Udolph hält eine keltische Etymologie für einen so bedeutenden Fluß für problematisch, wenn die Nebenflüsse vorkeltische Namen tragen ("car une étymologie celtique pour un fleuve de cette importance devient problématique quand ses affluents portent des noms préceltices") und weist auf eine Wurzel *redh-/*rodh- hin, die er für zahlreiche Gewässernamen von Südfrankreich bis Russland annimmt. (Beispiele für Flussnamen aus Polen: Reda, Radunia, Radomka, Radęca)
So sehr ich Udolph schätze und so wenig ich ihm das Wasser reichen kann, habe ich manchmal den Eindruck, dass seine slawistische Ausbildung auch ein bisschen (wirklich nur ein bisschen) für eine Art "Tunnelblick" sorgt.
Mein Tunnelblick ist ja eher die romanistische Ausbildung in Hinblick auf hispanoarabische Etymologien und da verweise ich auf die Flussnamen auf der iberischen Halbinsel. Je weiter nach Süden man kommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Flussnamen arabischen Ursprungs sind, desto weiter nach Norden, vorarabischen Ursprungs. Hin und wieder gibt es auch Hybridnamen, wie beim Guadiana (vorher
Anas Flumen), Guadalupe (arab.
wādī und roman.
lupus, 'Wolf') oder Guadix (vom lateinischen Stadtnamen
Acci mit vorangesetzten Wadi:
Wādī Aš). Im System des Guadalquivir (vorarabisch Baetis, arabisch
Wādī-
l-kabīr) sind fast alle Flussnamen arabischen Ursprungs. Aber es gibt auch solche, die für romanisch oder vorrömisch gehalten werden. Etwa der Darro, der in Granada in den Genil fließt, einem Zufluss des Guadalquivir.
Beim Darro ist die traditionelle Erklärung, dass der Name von der Goldhaltigkeit des Flusses käme:
Dat aurum. (Diese Erklärung ist allerdings schon 400 Jahre alt, wie valide sie ist, steht auf einem anderen Blatt, die Goldhaltigkeit des Darro gilt allerdings als sicher). Zum Genil gibt es mehrere Erklärungen: Die eine Erkläung führt den Namen auf Singilis zurück, das sei ein romanisierter turdetanisch-südiberischer Name, zu erkennen an dem -
ili-. Ich habe an letzterem eher Zweifel, weil das iberische
ili eigentlich eher als Vorsilbe auftaucht. Aber wenn Singilis irgendwo nachgewiesen ist (weiß ich grad nicht und habe ich auch nicht überprüft), dann ist die vorarabische Etymologie gesichert. Trotzdem will ich die arabistische Erklärung des Flussnamens - in arabischer Zeit schrieb man ihn
Nahr(
u)
Šanīl - nicht unterschlagen: 1000-Nil. Nun ist ein solcher Name - 1000-Nil - für ein Flüsschen, wie den Genil kaum geeignet (naja gut, die Verniedlichung
Flüsschen ist vielleicht, den Genil separiert betrachtet, unzulässig aber im Verleich mit dem echten Nil oder auch dem Guadalquivir gerechtfertigt).
Ähnliche Beispiele werden wir sicher in den Amerikas finden, wo wir zum Hudson oder East River oder zum Rio Grande etc. sicherlich Zuflüsse finden werden, deren Namen noch indianischen Ursprungs sind.
Udolph argumentiert im Grunde so:
Je wichtiger ein Fluss ist, desto bekannter/verbreiteter ist i.d.R. sein Name und desto konservativer verhält sich die Namensgebung.
Das ist im Grunde genommen die
opinio communis in der Hydronomie
. Aber es gibt eben auch die Gegenbeispiele wie Guadalquivir < Genil < Darro oder auch San Joaquín River < Tuolumne River, wo der Hauptfluss eben einen jüngeren Namen hat als die unbedeutenden oder zumindest weniger bedeutenden Nebenflüsse.
Damit kommen wir dann auch endlich zum Ende dieses Exkurses: Es gibt Beispiele dafür, dass ein Hauptfluss (wahrscheinlich) einen jüngeren Namen trägt als seine Zuflüsse. In Analogie zu keltischen und präkeltischen Flussnamen sollten wir daher nicht dogmatisch und kategorisch ausschließen, was wir mangels schriftlicher Überlieferung nicht ausschließen können, zumal wir entsprechende Analogbeispiele heranziehen können, welche die Regel außer Kraft setzen.