw.) und heutigen Namen rekonstruiert werden.
In den letzten Jahren wurden in einem internationalen Projekt unter der Leitung von Patrick Sims-Williams sämtliche antik belegten keltischen Ortsnamen Europas gesichtet und bewertet, darunter auch die in Österreich (Eine Karte hatte ich am 12.10.15 eingestellt). Von den 87 im Barrington Atlas of the Greek and Roman World für Österreich verzeichneten antiken Ortsnamen gesteht Sims-Williams nur 38 eine Herkunft aus dem keltischen zu. Das ist niedrig, verglichen mit Werten über 50 Prozent in zentralen keltischen Siedlungsgebieten wie Gallien oder Britannien. Diese Bewertungen sind im Einzelfall umstritten, es lässt sich aber festhalten, dass es in den letzten zehn Jahren offensichtlich bedeutende Fortschritte in den linguistischen Erkenntnissen gegeben hat. Für Bayern oder die Schweiz, ebenfalls Gebiete des Westhallstattkreises habe ich keine Vergleichszahlen gefunden.
Patrick Sims-Williams. Ancient Celtic Place-Names in Europe and Asia Minor (Publications of the Philological Society 39). xiv+406 pages, 69 maps, numerous tables. 2006. Oxford & Malden (MA): Blackwell; 1-4051-4570-6 paperback £22.99 & $39.95.
Sicher ist, dass der Westhallstattkreis zum Bereich der keltisch sprechenden Sprachfamilie gehört hat, so wenig direkte schriftliche Zeugnisse die verschiedenen Hallstatt / und latenezeitlichen Kulturen auch dort hinterlassen haben. Das dicht besiedelte Gebiet im Westhallstattkreis zeigt meiner Ansicht nach eine reiche regionale Binnendifferenzierung, ökonomische Schwerpunkte, jedoch keine zentrale Machtentfaltung, die das gesamte Gebiet strukturiert, gerade das bergwerkliche Zentrum Hallstatt/Dürrnberg und das Gebiet der Fürstensitze im Südwesten (Heuneburg, Hochdorf) stehen auch in einem sozialen Gegensatz zueinander (Elitesitz gegenüber einer "Produktionsgensossenschaft").
Ob von einem regional gegliederten Raum kleiner Gentes eine große Expansion ausgegangen sein soll, die die keltische Sprache im Gepäck hatte? Sicher ist, dass es im Frühlatene (400BC) eine Zäsur gibt, die mit den keltischen Süd- und Ostwanderungen in Verbindung gebracht wird.
Wie im letzten Post jedoch deutlich hervorgehoben, muss eine Ausbreitung der keltischen Sprachen oder ethnisch unbehafteter der westlichsten indoeuropäischen Sprachfamilie wesentlich früher stattgefunden haben, wahrscheinlich spätestens zur Zeit der Urnenfelder Kultur (späten Bronzezeit BzD, Hallstatt A und B). Damit komme ich dann auch zur 2.Ebene, der materiellen Sachkultur.
2.Ebene: materielle Kultur - archäologische Defintion
Im traditionellen Modell, dass auch populärwissenschaftlich in Atlanten und Lexika Bestand hat, wird insbesondere der Westhallstattkreis als Ursprungsraum angesehen, aus dem später die Latenekultur expandiert ist.
Die Latenekultur erfasst nur einen Teil des Raums, in dem keltische Sprachen gesprochen wurden. Wie wiedersprüchlich die Definition des Keltischen / der Keltizität ist, macht Birkhan hervorragend an einem wunderbaren Beispiel deutlich:
"das klassische Keltengebiet des Arvernerlandes, der Boden antirömischen Heroentums, wo die Fürstennamen zur Zeit Cäsars von durchsichtigsten Gallisch sind und der des Celtillus (Vater des Vercingetorix) geradezu programmatisch den Keltennamen enthält, gerade dieser "keltischste" aller Landstriche weist faktisch keine Latenefunde auf, und auch Irland, wo klassische Hallstatt- und Latenefunde selten sind, mußte sich die Frage gefallen lassen, wie "keltisch eigentlich seine Kelten" gewesen sind. Geht man vonm historisch gesicherten Keltentum aus, dann scheint weder die Verbindung der Kelten mit der Latenekultur zwingend - von der Hallstattkultur ganz zu schweigen - noch auch die Annahme, daß der Westhallstattkreis entscheidend mit der Ethnogenese der Kelten zu tun habe."
Die Arverner sind nicht irgendeine kleine Stammesgemeinschaft in Gallien, sondern der führende Stamm bis zur Niederlage gegen römische Legionen 121 BC, verbunden mit zahlreichen Klientel - und Bündnispartnern wie den Sequanern, Allobrogern und Rutenern, politisch, ökonomisch und religiös in Gallien völlig integriert. Es ist auch keinesfalls so, dass innerhalb des arvernischen Gebietes keine besondere künstlerische Produktion bestand, hervorheben möchte ich die (jetzt subjektiv: wunderschöne) bemalte Kermik der Arverner. Im gesamten Raum der Oppidakultur des Spätlatene vom Atlantik bis Böhmen finden wir gemeinschaftliche Kulturobjekte, wie Teile der militärischen Ausrüstung wie Dolche, Bankettzubehör wie Feuerböcke, jedoch eine viel größere Vielfalt sehr eigenständiger und regional besonderer Ausdrucksformen.
Und auch innerhalb der Latenekulturellen Gruppen (Marne-Mosel-Gr., Lothringische Gr, Rhein-Donau-Gr., Böhmische Gr., Südpolnische, Transdanubische, Südpolnische, Theiß-Gruppe, karpatenländische Gruppe)
zeigen sich vielfältige Trennungen, Überschneidungen, Verbindungen und Eigenentwicklungen. Umgekehrt verwendeten Kulturen, in denen kein keltisch gesprochen wurde, gerne Lateneobjekte, dies trifft nach Norden bis in die norddeutsche Tiefebene oder Dänemark zu, die Niederlande und nach Osten mindestens bis zur Elbe. Bernahrd Maier:"
Stellt man sich im Hinblick auf diese drei unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffes "Kelten" abschließend die Frage, worin die Einheit des Gegenstandes der vorliegenden Darstellung denn nun eigentlich besteht, so muß man zunächst drei negative Feststellungen treffen: nach heutiger Kenntnis war diese Einheit weder anthropologisch noch kulturell noch im Bewußtsein der Kelten selbst begründet. Das Fehlen einer stichhaltigen anthropologischen Grundlage dokumetieren wohl am besten die Knochenfunde, da zum Beispiel hinsichtlich der Körpergröße oder der Variation des Schädels eine beträchtliche Variationsbreite aufweisen und für eine Unterscheidung zwischen den Kelten und benachbarten Völkern keine zureichende Handreichung bieten. Die Unzulänglichkeit einer Definition der Kelten anhand ihrer materiellen und geistigen Kultur ersieht man ohne weiteres daraus, daß die als typisch geltende Latenekunst etwa in Irland oder auf der Ibersichen Halbinsel kaum eine Rolle spielte, daß die frühkeltischen Handelspartner der Griechen zur Zeit Herodots ganz andere Siedlungs und Wirtschaftsformen besaßen als die keltischen Völker zur Zeit Cäsars und daß den weitaus meisten inschriftlich bezeugten keltischen Göttern nur lokale oder regionale Bedeutung zukam."
Zum Abschluss stelle ich drei Texte ein, der eine gibt einen guten Überblick der Entwicklun
g im Westhallstattraum,der zweite ist eine differenzierte Betrachtung zu den sog.Fürstensitzen bzw. der Zentralisierung und Macht im Wetshallstattraum, der letzte stellt am Beispiel des Wagenbaus (als Teil der materiellen Kultur) kulturelle /technologische Traditionen von der Bronzezeit in die Eisenzeit dar, woraus allerdings keine ethnogenetischen Rückschlüsse (aus einzelnen kulturellen Kontinuitäten und Traditionen) gezogen werden sollten.
C. Tappert, Siedlungsdynamik und Gesellschaft während der Latènezeit im bayerischen Donauraum, Österreich und der Tschechischen Republik ? Zusammenfassung der Ergebnisse | Claudia Tappert - Academia.edu
Axel G. Posluschny, ?Fürstensitze?, Zentralität und Hinterland ? Erste Aspekte einer Projektsynthese aus Sicht des Projektes ?Fürstensitze? & Umland | Axel G Posluschny - Academia.edu
Die Wagen der Bronzezeit in Mitteleuropa | Christopher Pare - Academia.edu
Zur Grundsätzlichen wissenschaftlichen Diskussion um Migration:
Archäologie und Migration. Vergleichende Studien zur archäologischen Nachweisbarkeit von Wanderungsbewegungen, Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 120, Bonn 2005. | Roland Prien - Academia.edu