"Ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll" - ein ungewöhnliches Grab auf einer Gezeiteninsel

Konrad von Megenberg (1309-1374) war Weltgeistlicher und Autor von 22 lateinischen Schriften, die hagiographische, theologische, moralphilosophische und naturkundliche Themen behandeln.
In den Schriften um 1340 kann man etwa über das „Meerschwein“, eine alte Bezeichnung der Schweinswale lesen:
„Porcus marinus heißt ein Meerschwein und ist ein essbarer Fisch. Er hat fast ganz die Gestalt eines wirklichen Schweines. Seine Zunge ist, wie beim gewöhnlichen Schwein, lose, es fehlt ihm aber die Stimme, die das Schwein besitzt. Auf dem Rücken hat er Stacheln, in denen Gift ist. Die Galle der Fische ist aber ein Gegenmittel gegen das Gift. Die Meerschweine leiden viel Angst und Noth, wie Plinius berichtet, sie suchen ihre Nahrung am Grunde des Meeres und wühlen, wie die richtigen Schweine in der Erde. An der Kehle haben sie einen Rüssel.“
 
Da hat der liebe Konrad wohl etwas durcheinandergeworfen und den Schweinswal mit dem Stechrochen, den Plinius auch beschrieben hat vermischt.
 
THE FORME OF CURY, A ROLL OF ANCIENT ENGLISH COOKERY.
Compiled, about A.D. 1390, by the Master-Cooks of King RICHARD II,
Presented afterwards to Queen ELIZABETH, by EDWARD Lord STAFFORD,
And now in the Possession of GUSTAVUS BRANDER, Esq.

... fome of cury was compiled of the chef Maister Cokes of
kyng Richard the Secunde kyng of Englond aftir the Conquest.


www.gutenberg.org/cache/epub/8102/pg8102.txt

http://nonsuchhp.blogspot.de/2009/06/how-to-cook-porpoise.html

Ein Rezept für Schweinswal (Bedeutung von BRASEY habe ich nicht gefunden):

PYKES IN BRASEY [1]. C. VII.
Take Pykes and undo hem on þe wombes [2] and waisshe hem clene and
lay hem on a roost Irne [3] þenne take gode wyne and powdour gynger &
sugur good wone [4] & salt, and boile it in an erthen panne & messe
forth þe pyke & lay the sewe onoward.
[1] Brasey. Qu.
[2] Wombs. bellies.
[3] roost Irene. a roasting iron.
[4] good wone. a good deal. V. Gloss.
 
Schweinswale gehören zu den delfinartigen Walen ebenso wie ihre schlimmsten Feinde, die Schwertwale.
 
Schweinswale sind delfinartige Zahnwale, wenn auch besonders kleine Delfinartige. Jedenfalls sind Schweinswale und Delfine sehr nah verwandt.
Es ist auch nicht die alltägliche Arbeit eines Archäologen die Knochen juveniler Meeresäuger anhand ihrer Knochen zu unterscheiden.
Die Delfine, die im Ärmelkanal vorkommen sind ausgewachsen jedenfalls viel größer als Schweinswale. Infrage kommen mehrere Arten: Weißseitendelfin, Gemeiner Delfin, Großer Tümmler.

Die Bejagung von Delfinen hat auch in Europa eine lange Tradition.

Die ganzen Überlegungen zur Walsymbolik oder der Bedeutung von Walknochen als mittelalterlicher Wunderfetisch ergeben daher im Zusammenhang mit Schweinswalen oder Delfinen keinen Sinn, weil sie eben nicht riesig sind. Rippen oder Wirbel von Schweinswalen oder Delfinen sind einfach zu klein, um sie als Riesenknochen zu Schau zu stellen.

Delfine kommen zwar auch in der Bibel vor, haben aber meines Wissens keine besondere Bedeutung.


Auf den Fotos der Ausgrabungsstelle kann man große Steine erkennen. Das Ausheben der Grube muss sehr mühsam gewesen sein.
 
Die verlinkte Gegenüberstellung ist stark vereinfacht. Diese elegante Schnauze (bekannt aus Film, Fernsehen oder antiken Kunstwerken) hat unter anderem der Große Tümmler und der Gemeine Delfin. Sie fehlt jedoch bei zahlreichen Delfinarten, sogenannten Rundkopfdelfinen und Kurzschnauzendelfinen.

Der Weißseitendelfin und der Weißschnauzendelfin sind Kurzschnauzendelfine. Beide Arten werden auf Färöern noch immer bejagt und gegessen.

An der Schnauze kann man Schweinswal und Kurzschnauzendelfin nicht so leicht unterscheiden.
 
Der Schädel mit Knochen wird für die Unterscheidung ausgereicht haben (oder doch die DNA?).

Dafür haben die den link auf LiveScience bestimmt nicht benötigt. Der reicht für's interessierte Publikum.
 
"Du Kurzschnauzdelfin" funktioniert auch prima als Schimpfwort im haddockschen Stil.

Delfine kommen zwar auch in der Bibel vor, haben aber meines Wissens keine besondere Bedeutung.

Wie ist das eigentlich...Sind Delfine kosher? darf man sie als Jude essen? Behemoth und Leviathan sollten ja am Ende der Zeit den Gerechten als Festmal dienen, dann dürften Delfine ja wohl auch essbar sein.
 
Wie ist das eigentlich...Sind Delfine kosher? darf man sie als Jude essen?
Das hat zwar eigentlich mit der Praxis auf einer Kanalinsel im ausgehenden MA nichts mehr zu tun, aber in 3 Mose 11, 10 + 12 heißt es:
"Alles aber, was nicht Flossen und Schuppen hat im Meer und in den Bächen von allem, was sich regt im Wasser, und allem, was lebt im Wasser, soll euch ein Gräuel sein. [...] Alles, was nicht Flossen und Schuppen hat im Wasser, sollt ihr verabscheuen."
Wale haben keine Schuppen, demnach müssten sie nach dem jüdischen Speisegesetz verboten sein. Ob es dazu weiterführende rabbinische Literatur gibt, weiß ich nicht, würde das aber tendentiell bezweifeln.
 
Bedeutsamer ist, dass der Delfin oder Wal als Fisch und somit als Fastenspeise gilt. Ein generelles Nahrungstabu diesbezüglich gab es in Nordwesteuropa ohnehin nicht.

Die Unterscheidung von Schweinswal und Delfin scheint mir unbedeutsam. Ich sehe bis jetzt keinen Hinweis, dass man sich im Mittelalter die Mühe gegeben hat zwischen den verschiedenen Walarten zu unterschieden.
 
Wale haben keine Schuppen, demnach müssten sie nach dem jüdischen Speisegesetz verboten sein. Ob es dazu weiterführende rabbinische Literatur gibt, weiß ich nicht, würde das aber tendentiell bezweifeln.

Wale sind sicher verboten. Denn selbst Lebensmittel mit Walaromen sind nicht erlaubt:

www.bestjewishstudies.com/sites/all/P1/Kashrut.english.pdf

Kaschrut - die jüdische Art des Essens entsprechend dem Grundsätze der Thora

"Ein weiteres Problem stellen die Aromen und Geschmacksverstärker (Geruchs- und Geschmacksstoffe) dar, die den Lebensmitteln zugesetzt werden. Natürliche Aromen müssen auf dem Etikett gemäß Warengesetz nicht erwähnt werden. Diese Aromen können aber auch tierischen Ursprungs sein, zum Beispiel von Katzen, Bibern und Walen. Diese Tiere sind jedoch nicht koscher und somit nicht erlaubt."
 
Vielleicht kommen wir jetzt (...) wieder zum Threadthema zurück.
(versuchsweise) die Kanalinseln und ihre zahlreichen Islets samt kleinen bis winzigen Gezeiteninselchen waren im Mittelalter nicht leichter erreichbar als heute: die extremen Gezeiten (Tidenhub 12m) und tückischen Strömungen, dazu die unzählbaren Riffe - das sind immense Gefahrenquellen. Selbst heute noch, trotz aller Warnungen, ertrinken immer wieder kecke Ortsunkundige, die auf Jersey den Warnungen zum Trotz zum Seymour Tower (Martello Turm auf einem Islet) laufen und die anrollende Flut auf die leichte Schulter nehmen...
Der bizarre Fund befindet sich auf so einem recht unwirschem Islet, bei Ebbe trockenen Fußes erreichbar, bei Flut vom "Festland" (der großen Insel Guernsey) abgeschnitten.
2017-10-01_145151.jpg

(der kleine grüne Fleck oben links ist das Islet)
Des weiteren ist das Gelände auf den kleinen Islets alles andere als bequem: schroff, felsig.
=> Gelände selber und Zugänglichkeit des Geländes waren und sind problematisch. Umso erstaunlicher, dass etliche der Islets im Mittelalter zeitweise besiedelt waren und obendrein verblüffende Funde parat haben, z.B. heidnische Bestattung um 1100?
Allein das ausschachten des bizarren Grabs an der winzigen Kapelle (?) bedeutete eine ordentliche Plackerei...
Hätte man den Schweinswal als Abfall betrachtet, hätte man ihn einfach nur zu Wasser lassen müssen: die enormen Gezeitenströme beseitigen die Reste. Hat man aber nicht, und eine plausible Erklärung will sich auch nicht einstellen - bleibt vorerst nur eine humorige: womöglich haben wir hier ein archäologisches Zeugnis des typisch britischen Spleens, der Exzentrizität... ;)
 
Delfin, Tümmler und Schweinswal scheinen doch in früheren Zeiten eine religiöse Bedeutung gehabt zu haben. Vom Heiligen Cuthbert aus Lindisfarne erzählt man sich, er habe am Strand drei dieser Tiere tot gefunden, dort abgelegt ihm zur Nahrung. Für die Gläubigen waren Wale und Delphine eine Gabe des Himmels. Mit der normannischen Invasion wurden sie zum Vorrecht der Aristokratie und der heiligen Orden, weil sie als Fische eingestuft wurden und an den Fasttagen von Mittwoch und Freitag gegessen werden konnten. Der Name porpoise kommt vom normannischen französischen porc poisson (Schweinefisch).
Im Jahr 1324 wurde dieses Recht in der mittelalterlichen Gesetzgebung über die "Fish Royal" festgeschrieben, die jeden gestrandeten Wal, Delphin, Stör oder Schweinswal für den Monarchen und seine Angehörigen beanspruchte. Das Gesetz gilt noch heute (ähnlich wie für Schwäne), überwacht vom Londoner Naturhistorischen Museum. Vor einigen Jahren wurde ein großer Stör - ein knochiger, urzeitlich aussehender Fisch - dem Museum ausgehändigt, das dann den Fisch korrekt im Buckingham Palace abliefern wollte. Das Angebot wurde höflich abgelehnt.

Auf der St. Ninians Insel wurde 1958 ein reichhaltiger Silberschatz gefunden der als einziges nichtmetallisches Stück den Kieferknochen eines Schweinswals enthielt.

St Ninian's Isle - Wikipedia

Channel Islands' buried porpoise is not the first such mysterious find | Environment | The Guardian
 
Delfin, Tümmler und Schweinswal scheinen doch in früheren Zeiten eine religiöse Bedeutung gehabt zu haben.
Und jetzt mal konkret: Welche religiöse Bedeutung meinst du?
Das Wunder des Heiligen Cuthbert bweist höchstens, dass der Verzehr von Schweinswalen gottgewollt ist.

Die Insel Guernsey gehörte im Mittelalter nicht zum Königreich England, sondern zum Herzogtum Normandie bzw. zu Frankreich.
Der wikingerzeitliche Schatzfund von St. Ninian hilft auch nicht weiter.
Hinweise zur Lösung des Rätsels sind in der französischen Kultur zu suchen.
 
Und jetzt mal konkret: Welche religiöse Bedeutung meinst du?

Hinweise zur Lösung des Rätsels sind in der französischen Kultur zu suchen.

https://notionsdhistoire.files.wordpress.com/2015/04/sculpturegde.gif

Auch die Franzosen waren religiös und ein Drittel des Jahres bestimmte die Kirche, was auf den Tisch kam. Ich las von 130 bis 200 Fastentagen.
Der Fisch konnte sich da kaum wehren gegen eine religiöse Bedeutung. Freitag ist der Tag des Fisches, Jesus wurde an einem Freitag gekreuzigt, der Fisch ist ein Symbol für Christus (Ichthus). Tertulian schrieb im 1. Jahrhundert: "Wir, kleine Fische, wie unser Ichthys, Jesus Christus, werden im Wasser geboren“.
 
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