Ideologische Hardliner aus der Marxistischen, Leninistischen Welt werden die markanten Unterschiede zwischen beispielsweise Schweden, Norwegen oder Deutschland in dieser Hinsicht gegenüber den USA, Chile oder auch UK nicht anerkennen.
Ich weiß nicht ob sie den nicht anerkennen, aber sie scheinen ihn jedenfalls nicht für wesentlich zu halten während in den USA die Regelungen in Skandinavien, Zentral- und Südeuropa ja andersherum teilweise für puren Marxismus/Sozialismus gehalten werden.
Ist halt aber eben auch die Frage ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, 150 Jahre nach Marx mit der marxistischen Brille auf diese Verhältnisse zu schauen, oder zu versuchen die heutige Welt durch die Marx'sche Theorie zu interpretieren.
Mir ging es einfach nur darum, dass in dem zitierten Text Ideenhistorisch verschiedene theoretische Ansätze und Betrachtungsweise zu einem Brei vermengt wurden, der sich so in Marxens Schriften nicht findet.
Ich hab mich da ja auf die Arbeit bezogen, wie gesagt, die Kritik aus heutiger Sicht kann man Marx der vor 160 Jahren schrieb so nicht anlasten. [...]
Es geht mir nicht um die Inhalte des Textes, die du da kritisiert hast sondern um die Art deiner Kritik daran.
Beim Thema Marx, ist immer wieder auffällig, dass sowohl Kritiker, als auch Verteidiger des Herren und seiner Schriften sich häufig seht weit abseits von deren Inhalten bewegen und den Eindurck machen, sie nicht richtig gelesen/verstanden zu haben.
Es ist, was Kritik an Marx angeht den Verhältnissen des klaten Krieges und seiner gesellschaftlichen Stimmung geschuldet viel idiotisches Zeug geschrieben worden, dass mit einer Betrachtung der Person in seiner Zeit absolut nichts zu tun hatte, sondern Marx rein aus der Sicht der politischen Verhältnisse der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihrer propgandistischen Volten beurteilte.
Aber solche Verteidigungsversuche:
Viel der Kritik basiert ganz einfach darauf, dass man Marx unangemessen in die Gegenwart projiziert. Wenn man im Jahr 1848 oder in den 1860ern als Diener gelebt hat und die Möglichkeit und Fähigkeit hatte zu verstehen, dass man ebenso wie die eigenen Kinder mit Marx Worten "human rubbish", also Gesinde, Gesocks, "menschlicher Abfall" in den Kellern und Baracken irgendwelcher Fürsten, Herrn, Lord master bleiben wird, dann war der Marxismus ganz sicher die beste Wahl. Dass wir uns heute zumindest dem Gesetz nach in einer klassenlosen Gesellschaft befinden in der jeder arbeitet ist auf jeden Fall dem Sozialismus zu verdanken. Ein weiteres Novum des Marxismus war außerdem die Konzeption eines Wirtschaftssystems für eine Gesellschaft, die sich vollständig selbst versorgen kann, nicht bloß ohne die eigene Bevölkerung bzw. Teile/Klassen davon auszubeuten, sondern auch ohne andere auszubeuten: ohne Krieg.
Dass das ursprüngliche Endziel der Transformation der Klassengesellschaft über eine Zwischenzeit der staatlichen Diktatur des Proletariats hin zu einem staatenlosen kommunistischen Selbstverwaltung nicht realisiert wurde und stattdessen in einer Art orwellschen Diktatur ausartete, sollte einen nicht vergessen lassen, dass dabei sehr wohl ein bedeutender Teil der Ideen realisiert und die Welt verändert wurde. Und wenn der Kommunismus das utopische Ideal darstellt ist er genau als das immer noch eine bedeutende Leistung ggü. Vorstellungen die es bis dahin gab; und wohin soll die Welt heute gehen? Irgendwelche Vorstellungen und Ziele zu haben ist wichtig.
Woran der sozialistische Osten gescheitert ist sollte man auch nicht vergessen, es lag nicht bloß an sich selbst, zu einer Auseinandersetzung gehören immer zumindest zwei. Die Welt ist ein geschlossenes Ökosystem und wenn "der Westen" oder sonst jemand so enorm selbstzerstörerisch und verschwenderisch agiert hat das eine direkte Auswirkung auf das gesamte System.
Einen Stalin hätte es außerdem in jedem Fall gegeben, aber was das für Ausmaße und Rückschritte hätte annehmen können wäre es nicht unter dem Sozialismus gewesen ist leicht übersehen weil es nur Spekulation sein kann.
Machen es nicht besser, sondern schreiben das Problem der ahistorischen Betrachtung von Marx, was eine sinnvollen historischen Diskussion seiner Person und Inhalte eher im Weg steht fort.
Wichtiger als zu versuchen Marx hier zu rechtfertigen und gegen möglicherweise oder ziemlich sicher unangemessene ideologisch motivierte Kritik (wenn sie Marx mit den Verhältnissen des Realsozialismus gleichsetzte), die heute so kaum noch gelesen werden dürfte anzuschreiben, wäre sich anzuschauen, was genau sich wirklich aus Marx begründen lässt, was orriginelle Ideen von ihm waren, wie er die gemeint hat und welche Ideen eigentlich von anderswo her kommen, sei es von späteren Theoretikern, die auf Marx aufbauten ("Marxismus-Leninismus") aber Teile seiner Ideen nicht übernahmen, sondern umbauten, sei es von Marx vorrausgehenden Denkern, deren Ideen sich Marx teilweise angeeignet und Teilweise modifiziert hat.
Marxens Ansichten zu "Ausbeutung" und dem Privateigentum an Produktionsmitteln, z.B. sind in weiten Teilen Weiterentwicklungen der Ideen/Theorien des englichen klassischen Ökonomen David Ricardo (dazu steht weiter vorne im Faden einiges) und des französischen Frühsozialisten Pierre-Joseph Proudhon.
Marx-Engels haben beides modifiziert und zusammengeführt und insofern durchaus eine orriginelle Eigenleistung ebracht, was das ganze angeht.
Aber weite Teile der Grundannahmen von beiden waren eigentlich nicht etwas unerhöhrt, nie dagewesenes. Weder im Sinne antimarxistischer Kritik, die dahin zielt, dass dass in nie dagewesener Weise mit den Grundsätzen der Gesellschaft gebrochen hätte oder auf völlig absuden Ideen aufbaute (auf den Ökonomen Ricardo im Besonderen seine Außenhandelstheorie und sein Modell der "komparativen Kostenvorteile" bezieht sich die Wirtschaftswissenschaft auch heute noch) noch war das, wie von Beführwortern von Marx häufig dargestellt, der weit und breit einzige Versuch gegen ein ungerechtes System anzugehen.
Die Vorstellung, einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, bei der am Ende die Produktionsmittel ihren bisherigen Besitzern, die sich ihrer aber nicht selbst bedienten abgenommen und in die Hände ihrer Anwender gelegt werden sollten, die hatte etwa Proudhon 10 Jahre vor Marx formuliert, Marx hat nur eine andere Begründung geliefert, weil ihm die von Proudhon inkonsequent erschien und bei Anarchisten war etwa die Forderung, dass demjenigen, der ein Stück Land beackert, dieses und seine Produkte auch gehören sollten, Mainstream.
Engels hat mit seiner Sozialstudie über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" relativ früh versucht diese Verhältnisse zu beschreiben und die Problemlagen darzustellen, er war aber bei weitem nicht der Erste oder Einzige, der das tat. (Über andere Beispiele ist in den ersten Kapiteln von Christopher Clarks dickem Wälzer über die Revolution von 1848 einiges interessantes nachzulesen).
Im Übrigen waren einige Ideen und politische Forderungen, die sich bei Marx/Engels finden, möglicherweise Adaptionen von Modellprojekten, die es durchaus gab:
Z.B. die Idee zur Schaffung von staatlich geförderten Produktionsgenossenschaften (ähnlich, wie das in Deutschland Ferdinand Lasalle vertrat), um den proletarisierten Unterschichten Arbeit zu beschaffen, die war ab den 1830er Jahren in Frankreich von Louis Blanc propagiert worden und im Zuge der Revolution von 1848 wurden in Paris entsprechende Modellprojekte unter der Bezeichung "Nationalwerkstätten/Ateliers nationaux" gegründet.
de.wikipedia.org
Eine Maßnahme, die Marx/Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei" ausdrücklich mit der Forderung "Vermehrung der Nationalfabriken" aufgreifen und die ihnen als real vorhandenes Modell durchaus bekannt war.
Von Modell der tatsächlich vorhandenen staatlich geförderten Produktionsgenossenschaft, um Teile der Unterschichten, die sonst nichts hatten mit Arbeit und Auskommen zu versorgen, war es gedanklich eigentlich nicht mehr weit, zu der Vorstellung die gesamte Wirtschaft nach genossenschaftlichem Modell organisieren zu wollen, im Besonderen für jemanden, der Proudhons Kritik am Eigentum privater Fabrik und Landbesitzer kannte und der mit Ricardos Arbeitswertlehre herumexperimentierte um dem ganzen eine solidere Begründung zu beschaffen, als Proudhons der sich eher an die Anarchisten anlehnende Vorstellungen, die mit Gerechtigkeit argumentierten orientierte, während Marx sich darum bemühte dass mit ökonomischen Annahmen zu untermauern.