Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

da schau her: die Merowinger erhielten von Witichis nicht nur die "rätsch-norischen Gebiete", sondern auch noch einen Batzen Geld obendrauf! aus https://epub.uni-regensburg.de/35160/1/Diss M Pöppel Pragmatische Sanktion PDF.pdf
... und die Provence, vgl. Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen, S. 335.

Kurz zuvor hatten sie sich das Burgunderreich unter den Nagel gerissen. Nun standen sie mit gewetzten Messern an der langen Westgrenze des Ostgotenreichs und verfolgten mit interessiertem Blick das Kriegsgeschehen auf der italienischen Halbinsel. Nach Prokopios hatten sie bereits dem oströmischen Kaiser militärische Unterstützung zugesagt. (Was dieser den Merowingern geboten hatte, überliefert Prokopios nicht, vielleicht waren es weniger als 2000 Goldpfund gewesen...)
 
Wie gotisch waren denn die Goten dort? Oder waren es Rugier, Gepiden, Sueben, Alamannen oder gar Baiuwaren?

Der einzige namentlich erwähnte dux Raetiarum trug den lateinischen Namen Servatus (was nichts heißen muss, bereits anlässlich der Schlacht von Straßburg 357 werden alemannische "Könige" mit lateinischen oder gar griechischen Namen aufgelistet).
Im Zusammenhang mit der militärischen Sicherung Rätiens werden die Breuner erwähnt (vgl. auch Venantius Fortunatus: "Breonum loca" am Inn); bei dieser "Ethnie" handelt es sich um alteingesessene Romanen.

in Raetien, dessen ostgotische Amtsträger (besonders die militärischen!) wohl abberufen bzw. zum Kriegsdienst abkommandiert wurden (samt ihren Truppen)

Einer der von Prokopios ausdrücklich genannten Zwecke der Gebietsabtretungen war, dass Witichis die dort stationierten Truppen abziehen und im Kampf gegen den oströmischen Gegner einsetzen konnte. Namentlich genannt wird der Heerführer Markias, der mit seinen Truppen (nach der Räumung der gallischen Gebiete) im Kampf um Rom eine bedeutende Rolle spielte.
 
In der ostgotischen Staatsdoktrin galt anscheinend die Donau als offizielle Nordgrenze. Das ging so weit, dass bei königlichen Banketten Rhein- und Donaufische aufgetischt werden mussten - aus propagandistischen Gründen, "damit die Gesandten der gentes glauben, er würde fast alles besitzen" (ut a legatis gentium credatur paene omnia possidere)
Da kann man aber auch an die pannonische Donau nördlich Sirmium denken, wo die Goten sicher waren. Cassiodor will ja an der Stelle mit seinen Fischspezialitäten die Grenzen des Reichs umreißen: Im Süden das Meer bei Sizilien und Kalabrien, im Nordwesten der Rhein und im Nordosten die Donau.
 
da schau her: die Merowinger erhielten von Witichis nicht nur die "rätsch-norischen Gebiete", sondern auch noch einen Batzen Geld obendrauf!

Bei Prokop finde ich nur die Abtretung der Provence. Anscheinend hat Theudebert nicht groß gefragt, als er Raetien zur Provence zählte? Und gleich bis Venetien weitermarschierte?
 
Der einzige namentlich erwähnte dux Raetiarum trug den lateinischen Namen Servatus (was nichts heißen muss, bereits anlässlich der Schlacht von Straßburg 357 werden alemannische "Könige" mit lateinischen oder gar griechischen Namen aufgelistet).
Und dieser spezielle dux Raetiarum fällt aus der Reihe der ostgotischen Duces, denn es ist das einzige übrig gebliebene spätrömische Dukat "dux Raetiae prima et secundae": Theoderich hatte dieses beibehalten. Die meisten Duces des ostgotischen Reichs hatten teils wechselnde Einsatzgebiete, teils solche, die nicht den Grenzen der spätrömischen Provinzen entsprachen.

Erfreulicherweise, ja erstaunlicherweise, findet die Frage
Wie gotisch waren denn die Goten dort?
in der Fachliteratur eine Antwort:
Die Herkunft der duces und Heerführer ist mit wenigen Ausnahmen der Ostgotenverband. Den Namen nach zu urteilen waren die meisten zudem Goten. Als Ausnahmen sind Bleda zu nennen, der einen hunnischen Namen trug, sowie die beiden Römer Cassiodor und Servatus, wobei diese beiden Sonderfunktionen hatten.
aus
Das Amt ›Dux‹ in Spätantike und frühem Mittelalter

evtl. sollte man bei der Frage nach Raetien bedenken:
a) die kriegerischen Wirren zu Odoakars Zeit hatten diese Provinz im Gegensatz zum gebeutelten Noricum noch nicht sonderlich tangiert, die spätrömische Verwaltung war intakt geblieben
b) aber Raetien war zunehmend militarisierte Grenzregion geworden, und das nicht erst mir dem "Regierungsantritt" Theoderichs, ab da aber ganz besonders. Vor Theoderich war die Verteidigungsstärke gesunken, die Forderten in Raetien konnten den Überfall und die Plünderungen durch Gibulds Alemannen nicht so wirklich abwehren.
c) für uns sind die Provinzen Noricum, Raetien und angrenzende Gegenden (was man so gemeinhin als "Alemannia" bezeichnet) von Interesse, weil sich in diesen Gebieten das spätere Dukat Bayern (mit seinem agilolfingischen dux baiuvarorum) befinden wird
d) der Gotenkrieg hatte schon begonnen, bevor König Witichis offenbar nicht nur Raetien an die Merowinger abtrat, sondern noch einen gehörigen Batzen Gold obendrauf legte. Es war zunächst Theodahat, der mit den Franken verhandelte, um diese davon abzubringen, den Byzantinern zu helfen. Zu einer Einigung kam es dann erst unter Witichis.
e) so lange Theoderich regierte, waren die ostgotische beherrschten Gebiete quasi tabu: man traute sich nicht so recht, gegen diesen vorzugehen - das bescherte den ostgotischen Gebieten einige Zeit Frieden und damit Prosperität: das ostgotische Gebiet wurde attraktiv zur Ansiedlung. Umgekehrt reagierte Theoderich mit Ansiedlung von allerlei Truppen bzw. wehrfähigen Siedlern für die Provinz Raetia (darunter Alemannen, aber auch "Krieger aus dem Norden", und:
Die Einwanderung der späteren Baiuwaren, viele davon aus Böhmen, wurde unter Theoderich forciert (...)
aus
Das Amt ›Dux‹ in Spätantike und frühem Mittelalter
 

Er bezieht sich bei dem Satz auf Lotter, Michalowski und Dietz. Michalowski bezieht sich auf Lotter 1985, Dietz weiß ich nicht.
Steht wirklich irgendwo dass Theoderich Leute aus Böhmen holte? Es gibt keine Quelle für Bajuwaren aus der Zeit Theoderichs.
Oder ist das eben der Schluss, dass Bajuwaren aus Böhmen kommen, und weil sie aus Böhmen kommen, sind sie Bajuwaren?
 
Zerjadte erwähnt einen beträchtlichen Anteil böhmischer Foederaten in Regensburg und der weiteren Umgebung für den Zeitraum spätes 5. bis 7. Jh., was archäologisch nachgewiesen seie. Diese werden sich im ersten Drittel des 6. Jh. wahrscheinlich nicht in Luft aufgelöst haben, und Theoderich hat wohl - laut Zerjadtke - weiterhin Truppen für den Flachlandraum Raetiens angeworben (wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinem Bündnis mit den Thüringern)
Ob sich diese Truppenanteile schon selber Bajuwaren nannten? Das bleibt wohl spekulativ, ABER ob mit ob ohne Theoderich, Ostgoten, Zirkelschlüsse: archäologisch sind beträchtliche Bevölkerungsteile des fraglichen Raums als böhmisch nachgewiesen.
-- noch ein kleiner Nachtrag: an anderer Stelle spricht Zerjadtke von bayerischen Gräbern Mitte des 5. Jh. bis später, deren Beigaben anfangs recht bunt gemischt waren, was sich aber später vereinheitlichte. Ob mit diesen bayerischen Gräbern auch oder nur die böhmischen Foederaten gemeint sind, ob das verschiedene Gruppen sind, weiß ich nicht (kann ich dem Text auch nicht entnehmen) - es geht Zerjadtke da um Raetia und den dux Raetiarum als Sonderfall, wobei die Siedlungsgeschichte Raetiens überblicksweise dargestellt wird; sie ist nicht der zentrale Forschungsgegenstand der Arbeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt eine starke Tendenz die Ethnogenese der Bajuwaren im Raum Regensburg zu verorten. Der Grund hierfür ist sicherlich, dass Regensburg ab dem 8. Jahrhundert (d.h. 200 Jahre später) als Residenz der bajuwarischen Herzöge bekannt ist. Für die Zeit davor fehlen die Schriftquellen.

Als Nachweis für die Herkunft der frühen Bajuwaren aus Böhmen gilt vor allem die Etymologie, daneben die Verbreitung der Friedenhain-Přešťovice-Keramik in Niederbayern und Böhmen. Die Gleichsetzung einer einer archäologisch nachweisbarer Sachkultur mit einer politisch oder militärisch auftretenden Gruppierung, ist allerdings heikel.

Dass der rätische Dux der Ostgoten überhaupt über Regensburg oder gar in Regensburg herrschte ist nicht zu beweisen. Die Erwähnung der Breonen im Zuammenhang mit Dux Servatus deutet vor allem das Gebiet am Inn hin - d.h. heutiges Tirol. Folgt man Venatius Fortunatus sind Breonen und Bajuwaren zwei unterschedbare Gruppen.

Die frühe Bajuwaria lag nicht in "Altbayern" sondern in "Schwaben".
Laut Venatius Fortunatus liegt die Bajuwaria am Lech und die Bajuwaren dominieren das Gebiet südlich von Augsburg. Das passt also nicht zum traditonellen Geschichtsbewusstsein, das von einer Konutinuität mit Altbayern ausgeht. Dass die Stammesgrenzen um 600 nicht mit den Grenzen der Grenzen der "Stammesherzogtümer" der Karolingerzeit u.a. übereinstimmen, ist eigentlich aber keine all zu große Überaschung.
Die Bajuwaren am Lech wären, anders als die unbestimmbaren Bewohner Regensburgs auch viel näher am Kloster Luxeuil. Jonas von Bobbio beschreibt wie Columban unter den Sueben unweit von Begrenz missioniert. Von dort ist es wirklich nicht mehr weit bis zum Lech. Dass Agilus und Euthasius diese Bajuwaren in Bayrisch-Schwaben erreicht haben, erscheint mir durchaus glaubhaft. Dass Agilus und Ethausius die Klöster Herrenchiemsee in Oberbayern und Weltenburg in Niederbayern gegründet hätten, erscheint mir aber unsinnig - es handelt sich um eine bayrische Ergänzung der Legende. Bei Jonas von Bobbio deutet wirklich gar nichts auf Oberbayern und Niederbayern. Für Augsburg hingegen ist die Anwesenheit von Klerikern aus dem burgundischen Gebiet durch die Gräber in der Kirche St. Ulrich und Afra sogar archäologisch nachweisbar. Das könnte tatsächlich ein Nachweis für eine frühe Missionierung der Bajuwaren durch die Columban-Schüler sein. In Schwaben fehlen auch die merkwürdigen bairischen Wochentagsnamen, die trotz offensichtlicher Entlehnung aus dem Griechischen als Zeugnis einer gotischen Mission gedeutet wurden.
Aus Sicht der Archäologie sind die Bewohner dieser Bajuwaria am Lech von den Alamannen kaum unterscheidbar.

Es spricht vieles dafür, dass sich das Gebiet der Bajuwaren zuerst in "Schwaben" lag und sich während der Merowingerzeit nach Osten verlagert hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Maglor ich sehe da kaum (d.h. nur marginale) Unterschiede zwischen deiner Darstellung und dem, was Zerjadke über Raetien und die Bajuwaren schreibt.
Folgt man Venatius Fortunatus sind Breonen und Bajuwaren zwei unterschedbare Gruppen.
Zerjadke bezeichnet die Breonen als Romanen (d.h. seit langem romanisiert) und unterscheidet sie ebenfalls von den germanischen Foederaten (verschiedener Gruppen, Splittergruppen, usw., darunter wohl auch Bajuwaren bzw. "gerade entstehende" Bajuwaren)
 
Als Nachweis für die Herkunft der frühen Bajuwaren aus Böhmen gilt vor allem die Etymologie, daneben die Verbreitung der Friedenhain-Přešťovice-Keramik in Niederbayern und Böhmen. Die Gleichsetzung einer einer archäologisch nachweisbarer Sachkultur mit einer politisch oder militärisch auftretenden Gruppierung, ist allerdings heikel.

Die Etymologie liefert keinen Nachweis. Es gibt mehrere denkbare Etymologien (und auch ein paar eher skurrile Versuche); die Fachleute sind da eher reserviert.

Im Zusammenhang mit Boioduron (Passau) schreibt Albrecht Greule, Von Regensburg nach Paderborn und zurück. Ortsnamen als frühmittelalterliche Geschichtsquellen, in: Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (Hrsg. Matthias Becher und Stefanie Dick), München 2010, S. 50 z. B.

"Nebenbei bemerkt, sollte dieser Name größere Beachtung bei der Deutung des Baiern-Namens finden."


Zu Friedenhain-Přešťovice aus der Sicht eines Archäologen:
J. Haberstroh, Der Fall Friedenhain-Pres´tovice - ein Beitrag zur Ethnogenese der Baiovaren. In: Die Anfänge Bayerns. Bayer. Landesgeschichte und Regionalgeschichte 1 (St Ottilien 2012) 125-147

"Unberücksichtigt blieben in diesem Zusammenhang offenkundige Widersprüche. Dabei war schon damals erkennbar, dass die Verbreitungsschwerpunkte der pdF [= plastisch dekorierten Feinkeramik] außerhalb Böhmens liegen, eine chronologische Lücke besteht zwischen deren Ende in den Gräbern und Siedlungen an der Donau und der Ersterwähnung der Baiovaren und dass in den südbayerischen Nekropolen der älteren Merowingerzeit der sog. Typ Friedenhain-Přešťovice in signifikanter Zahl ausblieb.
[...]
Aus allen historiografisch für Süddeutschland belegten Verbänden können deshalb Bevölkerungsteile an den 'Stammesbildungsprozessen' innerhalb und außerhalb Raetiens beteiligt gewesen sein, ohne dass diese im Formenbestand oder dem archäologischen Befund abzugrenzen sind. In der Raetia II findet dieser Prozess in einer Zeit statt, in der die Verwendung der pdF bereits seit mehreren Generationen keinen archäologischen Niederschlag mehr findet.
Die bis in die jüngsten Bearbeitungen hinein dominierende Überbetonung der ethnischen Interpretation der pdF verhinderte die zuletzt mehrfach und teils von denselben Autoren geforderte Neubearbeitung unter objektivierbaren Gesichtspunkten."


Zerjadte erwähnt einen beträchtlichen Anteil böhmischer Foederaten in Regensburg und der weiteren Umgebung für den Zeitraum spätes 5. bis 7. Jh., was archäologisch nachgewiesen seie.
Da ist er eventuell der in der Literatur oft anzutreffenden Überbetonung der ethnischen Interpretation der pdF aufgesessen.

Außer Hypothesen nix gewesen...
 
Im Folgenden ein (hoffentlich nicht allzu langwieriger) Versuch, verschiedene vage Anhaltspunkte zur Entstehung des Stammes in eine einheitliche und plausible Geschichte zu integrieren.

Erster Anhaltspunkt: In der Alpenländischen Annalengruppe und in der Passio Quirini heißt es, die Baiern seien aus ihrer Heimat erst vertrieben und zurzeit der Goten zurückgekehrt:

508 Hoc tempore gens Barbarorum seu Noricorum primitus a suis sedibus expulsia revertitur, cum duce suo Theodone, in Bawariam, Latinis ab es commigarantibus (Auctarium Gartense)

Niederkorn meint, darin stecke ein wahrer Kern. Aetius besiegte 431 aufständische Noricer (nach Niederkorn eigentlich in Noricum angesiedelte Germanen), die sich beim Einfall der Juthungen mit diesen verbündetet hatten. Die besiegten Noriker flüchten über die Donau in den Norden und kommen Jahrzehnte später zurück. Möglich, aber wie wahrscheinlich? Es wird ziemlich viel angenommen, nur um die Rückkehr-Nachricht historisch zu fundieren.

Zweiter Anhaltspunkt: Die Baiern werden von Anfang an mit den Norikern gleichgesetzt, obwohl nur ein kleiner Teil Noricums zum ursprünglichen Baiern gehörte. Darauf weist Irmtraud Heitmeier hin. Von Heitmeier stammt auch der dritte Anhaltspunkt: Im einstigen Noricum, östlich des Inns, hat der baierische Agilolfinger-Herzog mehr Macht als im Westen, wo der Adel stark ist. Heitmeiers Erklärung dieser beiden Auffälligkeiten: Nach dem von Odoaker erzwungenen Rückzug der Romanen von Ufernoricum bewirkt Ostrom, welches das illyrische Noricum als Teil der östlichen Reichshälfte ansieht, die die Ansiedlung von germanischen Föderaten, die das Gebiet verteidigen sollen (Baiovarii, germanisch Baio-Warjoz, Männer, die Baia verteidigen). Diese haben nach Heitmeier wohl einen dux mit weitreichenden Herrschaftsrechten. Einige Zeit später vereint Garibald sein fränkisches Herzogtum mit dem ursprünglich oströmischen Noricums. Die Eigenheiten dieses ursprünglichen Herzogtums und die Namenstradition bleiben bestehen. Ein Problem dabei: Es gibt kaum gesicherte archäologische Hinweise auf diese Föderaten, Ufernoricum war vielmehr nach Abzug der Römer siedlungsarm.

Vierter Anhaltspunkt: Der Name Baiovarii könnte Leute aus Boiohaemum meirnen (also aus dem heutigen Böhmen, wie Tacitus, Velleius und Strabo überliefern). Das könnten die germanischen Siedler an der Donaugrenzte bei Regensburg und Straubing gewesen sein, deren Keramik so ähnlich auch in Tschechien gefunden wurde (die Friedenhain/Prestovice-Theorie von Thomas Fischer und anderen aus den 80ern). Ein Problem: Solche Keramik gab es überall in der Germania libera.

Der Ansatz wird heute gerne erwähnt, um ihn zu verwerfen, er hat aber seine Stärken, setzt er doch an erkennbar günstigen Bedingungen für eine Stammesbildung an, nämlich eine archäologisch nachgewiesene germanische Bevölkerung, die in einer fruchtbaren Gegend um eine starke Festung siedelt.

Und jetzt die Kombination der Ansätze zu einer schlüssigen Gesamtgeschichte: Noricum wurde nach 488 von den Romanen (oder deren Oberschicht) geräumt. Bis 506 oder so hatten die den Raum zuvor dominierenden Stämme, die Rugier, Alemannen und Heruler, ihre Macht verloren, und in Rätien, und erst recht im weitgehend entvölkerten Noricum, tat sich ein Machtvakuum auf. Das war Anlass zur bairischen Stammesbildung. Dabei ging es vielleicht nicht nur um das Abschütteln von Abhängigkeiten, sondern um den Zugriff auf das menschenarme Ufernoricum. Dafür kam die Rechtfertigung als Rückkehr aufgrund einer Herkunftssage gerade recht: Ufernoricum konnte als altes Boierland begriffen werden, das vielleicht Baia genannt wurde. Dafür spricht, dass es ein Boiodurum gab, weiter östlich die deserta Boiorum und (zwar schon in Pannonien, aber nicht weit weg) die civitas Boiorum. Der Stamm selbst mag sich als Nachfahren der Boier gesehen haben (wovon auch Jonas von Bobbio über die Herzogstocher und Königin Theudelinde weiß), also als Leute, die in ihr altes Land zurückkehren. Das könnte so gewesen sein, wenn eine Teilgruppe wusste, dass ihre Vorfahren aus einem Boierland (nämlich aus Boiohaemum) an die Donau gekommen waren. Das beschlagnahmte Noricum blieb für den Baiernstamm so wichtig, dass sich die Baiern auf Latein Norici nannten. Als neu erobertes Land blieb es auch unter besonderem Zugriff der militärisch-politischen Führung. Die fränkischen Könige haben dann nach einigem Zögern (denn Theudebert schreibt Iustinian noch nichts von Baiern) ihren eigenen Herzog Garibald an die Spitze dieses Verbandes gestellt.
 
Außer Hypothesen nix gewesen...
...bedauerlich - wobei auch der von dir zitierte Haberstroh eine Hypothese / Spekulation aufstellt:
(... dass) 4.
der Prozess der „Stammesbildung" der baiovarii frühestens in der Zeit Theoderichs einsetzt und dabei wohl an die alten Provinzgebiete gebunden ist.
das halte ich eigentlich sich für plausibel, aber es ist wegen fehlender eindeutiger Quellen eher spekulativ; nebenbei schreibt Haberstroh von einer frühesten schriftlichen Erwähnung der baiovari 551 - wenn das Iordanes meint, wäre er der späteren Interpolation aufgesessen.
wie dem auch sei: beide, Haberstroh und Zerjadke, verraten die Hypothese einer bayerischen Ethnogenese unter Theoderichs Fittichen.
 
wie dem auch sei: beide, Haberstroh und Zerjadke, verraten die Hypothese einer bayerischen Ethnogenese unter Theoderichs Fittichen.

Autokorrektur verraten = vertreten?

Haberstroh vertritt diese Hypothese nicht. Er sagt "frühestens", was die Möglichkeit einer späteren Ethnogenese natürlich einschließt.
Zerjadtke behauptet explizit, Theoderich habe die Einwanderung der (späteren) Bajuwaren forciert.
 
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Autokorrektur verraten = vertreten?
...der Teufel soll das Dings holen!...
Die bayerische Ethnogenese ist bei beiden nicht das zentrale Anliegen, als gütlich verbindendes Element könnten wir die Möglichkeit "innerhalb der alten (spätrömischen) Provinzen in ostgotischem Herrschaftsbereich, vielleicht frühestens ab da, vielleicht von Theoderich forciert" stehen lassen.
 
Von Heitmeier stammt auch der dritte Anhaltspunkt: Im einstigen Noricum, östlich des Inns, hat der baierische Agilolfinger-Herzog mehr Macht als im Westen, wo der Adel stark ist. Heitmeiers Erklärung dieser beiden Auffälligkeiten: Nach dem von Odoaker erzwungenen Rückzug der Romanen von Ufernoricum bewirkt Ostrom, welches das illyrische Noricum als Teil der östlichen Reichshälfte ansieht, die die Ansiedlung von germanischen Föderaten, die das Gebiet verteidigen sollen (Baiovarii, germanisch Baio-Warjoz, Männer, die Baia verteidigen). Diese haben nach Heitmeier wohl einen dux mit weitreichenden Herrschaftsrechten. Einige Zeit später vereint Garibald sein fränkisches Herzogtum mit dem ursprünglich oströmischen Noricums. Die Eigenheiten dieses ursprünglichen Herzogtums und die Namenstradition bleiben bestehen. Ein Problem dabei: Es gibt kaum gesicherte archäologische Hinweise auf diese Föderaten, Ufernoricum war vielmehr nach Abzug der Römer siedlungsarm.
Der Ansatz, wonach die Anfänge der Baiovarii im Ufernoricum zu suchen sind, hat schon seinen Reiz; so ganz verstehe ich nicht, warum sich der Name der Baiovarii sich in kürzester Zeit auf die Raetia II ausgebreitet hat, während der Name Noricum nach wie vor hartnäckig am Noricum hängengeblieben ist (vgl. Venantius Fortunatus).

Der Stamm selbst mag sich als Nachfahren der Boier gesehen haben
Wenn sie sich selber als *Bajowarjōz verstanden haben, dann wohl kaum. (*warjan 'wehren' = Leute, die sich ihrer Vorfahren erwehren? Oder die ihre Vorfahren verteidigen?)

Das beschlagnahmte Noricum blieb für den Baiernstamm so wichtig, dass sich die Baiern auf Latein Norici nannten.
Dem Latein sprechenden Venantius Fortunatus hat sich im (damals noch Latein sprechenden Augsburg) der Baioarius dann wohl auf Bairisch vorgestellt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Ansatz, wonach die Anfänge der Baiovarii im Ufernoricum zu suchen sind, hat schon seinen Reiz; so ganz verstehe ich nicht, warum sich der Name der Baiovarii sich in kürzester Zeit auf die Raetia II ausgebreitet hat, während der Name Noricum nach wie vor hartnäckig am Noricum hängengeblieben ist (vgl. Venantius Fortunatus).
Heitmeier weist darauf hin, dass die Baiern ihr Land, wenn sie Latein schrieben, häufig Noricum genannt haben. Das betrifft natürlich noch nicht das 6. Jahrhundert, weil sie da noch gar nichts Überliefertes geschrieben haben.
 
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