Aber wir sind hier in einem Faden, der sich mit Moral beschäftigt, und auf diesem Gebiet hat die Religion, Christentum genannt, Unheil angerichtet.
Wir sind in einem Faden, der sich mit der Ideengeschichte von Moralvorstellungen beschäftigt, nicht damit ob irgendwer den von ihm postulierten Vorstellungen auch entsprochen hat, dass ist für die ideengeschichtliche Frage möglicher Kontinuitäten vollkommen bedeutungslos.
Absurd!Und die Herrschaft der christlichen Kirche in Sachen Moral war die längste Zeit ihres Bestehens eine totale.
Es gab zu keiner Zeit eine absolute Herrschaft der Kirche in Sachen Moral.
Es gab vielleicht einen absoluten Anspruch auf die Deutungshoheit in Sachen Moral, der sich aber längt nicht immer realisieren ließ.
Ansonsten gab es immer Anfechtungen bestimmter kirchlicher Vorstellungen und die Schwierigkeit bestimmte Ge- oder Verbote zu rechtfertigen.
Abgesehen von der Tatsache, dass die entsprechenden Dogmen auch immer einem gewissen inneren Reformdruck unterlagen.
Hätte es so etwas wie eine realiter durchgesetze Herrschaft der Kirche in Sachem Moral jemals gegeben, hätte die Kirche als Institution selbst nicht angegriffen werden können.
Genau das passierte aber in Permanenz.
- Schau dir an, wie viele Päpste vom römischen Adel oder vom römischen Stadtvolk davon gejagt und wie vielen von weltlichen Potentaten installierte Gegenpäpste entgegengesetzt wurden.
- Schau dir an wie viele Laienbewegungen, wie die Katharer es gab, die in einigermaßen regelmäßigen Abständen die Autorität des Klerus herausforderten.
Etc. etc.
Eine wie auch immer geartete totale Herrschaft sieht ein Bisschen anders aus.
Selbsterhaltungstrieb der Institution, Kirche genannt - sobald sie sich bedroht fühlte, schlug sie um sich ohne Rücksicht auf Verluste.
Auch das stimmt so nicht. Schaut man sich etwa die Reformationszeit im Heiligen Römischen Reich und die Causa Luther an (ich weiß, du kannst den Mann nicht leiden), wird das eigentlich recht deutlich.
Luther selbst fängt die Sache 1517 mit seinen Thesen an, anschließend wird darüber zunächst in Heidelberg disputiert, anschließend wird er nach Augsburg zitiert und zum Widerruf aufgefordert, zur Verhandlung vor dem Wormser Reichstag kam es erst 1521.
Es wurde also 4 Jahre lange disputiert, begutachtet, verhandelt und versucht zu irgendeiner Lösung in der Sache zu kommen, erst als sich dann noch immer keine Lösung abzeichnete wurde zu den wirklich scharfen Schwertern der Exkommunikation und der Reichsacht gegriffen.
Ohne Rücksicht auf Verluste um sich schlagen sieht etwas anders aus, da hätten andere Mittel zur Verfügung gestanden und vor allem hätte man dann sehr viel schneller exkommuniziert.
Doch die Frage ist, warum sie vor allem auf dem Gebiet der (sexuellen) Moral so rigide vorging bzw. vorgeht. Warum mischt sie sich in so intime Dinge wie Sexualität ein, wo niemand, auch der Staat nicht, was zu suchen hat.
Weil Sexualität in einer Agrargesellschaft ohne sozialen Sicherungsrahmen, wenigstens in einigen Aspekten keine Privatangelegenheit ist, jedenfalls nicht in dem Maße, wie das in einer modernen Industriegesellschaft der Fall ist.
Eine Ächtung von außerehelichem Geschlechtsverkehr z.B. macht natürlich durchaus Sinn, wenn es kein soziales Netz gibt, dass in der Lage wäre, potentiell daraus hervorgegangene Kinder aufzufangen, zumal in einer Mangelgesellschaft in der es periodisch schon durch widrige Umweltbedingungen schwerfällt alle Mitglieder der Gesellschaft über die Runden zu bringen.
Hinzu kommen andere damit verbundene Fragen, wie z.B. das Erbrecht, was noch gesonderte Probleme aufwirft, nicht nur im Bezug auf Prister.
Auch spielen dann natürlich die Verpflichtungen gegenüber den jeweiligen Partnern eine Rolle. Eine klare Verpflichtung gegenüber einer Partnerin oder einem Partner, lässt sich relativ klar umreißen und definieren. Je mehr Personen darin aber involviert sind und je unübersichtlicher das wird, dessto komplizierter wird es dafür irgendwelche Formen funktioniernder Regeln zu finden.
Ähnliches im Hinblick auf Homosexualität. Toleranz und Akzeptanz von Kinderlosen Paaren, was in homosexuellen Verbindungen ja einmal gegeben ist, kann sich eine moderne Gesellschaft, mit einem modernen Pflege- und Rentensystem leisten, dass nicht auf die (Groß)Familie als Alters- und Krankheitsabsicherung angewiesen ist.
Das ist für eine vormoderne Agrargesellschaft, die diese Möglichkeiten nicht hat, wesentlich schwieriger zu akzeptieren und zwar nicht aus ideologischen, sondern aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen.
Es ist durchaus sinnvoll kritisierbar, wie die Kirchen und gerade die Katholische mit diesem Thema heute umgehen und ich habe auch vollstes Verständnis dafür, wenn deren Aggieren heute (in Europa) als übergriffig empfunden wird.
Vor der Industrialisierung machten gewisse Regelsetzungen in diesem Bereich allerdings Sinn, auch wenn man sie aus der heutigen Perspektive moralisch nicht gutheißen kann.
Immer schön, wenn man sich schon über angebliche Anfeindungen beschwert, bevor diese überhaupt stattgefunden haben.Ich meine zwar, darauf eine Antwort zu haben, bin aber noch unsicher, ob es klug wäre, sie schon zu diesem Zeitpunkt bekanntzugeben – bin schon sowieso des Kirchenbashings verdächtigt.
Dies vor allem von denjenigen, die für diese Einmischung der Kirche in das Privatleben der Menschen zumindest Verständnis zeigen.
Ich denke in wie weit dem Verständnis entgegen zu bringen ist, ist massiv davon abhängig, von welchen materiellen Rahmenbedingungen wir reden.
Ich bin ja ausnahmsweise mal bei dir, in dem Anspruch, dass unter den Bedingungen der heutigen Gesellschaftsordnung mit ihrem sozialen Netz, dass diverse Dinge regeln und substituieren kann, die kirchliche Vorstellung im Hinblick auf Sexualmoral und die Deutungshoheit darüber ihrem Konzept nach übergriffig und unnötig sind.
Gleichwohl stellen sie kein Problem dar, weil heute niemand mehr gezwungen ist sich dem zu unterwerfen, ohne sich dabei weitgehend selbst aus der Gesellschaft auszugrenzen, wenn er/sie das nicht tut.
Im Hinblick auf die prämodernen Agrargesellschaften sieht das anders aus, da waren einge Vorschriften, die in dieser Hinsicht gemacht wurden durchaus sinnvoll (Bestimmungen zu außerehelichem Geschlechtsverkehr) oder konnten den Zeitgenossen wenigstens sinnvoll erscheinen.
Das dabei eine unfreie Gesellschaft mit diversen sehr unerfreulichen Fassetten herum kam, in der keiner von uns leben wollen würde, darüber müssen wir nicht diskutieren, es wäre allerdings zu hinterfragen, ob es im Rahmen einer vormodernen agrarischen Mangelgesellschaft möglich gewesen wäre, das groß anders zu organisieren.
Denn das religiöse Institutionen in vormodernen Gesellschaften in das Sexualleben ihrer Gläubigen in irgendeiner Form hinen regierten und einen entsprechenden Rahmen setzten ist ja durchaus kein speziell christliches Ding und auch nichts, was die monotehistischen Religionen exklusiv gepachtet hätten.
Diese Regelwerke sind nicht aus reinem Spaß der religiösen Institutionen daran erfunden worden ihre Gläubigen zu quälen, sondern um unter den gegebenen Umständen eine einigermaßen funktionierende Gesellschaft auf die Beine zu stellen.
Und da die Herausbildung des Staates, in der Form, dass er wirklich bis auf die Provinzebene hin durchregieren konnte, bis ins 18. und 19. Jahrhundert andauerte, ist es auch folgerichtig und sinnvoll gewesen, dass die Funktion das zu definieren und als Regeln einzuschleifen bei denjenigen Organisationen lag, die vor Ort präsent waren und das war einmal in diesen Breitengraden die Kirche.
Wie gesagt, in der heutigen Zeit ist das sicherlich unangebracht, weil wir uns anders organisieren und abstützen können, vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte das eine gewisse Berechtigung.