Wo lagen "Ad pontes Tesseninos"

Säulen und Meilensteien sind meist aus härteren Gesteinsarten errichtet, und sowieso härter als das Holz oder der Flechtwerklehm der hiesigen üblichen Wohngebäude der Renaissance
Moment mal - wo kommt jetzt die Renaissance her? Wir waren bei der Tabula, die in der Römerzeit entstanden ist und noch im frühen Mittelalter in Gebrauch war.
Zur Erinnerung: Der Weg von Bregenz (Brigantium) nach Kempten (Cambodunum) führt auf der Tabula über Augsburg (Augusta Vindelicum):
Nochmal "Moment mal":
wir sind uns doch einig, dass die Tabula keine Straßenkarte in unserem Sinne ist, sondern die grafische Darstellung verschiedener Reiserouten.
Der von Dir als "Umweg" gekennzeichnete Verlauf betrifft zwei verschiedene Reiserouten, die aber miteinander in Verbindung stehen.
  • Die "angekratzte" Strecke Augsburg - Rapis - Navoae - Campodunum ist Bestandteil der Tabula-Reisestrecke, die über Escone - Abodiacum - Urusa - Bratananium - Inisca - Ad Enum - Bedaium und Artobriga weiter nach Iuvavum führt. Zwischen Augsburg und Kempten nimmt diese Straße die nachfolgend genannte Verbindung (Allgäu-Straße) auf. Die "Ideallinie" Kempten - Salzburg nördlich quer zu den Alpen (Queralpenstraße) entspricht mit ~ 205 km auch der in der Tabula angegebenen Strecke von 140 mp. Entlang dieser "Queralpenstraße" wäre dann auch der im Itinerarium Antonie genannte Kreuzungspunkt (ad pontes tessenenos) zwischen Ambrae und Parthano zu suchen.
  • Die zweite Strecke Bregenz - Augsburg gibt den Verlauf der heute als "Allgäu-Straße" bezeichneten Straße wieder, die von Bregenz über Kempten nach Augsburg führt. Die Streckenlänge von Kempten nach Augsburg beträgt 89 km, was der in der Tabula angegebenen Strecke von 60 mp entspricht.
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Die Strecke Salzburg - Kempten - Bregenz war nach der Rücknahme zur Rhein - Iller - Donau Grenze die kürzeste Verbindung zwischen Pannonien, Noricum und Gallien auf römischem Reichsgebiet.
Die Strecke Augsburg - Augsburg - Kempten - Bregenz war zu dieser Zeit die die kürzeste Verbindung zwischen Raetien und Gallien auf römischem Reichsgebiet.
Die kürzere Streckenführung von Augsburg über das alemannische Dekumatenland war unsicher (eine grenznahe Straße zwischen Kaiseraugst und Regensburg, die heute als "Donau(süd)straße" bezeichnete Strecke, ist in der Tabula dennoch aufgeführt).
Es ist also kein Wunder, dass eine "graphische Reisebeschreibung" auch die beiden Fernstraßen, die nicht durch das Dekumatenland führen, als wichtige Verbindungen aufführt.

Beibehalten wurde doch so gut wie nichts, vielleicht abgesehen von den Straßen, die man natürlich auch weiter benutzt hat, wenn auch unter sehr veränderten Bedingungen (die Handelswarenströme aus dem Süden kamen z. B. völlig zum Erliegen.)
Von der gesamten militärischen Infrastruktur (Kastelle, Limesbefestigung) wurde praktisch nichts beibehalten.
Mit Infrastruktur zu den Verkehrswegen meine ich Straßen und Brücken, Rast-/Straßenstationen mit der Möglichkeit für Unterkunft, Verpflegung, Wechsel von Pferden, Bereitstellung von zusätzlichen Zugtieren (Vorspann bei steilen Anstiegen) usw.; von einer militärischen Infrastruktur (Kastelle und Legionslager) habe ich in #257 nicht gesprochen. Die kann man auch nicht erwarten, weil die Alemannen bekanntlich keine kasernierte Berufsarmee hatten. Wieso willst Du mir jetzt eine "militärische Infrastruktur" in die Caligae schieben?
 
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Moment mal - wo kommt jetzt die Renaissance her? Wir waren bei der Tabula, die in der Römerzeit entstanden ist

@El Quijote war bei einem römischen Meilenstein, der in einem römischen Kontext (porta principalis eines Kastells) gefunden wurde und eben nicht in einem mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Kontext.

Abgesehen von diesem in situ gefundenen Meilenstein hatte ich Dir die Frage gestellt: Sind wir uns denn wenigstens einig, dass über die Zuordnung der Namen aufgrund der Bauinschriften kein vernünftiger Zweifel bestehen kann?

wir sind uns doch einig, dass die Tabula keine Straßenkarte in unserem Sinne ist, sondern die grafische Darstellung verschiedener Reiserouten.
Richtig.
Darum wundere ich mich ja, warum Du glaubst, auf der Tabula könne man ohne weiteres "die einfachste, geradeste, kürzeste, schnellste Strecke" ablesen.

Die "angekratzte" Strecke Augsburg - Rapis - Navoae - Campodunum ist Bestandteil der Tabula-Reisestrecke, die über Escone - Abodiacum - Urusa - Bratananium - Inisca - Ad Enum - Bedaium und Artobriga weiter nach Iuvavum führt.
Da haben wir schon den nächsten Riesenumweg, denn von Augsburg nach Salzburg würde man vernünftigerweise sicher nicht über Kempten und Epfach reisen.

Entlang dieser "Queralpenstraße" wäre dann auch der im Itinerarium Antonie genannte Kreuzungspunkt (ad pontes tessenenos) zwischen Ambrae und Parthano zu suchen.
Was für ein Kreuzungspunkt? Dem Itinerarium Antonini ist nicht zu entnehmen, dass sich hier eine Straßenkreuzung oder auch nur eine Straßenabzweigung befunden hätte. Ad Pontes Tesseninos ist hier lediglich eine Zwischenstation zwischen Parthanum und Ambrae (wo tatsächlich ein Knotenpunkt gewesen sein muss).

Die zweite Strecke Bregenz - Augsburg gibt den Verlauf der heute als "Allgäu-Straße" bezeichneten Straße wieder, die von Bregenz über Kempten nach Augsburg führt.
Auf der Tabula führt die Strecke ja gerade nicht über Kempten, sondern über den Rhein

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Mit Infrastruktur zu den Verkehrswegen meine ich Straßen und Brücken, Rast-/Straßenstationen mit der Möglichkeit für Unterkunft, Verpflegung, Wechsel von Pferden, Bereitstellung von zusätzlichen Zugtieren (Vorspann bei steilen Anstiegen) usw.
Und meine Frage dazu lautete: Was kannst Du denn wo genau "feststellen"?

Welche Raststationen wurden denn in frühalemannischer Zeit betrieben, wo gibt es die entsprechenden archäologischen Befunde? Und wer hätte das alles organisieren sollen? Dazu noch in Gegenden wie dem erwähnten Verkehrsknotenpunkt, die nahezu unbewohnt waren?


von einer militärischen Infrastruktur (Kastelle und Legionslager) habe ich in #257 nicht gesprochen. Die kann man auch nicht erwarten, weil die Alemannen bekanntlich keine kasernierte Berufsarmee hatten. Wieso willst Du mir jetzt eine "militärische Infrastruktur" in die Caligae schieben?
Die Alemannen waren meines Wissens militärisch sehr aktiv und haben den Römern gewaltige Scherereien gemacht. Du meinst also, sie hätten auf eine militärische Infrastruktur verzichtet?
Dafür sollen sie aber die zivile Infrastruktur aufrechterhalten haben? In der Hoffnung, dass die Händler, die in früheren Tagen Olivenöl, Wein, Garum und sonstige Handelswaren in die Provinz geliefert hatten, eines Tages wiederkommen würden, wenn man ihnen nur Rasthäuser für Unterkunft und Verpflegung, zusätzliche Zugtiere bei steilen Anstiegen usw. zur Verfügung hält?
 
Zuletzt bearbeitet:
Moment mal - wo kommt jetzt die Renaissance her? Wir waren bei der Tabula, die in der Römerzeit entstanden ist und noch im frühen Mittelalter in Gebrauch war.
Du hast gegen den Standort des Meilensteins ins Feld geführt, dass der Meilenstein ja verlegt worden sein könne. Ich habe Beispiele dafür gebracht. Die Verlagerung antiker Säulen und Meilensteine passiert, dann landen solche Meilensteine meist in Kirchen (seltener Palästen) (vor allem im Mittelalter) oder an Hausecken (vor allem in der Frühen Neuzeit).
UNSER Meilenstein wurde gefunden am Tor eines Römerlagers und war offenbar - da er nicht voll gerundet ist, Teil dieses Tors, also in das Tor verbaut. Darum gings's. Er wurde also in situ gefunden, nicht als Spolie.

Es wurden zwei Inschriften gefunden, die Grinario (Köngen) nennen. Es wurden acht Inschriften gefunden, die Sumelocenna nennen, wobei zwei dieser acht Inschriften, die Sumelocenna nennen, die beiden Grinario-Inschriften sind, den Ort Grinario als von Sumelocenna abhängiges Dorf kennzeichnen: Sumelocen(s)es vici Grinarionis (Das sumelocensische Dorf von Grinario) bzw. vicanis Grinarionensibus ... Sumelocennensis (die dörflichen Bewohner aus dem sumelocensischen Grinario). Eine dritte Inschrift ist ein Weihestein in Grinario für den Gott Merkur nennt, die einen als Bewohner von Sumelocenna gekennzeichneten decurio Publius Quartionius Secundinus als Stifter erwähnt.
Die vierte der acht Inschriften, die Sumelocenna nennt ist der besagte Meilenstein, der exakt die Strecke zwischen Köngen und Rottenburg bezeichnet.
Zwei weitere Inschriften sind Bauinschriften aus dem Tempelbezirk von Rottenburg und eine wurde genau dort gefunden. Heute das "Alte Schloss". Die zweite in der Straße Im Graibel, 500 m entfernt.

Da hat ein Iulius Hermes sich im Namen der Jugend von Sumelocenna um die Pflege des Diana-Tempels gekümmert und für einen Tempel wurden zwei Sachverwalter für ein Sumelocenna zugeordnetes Wirtschaftsgut vielleicht auch zwei Forstaufseher - der Begriff saltus ist polysem - bestellt, die uns namentlich als Iulius Dextrus und Gaius Turranius vorgestellt werden.

Deanae / in h(onorem) d(omus) d(ivinae) / pr(o) iuventute / c(ivitatis) Sum(elocennensis) Iul(ius) Her/mes p(onendum) c(uravit)

In honorem / domus divin(ae) / ex decreto ordinis / saltus Sumelocennen/sis curam agentib(us) / Iul(io) Dextro et G(aio) Turran(io) / Marciano mag(istris)

Die letzten beiden Inschriften nennen Sumelocenna als Herkunftsort verstorbener Soldaten auf ihren Grabsteinen, einmal in Südostfrankreich (Belley) und einmal in Mainz.
 
@El Quijote war bei einem römischen Meilenstein, der in einem römischen Kontext (porta principalis eines Kastells) gefunden wurde und eben nicht in einem mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Kontext.

Abgesehen von diesem in situ gefundenen Meilenstein hatte ich Dir die Frage gestellt: Sind wir uns denn wenigstens einig, dass über die Zuordnung der Namen aufgrund der Bauinschriften kein vernünftiger Zweifel bestehen kann?
Wo z.B. in #253 habe ich das bestritten? Und warum sollte ich etwas bestätigen, dass ich nicht bestritten habe?

Auf der Tabula führt die Strecke ja gerade nicht über Kempten, sondern über den Rhein
Die Bregenzer Ache und der Rhein haben seinerzeit doch ein gemeinsames Mündungsdelta gebildet. Warum soll Bregenz also nicht an einem "Rheinübergang" liegen?
Und beispielsweise das spätrömische Reiterkastell Vemania (auch Vimania) - heute Isny - ist richtig abgebildet auf der Strecke der Allgäustraße zwischen Bregenz und Augsburg.

Die Alemannen waren meines Wissens militärisch sehr aktiv und haben den Römern gewaltige Scherereien gemacht. Du meinst also, sie hätten auf eine militärische Infrastruktur verzichtet?
Du meinst also, die Proto-Alemannen hatten kasernierte Berufssoldaten, für die Kastelle benötigt worden wären :confused:
Die Proto-Alemannen waren - wie alle germanischen Kämpfer bis hin zu den Wikingern - "Nebenerwerbskrieger", die mehr oder weniger schlecht von der Landwirtschaft und vom Handwerk lebten, und bei sich bietender Gelegenheit als marodierende Horden unter einem mehr oder weniger charismatischen Anführer oder Heerführer auf Raubzug gegangen sind. Schon dafür mussten Kommunikationswege, also doch nutzbare Straßen, vorhanden sein. Oder glaubst Du, die aus unterschiedlichen Teilen zusammen gesetzten "Alemannen" hätten zum Telefon oder Handy gegriffen, um sich für den nächsten gemeinsamen und koordinierten Raubzug abzusprechen?
Diese Horden waren also schon "im Zivilleben" auf die zivilen Siedlungen und schon bei der Organisation und erst recht bei der Durchführung ihrer "gewaltigen Scherereien" auf die Verbindungswege dazwischen angewiesen.
Und das galt erst recht für den Aufbau einer zentraleren Herrschaftsstruktur, aus der dann auch die späteren Alemannen als gemeinsam agierender Stammesverband hervorgegangen sind.
Erst im 4./6. Jahrhundert sind Höhenstationen (wie z.B. der Geißkopf am Schwarzwaldrand gegenüber von Straßburg) bekannt, die im Zuge der alemannischen Ethnogenese dann auch zu Herrschaftsmittelpunkten ausgebaut wurden.
dazu der o.g. Sonderdruck S. 287
In Südwestdeutschland könnte im übrigen ein nicht unbeträchtlicher Teil gallischer, römischer, gallorömischer Bevölkerung mit dazu beigetragen haben, den Stamm der Alemannen aufzufüllen

Was die Kontinuität von vormaligen römischen Siedlungen durch Germanen betrifft:
Es gibt starke Indizien (zumindest aus dem spätrömischen Raetien), dass die ehemals römischen Staatslatifundien (Villae) auch nach dem Herrschaftswechsel als Herzogsgut (Villa publica) weiter bestanden und wohl deshalb (?) von der Siedlungstätigkeit der landnehmenden Germanen ausgenommen wurden (vgl. Lex Baiwariorum mit den Verbot des gewaltsamen Eindringens in eine curtis).
daran halte ich fest

 
Du meinst also, die Proto-Alemannen hatten kasernierte Berufssoldaten, für die Kastelle benötigt worden wären :confused:
Die Proto-Alemannen waren - wie alle germanischen Kämpfer bis hin zu den Wikingern - "Nebenerwerbskrieger", die mehr oder weniger schlecht von der Landwirtschaft und vom Handwerk lebten, und bei sich bietender Gelegenheit als marodierende Horden unter einem mehr oder weniger charismatischen Anführer oder Heerführer auf Raubzug gegangen sind. Schon dafür mussten Kommunikationswege, also doch nutzbare Straßen, vorhanden sein. Oder glaubst Du, die aus unterschiedlichen Teilen zusammen gesetzten "Alemannen" hätten zum Telefon oder Handy gegriffen, um sich für den nächsten gemeinsamen und koordinierten Raubzug abzusprechen?
Diesmal bin ich ja nicht persönlich betroffen, aber genau solche Passagen sind es, die einem den Spaß verderben können. Das hast du bei mir an anderer Stelle ja auch schon gemacht. Du interpretierst immer irgendetwas in die Aussagen hinein (völlig unerheblich, ob die richtig oder falsch sind), fernab von dem, was da steht. Und dann schmeißt du deine Mitdiskutanten und Leser mit Links und Karten zu, um zu belegen, dass nicht etwa deren Aussagen falsch sind, sondern die Verdrehungen, die du aus den Aussagen gemacht hast. Und so stapelt sich Nebendiskussion auf Nebendiskussion und am Ende beschwerst du dich über die Nebendiskussionen. Ich hab wirklich nix gegen eine Prise Polemik als Salz in der Suppe der Diskussion, aber diese ständige Verdrehen der Aussagen anderer ins Absurde macht echt keine Freude, selbst wenn man nur Leser und nicht der Betroffene ist. Eine Suppe die aus mehr Salz als Wasser besteht, schmeckt nicht. (Salz = Polemik, Wasser = Sachaussagen)
 
Wo z.B. in #253 habe ich das bestritten? Und warum sollte ich etwas bestätigen, dass ich nicht bestritten habe?

Du hast versucht, epigraphische Funde zu relativieren:

Auch Meilensteine können versetzt werden ...

In demselben Posting hast du auch versucht, Fehler beim Kopisten auszumachen.
(möglicherweise hat der Zeichner beim kopieren auch die Namensbezeichnungen falsch gesetzt)

Dass es in der TP Fehler noch und nöcher gibt, ist dabei unbestritten. Nur musst du diese Fehler eben aus der TP oder aus anderen intersubjektiv zugänglichen Quellen schließen. Weil dir etwas wegen einer Lokalisierungshypothese eines bis dato unlokalisierten Ortes nicht in den Kram passt, ist das kein hinreichender Grund, einen Fehler anzunehmen.

In einem weiteren Posting hast du dann mit einer Dublettenhypothese gearbeitet:
Entsprechende Namensübertragungen kommen immer wieder vor (York / New York, Gablonz / Neugablonz, Altenstadt / Schongau).
Eine solche These kannst du aufstellen. Sie als Argument zu nutzen ist aber nicht zulässig, solange du den Nachweis, dass es diese Dubletten auch tatsächlich gab, nicht führen kannst. Wenn du den Dublettennachweis nicht führen kannst, rasiert Occam alles weg.

Aprospos
Und warum sollte ich etwas bestätigen, dass ich nicht bestritten habe?
Die Frage könnte man dir auch stellen. Gehen wir zurück in der Diskussion über die Routenführung in der TP. Sepiola und ich haben über die in der TP eingezeichnete Routenführung geschrieben und die Identifikation von Städten im Dekumatland, welche nicht mehr einen auf die Römerzeit oder vorrömische Zeit zurückgehenden Namen haben, wie Rottenburg, Bad Zurzach, Rottweil, Brigobanni etc. Wir haben nicht geschrieben, dass Straßen nach dem Abzug der Römer nicht mehr in Gebrauch gewesen wären.
Daher wundere ich mich dann über solche Aussagen, mit denen du offene Türen einrennst:
Damit sollte klar sein, dass diese Straße im Dekumatenland auch nach dem Abzug des römischen Militärs weiter in Verwendung war.
 
Wo z.B. in #253 habe ich das bestritten?
Geklärt hatten wir die Identifikation von Arae/Rottweil, Sumelocenna/Rottenburg und Grinario/Köngen u. a. anhand von Bauinschriften spätestens am 20. Juli 2020:
Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Diese Identifikation hast Du vorgestern (Beitrag 246) erneut in Zweifel gezogen.

Den Meilenstein wolltest Du (in Beitrag 249) anscheinend nicht gelten lassen, zu den Bauinschriften hast Du Dich nicht geäußert.
Daher meine Nachfrage, ob Dich die Bauinschriften inzwischen überzeugt haben oder ob Du nach wie vor eine Lokalisierung der genannten Orte südlich der Donau ernsthaft für möglich hältst. Die Frage Sind wir uns denn wenigstens einig, dass über die Zuordnung der Namen aufgrund der Bauinschriften kein vernünftiger Zweifel bestehen kann? lässt sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten.

Die Bregenzer Ache und der Rhein haben seinerzeit doch ein gemeinsames Mündungsdelta gebildet. Warum soll Bregenz also nicht an einem "Rheinübergang" liegen?
Auf der Tabula Peutingeriana liegt Bregenz nicht an einem Rheinübergang, sondern zwischen dem Rheinübergang "Ad Renum" und Arbon.
In der Realität liegt (das antike und das heutige) Bregenz rechts von Rhein und rechts der Bregenzerach.


Und beispielsweise das spätrömische Reiterkastell Vemania (auch Vimania) - heute Isny - ist richtig abgebildet auf der Strecke der Allgäustraße zwischen Bregenz und Augsburg.

Und der Rhein kreuzt die Straße zwischen Bregenz und Vemania/Isny, sogar die genauen Entfernungen sind angegeben:

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Du meinst also, die Proto-Alemannen hatten kasernierte Berufssoldaten, für die Kastelle benötigt worden wären
Ich bestimmt nicht. Ich bin ja im Gegensatz zu Dir der Meinung, dass die Proto-Alemannen ganz anders organisiert waren als die römischen Provinzverwaltungen und mit der römischen Infrastruktur praktisch nichts anzufangen wussten. Sie haben die römischen Gebäude entweder links liegen lassen oder zweckentfremdet oder als Steinbruch benutzt.
Was sie allenfalls benutzt haben, waren (siehe Beitrag 260) die Straßen, aber sicherlich nicht die Tabernen, Bäder, Pferdewechselstationen und was sonst so zur römischen Infrastruktur gehört.

dazu der o.g. Sonderdruck S. 287
Ja, da steht was von "könnte". Irgendwelche Befunde? Fehlanzeige.

Und meine Frage "Was kannst Du denn wo genau "feststellen"? ist damit natürlich beantwortet.

daran halte ich fest
Sofern es den bayerischen Teil Raetiens betrifft, will ich nicht diametral widersprechen. Ich würde allenfalls die Fragezeichen unterstreichen (und an das Wort "starke" ebenfalls ein Fragezeichen machen). Auf das um 260 n. Chr. von den Römern geräumte Gebiet würde ich diese These nicht übertragen. Da sind wir in einem anderen Jahrhundert unter anderen Bedingungen.
 
Für eine "Zweitgründung" könnte auch sprechen, dass nach der militärischen Aufgabe der hügeligen Alb und des Hinterlandes (ab 250 ?) eine Sicherungsreihe entlang der Donau (Unterkirchberg, Rißtissen, Emerkingen, Ennetach, Tuttlingen) und ihrem Tal bis Donaueschingen verblieb, in deren Schutz stehende Orte von Bewohnern der aufgegebenen Ortschaften an Eurer Trasse besiedelt wurden.
Ist die Behauptung mit der "Sicherungsreihe" aus den Fingern gesogen oder gibt es dafür irgend einen archäologischen Nachweis?

Alle Informationen, die ich auf die Schnelle finde, laufen darauf hinaus, dass die militärischen Besatzungen bereits im 1. Jahrhundert wieder abgezogen wurden. Die zivilen Siedlungen blieben bestehen, wurden also nicht um 250/260 "zweitgegründet", sondern - ganz im Gegenteil - in dieser Zeit endgültig aufgegeben:

Gesichert ist hingegen, dass die Zivilsiedlung in der Zeit der innen-, außenpolitischen und wirtschaftlichen Krise verbunden mit den Germaneneinfällen um 250 n. Chr. ihr Ende fand[1] und spätestens mit dem Rückzug der Römer hinter den Donau-Iller-Rhein-Limes um das Jahr 260 n. Chr. aufgegeben wurde.
Kastell Ennetach – Wikipedia

Unter dem Druck der Alamannen wurde der Vicus – wie alle römischen Gebiete westlich der Iller – um das Jahr 260 aufgegeben.
Kastell Rißtissen – Wikipedia
 
Also dann - bleiben wir beim Nebenkriegsschauplatz im Dekumatenland:
Sofern es den bayerischen Teil Raetiens betrifft, will ich nicht diametral widersprechen. Ich würde allenfalls die Fragezeichen unterstreichen (und an das Wort "starke" ebenfalls ein Fragezeichen machen). Auf das um 260 n. Chr. von den Römern geräumte Gebiet würde ich diese These nicht übertragen. Da sind wir in einem anderen Jahrhundert unter anderen Bedingungen.
Alle Informationen, die ich auf die Schnelle finde, laufen darauf hinaus, dass die militärischen Besatzungen bereits im 1. Jahrhundert wieder abgezogen wurden. Die zivilen Siedlungen blieben bestehen, wurden also nicht um 250/260 "zweitgegründet", sondern - ganz im Gegenteil - in dieser Zeit endgültig aufgegeben:
Das stimmt nur teilweise, etwa für das von Dir genannte Urspring. Die Gräber aus Urspring stammen nur aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Der Ort scheint daher Mitte des 2. Jahrhunderts verlassen worden zu sein.

Aber was ist woanders?

Kastell D von Ennetach/Donau entstand wohl noch in frühflavischer Zeit und war möglicherweise bis in frühdomitianische Zeit belegt, wie eine Münze des Domitian aus dem Jahr 81 n. Chr. vermuten lässt. Danach befand sich dort für lange Zeit nur noch eine Zivilsiedlung.
Aber was ist mit der Kastellbauphase "E" im Kastell Ennetach – nach Wikipedia? Die Bauphase war offenbar nachdem die Limesgrenze unter Domitian/Traian (90 - 115 n. Chr.) bzw. in der antoninischen Phase (ab 150 bis 3. Jh. n. Chr. weit in das Barbaricum vorverlegt worden war.
Eine solche "Kastellbauphase E" kann in diesem Bereich historisch nur im Zusammenhang mit dem Limesfall und dem Versuch einer Rückverlegung der Reichsgrenze an die obere Donau und Rhein (entsprechend der Grenze zur frühen Kaiserzeit, 15 v. Chr. bis 69 n. Chr.) erklärt werden, bevor dann in der Spätantike (letztes Drittel 3. Jahrhundert bis 5. Jahrhundert) endgültig die weitere Rückverlegung an die Iller erfolgte.

Dann zu Hüfingen / Brigobane, das an der Donau liegt und in der Tabula ausdrücklich als Straßenstation genannt wird. Die römische Siedlungsperiode dauerte bis 350 n. Chr. (Quelle), also über den "Limesfall" hinaus bis kurz vor die weitere Rückverlegung zur Iller-Grenze.

Besonders interessant ist in dem Zusammenhang auch Rißtissen - denn zur Römerzeit war die Donau wohl ab der Einmündung der Riß abwärts (bis Regensburg und darüber hinaus) schiffbar.
Mir ist hier vor einigen Tagen vorgeworfen worden, dass ich Wiki "unvollständig" zitiere. Der wichtige Satz:
Dieser Artikel oder Abschnitt wurde wegen inhaltlicher Mängel auf der Qualitätssicherungsseite des Projekts Römischer Limes eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel in den Themengebieten Limesforschung/Provinzialrömische Archäologie/Römische Militärgeschichte auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Bitte hilf mit, die Mängel dieses Artikels zu beseitigen, und beteilige dich bitte an der Diskussion!
bzw.
Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Näheres sollte auf der Diskussionsseite angegeben sein. Bitte hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung.
hätte gefehlt.
Daher ist es auch nur bedingt tauglich, wenn ich zu Kastell Rißtissen – Wikipedia zitiere, mit der Aussage:
Bemerkenswert sind am damaligen Ostrand von Rißtissen, 70 Meter südlich des Kastells geborgene Münzgussformen, die 1920 gefunden wurden. Die Forschung ist sich bis heute nicht einig, ob die 267 Modeln, die Münzen der römischen Kaiser Septimius Severus (193–211), Geta (211), Caracalla (211–217), Diadumenianus (218) und Elagabal (218–222) imitieren, zu einer Falschmünzerwerkstatt gehörten oder ob es sich, wie Befunde aus verschiedenen Gebieten des Römischen Reiches nahelegen, um offizielle Notprägungen aus grenzpolitisch unruhiger werdenden Zeiten handelt, als etliche Gebiete von der Zufuhr frischen Geldes zeitweilig abgeschnitten waren. Der Althistoriker Karl Christ sprach in diesem Zusammenhang von einer „dezentralisierten Herstellung“.
- denn diese "Imitate" sind offenbar in der fraglichen Zeit Mitte des 3. Jahrhunderts produziert worden. Und das deutet nicht auf eine verlassene Siedlung hin.

Es bestätigt vielmehr die Erkenntnis aus den bisher aufgefundenen Grabstätten dieser Epoche im "Keil" zwischen Rhein und Donau:
Das deutliche Zurückgehen bekannter Bestattungen wird sich zum Teil mit den geänderten Bestattungssitten und nicht selten flachen, ärmlichen bis beigabenlosen Brandbestattungen erklären lassen, die weniger gut archäologisch fassbar sind; vielfach herrscht Beigabenlosigkeit vor *). Das entspricht auch dem Befund aus dem deutlich stärker beanspruchten Gräberfeld von Regensburg aus römischer und merowingischer Zeit.
Die im Dekumatenland stark ausgedünnte, verbliebene Restbevölkerung, die unter den Raubzügen der bis aus dem nördlichen Elbegebiet anrückenden elbgermanischen Kriegerhorden zu leiden hatte, war verarmt - aber immer noch vorhanden.
Auch in Stuttgart-Bad Canstatt sind bis zum Anfang des 3. Jhdts. diverse Bestattungen nachweisbar. Zudem erwähnt
Joachim (2017, 187 – 190) vorberichtlich fünf römische Gräber. Zwei Gräber stammen nach Theune
(2004, 457) aus der Spätantike. Eine insgesamt deutlich höhere Gesamtanzahl römischer Gräber wird in
Filtzinger (Stuttgart-Bad Cannstatt. In: D. Planck (Hrsg.), Römer in Baden-Würt-temberg (Stuttgart 2005, 331) mit etwa 3000 erwähnt.

Das unterscheidet etwa Urspring an der von Euch präferierten Trassenführung von anderen Orten. Btw.: auch Rottweil ist wohl über den Limesfall hinaus besiedelt gewesen
Nachdem die römischen Truppen um 260 n. Chr. die Region verlassen hatten („Limesfall“), ging auch Arae Flaviae unter; vermutlich existierte aber eine deutlich reduzierte Siedlung noch einige Zeit weiter.
Wikipedia

Martin Grünewald (Studien zur Bevölkerungsdichte und Migration in Obergermanien und Raetien. Ein Überblick anhand ausgewählter Gräberfelder, S. 181 f) schreibt dazu:
Von einer stärkeren Abwanderung ausgenommen blieben unter den Kastellorten einzig jene, die nach der militärischen Aufgabebesondere Infrastruktur- oder Zentralortfunktionen wahrnahmen.
Die gegenteilige Entwicklung vollzog sich nach der Zeit um 260 n. Chr.: Die betrachteten Bestattungsplätze im Rechtsrheinischen und nördlich der Donau werden nicht mehrweiterbelegt, die Anzahl der betrachteten Gräber entlang der neuen (bzw. teilweise alten) Flussgrenze steigt erneut auf ein höheres Niveau. Daraus lässt sich für die Spätantike auf eine Migration zur Donau-Iller-Rhein-Grenze schließen, ein mindestens teilweiser Rückfluss der Bevölkerung aus dem rechtsrheinischen ... Raum ist anzunehmen.
...
Damit sehe ich für die Zeit
- nach 250 den Bestand weiterer römischer Funktions-Siedlungen im Dekumatenland und
- zwischen 250 n. Chr. (Aufgabe des Limes) und 370 n. Chr. (Rückverlegung der Grenze zur Iller) die "Wiederbelebung" einer Kette von Ortschaften entlang der Donau
durchaus bestätigt.

Und nochmal:
ganz egal, wie ihr die Trassenführung der Tabula von Kaiseraugst nach Regensburg durch die Alemannia legen wollt:
sie führt eben durch die Alemannia, also nördlich des Bodensees vorbei.
Das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Und das bedeutet, dass die Straße auch nach dem Abzug der römischen Staatsmacht weiter genutzt werden konnte, ja, sogar so weit genutzt wurde, dass eine Darstellung in der Tabula erfolgte.

*) vgl.
WIEBE, Das spätkaiserzeitliche frühvölkerwandungszeitliche Gräberfeld in Lampertheim, 2012, 87–101;
THEUNE C. , Germanen und Romanen in der Alamannia. Strukturveränderungen aufgrund der archäologischen Quellen vom 3.bis zum 7. Jahrhundert. RGA Ergbd. 45 (Berlin, New York 2004) 2004,180.
SCHACH-DÖRGES, Zu süddeutschenGrabfunden frühalamannischer Zeit. Versuch einer Bestandsaufnahme. Fundber. Baden-Württemberg 22, 1, 1998, 627–654 1998, 646.
Zusammenfassend DIES. 1998;
zuletzt THEUNE a.a.O. , 438–460 Liste 5 mit frühvölkerwanderungszeitlichen Gräbern in Südwestdeutschland
 
Zuletzt bearbeitet:
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Nach Zeitstufen gemittelte Anzahl bekannter jährlicher Bestattungen im Bereich, in dem die Reichsgrenze verlagert wird: Gebiete südlich der Donau und westlich des Rheins
(gestrichelt: Teilgruppe I; punktiert: Teilgruppe II)

Hier stellt Grünewald, a.a.O., die Bestattungen südlich der oberen Donau (oberhalb der Iller) vor - bemerkenswert das Wiederaufleben der Bestattungen nach einer Lücke ab ca. 150 mit dem Zeitpunkt des Limesfalls.
 
Die im Dekumatenland stark ausgedünnte, verbliebene Restbevölkerung, die unter den Raubzügen der bis aus dem nördlichen Elbegebiet anrückenden elbgermanischen Kriegerhorden zu leiden hatte, war verarmt - aber immer noch vorhanden.
damit ich nicht falsch verstanden werde: nach dem bereits zitierten Grünewald war die zivile Bevölkerung der vici im römischen Gebiet vor allem ein "Anhängsel" der benachbarten Militärstandorte. Grünewald macht dies (S. 184) wie folgt deutlich:
Am Beispiel einer großen Einheit wird dies im Folgenden illustriert: Die ala II Flavia milliaria *) stand nach Markus Scholz wahrscheinlich bis um 110 n. Chr. in Günzburg. Mit dem Abzug der Truppe lässt sich eine deutliche Verkleinerung des besiedelten Areals feststellen. Die Gräber an der Ulmer Straße **) rücken nach dem Stand meiner Auswertung weiter in die Richtung der nun kleineren Siedlung. In der Zeit von um 110 bis 155/160 n. Chr. war diese Einheit sicher in Heidenheim stationiert. Das dortige vicus -Areal hat – basierend auf den datierbaren kartierten Funden – nachweislich nur während dieser Stationierung seinen Zenit. Nach dem Abzug der Einheit nach Aalen lässt sich anhand der Verbreitung der später datierten Sigillaten und Münzen eine Reduzierung des bebauten vicus -Arealsum etwa 75 % deutlich nachvollziehen.
d.h. also:
bereits mit dem dauerhaften Abzug des Militärs ging auch ein massiver Rückgang der Bevölkerung in den benachbarten vici einher - andererseits aber auch: mit dem Einzug militärischer Einheiten erfolgte auch eine Ausweitung der um den militärischen Standort angesiedelten Zivilbevölkerung ("Lagerdorf").

Schon alleine damit ist die "Ausdünnung" der Bevölkerung im Dekumetenland nach dem Limesfall zumindest teilweise begründbar. Wer an "Ort und Stelle" blieb, hatte von einer "Begleitung der militärischen Einheiten" keinen Vorteil zu erwarten. Mit dem Abzug des Militärs ist in einer primär militaristisch zur Grenzsicherung ausgerichteten Siedlungsstruktur eine massive Verarmung der ausgedünnten, verbliebenen Bevölkerung zwangsläufig.
Gleichzeitig dürfte aber das Anwachsen von Bestattungsplätzen und Bestattungen auch ziviler Art - wie in der vorigen Post #270 graphisch dargestellt - die unmittelbare Folge einer militärischen Stationierung im Umfeld der Nekropolen gewesen sein.

*)
vgl. Grünewald: Schmelztiegel_der_Kulturen_Die_Bevolkerung Raetiens am Beispiel von Günzburg.pdf

**)
Das Gräberfeld wurde von der zweiten Hälfte des 1. Jhs. bis in das 5. Jh. kontinuierlich genutzt
 
Und noch ein Nachtrag - weil es ja zuletzt um die Donau/süd/straße zwischen Rhein und Regensburg ging
(in der Karte oben):
Brigobanne_tab_peut.jpg


Wikipedia schreibt dazu:
...
Eine sichere Beurteilung des Alters der angeschnittenen Straßenabschnitte gestaltete sich schwierig, weil die Straße nach Abzug der Römer im 3. bzw. 5. Jahrhundert in verschiedenen Streckenabschnitten zum Teil bis heute weiter benutzt und repariert wurde. Schon Karl der Große restaurierte um das Jahr 800 systematisch eine große Zahl der heruntergekommenen Römerstraßen in seinem Reich. Dafür, dass auch die Donausüdstraße zu den damals wieder hergestellten Straßen gehörte, spricht der Umstand, dass eine Reihe von Kirchen entlang ihrer Route um das Jahr 800 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurden (vergl. Rißtissen, Bussen).
...
Oft verlaufen auch heute noch benutzte Straßen (z. B. in Rißtissen) und Feldwege abschnittsweise auf ihrer Trasse. Wäre die Donausüdstraße heute noch durchgängig begeh- oder befahrbar, wäre sie noch immer die kürzeste, geradlinigste und steigungsärmste Verbindung zwischen Regensburg und Donaueschingen.
man kann aber nur etwas wiederherstellen, was immer noch erkennbar vorhanden (und im Grundsatz mit geringerem Aufwand zumindest wieder nutzbar) ist; und der Ausbauzustand der römerzeitlichen ungepflasterte Straße (als „via glareata“ oder „glarea strata“ bezeichnet einem heutigen Feldweg vergleichbar) wäre nach einer über Jahrhunderte dauernden Unterbrechung sicher nicht einmal mehr erkennbar. Das Stichwort "wiederherstellen" indiziert also, dass die Straße nicht zugewuchert war - was auf eine weitere Nutzung auch nach dem Limesfall und der Rücknahme der Grenze bis zur Iller sogar bis zur Zeit KdG schließen lässt.

Das in der Karte südlich der Donau bezeichnete "Ad Lunam" wird in der Regel mit dem Kastell Urspring nördlich der Donau gleich gesetzt. Damit haben wir eine der weiteren Widersprüchlichkeiten der Tabula vor uns:
Wenn das Kastell Urspring - wie allgemein angenommen - mit Beginn der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts verlassen wurde (worauf ja auch die Bestattungen in der benachbarten Nekropole hindeuten, die etwas später Anfang des 2. Jahrhunderts enden), dann wäre es völlig unlogisch, diesen verlassenen Ort in einer Karte aufzunehmen, die eindeutig die Alemannia im Bereich des Schwarzwaldes zwischen Rhein und Bodensee kennzeichnet.
Denn der Name der Alemannen taucht erstmals 289 n. Chr. in seiner lateinischen Form Alamanni und später auch Alemanni auf - und die Besiedlung des Dekumatenlandes (wo sich dann die eigentliche Ethnogenese der Alemannen vollzog) durch Elbgermanen erfolgte erst sukzessive durch kleinere Gruppen nach dem Limesfall (um 260).
Zu der Zeit war aber Urspring - und zwar sowohl das Kastell wie das Lagerdorf - nach gegenwärtiger Erkenntnis längst verlassen.

Der Widerspruch liese sich erklären,
a) wenn entgegen der vorgenannten Annahmen eine Restbevölkerung auch weiter vorhanden war (das Kastell-Areal in den Fluren heißt „An der Herberg“, „Herberge“ und „Guckele“, was auf eine Weiterführung der Funktion als Raststation und Aussichtspunkt bis in frühgermanische Zeit hindeuten könnte) oder
b) wenn die aus Urspring abgezogenen Truppen bzw. Bewohner den Namen des Ortes an einen späteren, anderen Standort mitgenommen hätten. Dafür gibt es keinen Beleg, aber es ist eine These.
 
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Zitat von Erich:
Du meinst also, die Proto-Alemannen hatten kasernierte Berufssoldaten, für die Kastelle benötigt worden wären :confused:
Die Proto-Alemannen waren - wie alle germanischen Kämpfer bis hin zu den Wikingern - "Nebenerwerbskrieger", die mehr oder weniger schlecht von der Landwirtschaft und vom Handwerk lebten, und bei sich bietender Gelegenheit als marodierende Horden unter einem mehr oder weniger charismatischen Anführer oder Heerführer auf Raubzug gegangen sind. Schon dafür mussten Kommunikationswege, also doch nutzbare Straßen, vorhanden sein. Oder glaubst Du, die aus unterschiedlichen Teilen zusammen gesetzten "Alemannen" hätten zum Telefon oder Handy gegriffen, um sich für den nächsten gemeinsamen und koordinierten Raubzug abzusprechen?
Diesmal bin ich ja nicht persönlich betroffen, aber genau solche Passagen sind es, die einem den Spaß verderben können. .... Ich hab wirklich nix gegen eine Prise Polemik als Salz in der Suppe der Diskussion, aber diese ständige Verdrehen der Aussagen anderer ins Absurde macht echt keine Freude, selbst wenn man nur Leser und nicht der Betroffene ist. Eine Suppe die aus mehr Salz als Wasser besteht, schmeckt nicht. (Salz = Polemik, Wasser = Sachaussagen)
wo die Suppe versalzen wird, ist wohl ein sehr subjektives Geschmacks-Empfinden.

Wir sollten also ernsthaft an die Diskussion herangehen:
die (Proto-)Alemannen sind zunächst einmal Elbgermanen, die sich aus verschiedenen Stämmen (wie etwa den Sueben) zusammensetzten und dann - wie etwa die Juthungen - als marodierende Räuberbande zu Plünderungen von der Elbe in die römischen Provinzen aufgemacht haben.
Erst um 290 n.Chr. wurde ein solcher marodierender Verband als "Alemannen" - wohl als Hinweis auf die Zusammensetzung über mehrere ältere Stammesverbände hinweg - bezeichnet.
Daher ist wohl bis zum Limesfall 260 eher von Proto-Alemannen zu sprechen, wenn man die marodierenden Stammesverbände meint, die den Römern zu Anfang des 3. Jahrhunderts "ziemliche Schwierigkeiten" gemacht haben.
In den römischen Quellen des 3. bis 5. Jahrhunderts gelegentlich alamannische Teilstämme genannt, die ihrerseits eigene Könige hatten. Bekannte Alamannenstämme sind die Juthungen, die nördlich der Donau und Altmühl angesiedelt waren, die Bucinobanten (lateinisch Bucinobantes) im Mainmündungsgebiet bei Mainz, die Brisgavi, die, wie der Name bereits vermuten lässt, im Breisgau ansässig waren, die Rätovarier in der Umgebung des Nördlinger Rieses und die Lentienser, die im Umfeld des Linzgaus nördlich vom Bodensee vermutet werden.
(Wikipedia)
Die Ethnogenese der Alemannen als eigener Stamm unter diesem Namen erfolgte ziemlich sicher erst im heuten Baden-Württemberg (südlich des Mains - also im "Dekumatenland", das danach von den Römern bis hin zum Main Alamannia genannt wurde), wobei nach dem Limesfall eine Zuwanderung des woa ziemlich entvölkerten, aber nicht menschenleeren Gebietes (Kontinuität einiger Fluss-, Orts- und Flurnamen) durch kleinere Gruppen erfolgte.
Bei der Ethnogenese waren neben einer romanischen Reliktbevölkerung (im mittleren Schwarzwald wird das Fortbestehen einer romanischen Sprachinsel möglicherweise sogar noch bis ins 9./10. Jahrhundert angenommen) sicher aber auch bereits ansässige germanische (überwiegend sogar wohl elbgermanische) Bevölkerungsteile maßgeblich beteiligt. So sind suebische Verbände aus dem Elb-/Saalegebiet seit den Zeiten des suebischen Königs Ariovist im 1. Jh. v. Chr. ins Rhein-/Main-/Neckargebiet eingewanderten.
Die wohl als römische Foederaten anzusehenden Suebi Nicrenses dürften etwa die Vorgänger der späteren Brisgavi gewesen sein. Auf den um 360 erwähnten Vadomar (lat. Vadomarius) sowie seinen Bruder Gundomad (lat. Gundomadus) als Gaukönige der Breisgauer und römische Foederaten habe ich bereits hingewiesen. Diese kleinen "Königreiche" bemühten sich, ihren Machtbereich auf die restlichen, von der römischen Militärverwaltung verlassenen Gebiete des Dekumatenlandes auszudehnen, und sowohl die verbliebene romanische Restbevölkerung wie auch die kleinen Zuwanderergruppen unter ihren Herrschaftsbereich zu bringen.
Schon dafür waren die "Kleinkönige" auf die Inanspruchnahme der römischen Verkehrswege angewiesen, deren Erhaltung damit im Interesse der "Kleinkönige" lag.

Dabei darf man die "integrative Wirkung", die gemeinsame Raubzüge des 3. und 4. Jahrhunderts in das "reiche Imperium Romanum" für die Stammesbildung hatten, nicht außer Acht lassen. Und auch diese Verbände waren wieder auf die Inanspruchnahme der römischen Verkehrswege angewiesen - sowohl für die Vorbereitung und Sammlung der Raubzüge vor dem Überschreiten der militärisch geschützten Reichsgrenze wie auch für den schnellen Marsch in die römischen Gebiete und erst recht für den raschen Rückzug mit ihrer Beute in das eigene Stammesgebiet und von dort zu den eigenen Siedlungen.
Es waren die "Dekumatenland-Alemannen", die ab dem Ende des 3. Jahrhunderts wiederholt Raubzüge aus dem Dekumatenland in die angrenzenden Provinzen des römischen Reiches Raetia und Maxima Sequanorum, aber auch bis weit nach Gallien hinein unternahmen. Letztendlich gelang es aber Kaiser Gratian ab ca. 380 (378 – Schlacht bei Argentovaria) den neu gebildeten Stammesverband der Alemannen in ein Foederatenverhältnis zum Römischen Reich zu bringen, das einige Jahrzehnte anhielt.
Und auch jetzt wieder - die recht neue, alemannische Herrschaftsschicht benötigte die römischen Verkehrswege, um ihre Macht zu festigen. Wer isoliert irgendwo lebt, verliert den Kontakt zur Herrschaft und ist so deren Einwirkung entzogen.
Schon mit der beginnenden Ethnogenese der Alemannen war also die Nutzung der römischen Verkehrswege von großer Bedeutung - ihre Nutzung und die Aufrechterhaltung ihrer Bestimmung als Verkehrswege. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass die Stammesbildung der Alemannen und anderer germanischer Stämme in der Spätantike ohne die Verbindungsmöglichkeit durch diese Verkehrswege kaum möglich gewesen wäre.

Aber - und das ist entscheidend:
diese Raubzüge wurden nicht von einem "stehenden Heer" durchgeführt, sondern im Wesentlichen von Stammesverbänden, von (Nebenerwerbs-/ Gelegenheits-)Kriegern, die "zivil" als Bauern oder Handwerker ihr Leben fristeten und daher auf die Nutzung der ehemals römischen Militär-Basen (Kastelle) gar nicht angewiesen waren.
Daher waren - und blieben - diese Kastelle verödet. Und mit ihnen auch die zugehörigen Lagerdörfer (vici).

Wer nun auf meine Ausführungen, die sich nahezu ausschließlich um Straßen und Straßenstationen dreht (z.B.)
egal ob die Tabula die Donaustraße wiedergibt, oder die Straße über Rottweil, Rottenburg und Grinarid (möglicherweise hat der Zeichner beim kopieren auch die Namensbezeichnungen falsch gesetzt) - sie führt eindeutig nördlich des Bodensees vorbei durch Alemannisches Gebiet. Damit sollte klar sein, dass diese Straße im Dekumatenland auch nach dem Abzug des römischen Militärs weiter in Verwendung war.
sowie
Zurück von den Straßenstationen zu den Straßen selbst:
argumentiert,
Von der gesamten militärischen Infrastruktur (Kastelle, Limesbefestigung) wurde praktisch nichts beibehalten.
und
Die Alemannen waren meines Wissens militärisch sehr aktiv und haben den Römern gewaltige Scherereien gemacht. Du meinst also, sie hätten auf eine militärische Infrastruktur verzichtet?
der hat mich - aus welchen Gründen auch immer - nicht verstanden oder der will mich nicht verstehen. Möglicherweise will man die Diskussion auch nur mit etwas "Pfeffer" versehen.
Und dann darf man sich nicht wundern, wenn auch ich in der Antwort die Argumentation etwas "würze" und dann vielleicht sogar "die Suppe versalze".
ES GEHT MIR NICHT UM MILITÄRISCHE ANLAGEN WIE KASTELLE VON KOHORTEN ODER LEGIONEN - ES GEHT MIR UM VERKEHRSWEGE SAMT ZUBEHÖR WIE BRÜCKEN, RASTHÄUSER, BOTENSTATIONEN ODER AUCH VERSORGUNGSEINRICHTUNGEN !
 
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Aber was ist mit der Kastellbauphase "E" im Kastell Ennetach – nach Wikipedia?
Steht doch da: eine "mögliche Bauphase ... Der archäologische Nachweis steht derzeit noch aus." - von einer Datierung ganz zu schweigen. Wenn Bauphase C in frühflavische Zeit zu datieren ist, Bauphase D ebenfalls in frühflavische Zeit, ist noch genug Luft für eine mögliche Bauphase E im 1. Jahrhundert.

Daher ist es auch nur bedingt tauglich, wenn ich zu Kastell Rißtissen – Wikipedia zitiere, mit der Aussage: - denn diese "Imitate" sind offenbar in der fraglichen Zeit Mitte des 3. Jahrhunderts produziert worden.
Mitte des 3. Jahrhunderts, das wäre um 250.

Auch in Stuttgart-Bad Canstatt sind bis zum Anfang des 3. Jhdts. diverse Bestattungen nachweisbar.
Das wäre kurz nach 200.

Wie gesagt, bis um 260 waren die Römer im gesamten Bereich zwischen Bodensee und Limes noch präsent. Dann wurde die Gegend ziemlich schnell und gründlich evakuiert.

Ich sehe bislang kein einziges Argument für die abenteuerliche These, von 250 - 370 habe eine militärische Sicherungslinie Unterkirchberg-Rißtissen-Emerkingen-Ennetach-Tuttlingen existiert, die systematisch (unter Vergabe neuer Siedlungsnamen) aufgesiedelt worden sei.

Dann zu Hüfingen / Brigobane, das an der Donau liegt und in der Tabula ausdrücklich als Straßenstation genannt wird. Die römische Siedlungsperiode dauerte bis 350 n. Chr. (Quelle)
Da würden mich die Belege interessieren, die sind in der "Quelle" leider nicht angegeben.

wie ihr die Trassenführung der Tabula von Kaiseraugst nach Regensburg durch die Alemannia legen wollt:

Ich lege keine Trassenführung durch die Alemannia. Es gibt eine Reihe nachgewiesener Straßen, hier mal eine kleine Auswahl (Trassenführung hier nur schematisch):

upload_2021-2-14_16-53-13.png




Die Tabula Peutingeriana trifft aus diesen Verbindungen wie in vielen anderen Fällen nur eine Auswahl: Sie folgt der blauen Nord-Süd-Verbindung bis Köngen, dann ein kleines Stück der roten Ost-West-Verbindung und biegt dann bei Lonsee nach Nordosten auf die grüne Route ab.
Dafür erscheint die Fortsetzung der roten Ost-West-Verbindung nach Faimingen/Augsburg hier als Abzweigung:

upload_2021-2-14_16-53-48.png



Und das bedeutet, dass die Straße auch nach dem Abzug der römischen Staatsmacht weiter genutzt werden konnte, ja, sogar so weit genutzt wurde, dass eine Darstellung in der Tabula erfolgte.

Ich sehe bislang kein einziges Argument für die abenteuerliche These, dass hier eine Situation "nach dem Abzug der römischen Staatsmacht" dargestellt ist. Die Tabula Peutingeriana enthält zahlreiche Angaben aus verschiedenen Jahrhunderten, die niemals zeitgleich existiert haben. Wir finden auf dieser Karte Angaben, die erst aus der Zeit nach 337 stammen können (Constantinopolis!) neben Angaben, die sich nur auf die Zeit vor 79 n. Chr. beziehen können (Pompeii!).

Hier stellt Grünewald, a.a.O., die Bestattungen südlich der oberen Donau (oberhalb der Iller) vor
Nein, das sind Bestattungen unterhalb (östlich) der Iller, und zwar aus Neuburg an der Donau (133) und Kempten (38), macht insgesamt 171.
 
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Das habe ich sehr gut verstanden, darum schreibe ich ja auch:

Dafür sollen sie aber die zivile Infrastruktur aufrechterhalten haben? In der Hoffnung, dass die Händler, die in früheren Tagen Olivenöl, Wein, Garum und sonstige Handelswaren in die Provinz geliefert hatten, eines Tages wiederkommen würden, wenn man ihnen nur Rasthäuser für Unterkunft und Verpflegung, zusätzliche Zugtiere bei steilen Anstiegen usw. zur Verfügung hält?

Ich bestimmt nicht. Ich bin ja im Gegensatz zu Dir der Meinung, dass die Proto-Alemannen ganz anders organisiert waren als die römischen Provinzverwaltungen und mit der römischen Infrastruktur praktisch nichts anzufangen wussten. Sie haben die römischen Gebäude entweder links liegen lassen oder zweckentfremdet oder als Steinbruch benutzt.
Was sie allenfalls benutzt haben, waren (siehe Beitrag 260) die Straßen, aber sicherlich nicht die Tabernen, Bäder, Pferdewechselstationen und was sonst so zur römischen Infrastruktur gehört.





Erst um 290 n.Chr. wurde ein solcher marodierender Verband als "Alemannen" - wohl als Hinweis auf die Zusammensetzung über mehrere ältere Stammesverbände hinweg - bezeichnet.
Daher ist wohl bis zum Limesfall 260 eher von Proto-Alemannen zu sprechen, wenn man die marodierenden Stammesverbände meint, die den Römern zu Anfang des 3. Jahrhunderts "ziemliche Schwierigkeiten" gemacht haben.
Darauf können wir uns gern einigen. Die erste Erwähnung der Alemannen für das Jahr 213 ist nicht unumstritten; die erste zweifelsfreie Erwähnung stammt aus dem Jahr 289.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das in der Karte südlich der Donau bezeichnete "Ad Lunam" wird in der Regel mit dem Kastell Urspring nördlich der Donau gleich gesetzt. Damit haben wir eine der weiteren Widersprüchlichkeiten der Tabula vor uns:
Wenn das Kastell Urspring - wie allgemein angenommen - mit Beginn der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts verlassen wurde (worauf ja auch die Bestattungen in der benachbarten Nekropole hindeuten, die etwas später Anfang des 2. Jahrhunderts enden),


Ich würde da der Darstellung des Wiki-Artikels nicht allzusehr vertrauen. Denn er widerspricht sich hier:

Das Kastell wurde vermutlich in frühdomitianischer Zeit errichtet.[1] [...] Zwei Bauperioden, eine Holzbauphase und eine Steinbauphase konnten nachgewiesen, nicht jedoch zeitlich voneinander abgegrenzt werden.
[....]
Die römische Militärpräsenz in Urspring dürfte bis zu Beginn der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts bestanden haben.
Frühdomitianisch hieße: In den 80er Jahren des ersten Jahrhunderts. Von da an soll es bis in die 2. Hälfte des ersten Jahrhunderts bestanden, aber zwei Bauphasen erlebt haben.

Lesen wir weiter, stellen wir fest, dass es sich im einen Fehler handeln muss, da man

vermutet, dass die Urspringer Truppe in das zwischen 150 und 160 n. Chr. errichtete Kastell Unterböbingen vorverlegt worden ist
Also Mitte bis zweite Hälfte des 2. Jhtds.

Aber ist das auch für uns und die Station Ad Lunam relevant?
Lesen wir den Wiki-Artikel weiter, kommen wir zum ursprünglichen Lager-Vicus, der eben nicht gemeinsam mit dem Lager aufgelassen wird:

Der Vicus von Urspring, die bei nahezu jedem römischen Militärlager anzutreffende Zivilsiedlung, in der sich Angehörige der Militärs, Händler, Handwerker, Gastwirte und andere Dienstleister niederließen, befand sich südlich des Lagers, im Talgrund der Lone.
[...]
Die Zivilsiedlung existierte über das Kastellende hinaus. Zwischen 150 und 175 n. Chr. wurden Teile des Vicus von einer Brandkatastrophe betroffen, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Markomanneneinfällen zwischen 166 und 180 n. Chr. stand. Er wurde in kleinerem Umfang wieder aufgebaut und fand sein Ende erst in der Zeit der innen- und außenpolitischen sowie wirtschaftlichen Krise des Imperiums um die Mitte des 3. Jahrhunderts (Limesfall).

 
Und das glaubt hier halt keiner.
Dafür fehlt jegliche Befunddokumentation einer alamannischen Infrastrukturpflege.
"keiner" scheint übertrieben. Und was heißt "Infrastrukturpflege" bei einem gekiesten Weg, der ohne Pflasterung genutzt wird?
Auch unsere unbefestigten Feldwege werden durch Begehung bzw. Befahrung frei gehalten, ab und an mal ein Schlagloch ausgebessert. Da findet keine besondere Infrastrukturpflege statt, wie diese etwa bei den Knüppelwegen im Moor nötig wäre.
Die von Sepiola in #275 orange eingezeichnete "Donau(süd)straße" war so ein ungepflasterter Weg. Sie ist woa z.T. noch heute in Gebrauch und wurde wohl um 800 v. Karl d.G. umfassend instandgesetzt.
Instandsetzung verlangt aber eine zumindest provisorische Erhaltung der Trasse von der Römerzeit bis zur späteren Instandsetzung.
Die an dieser Straße bei Sigmaringen liegende Brücke (Laiz) - Vici.org ist übrigens heute noch vorhanden, und das etwas weiter oberhalb liegende Römische Bad (Wurmlingen/Tuttlingen) – Wikipedia ist wohl noch bis Mitte des 4. Jahrhunderts wirtschaftlich genutzt worden (bei Tuttlingen stieß die von Argentorate (Straßburg) über Arae Flaviae herbeiführende und den Hof möglicherweise im Abstand von nur wenigen hundert Metern passierende Kinzigtalstraße auf die von Brigobannis (Kastell Hüfingen) über Guntia (Günzburg) bis zum Balkan führende Donausüdstraße).
Das habe ich sehr gut verstanden, darum schreibe ich ja auch:
Zitat von Sepiola:
...
Was sie allenfalls benutzt haben, waren (siehe Beitrag 260) die Straßen, aber sicherlich nicht die Tabernen, Bäder, Pferdewechselstationen und was sonst so zur römischen Infrastruktur gehört.
Darum verstehe ich auch nicht, warum die "militärische Infrastruktur" der Römer hier ausdrücklich als Gegenargument eingeführt wurde.

Nein, das sind Bestattungen unterhalb (östlich) der Iller, und zwar aus Neuburg an der Donau (133) und Kempten (38), macht insgesamt 171.
erst mal ist es schön, dass Du Grünewald für diese beiden Orte bestätigst. Eine Begrenzung auf "östlich der Iller" ist aber nur eine starke Behauptung und ersetzt kein Argument.
Ich hab den Artikel (insbesondere S. 172 ff "Vom Limesfall bis zum 5. Jahrhundert") nochmal intensiv nachgelesen. "Verstärkt spätantike Bestattungen in Bregenz, Neuburg an der Donau und Günzburg" werden in dem Zusammenhang beispielhaft, aber nicht abschließend genannt. Und in keinem dieser Orte war - wie die wiedergegebene Grafik in #270 aussagt - die Belegung der örtlichen Nekropole nahezu zum Stillstand gekommen.

Was Martin Grünewald aber sehr deutlich macht, ist der Zusammenhang der Bevölkerung in den römischen (Kastell-)Vici mit der Belegung der Kastelle selbst. Nach dem Abzug des Militärs blieb nur ein kleiner Teil der Bevölkerung im Lagerdorf zurück - und zwar sowohl bei der Vorverlegung des Limes (hinterer, vorderer Limes) wie auch beim späteren Abzug des Militärs (Limesfall um 260, der zunächst wohl nur vorübergehend sein sollte)
Die Alemannen waren demnach keineswegs die wilden Barbaren, die am Oberrhein alles Römische kurz und klein schlugen und, wie die archäologische Forschung mangels Funden lange Zeit annahm, im Land umherstreiften, ohne sich auf Dauer niederzulassen und Siedlungen zu gründen. Der Limes"fall" um 260 ist weniger das Ergebnis einer alemannischen Eroberung, sondern eines inner-römischen Bürgerkriegs, in dem eine der beiden Parteien die Alemannen als Hilfstruppen zu Hilfe rief und wohl auch Siedlungsland in Aussicht stellte. Markierungspunkt von Seiten der römischen Geschichte ist hier die Gefangennahme und Tötung Kaiser Valerians 260 durch die Perser und die danach ausbrechenden Wirren um das Sonderkaisertum in Gallien.

Die Alemannen streiften nun keineswegs die folgenden anderthalb Jahrhunderte ziellos im ehemaligen Dekumatland umher. Sie ließen sich in den römischen Siedlungen, vor allem in den römischen Gutshöfen nieder (auch die römische villa rustica in Großsachen zeigt alemannische Einbauten), bebauten die römischen Äcker, handelten mit römischen Waren, bezahlten mit römischem Geld und fühlten sich wohl alles in allem als römische Föderaten, auch wenn sie sich in der Wirklichkeit kaum um den Nachbarn jenseits des Rheins kümmerten. Mit der Stabilisierung der römischen Macht um 370 begann Rom auch wieder, rechts des Rheins Fuß zu fassen. Das ist die Zeit der spätrömischen Kastelle von Alzey und Altrip, der Burgi von Ladenburg, Neckarau und vom Zullestein und der Brückenköpfe am Hochrhein. Diese Burgi dürften kaum in einem absolut feindlichen Umfeld errichtet worden, sondern auf die offene oder stillschweigende Duldung der Alemannen gestoßen sein.
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Die Zivilsiedlung existierte über das Kastellende hinaus. Zwischen 150 und 175 n. Chr. wurden Teile des Vicus von einer Brandkatastrophe betroffen, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Markomanneneinfällen zwischen 166 und 180 n. Chr. stand. Er wurde in kleinerem Umfang wieder aufgebaut und fand sein Ende erst in der Zeit der innen- und außenpolitischen sowie wirtschaftlichen Krise des Imperiums um die Mitte des 3. Jahrhunderts (Limesfall).
nichts anderes sage ich auch: auch nach der Vorverlegung der Grenze zum Limes blieb die nichtmilitärische Zivilbevölkerung über das Kastellende hinaus am Ort.
Wohl eher: radikal zweckentfremdet worden.
Im römischen Badegebäude von Wurmlingen gelang der seltene Nachweis der Umnutzung einer Villa rustica durch alamannische Siedler. Das Wohnhaus der zugehörigen Anlage brannte im ersten Drittel des 3. Jahrhunderts ab. Die Siedlungstätigkeit vor Ort ging aber übergangslos unter veränderten Vorzeichen weiter. Im Badegebäude besitzt ein Einbau eine typische germanische Pfostenbauweise. Rückbauten sind auch an den Bädern der Villen von Lauffen und Bondorf sowie der Villa urbana von Heitersheim nachzuweisen. Die Umstände erlaubten immer weniger die Spezialisierung oder die Produktion von Überschüssen, die Betriebe kehrten zur Subsistenzwirtschaft zurück.
aus Limesfall – Wikipedia

Und beim Abzug der römischen Berufssoldaten (Limesfall) infolge der Bürgerkriege wurde das Dekumatenland von kleinen Gruppen der (Proto-)Alemannen aufgesiedelt, was aber nach wie vor Bestandteil des römischen Imperiums:
...
Die Alemannen streiften nun keineswegs die folgenden anderthalb Jahrhunderte ziellos im ehemaligen Dekumatland umher. Sie ließen sich in den römischen Siedlungen, vor allem in den römischen Gutshöfen nieder (auch die römische villa rustica in Großsachen zeigt alemannische Einbauten), bebauten die römischen Äcker, handelten mit römischen Waren, bezahlten mit römischem Geld und fühlten sich wohl alles in allem als römische Föderaten, auch wenn sie sich in der Wirklichkeit kaum um den Nachbarn jenseits des Rheins kümmerten. Mit der Stabilisierung der römischen Macht um 370 begann Rom auch wieder, rechts des Rheins Fuß zu fassen. Das ist die Zeit der spätrömischen Kastelle von Alzey und Altrip, der Burgi von Ladenburg, Neckarau und vom Zullestein und der Brückenköpfe am Hochrhein. Diese Burgi dürften kaum in einem absolut feindlichen Umfeld errichtet worden, sondern auf die offene oder stillschweigende Duldung der Alemannen *) gestoßen sein.
(Quelle: Limesfall) und natürlich war dann in dieser Zeit auch die zivile Infrastruktur weiter in Betrieb.
Dort wird auch gleich beantwortet, was mit der römischen Bevölkerung im Dekumatenland geschah:
Die Frage stellt sich nur, was geschah mit der ansässigen gallo-römischen Bevölkerung, mit den Neckarsueben, die zum Zeitpunkt der alemannischen Landnahme bereits 2 Jahrhunderte in der römischen Welt lebten und wohl bereits die römische Kultur angenommen hatten. Bisher war man davon ausgegangen, diese Bevölkerung sei "weggezogen", habe das Land verlassen - nur wohin? (Anm.: Grünewald zeigt auf, dass die dem Militär zugeordnete Zivilbevölkerung der vici auch den Soldaten gefolgt ist). Vor allem der sprachgeschichtlichen Forschung ist es zu verdanken, daß diese romanisierte Bevölkerung nachgewiesen werden kann - um Mainz, um Altrip und Ladenburg, deren Namen die germanische Lautverschiebung p>pf nicht mitmachen, in der Vorbergzone des Schwarzwaldes, wo sich die Welschen- und Walchen-Namen häufen, und schließlich in den Tälern des Schwarzwaldes selbst, wo Flurnamen romanischen Ursprungs romanische Sprachtraditionen bis hinein in die karolingische Zeit verdeutlichen. Dann wird man aber erneut darüber diskutieren müssen, ob nicht Wallstadt und Walldorf doch Siedlungen dieser "Welschen" waren.
Wir haben also einen allmählichen Sprachwechsel vom Lateinischen zum Germanischen vor uns.

*)
Ich bin mir nicht sicher, ob wir für den Zeitraum unmittelbar nach dem Limesfall schon von "Alemannen" sprechen können, die der Errichtung von Burgi tatsächlich Widerstand hätten entgegen bringen können.
Es handelte sich zunächst wohl eher um Kleingruppen von Elbgermanen, die mit ihren Stammesverwandten, den Neckarsueben und der verbliebenen römischen Zivilbevölkerung relativ gemischt unter römischer Zivilverwaltung zusammen lebten. Siehe auch: Limesfall – Wikipedia
Schließlich ist auch das Dekumatenland nicht offiziell aufgegeben worden. Verwaltungszentren bestanden fort. Die Römer haben sogar ab 370 - stark ausgedünnte - Militärstationen neu errichtet.
Und erst der vermehrte Zuzug von elbgermanischen Gruppen brachte langsam und regional unterschiedlich die Bevölkerung zum "kippen".

In der Phase zwischen Limesfall (260) und dem Einbruch der Burgunder um 410 bzw. der für die Alemannen verlorenen Schlacht bei Tolbiacum kurz vor 500 erfolgte die "Ethnogese" der Alemannen - unter Einbeziehung der woa verbliebenen romanischen Bevölkerung:
...
In dieser Zeit ziehen sich die Alemannen aus den traditionellen römischen Siedlungen zurück, die römische Basis ihrer Kultur "trocknet" mehr und mehr aus, sie beginnen wieder mit einer eher "traditionellen" alemannisch-germanischen Siedlungsweise. Zu ihnen gehört der Zähringer Burgberg bei Freiburg, der um 400 als Siedlungszentrum ausgebaut wird. Auf solchen Höhenburgen konzentrieren sich auch Handwerk und Gewerbe.

Erst die fränkische Eroberung nach der für die Alemannen verlorenen Schlacht bei Tolbiacum 497 bringt dann den endgültigen Umschwung in Richtung auf die heute noch vorherrschende Siedlungsweise an den heute noch benutzten Siedlungsplätzen, zusammen mit einer von fränkischen Staat organisierten und für unseren Raum wohl vom Wormser Bistum getragenen Missionierung. Das ist die Zeit der Reihengräberfelder, die zusammen mit der Schicht der "-heim"-Orte den ältesten Horizont der fränkischen Besiedlung markiert.
 
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