Die Aussageabsicht der "fränkischen Völkertafel" wird erst offensichtlich, wenn man auch den Großvater der Völker betrachtet. Er blieb in diesem Thread bisher unerwähnt.
Die überlieferten Schreibwesen sind wie immer vielfältig.
- Primus rex romanorum Analeu
- Primus rex romanorum Allanius dictus est
- Mulius rex
- Mulius rex
- Alaneus dictus est homo
Die Namen sind wahrscheinlich eine Verderbung und Verballhornung des Mannus, bekannt aus der Germania des Tacitus. Die Namen der Söhne in der "fränkischen Völkertafel" ähneln den Schreibweisen der Hermionen, Istväonen und Ingväonen bei Tacitus auch kaum noch. Dieser germanische Erzvater Pseudo-Mannus wird hier zum ersten König der Römer erklärt - also gleichzeitig eine Art Pseudo-Romulus. Die in der Völkertafel benannten Enkel (d.h. die Völker) sind auch die Erben Roms! Nebenbei werden die Römer und Brite oder Bretonen auch zu Abkömmlingen des Pseudo-Mannus erklärt.
Eventuell hat der Bücherwurm den Namen "Mannus" etymologisch sogar richtig gedeutet, denn ein germanische Wort "Mannus" bedeutet offensichtlich so viel Mann/Mensch oder lateinisch
homo.
Nennius verbindet in seiner "Geschichte der Briten" anscheinend mehrere Version, entfernt den Königstitel, macht Pseudo-Mannus dafür aber zum Abkömmling Noahs und durch ein Hyperkorrektur zum Alanen:
"Primus homo venit ad Europam de genere Iapheth: Alanus"
Der Alane ist der erste Mensch, der nach Europa kam. Er stammt von Japhet ab - und somit auch von Noah!
Mit Noah verwandt zu sein ist im frühmittelalterlichen Britannien extem wichtig, denn wer im biblischen Stammbaum falsch abgebogen ist, muss ein Monster sein. Das Monster Grendel der Beowulf-Sage gilt dort als ein Nachfahre Kains - des verfluchten Sohns von Adam.
Die Bearbeitung in der britschen Geschichte zeigt auch, dass die Propaganda der Völkertafel in Westeuropa universell verwertbar ist, weil einfach allen christlichen Völkern Westeuropas Honig um den Mund geschmiert wird.
Dass die echten Vandalen nach Afrika übergeschifft sind, hat niemanden interessiert. Sie gelten einfach auch als Europär, Abkömmlinge von Japhet, Pseudo-Mannus, Pseudo-Romulus usw.
Die Bajuwaren gehören ebenfalls zu dieser illustren Abstammungsgemeinschaft.
Die Benennung nach Flüssen oder Namensgleichheit mit Flüssen ist eher der Regelfall. Das prominenteste Beispiel hierfür sind Sueben und der Fluss Suebos.
Eine Benennung nach dem Anführer scheint eher unüblich gewesen zu sein. Das einzig wirklich greifbare Beispiel dafür wäre Lothringen. Hier wurde ein Königreich nach dem König Lothar benannt und der Name blieb dauerhaft erhalten, aber das Beispiel stammt schon aus der Karolingerzeit.
Es handelt sich viel mehr um einen antiken und frühmittelalterlichen Topos, dass die Barbarenstämme nach Flüssen benannt seien.
Isidor von Sevilla erfindet anscheinend sogar Flüsse um die Namen der Alemannen und Alanen pseudoetymologisch zu erklären.
Die Alemannen wären nach dem Fluss Lemannus benannt. Das könnte noch eine mutwullige Verwechslung mit dem Genfersee (Lacus Lemanus) sein. Isodor ist auch der erste, der Alemanni statt Alamanni schreibt.
Die Alanen sind nach Isidors Meinung nach dem Fluss Lanus nördlich der Donau benannt. Dieser Fluss ist jedoch schon frei erfunden.
Es wäre durchaus möglich, dass der Geograf von Ravenna oder ein moderner Historiker eigens einen Flussnamen erfunden hat, um den Namen der Bajuwaren zu erklären. Das wäre sicher ganz im Sinne Isidors.
Die Herleitung der Stammesnamen von realen oder fiktiven Flussnamen ist jedenfalls eine populäre Methode und gewissermaßen ein Gegenpol zur Erfindung von Sagenkönigen und Stammvätern, nach denen die Stämme benannt sein sollen..
Dass die Römer Sammelnamen verwendeten (in diesem Fall für die lästigen Plünderergruppen an der Rheingrenze) ist ja nichts ungewöhnliches. Bei vielen spätantiken "Stämmen" könnte sich die Fremdbezeichnung mit der Zeit zur Eigenbezeichnung gewandelt haben. (Franci, Saxones).
Die Bajuwaren werden ebenfalls durch Vennantus Fortunatus zuerst als lästige Wegelagerer beschrieben.
Was der Dichter über die Bajuwaren schreibt, klingt eher nach einem Dissens mit den Christen in Augsburg. Wer auch immer das Afra-Heiligtum in Augsburg damals unter Kontrolle hatte, es wird ihm nicht gefallen haben, dass irgendwelche Bajuwaren den Pilgern auflauern.
Vielleicht haben die Bajuwaren wirklich als Straßengang angefangen, die die Pilger ausnimmt.