Wie wichtig war das Christentum für die Entstehung heutiger Moralvorstellungen?

Aber wir sind hier in einem Faden, der sich mit Moral beschäftigt, und auf diesem Gebiet hat die Religion, Christentum genannt, Unheil angerichtet.

Wir sind in einem Faden, der sich mit der Ideengeschichte von Moralvorstellungen beschäftigt, nicht damit ob irgendwer den von ihm postulierten Vorstellungen auch entsprochen hat, dass ist für die ideengeschichtliche Frage möglicher Kontinuitäten vollkommen bedeutungslos.

Und die Herrschaft der christlichen Kirche in Sachen Moral war die längste Zeit ihres Bestehens eine totale.
Absurd!

Es gab zu keiner Zeit eine absolute Herrschaft der Kirche in Sachen Moral.
Es gab vielleicht einen absoluten Anspruch auf die Deutungshoheit in Sachen Moral, der sich aber längt nicht immer realisieren ließ.
Ansonsten gab es immer Anfechtungen bestimmter kirchlicher Vorstellungen und die Schwierigkeit bestimmte Ge- oder Verbote zu rechtfertigen.
Abgesehen von der Tatsache, dass die entsprechenden Dogmen auch immer einem gewissen inneren Reformdruck unterlagen.

Hätte es so etwas wie eine realiter durchgesetze Herrschaft der Kirche in Sachem Moral jemals gegeben, hätte die Kirche als Institution selbst nicht angegriffen werden können.
Genau das passierte aber in Permanenz.

- Schau dir an, wie viele Päpste vom römischen Adel oder vom römischen Stadtvolk davon gejagt und wie vielen von weltlichen Potentaten installierte Gegenpäpste entgegengesetzt wurden.
- Schau dir an wie viele Laienbewegungen, wie die Katharer es gab, die in einigermaßen regelmäßigen Abständen die Autorität des Klerus herausforderten.

Etc. etc.

Eine wie auch immer geartete totale Herrschaft sieht ein Bisschen anders aus.


Selbsterhaltungstrieb der Institution, Kirche genannt - sobald sie sich bedroht fühlte, schlug sie um sich ohne Rücksicht auf Verluste.

Auch das stimmt so nicht. Schaut man sich etwa die Reformationszeit im Heiligen Römischen Reich und die Causa Luther an (ich weiß, du kannst den Mann nicht leiden), wird das eigentlich recht deutlich.

Luther selbst fängt die Sache 1517 mit seinen Thesen an, anschließend wird darüber zunächst in Heidelberg disputiert, anschließend wird er nach Augsburg zitiert und zum Widerruf aufgefordert, zur Verhandlung vor dem Wormser Reichstag kam es erst 1521.
Es wurde also 4 Jahre lange disputiert, begutachtet, verhandelt und versucht zu irgendeiner Lösung in der Sache zu kommen, erst als sich dann noch immer keine Lösung abzeichnete wurde zu den wirklich scharfen Schwertern der Exkommunikation und der Reichsacht gegriffen.

Ohne Rücksicht auf Verluste um sich schlagen sieht etwas anders aus, da hätten andere Mittel zur Verfügung gestanden und vor allem hätte man dann sehr viel schneller exkommuniziert.


Doch die Frage ist, warum sie vor allem auf dem Gebiet der (sexuellen) Moral so rigide vorging bzw. vorgeht. Warum mischt sie sich in so intime Dinge wie Sexualität ein, wo niemand, auch der Staat nicht, was zu suchen hat.

Weil Sexualität in einer Agrargesellschaft ohne sozialen Sicherungsrahmen, wenigstens in einigen Aspekten keine Privatangelegenheit ist, jedenfalls nicht in dem Maße, wie das in einer modernen Industriegesellschaft der Fall ist.

Eine Ächtung von außerehelichem Geschlechtsverkehr z.B. macht natürlich durchaus Sinn, wenn es kein soziales Netz gibt, dass in der Lage wäre, potentiell daraus hervorgegangene Kinder aufzufangen, zumal in einer Mangelgesellschaft in der es periodisch schon durch widrige Umweltbedingungen schwerfällt alle Mitglieder der Gesellschaft über die Runden zu bringen.
Hinzu kommen andere damit verbundene Fragen, wie z.B. das Erbrecht, was noch gesonderte Probleme aufwirft, nicht nur im Bezug auf Prister.

Auch spielen dann natürlich die Verpflichtungen gegenüber den jeweiligen Partnern eine Rolle. Eine klare Verpflichtung gegenüber einer Partnerin oder einem Partner, lässt sich relativ klar umreißen und definieren. Je mehr Personen darin aber involviert sind und je unübersichtlicher das wird, dessto komplizierter wird es dafür irgendwelche Formen funktioniernder Regeln zu finden.


Ähnliches im Hinblick auf Homosexualität. Toleranz und Akzeptanz von Kinderlosen Paaren, was in homosexuellen Verbindungen ja einmal gegeben ist, kann sich eine moderne Gesellschaft, mit einem modernen Pflege- und Rentensystem leisten, dass nicht auf die (Groß)Familie als Alters- und Krankheitsabsicherung angewiesen ist.
Das ist für eine vormoderne Agrargesellschaft, die diese Möglichkeiten nicht hat, wesentlich schwieriger zu akzeptieren und zwar nicht aus ideologischen, sondern aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen.


Es ist durchaus sinnvoll kritisierbar, wie die Kirchen und gerade die Katholische mit diesem Thema heute umgehen und ich habe auch vollstes Verständnis dafür, wenn deren Aggieren heute (in Europa) als übergriffig empfunden wird.
Vor der Industrialisierung machten gewisse Regelsetzungen in diesem Bereich allerdings Sinn, auch wenn man sie aus der heutigen Perspektive moralisch nicht gutheißen kann.

Ich meine zwar, darauf eine Antwort zu haben, bin aber noch unsicher, ob es klug wäre, sie schon zu diesem Zeitpunkt bekanntzugeben – bin schon sowieso des Kirchenbashings verdächtigt. ;)
Immer schön, wenn man sich schon über angebliche Anfeindungen beschwert, bevor diese überhaupt stattgefunden haben.

Dies vor allem von denjenigen, die für diese Einmischung der Kirche in das Privatleben der Menschen zumindest Verständnis zeigen.

Ich denke in wie weit dem Verständnis entgegen zu bringen ist, ist massiv davon abhängig, von welchen materiellen Rahmenbedingungen wir reden.

Ich bin ja ausnahmsweise mal bei dir, in dem Anspruch, dass unter den Bedingungen der heutigen Gesellschaftsordnung mit ihrem sozialen Netz, dass diverse Dinge regeln und substituieren kann, die kirchliche Vorstellung im Hinblick auf Sexualmoral und die Deutungshoheit darüber ihrem Konzept nach übergriffig und unnötig sind.
Gleichwohl stellen sie kein Problem dar, weil heute niemand mehr gezwungen ist sich dem zu unterwerfen, ohne sich dabei weitgehend selbst aus der Gesellschaft auszugrenzen, wenn er/sie das nicht tut.

Im Hinblick auf die prämodernen Agrargesellschaften sieht das anders aus, da waren einge Vorschriften, die in dieser Hinsicht gemacht wurden durchaus sinnvoll (Bestimmungen zu außerehelichem Geschlechtsverkehr) oder konnten den Zeitgenossen wenigstens sinnvoll erscheinen.

Das dabei eine unfreie Gesellschaft mit diversen sehr unerfreulichen Fassetten herum kam, in der keiner von uns leben wollen würde, darüber müssen wir nicht diskutieren, es wäre allerdings zu hinterfragen, ob es im Rahmen einer vormodernen agrarischen Mangelgesellschaft möglich gewesen wäre, das groß anders zu organisieren.
Denn das religiöse Institutionen in vormodernen Gesellschaften in das Sexualleben ihrer Gläubigen in irgendeiner Form hinen regierten und einen entsprechenden Rahmen setzten ist ja durchaus kein speziell christliches Ding und auch nichts, was die monotehistischen Religionen exklusiv gepachtet hätten.

Diese Regelwerke sind nicht aus reinem Spaß der religiösen Institutionen daran erfunden worden ihre Gläubigen zu quälen, sondern um unter den gegebenen Umständen eine einigermaßen funktionierende Gesellschaft auf die Beine zu stellen.
Und da die Herausbildung des Staates, in der Form, dass er wirklich bis auf die Provinzebene hin durchregieren konnte, bis ins 18. und 19. Jahrhundert andauerte, ist es auch folgerichtig und sinnvoll gewesen, dass die Funktion das zu definieren und als Regeln einzuschleifen bei denjenigen Organisationen lag, die vor Ort präsent waren und das war einmal in diesen Breitengraden die Kirche.

Wie gesagt, in der heutigen Zeit ist das sicherlich unangebracht, weil wir uns anders organisieren und abstützen können, vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte das eine gewisse Berechtigung.
 
Nein @Dion hier geht es nicht um deine anklägerischen Fragen, sondern um die Fragestellung "wie wichtig war das Christentum für die Entstehung heutiger Moralvorstellungen?" - falls du mir das nicht glaubst, schau dir die Überschrift dieses Fadens an.
Es tut mir leid, wenn du meine Fragen als anklägerisch empfindest, aber sie basieren auf Tatsachen, die zu leugnen es auch dir schwer fallen dürfte.

Dass man auf meine Fragen auch vernünftig antworten kann, hat @Shinigami gezeigt; ich gehe normalerweise nicht auf seine Beiträge ein, aber diesmal tue ich das – vielleicht ändert sich dadurch unsere Beziehung ins Positive.

Es gab zu keiner Zeit eine absolute Herrschaft der Kirche in Sachen Moral.
Es gab vielleicht einen absoluten Anspruch auf die Deutungshoheit in Sachen Moral, der sich aber längt nicht immer realisieren ließ.
Dass sich dieser Absolutheitsanspruch nicht immer realisieren ließ, liegt in der Natur der Sache – auch im Zeit des Absolutismus konnten Könige ihren Absolutheitsanspruch nicht immer durchsetzen, trotzdem bezeichnen wir jene Epoche als Absolutismus.

Ansonsten gab es immer Anfechtungen bestimmter kirchlicher Vorstellungen und die Schwierigkeit bestimmte Ge- oder Verbote zu rechtfertigen.
Ja, die gab es – trotzdem blieb die Kirche bis in den 20. Jahrhundert hinein bei Vorstellungen, die sich Kirchenväter in einer ganz anderer Zeit aus den Fingern gesogen hatten, denn das Neue Testament schweigt fast völlig zur Sexualmoral.

Es wurde also 4 Jahre lange disputiert, begutachtet, verhandelt und versucht zu irgendeiner Lösung in der Sache zu kommen, erst als sich dann noch immer keine Lösung abzeichnete wurde zu den wirklich scharfen Schwertern der Exkommunikation und der Reichsacht gegriffen.
Du unterschlägst hier den 30-jährigen Krieg, der als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten begann.Schon allein deswegen wäre die Formulierung „sie schlug um sich ohne Rücksicht auf Verluste“ berechtigt, aber da gibt es noch die Ausrottung der Katharer, die Hexenprozesse, etc.

Eine Ächtung von außerehelichem Geschlechtsverkehr z.B. macht natürlich durchaus Sinn, wenn es kein soziales Netz gibt, dass in der Lage wäre, potentiell daraus hervorgegangene Kinder aufzufangen, zumal in einer Mangelgesellschaft in der es periodisch schon durch widrige Umweltbedingungen schwerfällt alle Mitglieder der Gesellschaft über die Runden zu bringen.
Das Neue Testament verhält sich zum Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr tolerant – siehe Johannes 8,1–11. Woher nimmt sich die Kirche das Recht, das anders zu sehen?

Hinzu kommen andere damit verbundene Fragen, wie z.B. das Erbrecht, was noch gesonderte Probleme aufwirft, nicht nur im Bezug auf Prister.
Was geht die Kirche das Erbrecht der Gläubigen, also der Nichtkleriker an?

Ähnliches im Hinblick auf Homosexualität. Toleranz und Akzeptanz von Kinderlosen Paaren, was in homosexuellen Verbindungen ja einmal gegeben ist, kann sich eine moderne Gesellschaft, mit einem modernen Pflege- und Rentensystem leisten, dass nicht auf die (Groß)Familie als Alters- und Krankheitsabsicherung angewiesen ist.

Das ist für eine vormoderne Agrargesellschaft, die diese Möglichkeiten nicht hat, wesentlich schwieriger zu akzeptieren und zwar nicht aus ideologischen, sondern aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen.
Kinderlosigkeit der Homosexuellen wurde und wird als Grund nur vorgeschoben, der wahrer Grund liegt in der Ideologie der patriarchalen Gesellschaftsordnung des Alten Testaments. Beweis: Noch heute verlangt die katholische Kirche von den Homosexuellen, sich des Geschlechtsverkehrs zu enthalten. Das ist reine Ideologie.

Vor der Industrialisierung machten gewisse Regelsetzungen in diesem Bereich allerdings Sinn, auch wenn man sie aus der heutigen Perspektive moralisch nicht gutheißen kann.
Diese Regelsetzungen machten objektiv nie Sinn – sie wurden einfach von den vorchristlichen Gesellschaften übernommen und mal mehr und mal weniger streng angewandt.

Gleichwohl stellen sie kein Problem dar, weil heute niemand mehr gezwungen ist sich dem zu unterwerfen, ohne sich dabei weitgehend selbst aus der Gesellschaft auszugrenzen, wenn er/sie das nicht tut.
Wie reden hier nicht über das Heute, sondern über die Vergangenheit; wenn ich dennoch ab und zu auf heute verweise, dann nur, um zu zeigen, dass gewisse Regeln aus längst vergangenen Zeiten immer noch bestehen.

Im Hinblick auf die prämodernen Agrargesellschaften sieht das anders aus, da waren einge Vorschriften, die in dieser Hinsicht gemacht wurden durchaus sinnvoll (Bestimmungen zu außerehelichem Geschlechtsverkehr) oder konnten den Zeitgenossen wenigstens sinnvoll erscheinen.
Wie gezeigt, entstammt dieses Denken der patriarchalen Gesellschaften: Ein Mann kann sich nie sicher sein, das ein Kind, für das er sorgen soll, wirklich von ihm ist. Deswegen z.B. auch der ganze Schmarrn mit der Jungfräulichkeit der Braut, der nur dazu diente, einigermaßen sicher zu gehen, dass zumindest das erste Kind vom Ehemann ist. Die sog. Hochzeitreise dient heute auch diesem Zweck.

Denn das religiöse Institutionen in vormodernen Gesellschaften in das Sexualleben ihrer Gläubigen in irgendeiner Form hinen regierten und einen entsprechenden Rahmen setzten ist ja durchaus kein speziell christliches Ding und auch nichts, was die monotehistischen Religionen exklusiv gepachtet hätten.
Natürlich ist das Hineinregieren ins Sexualleben kein speziell christliches Ding. Aber die Methode, dass alles Sexuelle des Teufels ist, sofern es nicht der Kinderzeugung dient, das war und ist perfide, weil kaum jemand in der Lage war und ist, seinen Sexualtrieb so unter Kontrolle zu halten, um den Ansprüchen der Kirche zu genügen. Ergebnis: Es gab lauter Sünder, die, sich ihrer Schuld bewusst, kaum in der Lage waren, sich zu wehren. Es war dann nur konsequent, Unglücke und Katastrophen im Leben sich selbst zuzuschreiben: Man hat ja gesündigt. Menschen, die sich schuldig fühlen, sind leichter zu regieren, als Menschen, die sich keiner Schuld bewusst sind.

Und da die Herausbildung des Staates, in der Form, dass er wirklich bis auf die Provinzebene hin durchregieren konnte, bis ins 18. und 19. Jahrhundert andauerte, ist es auch folgerichtig und sinnvoll gewesen, dass die Funktion das zu definieren und als Regeln einzuschleifen bei denjenigen Organisationen lag, die vor Ort präsent waren und das war einmal in diesen Breitengraden die Kirche.
Du sagst damit, es gab hierzulande bis ins 18. und 19. Jahrhundert keine weltliche Macht, die bis in die Provinzebene regieren konnte – und bestätigst damit, dass die Kirche bis dahin die eigentlich Regierungsmacht darstellte, was du aber oben verneint hast. Was ist nun wahr?
 
Dass sich dieser Absolutheitsanspruch nicht immer realisieren ließ, liegt in der Natur der Sache – auch im Zeit des Absolutismus konnten Könige ihren Absolutheitsanspruch nicht immer durchsetzen, trotzdem bezeichnen wir jene Epoche als Absolutismus.

Ja, die Frage wäre allerdings bezeichnen wir sie so, weil es tatsächlich eine Absolute Herrschaft gegeben hätte oder weil die Vorstellung einer absoluten Herrschaft in dieser Zeit als Gesellschaftsideal/Herrschaftsideal galt?
Ich würde meinen, letzteres, denn trotz des gegebenen Anspruchs waren die Möglichkeiten des erst beginnenden bürokratischen Apparates wirklich flächendeckend Kontrolle auszuüben eher prekär.

Ja, die gab es – trotzdem blieb die Kirche bis in den 20. Jahrhundert hinein bei Vorstellungen, die sich Kirchenväter in einer ganz anderer Zeit aus den Fingern gesogen hatten, denn das Neue Testament schweigt fast völlig zur Sexualmoral.

Wie gesagt, dass die Kirche auf die gesellschaftlichen Umbrüche der Industrialisierung nicht oder extrem verspätet reagierte, halte ich für sinnvoll kritisierbar, wobei hier gerade der katholischen Kirche zu gute zu halten wäre, dass in einem Großteil der Gebiete um die sie sich zu kümmern hat, noch wesentlich länger vormoderne Strukturen vorherrschten und vorherrschen, was sie in dieser Hinsicht in einen ziemlichen Spagat zwang und zwingt.

Du unterschlägst hier den 30-jährigen Krieg, der als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten begann.
Er begann ja gerade nicht als Religionskrieg, sondern als Krieg um die Sukzession in Böhmen und damit um die potentielle Anfechtung des habsburgischen Kaisertums.
Auch gab es während des 30-Jährigen Krieges eigentlich nie ein geschlossenes "protestantisches" Lager.
Kursachsen steht fast die ganze Zeit auf kaiserlicher Seite und Brandenburg versucht sich so lange als möglich vollkommen raus zu halten.

Münkler hat dass in seinem Buch über den 30-Jährigen Krieg mit der Mehrschichtigkeit dieses Krieges begründet und damit dass das agieren Freidrich V. v. der Pfalz von den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg als unrechtes Agieren betrachtet wurde und der Krieg selbst von den beiden nicht direkt involvierten protestantischen Kurfürsten gerade nicht als eine religionspolitische Auseinandersetzung (denn dann hätten sie eingreifen müssen) bewertet wurde, sondern als Aufstand gegen Kaiser und Reich.

Das erscheint auch als eine sinnvolle Interpretation, zumal wenn man sich vergegenwärtigt, dass Ferdinand II. als König von Böhmen bereits bestätigt war.
Der Majestätsbrief Rudolf II. von 1609 gestand den böhmischen Ständen zwar das Recht zur Königswahl in Böhmen zu, fraglich allerdings, ob das auch das Recht umfasste einen bereits gewählten König abzusetzen.
Damit begab sich Friedrich V. v. der Pfalz auf ganz dünnes Eis, als er sich als potentiellen Gegenkönig aufstellen und wählen ließ, abgesehen davon dass er damit auf anderer Ebene die Reichsverfassung komplett an die Wand fuhr, weil dass die Vereinigung von 2 Kurstimmen auf eine einzige Person bedeutet hätte.

Dieses Handeln in erster Linie als Angrif auf die bestehende Rechtsordnung abseits religionspolitischer Probleme zu betrachten, ließ sich ganz ohne weiteres begründen.

Das Neue Testament verhält sich zum Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr tolerant – siehe Johannes 8,1–11. Woher nimmt sich die Kirche das Recht, das anders zu sehen?

Woher nahm sich die Kirche das Recht, z.B. als Landesherr Verbrecher zu bestrafen, wo sich doch im neuen Testament Stellen finden lassen, aus denen hervorgeht, dass Jesus ihnen möglicherweise ohne Bestrafung vergeben hätte?
Ich denke, es sollte klar sein, dass auch die Kirche als Akteur sich immer im Spannungsfeld zwischen den moralischen Ansprüchen der Überlieferung und den gesellschaftlichen Realitäten irgendwie positionieren musste.

Die urchristlichen Gemeinden oder gar der überlieferte Jesus selbst (die Debatte inwiefern das als historisch zu betrachten ist, einmal außen vor gelassen), waren im Gegensatz zur Kirche des Mittelalters und der frühen Neuzeit keine Institutionen mit Ordnungsfunktion, dass waren zu ihrer Zeit der römische Staat und gegebenenfalls das jüdische Priestertum.
Wenn man Jesus und die christliche Urgemeinde als Akteur beschreiben wollte, würde man mit modernen Begrifflichkeiten zu dem Schluss kommen, dass es sich um eine Art NGO handelte, die relativ frei aggieren konnte, weil sie der Bevölkerung gegenüber keinen Verpflichtungen unterlag, auf die man sie hätte festnageln können, sie mussten keine politische Verantwortung tragen.
Die Kirche im Mittelalter und der frühen Neuzeit ist eine vollkommen andere Art von Akteur und damit auch an einen ganz anderen Rahmen von Handlungsmöglichkeiten gebunden gewesen.

Was geht die Kirche das Erbrecht der Gläubigen, also der Nichtkleriker an?
Einiges, weil ein einigermaßen funktionierendes Erbrecht für das Funktionieren einer Gesellschaft ziemlich wichtig ist.
Zumal wir, wenn wir in der Vormoderne von "Erbschaft" reden, ja im Gegensatz zu heute i.d.R. nicht von irgendwelchen nominalen Vermögensbetrieben reden, sondern realiter vor allen Dingen von landwirtschaftlichen Betrieben, Grund und Boden, Werkstätten etc. wo sich Erbschaften nicht dadurch regeln ließen alles zu so und so viel Prozent aufzuteilen, ohne das dadurch die Funktion der ganzen Angelegenheit beeinträchtigt werden konnte.

Und an dieser Stelle haben wir dann von möglichen Gewaltausbrüchen im Streit um potentielles Erbe noch nicht gesprochen.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass es damals noch keine DNA-Tests gab, so dass bei Verkehr mit wechelnden Partnern eine Vaterschaft überhaupt nicht so einfach festzustellen gewesen wäre.
Zu welchem Chaos das auf verschiedenen Ebenen geführt hätten, wenn nicht versucht worden wäre dem einen Riegel vorzuschieben, kann man sich durchaus vorstellen.

Insofern die Frage des Erbrechts keine rein private Angelegenheit war, sondern reale gesellschaftliche Konsequenzen haben konnte, ging das die Kirche durchaus etwas an, im Besonderen auch in den Gebieten in denen sie selbst Grundherr war und diese Dinge im Rahmen der Niedergerichtbarkeit zu regeln hatte oder in den Gebieten, in denen die Kirche zugleich weltlicher Landesherr war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kinderlosigkeit der Homosexuellen wurde und wird als Grund nur vorgeschoben, der wahrer Grund liegt in der Ideologie der patriarchalen Gesellschaftsordnung des Alten Testaments. Beweis: Noch heute verlangt die katholische Kirche von den Homosexuellen, sich des Geschlechtsverkehrs zu enthalten. Das ist reine Ideologie.

So einfach kann man sich das nicht machen.
Wie bereits angeführt, die katholische Kirche steht vor dem Problem, dass sie ihren Gläubigen schon irgendwo einheitliche Konzepte präsentieren muss, aber in völlig verschieden aufgestellten Weltregionen aggiert.

Die Ansichten der katholischen Kirche zu Homosexualität in Europa, machen unter den hiesigen gesellschaftlichen Gegebenheiten keinen Sinn, in diversen Regionen Lateinamerikas und Teilen Afrikas, die von einem modernen Sozialstaat ziemlich weit entfernt sind, sieht die Sache aber möglicherweise etwas anders aus.

Natürlich, zu den Verhältnissen in Europa oder den Vereinigten Staaten passen solche Dogmen nicht mehr.
Allerdings würde sich die katholische Kirche in extrme Erklärungsnöte bringen, wenn sie in Europa fundamental anderes predigte, als etwa in Lateinamerika, denn ohne Einheit der Lehre, würde sich natürlich schon die Frage stellen, warum angeblich Gott in Südamerika andere Dinge für moralisch hielte, als in Europa.
Im Hinblick auf die katholische Kirche wird man realiter sehen müssen, dass gerade die weltweite Präsenz diesen Landen nur sehr schwer reformierbar macht, weit schwerer als noch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, als es sich noch um eine weitgehend europäische Veranstaltung handelte, die überall wo sie aggierte innerhalb vormoderner, agrarischer Verhältnisse aggierte.

Das macht die katholische Kirche und ihren Umgang mit den Themen sicherlich nicht sympathischer, ist aber ein Ansatz diese Haltung zu erklären, abseits rein ideeller Modelle.
Bei denen fehlt mir einfach die materielle Komponente.

Diese Regelsetzungen machten objektiv nie Sinn – sie wurden einfach von den vorchristlichen Gesellschaften übernommen und mal mehr und mal weniger streng angewandt.
Natürlich machten sie Sinn.
Hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, was es für ein uneheliches Kind bedeutet, wenn die Mutter allein nicht in der Lage ist für dieses Kind zu sorgen, ein Vater den man heranziehen könnte überhaupt nicht zweifelsfrei feststellbar ist und es kein wirklich funktionierendes gesellschaftliches Reglement zur Versorgung gibt, sondern allenfalls in unregelmäßigen Abständen unregelmäßige Beträge von Almosen zur Unterstützung der Armen zur Verfügung stehen?
Auch unter dem Gesichtspunkt, dass allgemeine Sozial- und Versorgungssysteme gar nicht vermittelbar gewesen wären, weil dass eine deutliche Erhöhung der allgemeinen Abgaben vorausgesetzt hätte?
In einer modernen Überfluss- und Konsumgesellschaft sind Abgabenerhöhungen für Zwecke von denen der Einzelne, der sie zu bezahlen hat nicht direkt profitiert, ein Grund zum Murren.
In einer vormodernen Mangelgesellschaft, ist das ein Grund für Aufstände.

Erklär mal einem Subistenzbauern der mit seiner Familie am Rand der materiellen Selbsterhaltung kratzt, dass er gefälligst zusätzliche Abgaben zu leisten hat um die unehelichen Kinder von irgendwem, der sich seiner Fürsorgeverantwortung entzogen hat durchzufüttern.
Der wird sich freuen.

Wie gezeigt, entstammt dieses Denken der patriarchalen Gesellschaften
Es mag so aufgestellten Gesellschaften entstammen, gleichwohl erfüllte es bestimmte Zwecke im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer Sozialordnung unter materiell prekären Bedingungen.
Und auch wenn sich vieles aus der Antike herleitete, was es dadurch im Mittelalter und der frühen Neuzeit nicht obsolet, das wird es erst mit der Industrialisierung und der Ermöglichung des Sozialstaats durch die Verbesserung der Produktivkräfte und die Beseitigung des Mangels.

Natürlich ist das Hineinregieren ins Sexualleben kein speziell christliches Ding. Aber die Methode, dass alles Sexuelle des Teufels ist, sofern es nicht der Kinderzeugung dient, das war und ist perfide, weil kaum jemand in der Lage war und ist, seinen Sexualtrieb so unter Kontrolle zu halten, um den Ansprüchen der Kirche zu genügen. Ergebnis: Es gab lauter Sünder, die, sich ihrer Schuld bewusst, kaum in der Lage waren, sich zu wehren. Es war dann nur konsequent, Unglücke und Katastrophen im Leben sich selbst zuzuschreiben: Man hat ja gesündigt. Menschen, die sich schuldig fühlen, sind leichter zu regieren, als Menschen, die sich keiner Schuld bewusst sind.
Natürlich ist es immer bis zu einem gewissen Grand perfide bei der Durchsetzung von Regeln auf Angst abzustellen, aber letztendlich funktioniert Gesetzgebung doch noch heute zu einem gewissen Grad nach genau diesem Prinzip.

Und man wir den damaligen Aktueren zu gut halten müssen, dass sie nicht dem Maße über Wissen über die menschliche Psyche verfügen konnten, wie wir das heute tun und sich dementsprechend der möglichen individuellen psychischen Folgen auch nur peripher bewusst gewesen sein.
So viel sollte man zugestehen.

Im Übrigen gebe ich dir insofern recht, als dass nicht alle von der Kirche aufgestellten Regeln im Bereich Sexualität einem sinnvollen gesellschaftlichen Zweck dienten.
Für einen Teil der Regelsetzung, trifft das aber durchaus zu.


Du sagst damit, es gab hierzulande bis ins 18. und 19. Jahrhundert keine weltliche Macht, die bis in die Provinzebene regieren konnte – und bestätigst damit, dass die Kirche bis dahin die eigentlich Regierungsmacht darstellte, was du aber oben verneint hast. Was ist nun wahr?

Regierungsmacht ist der falsche Ausdruck.
De facto substituierte die Kirche stellenweise den nicht vorhandenen Staat im institutionellen Rahmen. Stellenweise (gutsherrliche Niedergerichtbarkeit, Kirche als Landesherr) übernahm sie die Funktion auch offiziell.

Davon war allerdings oben keine Rede.

Oben ging es um die Frage, ob es eine absolute Herrschaft der Kirche über die Moral gegeben habe und das ist eine vollkommen andere Diskussion.
Denn nur weil die Kirche stellenweise die Funktionen eines nicht vorhandenen Staates substituierte beherrschte sie nicht die Ebene der Moral und schon gar nicht unangefochten, sondern sie beherrschte mitunter die Ebene der Legislative und der Judikative.

Nun wirst du mir doch aber zustimmen, dass noch längst nicht jedes Gesetz, nur weil es erlassen wurde oder jedes gerichtliche Urteil, nur weil es ergangen ist, von der Gesellschaft aus Ausbund einer unanfechtbaren Moral oder überhaupt für moralisch betrachtet werden würde?

Die Kirche hatte z.B. in der frühen Neuzeit mitunter die Möglichkeit als Gesetzgeber die Höhe von Abgaben zu regeln (oder dabei mindestens mitzureden).
Nicht wenige, hielten das, was bei diesem Prozess heraus kam, für moralisch verkommen.
Die macht etwas im Rahmen der materiellen Sphäre durchzusetzen ist nicht gleichbedeutend mit der Macht die geistige Sphäre der Gesellschaft zu dominieren.
 
Die Bibel ist die Grundlage der kirchlichen Institutionen, aber nicht die Grundlage des Christentums, sondern allenfalls ihr Produkt.
Das Christentum kam die ersten 400 Jahre auch ohne Bibel aus.

Grundsätzlich stimme ich dem Tenor deiner Beiträge durchaus zu, aber die Aussagen würde ich doch mit einem Fragezeichen versehen.

Das Christentum ist aus dem Judentum und aus dem Hellenismus entstanden. Ob Jesus je die Absicht hatte, eine neue Religion zu stiften und eine Kirche zu gründen, ist sehr fraglich. Zu Fragen der Autorität, zur Kirchenhierarchie, zur Entwicklung eines Klerus, zur Verbindlichkeit von Glaubenssätzen war die Bibel relativ unergiebig.

Während der Reformation argumentierten u. a. aufständische Bauern mit der Bibel gegen die Legitimation der Kirche, von Abgaben und Lasten, von Ablässen oder vom Primat des Papstes, überhaupt von einer Institution des Papsttums, oder des Klerus war in der Bibel keine Rede.

Ekkleisia bedeutete soviel wie Versammlung, und bei der Etablierung der Institution Kirche, der Bischöfe und des Klerus dürften hellenistische Organisationsformen, römisches Klientelsystem und nicht zuletzt auch das römische Recht eine größere Bedeutung gehabt haben, als die Bibel, die sich entweder gar nicht oder allenfalls recht vage zu theologischen Fragen und solchen der Kirchenhierarchie äußerte.

So dürftig sich aber auch die Heilige Schrift äußern mochte, und in den ersten 400 Jahren, war noch längst nicht entschieden, welche Schriften kanonisch sein mochten, welche theologisch besonders bedeutend waren- auf die Bibel konnte das Christentum als Buchreligion kaum verzichten!

Das Christentum hatte in den ersten Jahrhunderten durchaus große Missionserfolge, aus einer obskuren jüdischen Sekte war das Christentum Ende des 1. Jahrhunderts eine Strömung geworden, die nicht mehr ignoriert werden konnte.

Andererseits drohte aber das Christentum durch all die zahlreichen Strömungen von der Gnosis bis zum Manichäismus völlig theologisch zerfasert zu werden. Ohne eine Heilige Schrift als Legitimationsquelle hätte das Christentum nicht überlebt, mochte diese Heilige Schrift sich auch noch so vage äußern, mochte auch die Heilige Schrift noch längst nicht redaktionell abgeschlossen sein- unentbehrlich war sie doch.
 
Zu Fragen der Autorität, zur Kirchenhierarchie, zur Entwicklung eines Klerus, zur Verbindlichkeit von Glaubenssätzen war die Bibel relativ unergiebig.

Vielleicht habe ich mich hier etwas ungeschickt ausgedrückt.
Ich meine damit nicht, dass die Bibel jemals Legitimationsgrundlage der Kirchenhierarchie gewesen wäre.

Sondern ich halte die Vereinheitlichung der Lehre durch die Kanonisierung der überlieferten Texte, die Eingang in die Bibel gefunden haben und die Trennung von allem, was dort nicht eingang fand, als einheitliches Fundament für die Grundvoraussetzung um darauf eine hierarchisch organisierte Kirche aufbauen zu können.

So lange im Vorhinein noch nicht ausverhandelt war, welche Texte als Teil der Lehre betrachtet werden konnten und welche nicht und sich jeder im Prinzip auch auf die Apokryphen Texte, die danach als nicht zugehörig oder bestenfalls randständig betrachtet wurden, berufen und daraus noch ganz andere Lehren formulieren konnte, war das ganz unmöglich.

Eine Aussage dahingehend, dass damit die Schaffung einer dezidierten Kirchenhierarchie beabsichtigt gewesen wäre, wollte ich so nicht treffen, sondern nur bemerken, dass es letzendlich das Fundament dafür schuf, damit sich eine solche Entwickeln konnte.
 
Es tut mir leid, wenn du meine Fragen als anklägerisch empfindest, aber sie basieren auf Tatsachen, die zu leugnen es auch dir schwer fallen dürfte.
Ich kann aus deinen Fragen und Beiträgen in diesem Faden nichts erkennen, was mit der eigentlichen Frage, mit dem Thema hier, zu tun hat.
Deswegen frage ich dich @Dion , ob vielleicht folgendes dein Standpunkt ist: "christliche Ethik, Morallehre und die Institution Kirche haben nichts zur Entstehung heutiger Moralvorstellungen beigetragen, sind also unwichtig für heutige Moralvorstellungen; zumal die Geschichte der Kirche und des Christentums insgesamt verbrecherisch ist." --- verstehe ich dich da richtig?
 
Nein, „christliche Ethik, Morallehre und die Institution Kirche haben natürlich zur Entstehung heutiger Moralvorstellungen beigetragen“. Das ist offensichtlich das Ergebnis der Geschichte. Ohne des Christentums oder mit einer anderen, weniger dogmatischen Kirche wäre die Geschichte sicher anders verlaufen, aber ob besser oder schlechter kann niemand sagen.
 
Schließlich gibt es auch heute welche, die der Kirche bescheinigen, Aufklärer massiv gefördert zu haben. :D
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Das braucht man gar nicht versuchen, ins Lächerliche zu ziehen. Es hat im 18. Jahrhundert jedenfalls auch eine Reihe von geistlichen Fürsten gegeben, die Gedankengut der Aufklärung gefördert und nach Prinzipien des aufgeklärten Absolutismus regiert haben. Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang Franz Ludwig von Erthal und Friedrich Karl von Schönborn, die als Fürstbischöfe von Würzburg und Bamberg sich u. a. durch Verbesserungen in der Landwirtschaft und in der Rechtspflege verdient machten.

Im Übrigen mussten Vertreter der Kirche schon allein deswegen auf der Höhe der Aufklärung bleiben, denn wie will man Bücher zensieren, wenn man von den schönen Künsten überhaupt keine Ahnung hat?

Die Jesuiten als bedeutendster Orden der Gegenreformation waren in der Wissenschaft recht beschlagen, von Jesuiten geschriebene Bücher zeichneten sich in der Regel aus, das sie wissenschaftlich kaum zu beanstanden waren.

In der Französischen Revolution waren eine Menge Geistliche involviert. Voltaire, Robespierre und der Marquis de Sade hatten alle das College Louis le Grand in Paris absolviert, das zum großen Teil von Jesuiten geleitet wurde. Talleyrand hatte das Priesterseminar St. Sulpice absolviert und die geistliche Laufbahn eingeschlagen. Die Flugschrift Was ist der Dritte Stand Qu est que ce le Tiers Etat stammte bekanntlich von Abbé Emanuel Joseph Sieyes. [/QUOTE]
 
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Das Neue Testament verhält sich zum Thema außerehelicher Geschlechtsverkehr tolerant – siehe Johannes 8,1–11. Woher nimmt sich die Kirche das Recht, das anders zu sehen?

Na ja, tolerant? Meine Vorstellung von Toleranz in Sachen außerehelicher Geschlechtsverkehr sieht doch etwas anders aus: Etwa eine Single-Börse, eine Seitensprung-Agentur, um für den gepflegten außerehelichen GV Anlauf zu nehmen.
Im NT erschöpft sich die Toleranz darin, dass Jesus die Ehebrecherin vor der Steinigung rettet. Von Toleranz für Seitensprünge steht da aber nichts- Im Gegenteil: Jesus sagt, sie soll es nicht wieder tun.

Tolerant geht es auf dem Olymp zu, Homer lässt in der Odyssee einen blinden Dichter bei den Phäaken ein Lied singen über die Dreiecks-Beziehung von Aphrodite, Ares und Hephaistos. Kaum ist der außer Haus, kommt auch schon der Hausfreund Ares, um Aphrodite zu deckeln. Das bekommt aber Helios mit, der es Hephaistos steckt, worauf der eine raffinierte Liebesfalle bastelt und die Bewohner des Olymps einlädt, dem Pärchen zuzusehen. Die Götter lachen sich halb schlapp, nur Poseidon bittet, das Pärchen zu befreien, und er bürgt dafür, dass Hephaistos die Geldbuße, die Ares für seinen Seitensprung bezahlen muss auch erhält. Die geouteten Liebhaber machen sich danach erst mal dünne, Ares verzieht sich nach Thrakien und Aphrodite nach Zypern (Angabe ohne Gewähr)

So tolerant und locker wie die Olympier sah und sieht das aber kaum eine menschliche Gesellschaft. Auch die homerische nicht, was bei den Göttern ein lustiger Seitensprung ist, schreit unter den Menschen nach Blut und Rache. Menelaos will sich mit Paris duellieren, nur Aphrodites Eingriff verhindert seinen Tod. Helene klagt sich in der Ilias und in der Odyssee mehrfach ihrer Untreue an. Nach Trojas Fall will Menelaos sie im ersten Impuls töten. Odysseus rechnet in einem blutigen Showdown mit den Freiern ab, die seine Frau belästigten.

Außerehelicher GV heißt altmodisch Ehebruch, und der wird auch in einer säkularen Gesellschaft von den meisten Menschen als Affront und Vertrauensbruch betrachtet. Ehebruch war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein strafbar in Deutschland wie den meisten Staaten, und es gab/gibt nicht wenige Gesellschaften, in denen Ehebruch mit der Todesstrafe geahndet wurde/wird. Jedenfalls durfte ein gehörnter Ehemann in der Regel seinen "Schwippschwager" straflos töten, wenn er ihn inflagranti erwischte. Nach den römischen 12 Tafelgesetzen war das zulässig.

Die Sittengesetzgebung, die Augustus in Rom einführte, war äußerst puritanisch-die Puritaner damit verglichen geradezu tolerant. Hesther Prynn muss in Nathaniel Hawthornes Roman "The Scarlet Letter" "nur" die Stigmatisierung der Gesellschaft in Massachusetts ertragen, seine einzige Tochter Julia schickte Augustus aber knallhart in die Verbannung, und Julias Verbannungsort war ähnlich attraktiv wie das Exil Ovids.

Die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin wird sich kaum als Beleg für eine liberale Einstellung zum Ehebruch im NT anführen lassen. Jesus bewahrt die Ehebrecherin vor der Steinigung. Er missbilligt die Todesstrafe und die äußerst brutale Art der Exekution. Er missbilligt aber auch den Ehebruch, und die Geschichte endet damit, dass Jesus sagt, sie soll es nicht mehr tun.

Es gibt zahlreiche Jesuszitate im NT die dafür sprechen, dass Jesus in der Frage des Ehebruchs recht strikte Vorstellungen hatte, die in Einzelpunkten weit über die Moralvorstellungen des mosaischen Gesetzes hinaus. Nach mosaischem Gesetz konnte ein Mann sich ganz leicht von seiner Frau trennen, indem er ihr einen Scheidebrief gab. Dazu reichte schon, wenn die Frau das Essen anbrennen ließ. Jesus aber lehnte Scheidung ab, lehnte ab, dass ein Ehemann sich so leicht seiner Frau entledigen konnte, und er hielt einen Scheidebrief außer in Fällen von Ehebruch nicht für gerechtfertigt. An einer anderen Stelle sagt Jesus seinen Jüngern , wer eine Frau auch nur begehrlich ansieht, der habe im Herzen schon die Ehe gebrochen.

Ehebruch war in praktisch allen antiken Kulturen ein massiver Affront. Tacitus schrieb in der Germania, dass gehörnte Germanen Frauen die Haare schoren, die bei Ehebruch erwischt wurden, und Tacitus lobt die Germanen sozusagen als "edle Wilde" mit reinen, ursprünglichen Sitten. Unterschiedlich waren nur die Sanktionen, mit denen Ehebruch bestraft wurde: Da reichte das Spektrum von Entschädigungszahlungen wie sie Ares für seinen Seitensprung bezahlen muss, über die geduldete, straflose Tötung des "Schwippschwagers", der inflagranti erwischt wurde bis zur Steinigung von Ehebrecherinnen.

Nach deutschem Recht war Ehebruch bis weit in die 1960er Jahre strafbar. Ehebruch war ein Delikt, dessen Verfolgung im öffentlichen Interesse lag. Erst mit der Strafrechtsreform Ender der 1960er war Ehebruch kein Offizial-Delikt mehr.
Es war Ehebruch in zahlreichen Kulturen eine Straftat. Nach der Lex Julia musste, wenn ein Ehemann nicht Anklage erstattete, der Vater der Delinquentin Anklage erheben, was Augustus in die Lage brachte, seine einzige geliebte Tochter anzuklagen. Mag man Ehebruch auch lockerer sehen, wie zahlreiche "Seitensprung-Agenturen beweisen, wo man dazu Anlauf nehmen kann, so gibt es auch heute noch Landstriche, wo dergleichen wenig Anklang findet.

In Sardinien, Sizilien oder auch Anatolien gibt es manchen Ehebruch, der damit endet, dass die Ehebrecher mit der Schrotflinte im Rücken vor dem Traualtar landen, und manche Geschichte noch ein radikaleres Ende findet.

Mit der Sanktionierung von Ehebruch schuf sich die Kirche nicht ein eigenes Moralsystem, dass sie sich aus den Fingern saugte, sondern sie bewegte sich damit im Rahmen von Normsystemen, die auch nach römischen, hellenistischen oder jüdischen Normen missbilligt wurden. Bußübungen und Kirchenstrafen waren, so übergriffig das auch anmuten mag, immer noch weit milder, als etwa Steinigung.
 
Im NT erschöpft sich die Toleranz darin, dass Jesus die Ehebrecherin vor der Steinigung rettet. Von Toleranz für Seitensprünge steht da aber nichts- Im Gegenteil: Jesus sagt, sie soll es nicht wieder tun.

Die Episode hat übrigens erst im Mittelalter Einzug in die Bibel gefunden. Es handelt sich um einen "Kopierfehler". Vermutlich hat ein Mönch die Geschichte auf der Marginalie notiert, der nächste Kopist hat sie dann als Teil des Evangeliuums kopiert.,
 
Ich habe das aus einem Vortrag von Bart Ehrman. Es i9st aber gut möglich, dass ich das "Mittelalter" in der Erinnerung ergänzt habe.

Ehrman geht darauf in seinem Blog ein, allerdings ausführlich hinter der Paywall...schade:

"Among the most popular stories about Jesus that you will find in the King James Version is one that, alas, was not originally in the Bible, but was added by scribes."

...

"The passage was not part of the Gospel of John originally. Or any other Gospel."

Er schreibt auch, dass viele Bibeln Hinweise anbringen. Ich habe m,al in meiner Elberfelder Praxisbibel nachgeschaut. Da steht: "In anderen Handschriften ist der Abschnitt nicht enthalten."
 
Obwohl die Geschichte mit anderen Begebenheiten im NT übereinstimmt, fehlt sie in vielen Handschriften, darunter auch den ältesten HS des Johannesevangeliums. Die Mehrzahl der Gelehrten nimmt heute an, dass sie im ursprünglichen Johannesevangelium nicht enthalten war. Wenn aber auch wahrscheinlich ist, dass die Passage im ursprünglichen Johannesevangelium noch nicht enthalten war, so ist die Geschichte sehr alt und war im frühen 2. Jahrhundert bereits bekannt.

Dazu Walter Klaiber Das Johannesevangelium Teilband 1 Johann 1, 1- 10, 42 Göttingen 2017 S. 294.

Papias (ca. 120 n. Chr.) bezieht sich auf eine Geschichte mit Jesus und einer Frau die vieler Sünden bezichtigt wurde. und die im Hebräerevangelium zu finden sei.

Hieronymus berichtet, dass die Passage im 4. Jahrhundert in vielen lateinischen und griechischen Handschriften in Rom und im Westen an ihrem kanonischen Platz gefunden werden konnte, und das bestätigen Augustinus und Ambrosius. Augustinus beklagte, dass die Passage fälschlich in einigen HS entfernt wurde, um den Eindruck zu vermeiden, Jesus habe Ehebruch sanktioniert:

"Einige Personen mit kleinem Glauben oder eher Feinde des wahren Glaubens fürchten, so meine ich, ihren Frauen wäre Straffreiheit vom Sündigen gegeben worden, und so entfernten sie aus den Manuskripten die Tat der Vergebung des Herrn gegenüber der Ehebrecherin, so als ob jener, der sagte: "Sündige nicht mehr, damit die Erlaubnis zum Sündigen gegeben habe."

Im Mittelalter kann die Passage also nicht erst eingefügt worden sein.

Wie weit es sich um einen Vorfall handelt mit realem, historischen Bezug ist umstritten. Gegen die Historizität des Ereignisses spricht, dass die Römer in Palästina jüdischen Gerichten die Blutsgerichtsbarkeit entzogen hatten. Der Exeget Walter Klaiber sieht aber dennoch gute Gründe, einen historischen Kern zu vermuten. Er weist auf die Parallelität mit Lukas 7, 36-50 wo von einer "große Sünderin" die Rede ist. Außerdem sei in der frühen Kirche kaum eine theologische Richtung auszumachen, die eine derartig liberale Haltung vertraten wie Jesus sie in der Geschichte zeigt. Es gäbe z. B. aus Jerusalem Berichte von Lynchjustiz. Klaiber ist der Ansicht, dass falls die Geschichte keinen historischen Kern hat, sie Anfang des 2. Jahrhunderts entstanden ist, aus Protest gegen eine immer strengere Bußpraxis der Alten Kirche.

Klaiber, Walter Das Johannesevangelium Teilband 1 Johannes 1,1-10, 42 Göttingen 2017 S. 298.
 
Für die Wahrheitsfindung ist die Frage viel wichtiger als die Antwort.

Was meinst du denn wirklich? Deine Liste ergibt ja keinen Sinn, da die Komponenten nicht mit einer Antwort beantwortet werden können.

Gnade hat keiner erfunden. Dem unterlegenden Gegner Gnade zu gewähren, dürfte so alt sein wie der Konflikt an sich.
Nächstenliebe ist ein spezifisch christlicher Begriff. Also hat "das Christentum" die Nächstenliebe wohl "erfunden". Besser wäre wohl zu sagen, der Begriff Nächstenliebe sei christlichen Ursprungs. Das Perinzip dahinter ist natürlich wesentlich älter.


Wie Mann es nimmt, im römischen Reich waren Leute die krank oder gebrechlich waren von den Göttern verflucht, besonders geholfen wurde denen nicht. Das wissen wir nicht aus irgendwelcher christlicher Propaganda sondern von Kaiser Julian Apostata, welcher den Erfolg des Christentums vor allem zwei Dingen zuschreibt. Den mehr an Kindern bei den Christen, weil und deren soziale Hilfe. Diese müsse man auch im römisch-griechischen Glauben etablieren um die alten Götter zu retten.

Das Christentum verdankt seine Ausdehnung diesen beiden Faktoren. Welche die Heiden nicht zu kopieren bereit waren, die Zeugungsunwilligkeit der Römer war ja schon bei Augustus ein Problem und Armen und Krankenpflege hatte man im alten Glauben nicht.

Slavoj Zizek kann ja der Kirche nicht verzeihen, dass sie später eine bürgerliche Religion wurde und soziale Aspekt vernachlässigt wurde.
 
Wer hat die Werten wie Gnade, Nächstenliebe und Säkularismus/Menschenrechte erfunden? War es das Christentum oder doch viel eher die Denker der Antike? […]
Niemand. Sie waren das Ergebnis der Evolution.

Ein Kind, das einem Insekt ein Bein ausrupfen will, wird ab einem gewissen Alter wissen, dass es damit dem Tier weh tun wird, und dass es damit etwas Böses tut (sonst käme es gar nicht auf die Idee, sowas zu tun).​

Habe mal (vmtl. auf Youtube) ein Video gesehen, worin ein offenbar nicht hungriger Leopard eine unverletzte Gazelle in Schockstarre vor sich hält. Wenig später nähern sich zwei grimmig wirkende Affen mit Stöcken bewaffnet dem Leopard, der sich daraufhin verzieht.(nach einer Weile erholt sich die Gazelle)​

Die Beispiele verdeutlichen, dass Moral in erster Linie mit Intelligenz zu tun hat* und mit der Folgerung »Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.« Dazu braucht es noch keine Religion. Regeln werden erst nötig, wenn die angeborene Intelligenz und Logik ignoriert, resp. mit Füßen getreten wird.

Der Christentum formulierte zahlreiche solche Regeln, die dem logisch denkenden Menschen eigentlich hätten klar sein müssen. Doch warum wurde solch ein Regelwerk überhaupt nötig? Keine Ahnung (zumal Grausamkeiten auch früher und anderswo stattfanden), entsprach aber offenbar dem Bedürfnis seiner Zeit, sonst hätte das Christentum keinen Erfolg gehabt. Jedenfalls aber brauchte es zur Sesshaftigkeit der vielen Völker nach ihren Wanderungen gemeinsame Regeln, wozu eine grenzübergreifende Religion ideal war. Zudem bot das Christentum eine europäische Identität, die Neuankömmlinge, wie bspw. die Magyaren, annehmen mussten.


Unter dem Strich meine Antwort auf die Eingangsfrage »Wie wichtig war das Christentum für die Entstehung heutiger Moralvorstellungen?«: War diesbezüglich völlig belanglos, da die Moralvorstellungen mehr oder weniger schon immer die gleichen waren.


* : d.h. nicht die Moral per se ist angeboren, sondern die Entwicklung zur Empathie-Fähigkeit.
 
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Habe mal (vmtl. auf Youtube) ein Video gesehen, worin ein offenbar nicht hungriger Leopard eine unverletzte Gazelle in Schockstarre vor sich hält. Wenig später nähern sich zwei grimmig wirkende Affen mit Stöcken bewaffnet dem Leopard, der sich daraufhin verzieht.(nach einer Weile erholt sich die Gazelle)
Der Einsatz der Affen gegen den Leoparden muss seine Ursache aber nicht unbedingt in Empathie für die Lage der Gazelle haben. Möglicherweise wollten die Affen einfach ein gefährliches Raubtier aus ihrer Nähe vertreiben.
 
Die christliche Caritas war den Römern unbekannt, dass war einer der zwei Faktoren, für die Ausbreitung des Christentums.

Man half seiner eigenen Familie, man half befreundeten Patrizian. Irgendwelchen Fremden half man nicht.

Solidarität außerhalb der Familie war bis Mao auch fast undenkbar.
 
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