Wussten die Deutschen was (!) sie 1929-1933 wählten?

Richtig, wobei ich das vielleicht etwas präzisieren muss. Natürlich kam es auch in den verhältnismäßig ruhigen Jahren immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen. Nur waren die, was Regelmäßigkeit und Intensität angeht qualitativ mMn nicht mit dem vergleichbar, was sich in der Früh-, der Endphase der Weimarer Republik und im Krisenjahr 1923 abspielte.

Gewalt gehörte natürlich zum politischen Alltag der Weimarer Republik. Das konnte, nachdem (und das sollte man mMn hier nicht vergessen), Teile des Landes bis Ende der 1920er Jahre unter französischer Besatzung standen, mit der alleine es immer weider zu Reibereien kam, auch gar nicht anders sein.
Um das hier nicht falsch verstanden wissen zu wollen, ich möchte hier nicht mitnichten jetzt die Verantwortung auf die pösen pösen Franzosen abschieben, nur ergab sich, neben dem notorischen Motiv für die politische Rechte dagegen zu trommeln und jede Regierung, die das hinnahm massiv anzugreifen, dadurch ja auch der Umstand, dass der Staat als solcher, wenn auch nur auf Zeit, nicht umhin kam, auf die Ausübung der Staatsgewalt im eigenen Land faktisch zu verzichten und sich damit für, mindestens in Teilen wehrlos zu erklären.

Wenn aber die Staatsmacht selbst offenkundig so schwach ist, dass sie sich außerstande sieht, Umständen, die jedenfalls weitgehend als offensichtliches Unrecht betrachtet werden, Einhalt zu gebieten, nimmt es nicht Wunder, wenn Teile der politisch mobilisierten Bevölkerung die Sache selbst in die Hand nehmen.
Gleichsam auf der Seite der politischen Linken, die von Seiten der Reichswehr, wie sich in den ersten Jahren der Republik zeite, keine der Rechten gleichwertige Behandlung zu erwarten hatte.

Ist vielleicht eine etwas steile These, aber ich würde meinen, dass ein Land, mit einem eindeutig rechtslastigen Militär und Verwaltungsappaarat, dass sich in Teilen unter Fremdbesatzung befindet, mit der es immer wieder zu Problemen kommt, mit einer Regierung, die das hinnimmt, weil sie übrhaupt keine andere Wahl hat, wird es kaum möglich gewesen sein, die Gewalt als solche aus dem politischen Leben überhaupt zu entfernen.
Dazu hätte es einer Staatsmacht bedurft, die stark genug gewesen wäre, ihren Machtanspruch in jedem Winkel des eigenen Territoriums auch durchzusetzen und von der wirklich alle Bewohner des Landes auch gleiche Behandlung zu erwarten hatten.

Insofern sehe ich die politische Gewalt, auch abseits der größeren Zusammenstöße sicherlich als Faktor in der Geschichte der Weimarer Zeit, aber weder als rein kulturspezifische Problematik, noch als Grundsätzlich mit den größeren Ausschreitungen zu vergleichendes Phänomen, sondern weitgehend als die Konsequenz nicht im hinreichend vorhandener und hinreichend regulierter und weltanschaulich neutraler Staatsmacht.

Darauf wiederrum lassen sich Phänomene wie die Aufstandsbewegungen zu Beginn oder die Straßenschlachten zum Ende der Weimarer Republik nicht reduzieren.
Die verfolgten darüber hinausgehend einen positiven Zweck unter Ausnutzung dieser strukturellen Schwächen.

Das wiederrum sehe ich bei den kleineren Zwischenfällen in den ruhigeren Jahren so nicht gegeben. Da sehe ich die Motivation eher darin, mindestens in Teilen, einen Ersatz für die nicht vorhandene Schutzmacht des Staates durch den Einsatz persönlicher Gewalt zu erreichen, nicht den Staat herauszufordern oder den politischen Gegner dezidiert physisch vernichten zu wollen.

So ähnlich sehe ich das auch.
Nur mit dem Unterschied das sich in den "ruhigeren" Jahren die Grundstrukturen der , ich nenne sie mal paramilitärische Verbände von links bis rechts, verfestigten und auch fanatisierten. Auf genau diesen Grundstrukturen baute man dann ab 1929 richtige schlagkräftige Abteilungen auf die vielfach an Massenbewegungen erinnern.
Was ich bisher in Sachen aktiver Gewalt nicht fand ist das Reichsbanner schwarz-rot-gold. Die sozialdemokratisch bestimmte Bewegung hat sich da glücklicherweise, bestimmt auch wegen diverser Regierungsbeteiligungen in den Ländern, meines Erachtens zurückgehalten.
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Was ich bisher in Sachen aktiver Gewalt nicht fand ist das Reichsbanner schwarz-rot-gold. Die sozialdemokratisch bestimmte Bewegung hat sich da glücklicherweise, bestimmt auch wegen diverser Regierungsbeteiligungen in den Ländern, meines Erachtens zurückgehalten.logo

Deswegen mein Hinweis auf Bracher, um zu verdeutlichen, dass es auf der einen Seite Formen der systemüberwindenden Gewalt von der extremen politischen Rechten und Linken und andererseits latente Formen einer defensiven Gewalt, deren Motivation primär auf die Verteidigung der Republik abzielte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur mit dem Unterschied das sich in den "ruhigeren" Jahren die Grundstrukturen der , ich nenne sie mal paramilitärische Verbände von links bis rechts, verfestigten und auch fanatisierten. Auf genau diesen Grundstrukturen baute man dann ab 1929 richtige schlagkräftige Abteilungen auf die vielfach an Massenbewegungen erinnern.

Fanatisierten die sich?
Ich würde mal ganz dreist das Gegenteil behaupten, sie fanatisierten sich nicht, sondern dadurch, dass sie sich mit offenen, gegen den Staat gerichteten Gewaltaktionen zunächstmal zurückhielten und sich wenigstens in Teilen mäßigten, schafften sie sich selbst die Möglichkeit in weiteren Bevölkerungsgruppen Anklang zu finden und ihre Basis auszubauen.

Ich würde mal behaupten, dass die Freikorpsverbände, Hitlers "Kern SA" oder auf der anderen Seite auch Spartakus, wesentlich fanatisierter und mit viel weniger Rücksicht auf Reputation und eigene Verluste auftraten, als dass bei sämmtlichen Bewegungen zwischen 1923 und der Weltwirtschaftskrise der Fall war.

Im Falle mindestens der KPD-gesteuerten Organisationen, lässt sich das mMn auch an Hand der völlig veränderten politischen Linie der Sowjetunion und der Komintern ab spätestens nach dem Scheitern des Aufstandsversuchs von 1923 deutlich ablesen, als hier die Option "Weltrevolution fürs Erste verworfen wurde.
 
Fanatisierten die sich?
Ich würde mal ganz dreist das Gegenteil behaupten, sie fanatisierten sich nicht, sondern dadurch, dass sie sich mit offenen, gegen den Staat gerichteten Gewaltaktionen zunächstmal zurückhielten und sich wenigstens in Teilen mäßigten, schafften sie sich selbst die Möglichkeit in weiteren Bevölkerungsgruppen Anklang zu finden und ihre Basis auszubauen.

Ich würde mal behaupten, dass die Freikorpsverbände, Hitlers "Kern SA" oder auf der anderen Seite auch Spartakus, wesentlich fanatisierter und mit viel weniger Rücksicht auf Reputation und eigene Verluste auftraten, als dass bei sämmtlichen Bewegungen zwischen 1923 und der Weltwirtschaftskrise der Fall war.

Im Falle mindestens der KPD-gesteuerten Organisationen, lässt sich das mMn auch an Hand der völlig veränderten politischen Linie der Sowjetunion und der Komintern ab spätestens nach dem Scheitern des Aufstandsversuchs von 1923 deutlich ablesen, als hier die Option "Weltrevolution fürs Erste verworfen wurde.


Ich würde sagen ja, weil sich die jungen Kräfte , also denen ohne einer Kriegserfahrung , diese durch Fanatismus ausgleichen wollten um gewisse Reputation zu erwerben.
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Ich glaube ja, dass es ohne die Wirtschaftskrise von 2008 den Aufschwung rechter Parteien in Europa nie gegeben hätte.
Allerdings vermute ich, dass da teilweise auch das Internet Schuld ist, das Rechtsradikale in der heutigen Zeit nutzen um den Menschen Angst einzujagen.
Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus beidem: Internethetze und Abstiegsängste des Mittelstandes, die europaweit durch die Krise von 2008 entstanden.

Rechte Parteien wie den Vlaamse Block, die Front National, die NPD, FAP, die DVU oder die Republikaner hatten immer wieder mal seit den 1960er Jahren Wahlerfolge und sind immer wieder mal in Parlamente eingezogen oder haben sich wie die Front National unter Jean Marie Le Pen als politische Kraft dauerhaft etablieren können.

In der Bundesrepublik war die NPD unter ihrem Kandidaten Adolf von Thadden bereits drauf und dran, in den Bundestag einzuziehen. In den 1980er 1990ern zogen die Republikaner unter Schönhuber, die DVU unter Frey und immer wieder auch mal die NPD in verschiedene Landtage ein.

In Österreich war Jörg Haider mit der FPÖ in den 199oern bereits erfolgreich lange vor der Banken-, Euro-, Griechenland-, Brexit-, Flüchtlings- oder Ukraine-Krise.
 
In Österreich war Jörg Haider mit der FPÖ in den 199oern bereits erfolgreich lange vor der Banken-, Euro-, Griechenland-, Brexit-, Flüchtlings- oder Ukraine-Krise.
Eben - und da gab es noch kein Internet im heutigen Sinn.

Internet ist zunächst nur ein Medium wie Fernsehen, Radio und Zeitungen. Die gefälschten oder die richtigen, aber in bestimmter Absicht zusammengestellten Zitate, gab es von interessierten Seiten schon immer – man muss nur die Wahlwerbung lesen, die einem ungefragt ins Haus flattert.

Aber klar, Bilder und ggf. Originalton in Videos können suggestiv wirken – zumal dann, wenn sie professionell gemacht sind.

Wie z.B. dies hier erklärt wird – Zitat:

Marcus Bösch: „Das Problem ist, dass man viele Sachen einfach eben nicht erkennt, weil sie gut gemacht sind. Und wenn ich jetzt eine russische Influencerin sehe, die zu einem populären Stück performt, ist halt eben nicht von vornherein klar, dass hier gerade eine Propagandabotschaft verbreitet wird. Denn das ist ja gerade die Idee von Propaganda, dass ich sie nicht sofort erkenne, sondern dass sie sich irgendwie reinschleicht und irgendwo im Hinterkopf festsetzt.“

Auch beim deutschsprachigen TikTok-Kanal „Bloß mit Biss“ – seine Posts haben oft tausende bis mehrere Millionen Aufrufe – wird die Verbindung zu Russland nicht direkt deutlich. In kurzen Clips werden Zitate und Patzer von Politikerinnen und Politikern zusammengeschnitten, besonders der Grünen und weiblicher Akteurinnen wie Annalena Baerbock. Die deutsche Innenpolitik ist hier das Hauptthema. Mit polemischen, Ängste schürenden Kommentaren zu Energiewende, Inflation oder Heizreform.
 
Nun ja, Grass ist ja nun nicht gerade unumstritten und auf der durchzuarbeitenden Schulbuchliste der hiesigen Gymnasien findet er sich auch nicht. Ich für mein Teil habe vor Ewigkeiten mit "Der Butt" begonnen und das Buch schnellstens weiterverschenkt, so grausig fand ich dieses Werk. Ich kann mich noch sehr gut an das Titelbild des Spiegel erinnern, wo eines seiner Werke zerrissen wurde. Grass würde ich also auch als normal gebildeter Mitteleuropäer nicht unbedingt vorrausetzten. Und Grass seine Bezeichnung "Gasmann" angesichts der Katastrophe namens Holocaust halte ich für schlicht für unangemessen.

Günther Grass war schon ein überzeugter Demokrat, und mit seinen Spitzen gegen die Nazi-Biographien in der Bundesrepublik war sein Ton stets recht polemisch- in der Sache hatte er oft recht. Vorwerfen kann man ihm mit Recht eigentlich nur, dass selbst nicht unbedingt den Maßstäben gerecht wurde, die er bei anderen anlegte und einforderte.

Seit 1943 konnte man zur Waffen-SS eingezogen werden. Grass kam als 17 Jähriger zur Waffen-SS. Das kann man ihm eigentlich kaum vorwerfen. Er hat sich daran erst sehr spät erinnert. Aber seien wir doch mal ehrlich- niemals hätte er den Nobelpreis bekommen, und die Karriere wäre vermutlich schleppender verlaufen, hätte er das früher aufgemacht. So wie sich Grass politisch positioniert hatte und so wie die soziale Realität in der BR aussah, konnte Grass das kaum tun. Es wäre mit Sicherheit moralisch integer gewesen- aber wäre es auch klug gewesen?

Dass er seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS so lange verschwieg, dass er sich dabei in der Form der Schnurre erinnerte, dabei mehr an Kochrezepte dachte, mag man ihm vorhalten- aber das Verhalten ist doch nachvollziehbar.

Die Danziger Trilogie war literarisch nie unumstritten, aber einen gewissen Rang in der deutschen Nachkriegsliteratur hat sie durchaus zu Recht.
Was zu meiner Schulzeit gegen Grass angeführt wurde, das war auch ganz etwas anderes: Die Masturbations-Szenen in Katz und Maus auf dem Wrack eines polnischen Minenräumboots.

Ich erinnere mich an das "Gasmann-Zitat" nur aus dem Film die Blechtrommel. Despektierlichkeit kann man Grass aber im Kontext der Szene nicht machen.

Das Zitat stammt aus dem Mund des ewigen Kindes Oskar Mazerath, der aus Ekel vor der Welt der Erwachsenen das Wachstum einstellt.
Oskars Perspektive ist durchaus eine kindliche: Der Spielzeug-Händler Markus liefert die Blechtrommeln. Aus dem Wunsch heraus, die Trommel zu reparieren, verschuldet Oskar später ungewollt den Tod seines mutmaßlichen Vaters Jan, der nach der Schießerei in der polnischen Post erschossen wird (wie ein tatsächlicher Onkel von G. Grass).

Oskar spricht das Gasman-Zitat aus dem Off. und das Zitat geschieht vor dem erzwungenen Suizid des Spielwaren-Händlers Markus. Markus, hat seine Konversion zum Katholizismus nichts genutzt. Bei Begräbnis von Agnes Mazerath wird er kaum geduldet. Markus nimmt Zyankali und stibt als Jude, angetan mit Kippa und Gebetsschal in seinem Spielwarenladen stirbt, den die SA verwüstet. Vor diesem Hintergrund kommentiert Oskar aus dem Off:

"Es war ein naives Volk, das glaubte an den Weihnachtsmann. Der Weihnachtsmann war aber in Wirklichkeit der Gasmann!

Es war ein Spielzeughändler namens Markus- und er nahm mit sich alles Spielzeug dieser Welt."
 
Rechte Parteien wie den Vlaamse Block, die Front National, die NPD, FAP, die DVU oder die Republikaner hatten immer wieder mal seit den 1960er Jahren Wahlerfolge […] lange vor der Banken-, Euro-, Griechenland-, Brexit-, Flüchtlings- oder Ukraine-Krise.
Eben - und da gab es noch kein Internet im heutigen Sinn.
Sehr richtig. Die einzige nennenswerte Änderung durch das Internet ist eine stilistische. Die rechtsradikalen bis -extremistischen Parteien der "analogen" Ära waren tendenziell ideologisch gefestigt und keine populistischen Sammlungsbewegungen zwischen ideologischem Opportunismus und emotionaler (statt: programmatischer) Fundamentalopposition.

Auch auf der linken Seite des Spektrums hat dieser Wandel stattgefunden. Im Internetzeitalter wollen sich die Leute nicht mehr mit politischen Philosophien befassen, ihr Weltbild nicht mehr ideologisch konsistent ausrichten, sondern überlassen den Emotionen das Ruder. Ob z.B. ein Standpunkt noch mit Marx, Arndt oder sonst einem Vordenker vereinbar ist, ist ihnen egal – auf diese Weise finden dann auf einmal auch Links- und Rechtspopulisten zusammen.

Und das scheint mir, um zum Thema zurückzukommen, ein wichtiger Unterschied zur Weimarer Republik. Anno dazumal garantierten politische bzw. philosophische Orthodoxie eine gewisse Glaubwürdigkeit. Die politischen Vordenker wurden mit geradezu konziliaristischem Eifer interpretiert, jedes Wort war wichtig. Was aber auch bedeutete, dass jeder Wähler mit etwas Engagement hätte herausfinden können, wohin die Reise ging. Heute aber sind die Parteiprogramme erstaunlich vage, selbst bei Extremisten findet man nicht mehr unbedingt ausformulierte Zukunftsentwürfe, sondern eher Loseblattsammlungen von Ressentiments.
 
Auch auf der linken Seite des Spektrums hat dieser Wandel stattgefunden. Im Internetzeitalter wollen sich die Leute nicht mehr mit politischen Philosophien befassen, ihr Weltbild nicht mehr ideologisch konsistent ausrichten, sondern überlassen den Emotionen das Ruder. Ob z.B. ein Standpunkt noch mit Marx, Arndt oder sonst einem Vordenker vereinbar ist, ist ihnen egal – auf diese Weise finden dann auf einmal auch Links- und Rechtspopulisten zusammen.
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Das würde ich durchaus unterstreichen. Als die Piraten erstmals Wahlerfolge feierten, fiel mir das zum ersten Mal auf. Da tauchten in ihrem Windschatten vielerorts junge Linke auf. Wenn man mit einigen von ihnen ins Gespräch kam, da wurde schnell deutlich, wenn von Marx die Rede war. Die meisten hatten von Marx nie etwas gelesen. Nicht das kommunistische Manifest und erst recht nicht das Kapital. Auch keine Exzerpte oder Sekundärliteratur. Man wusste, wer Marx war und das war´s.
Herbert Marcuse war vielen nicht mal dem Namen nach geläufig- das waren böhmische Dörfer, und wenn man die Sprache auf Marcuses "Der eindimensionale Mensch" brachte, guckten einen große naive Kinderaugen an.

Was sie aber komischerweise alle gelesen hatten, das war Fantasy-Literatur. Über Orks war man bestens im Bilde, das ging herab bis zu bevorzugten Kleidungsstücken und Waffen. Darüber wurde mit großer Verve und Ernsthaftigkeit diskutiert, und ich merkte recht bald, dass meine Unkenntnis von Fantasy-Literatur Manchen saurer aufstieß und als viel größere Bildungslücke empfunden wurde, als die Unkenntnis von Marx und Marcuse.
 
Heute aber sind die Parteiprogramme erstaunlich vage, selbst bei Extremisten findet man nicht mehr unbedingt ausformulierte Zukunftsentwürfe, sondern eher Loseblattsammlungen von Ressentiments.
Vor allem Extremisten sind vage in ihren Äußerungen. Sie sagen nur, was sie nicht wollen. Konstruktiv ist das nicht, aber ihre Wähler interessiert das nicht. Hauptsache weg mit der Regierung.

Das ist schon ein Unterschied zu den Nazis, die damals genau sagten, was sie machen werden, wenn sie erstmal regieren: Alle anderen Parteien verbieten und damit die Demokratie abschaffen!

Insofern wussten die Deutschen damals schon, was sie erwartete; bei einer von der AfD oder den Linken geführten Regierung wissen wir das heute nicht.
 
Ich brauche das Buch nicht, @El Quijote, denn ich verfolge Tages- und Wochenpresse genau, und weiß, wer was sagt. Ich habe schon 2015 eine Kurzgeschichte über eine Sitzung des Vorstandes der AfD geschrieben, die zwar fiktiv war, aber die Reden darin waren Originalzitate der AfD-Granden – und ein paar Zitate auch von den Mitgliedern des CDU-Seeheimer Kreises, die schon damals nicht viel anders klangen als Sarrazin oder Höcke, und jetzt zunehmend Einfluss in der CDU gewinnen.

Es ist eine Tatsache, dass die AfD-Leute auf Versammlungen reden fast wie die alten Nazis, aber wenn sie dann später darauf angesprochen werden, sagen sie: War nicht so gemeint oder man habe sie falsch verstanden. Das haben sie sich von den etablierten Parteien abgeschaut – erst vor wenigen Tagen hat Merz diesen Trick angewandt.

Das ist alles legitim, aber in dem Solches und Ähnliches zugelassen wird, sprich keine Konsequenzen für denjenigen hat, werden wird als Gesellschaft weiter nach rechts driften – bis wir, wie in den 1930er Jahren, wieder in einer Diktatur aufwachen.
 
Besorg dir mal von Michael Kraske Tatworte.
Zitate sind nicht dasselbe wie ein Programm, und das fehlt tatsächlich bei praktisch allen rechtspopulistischen Parteien. Man kann ihnen vieles unterstellen, aber ideologische Orthodoxie gehört nicht dazu. Im Gegenteil, sie sind weniger prinzipientreu, als ihre Anhänger sich einreden. Die "Altparteien" gelten ihnen als kleptokratische Cliquen, die keine Überzeugungen mehr hätten, dabei sind es ihre vermeintlichen Volkstribunen, die kaum eine definitive Aussage formulieren und die für ihre raren Machtoptionen schon mal Kernforderungen preisgeben (wie die Basisfinnen, die als Erstes die Forderung nach einem EU-Austritt aufgaben, sehr zur Konsternierung ihrer Wähler).

@Dion hat schon Recht, die Programmatik einer Partei wie der AfD besteht primär aus Antigefühlen, da ist (anders als etwa bei den faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegsjahre) kein wirklicher Gestaltungswille vorhanden. Alexander Gauland hat dies kürzlich in einem Interview sogar implizit zugegeben, dass die AfD nur Opposition kann und nur Opposition will. Er behauptete gar, es werde der Partei schaden, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Festlegung, das wollen diese Parteien am allerwenigsten.
 
Ich habe schon 2015 eine Kurzgeschichte über eine Sitzung des Vorstandes der AfD geschrieben, die zwar fiktiv war
wo findet der interessierte Leser diese (erste Frage) und gibt es auch nicht fiktive Kurzgeschichten (zweite Frage)
Das ist alles legitim, aber in dem Solches und Ähnliches zugelassen wird, sprich keine Konsequenzen für denjenigen hat, werden wird als Gesellschaft weiter nach rechts driften
plädierst du dafür, dass legitime Verfahrensweisen irgendwelche Konsequenzen haben sollen für den/diejenigen, die diese legitimen Verfahrensweisen verwenden??? ...das wirkt irgendwie sehr diktatorisch... Und wieso sollte die Gesellschaft weiter nach rechts driften?
bis wir, wie in den 1930er Jahren, wieder in einer Diktatur aufwachen.
davor habe ich keine Angst, denn ich gehe davon aus, dass deine (gelegentlich kraftmeierischen) starken Worte die Öffentlichkeit wachrütteln und uns alle vor Unbill bewahren werden ;)
 
Und das scheint mir, um zum Thema zurückzukommen, ein wichtiger Unterschied zur Weimarer Republik. Anno dazumal garantierten politische bzw. philosophische Orthodoxie eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Dem würde ich zustimmen, was die Frühe und ggf. mittlere Zeit der Republik angeht, in der späteren Weimarer Republik sehe ich das eigentlich nicht mehr oder wenn dann eigentlich nur noch auf der rechten Seite.

Im Hinblick auf die USPD als die bedeutende Linke Partei der Frühphase der Weimarer Republiksehe ich da durchaus noch einen relativ starken Bezug auf den theoretische Marximsus als politische Grundlage, bei der Thälmann-KPD eigentlich nicht mehr.
Die stellte zwar weiterhin Klassenkampf-Rhetorik zur Schau gab de facto aber als sie die Sozialdemokratie zu ihrem neuen Hauptfeind erklärte und andere (mitunter sinnvollere) Rezeptionsarten des Marxismus als die Moskauer Linie schärfer bekämpfte als die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung de facto das Klassenkampf-Paradigma auf.

Ich denke auch dass man im Hinblick auf die KPD-Führungsriege der späteren Weimarer Zeit ähnliche Beobachtungen machen könnte, jedenfalls wären mir von einem Ernst Thälmannn und anderen Protagonisten keine bedeutenden Versuche bekannt ihr politisches Handeln irgendwie in einen näheren Bezug zum theoretischen Marxismus zu setzen, anders als das 10-15 Jahre zuvor, mit Akteuren wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Karl Kautsky oder auch Eduard Bernstein innerhalb des politischen Spektrum des Kaiserreichs und innerhalb der USPD noch der Fall war.
Hier kann man, denke ich durchaus eine gewisse ideologische Verflachung und einen zunehmenden Hang zur Beliebigkeit (die dann mitunter als "Marxismus-Leninismus" verbrämt wurde, aber kein kohärents System darstellte) konstatieren.


Bei der Politischen Rechten wäre die Frage zu stellen, inwiefern es eigentlich so etwas wie ein ideologisches Gründungsdokument o.ä. des Faschismus gibt, was mit dem Systemdenken der politischen Linken vergleichbar wäre.
Das würde ich persönlich eher verneinen, weswegenich mich bei der Beurteilung hier etwas schwerer tue.
Im Hinblick auf politische Glaubwürdigkeit wird man sicherlich behaupten können, dass sich die NSDAP im Hinblick auf ihre rassistische und Antidemokratische Haltung recht klar positionierte .

Allerdings wich sie im Laufe der Geschichte der Weimarer Republik in zunehmendem Maße von ihrem Eigenem auf 1920 datierenden Parteiprogramm ab und wenn sich jemand 1931 oder 1932 Reden von Adolf Hitler und Gregor Strasser angehört hätte, hätte das möglicherweise bei der Unterschiedlichkeit der Standpunkte (bei wennngleich klar vorhandnenen Schnittmengen) zu der Frage verleitet, ob die tatsächlich beide in der gleichen Partei seien.


Insofern würde ich durchaus auch den Randparteien der Weimarer Zeit eine Tendenz zur zunehmenden Beliebigkeit attestieren wollen.
 
wo findet der interessierte Leser diese (erste Frage)
Tut mir leid, das werde ich nicht tun, dafür kenne ich dich zu wenig.

und gibt es auch nicht fiktive Kurzgeschichten (zweite Frage)
Alle Kurzgeschichten sind fiktiv, denn wenn sie das nicht sind, dann heißen sie Bericht oder Reportage.

plädierst du dafür, dass legitime Verfahrensweisen irgendwelche Konsequenzen haben sollen für den/diejenigen, die diese legitimen Verfahrensweisen verwenden??? ...das wirkt irgendwie sehr diktatorisch...
Es ist legitim, alles zu sagen, was einen bewegt, selbst Lügen sind erlaubt, aber für Hetze, Mordaufrufe und Ähnliches gilt die Meinungsfreiheit nicht. Leider wird Solches bei uns nicht oder nicht konsequent genug verfolgt. Die Verfahren werden gewöhnlich wegen Geringfügigkeit eingestellt, und wenn eine inkriminierte Äußerung doch noch vor Gericht kommt, wird meistens nur verfügt, sie nicht mehr zu wiederholen. Aber sie ist trotzdem in der Welt. Mehr noch, oft wird die Äußerung – mit kleinen Änderungen – wiederholt, schließlich haben sie auch Juristen, die wissen, wie man das macht.

Und wieso sollte die Gesellschaft weiter nach rechts driften?
Sieh dich doch um! Überall gewinnen bei den Wahlen die Rechten und ganz Rechten. Weil sie von den Leuten gewählt werden. Sie werden gewählt, weil deren Ansichten mit ihren eigenen größtenteils übereinstimmen.

Nur Deutschland wehrt sich noch. Weil es eine traumatische Erfahrung mit Nazis gemacht hat. Aber in Italien haben sie z.B. Mussolini schon vergessen und wählen die Nachfolgepartei der Faschisten in die Regierung. Und in Spanien haben sie Franco-Diktatur anscheinend auch schon vergessen. etc.

davor habe ich keine Angst, denn ich gehe davon aus, dass deine (gelegentlich kraftmeierischen) starken Worte die Öffentlichkeit wachrütteln und uns alle vor Unbill bewahren werden
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Daraus wird eher nichts – siehe Scorpio, der weiter nicht einsehen will, dass Luther ein Wegbereiter des Antisemitismus war, der die Nazis mit an die Macht brachte; seine Aufrufe an den Sozialneid („…sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“) glichen der Propaganda der Nazis fast wörtlich.
 
Daraus wird eher nichts – siehe Scorpio, der weiter nicht einsehen will, dass Luther ein Wegbereiter des Antisemitismus war, der die Nazis mit an die Macht brachte; seine Aufrufe an den Sozialneid („…sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“) glichen der Propaganda der Nazis fast wörtlich.

Dass Luther die Nazis an die Macht gebracht hat, ist eine "Einsicht" mit der du ziemlich alleine stehst.
 
Sieh dich doch um! Überall gewinnen bei den Wahlen die Rechten und ganz Rechten.

Deutschland ist bei der Wahl vor zwei Jahren moderat nach links gerückt.

In Frankreich hat die Regierung an Zustimmung verloren, was allerding auch durch mit der Festigung der Opposition von links zusammen hängt.
Die Entwicklung in Frankreich mag einen gewissen Grund zur Sorge um die politische Stabilität im Allgemeinen als nicht unberechtigt erscheinen lassen, ob aber die politische Rechte in irgendeiner Form an der Macht beteiligt wird, wird in erster Linie davon abhängen, ob sich in Zukunft die Kandidaten der Mitte eher mit Rechts oder eher mit Links zu verständigen suchen und ob die politische Linke in Frankreichvernüftig genug sein wird auf die bürgerliche Mitte zuzugehen um über ein Mitte-Links-Bündnis Frau Le Pen und Konsorten zu verhindern, zusammen würde das durchaus hinreichen.

Bei den letzten Kommunalwahlen in GB in diesem Jahr, haben die Konservativen eine saftige Niederlage eingesteckt.
Wenn man das Ergebnis als Trend für die nächste Parlamentswahl betrachten kann, bewegt sich in GB die Stimmung gerade eher nach links.

Brasilien und die USA sind bei den jeweiligen vergangenen Wahlen nach links gerückt, ob sich das bestätigen wird wird man sehen.

In italien sitzen die Rechten zwar gerade in der Regierung, allerdings ist das letztendlich eine 4-Parteien-Koalition, die entsprechend der inneren Widersprüche und Profilierungsbedürfnisse als eher fragil betrachtet werden darf.

Wie lange das hält, wird man sehen.

Im Hinblick auf Spanien kann ich deine Einschätzung so überhaupt nicht teilen.

PP und PSOE sind die klar stimmstärksten Parteien die zuammen eine Koalition bilden könnten, wenn sie denn wollten und die nahezu gleichauf liegen. Besonders rechts davon ist keine.
Das die PP nach rechts sondiert so lange sich die PSOE gegen eine Koalition oder Tolerierung einer Minderheitsregierung der PP kategorisch sperrt, kann man ihr nicht zum Vorwurf machen, das könnte man dann wenn von Seiten der Sozialisten entsprechende Angeboten an die PP gemacht würden, was aber nicht stattzufinden scheint.
Was dabei am Ende herauskommt, wenn denn etwas dabei heraus kommt oder es Neuwahlen wird geben müssen, deren Ergebnis man nicht seriös wird vorhersagen können, das wissen wir nicht.
Aber man braucht durchaus nicht so zu tun, als stünde Spanien gerade kurz davor in die Hände von Neo-Franquisten zu fallen. So ist die Situation nun wirklich nicht.

Ich bitte den Ausflug in die Tagespolitik zu entschuldigen, aber das Postulat es wäre überall massiver Rechtsruck stimmt in der Form nach meinem Dafürhalten nicht, zumal man die Wahlergebnisse in der letzten Zeit auch unter den krisenhaften Auswirkungen der Pandemie und des wirtschaftlichen Einbruchs wird betrachten müssen, deren Folgen sich in den kommenden Jahren normalisieren werden.
 
Alle Kurzgeschichten sind fiktiv, denn wenn sie das nicht sind, dann heißen sie Bericht oder Reportage.
Es mag dich verblüffen, aber das war mir bekannt.
Verwundert hat mich, dass du eigens erwähnt hast, dass deine Kurzgeschichte fiktiv ist - schau, so hast du das formuliert:
Ich habe schon 2015 eine Kurzgeschichte über eine Sitzung des Vorstandes der AfD geschrieben, die zwar fiktiv war,
als Verfasser literarischer Texte bist du es doch gewohnt, präzise zu formulieren und Stilblüten sowie Ungereimtheiten und sprachliche Unbeholfenheiten zu vermeiden - da machte mich das stutzig, deshalb meine Frage.
 
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