Widersprochen habe ich Deiner These, Tacitus hätte über die Geographie der Örtlichkeiten genaue Kenntnis gehabt.
"Auch die reichen und detaillierten Informationen, die römische Strategen und Praktiker des Krieges notwendigerweise erwarben, gelangten als solche nämlich nur zum geringsten Teil und seit Augustus gefiltert durch das kaiserliche Informationsmonopol zu öffentlicher Kenntnis und Wirkung. Die Oberkommandierenden an der germanischen Front rapportierten an den Kaiser, der daraus nach Ermessen an den Senat berichtete und seine Siegesbulletins veröffentlichte. Das mochte die Talente von Dichtern, Künstlern und Schmeichlern anspornen, aber es förderte das Verständnis der Landessituation bei Außenstehenden, das durch ein objektives Kartenbild und bekannte topographische Fixpunkte nicht unterstützt wurde, nur wenig. Aus den amtlichen Verlautbarungen und hilfsweise aus verhältnismäßig seltenen privaten Zeugnissen und autobiographischen Veröffentlichungen literarisch oder politisch ehrgeiziger Memoirenschreiber schöpften dann Verlaufserzählung und Exkurse der literarisch geformten Zeitgeschichtsschreibung." (D. Timpe)
Timpe benennt am Schluß eine Möglichkeit zu überprüfen, was gebildete Schichten von den in militärischen Unternehmen gewonnenen Landeserkenntnissen wissen konnten, er benennt dabei konkret Strabon und seine Geographika. Ergänzend möchte ich erwähnen, dass Timpe eine Quelle der Welterkenntnis nicht erwähnt, er schreibt zwar über das Wissen der Händler, also Wissen, dass aus wirtschaftlichen und kaufmännischen Unternehmungen gewonnen wurde, vergisst aber eine weitere Quelle, den Wissensaustausch über die Diplomatie, und die Gesandschaften, die nach Rom gekommen sind. Cicero berichtet zum Beispiel ausführlich über seine Gespräche mit Diviciacus, einem haeduischen Druiden und Adeligen, der als Gesandter in Rom weilte ( Cic. de divin. 1,90). Strabon beschreibt eine Gesandtschaft der Cimbrer (Kimbern), (Strabon Geographika VII, 2,293), die einen bei ihnen als heiligst angesehenen Weihkessel als Geschenk brachten, und um Verzeihung des Geschehenen und Freundschaft baten. Strabon beschreibt die kimbrische Halbinsel (Dänemark), von der Diodor circa fünfzig Jahre vor ihm noch nichts weiß. Diodor spekuliert noch über die Tiefen des keltoskythischen Raums, und vermutet einen Zusammenhang der Kimmerer mit den Kimbern, kann sie aber nicht lokalisieren. Vielleicht leitet Strabon deswegen sein 2.Kapitel mit den Worten ein:
"Über die Cimbrer wird manches Unrichtiges erzählt; anderes aber hat geringe Wahrscheinlichkeit." Allerdings zitiert Strabon dann Poseidonios, der den Zusammenhang von Kimbrern und Kimmerern ebenfalls vermutet.
Wir hatten vor einigen Jahren soweit ich mich bruchstückhaft erinnere schon einmal über die militärische Grenze von Roms Feldzügen in Germanien diskutiert, wahrscheinlich hat eine militärisch motivierte Erkundungsfahrt 4 n.Chr. zur Erkenntnis im römischen Militärstab geführt, dass eine Versorgung der in Germanien operierenden Heere über das Meer und Flusswege nur bis zur Elbe möglich war, und dass die Passage am Kimbrischen Kap (Skagerrak) neue Räume erschließt, mit potentiell neuen Gegnern. Plinius kennt dann schon Scandia (Skandinavien), hält es aber für eine Insel. Die Elbe war also keine mythische Grenze, sondern eine logistische und politisch-ökonomische. Bei Strabon findet sich zu Skandinavien nichts, Diodor erzählt von Basilea, von dort komme der Bernstein (und verwirft die Fabel vom Electrum am Padus (V,23) - wo Basilea liegen soll, bleibt unklar, vielleicht ist das Baltikum gemeint, möglicherweise verarbeitet auch Informationen von Phyteas.
Dazu Plinius: „
Pytheas gibt an, ein germanisches Volk, die Guionen [oder Gutonen, je nach Abschrift des Textes von Plinius], wohne an einer Versumpfung des Ozeans, … eine Tagesreise von da liege die Insel ‚Abalus‘; dorthin werde der Bernstein im Frühling von den Wellen getrieben und sei eigentlich eine geronnene Ausscheidung der See; die Anwohner gebrauchten ihn statt Holz zum Feuer und verkauften ihn an die benachbarten Teutonen. Timaeus stimmt ihm darin bei, nennt aber die Insel ‚Basileia‘.“
Diodor hat jedoch eine genauer Vorstellung von Britannien, das gerade von Cäsar "erobert" wurde (V,21). Diodor versucht eine Einschätzung der Größe Britanniens, bezeichnet seine Enden/Kaps, und "Dreiecksform". Diodor schreibt vom Zinnhandel, hier fließt älteres Wissen kaufmännischer Unternehmungen zum Beispiel der Punier ein. Rom hatte ab dem letzten Viertel des 2.Jahrhunderts Zugang zum Handelsweg an den Golf der Biskaya/Sinus Kantabricus über die Garonne.
Ciceros Briefe zeigen, dass die senatorische Schicht in der späten Republik die Unternehmungen Cäsars teils euphorisch und teils pragmatisch verfolgt. "
Der Ausgang des britischen Krieges ist vorhersehbar; denn es ist klar, dass die Zugänge zur Insel mit wunderbaren Wällen ummauert sind. Es ist auch bereits bekannt, dass es auf dieser Insel keine einzige Silbermünze gibt und auch keine Hoffnung auf Beute, außer von Sklaven; von denen du, glaube ich, keine Kenntnisse in Literatur oder Musik erwartest." (Cic ad Atticum 4,XVII).*
Für Germanien und seine Landschaft hat Timpe die wichtige Vorstellung einer West-Ost-Fließrichtung des Istros (griechische Bezeichnung der Donau) erwähnt. Diodor nennt die Danuvius (keltischer Name der Donau), die Donau bringt er jedoch nicht mit dem Istros in Zusammenhang, sondern lässt sie wie den Rhein in den nördlichen Ozean fließen. beim Rhenos erwähnt er den Flussübergang des Cäsar (V,25).
Bei Strabon dagegen fließen Erkenntnisse des Alpenfeldzugs 15 v.Chr. ein, er lokalisiert eine neue Nachricht nutzend, und verortet die Quelle richtig, ändert eine andere ältere Information aber nicht ab, und lässt am Beginn des ersten Kapitel zwei Fakten nebeneinander stehen, die Donau entspringt an den westlichen Grenzen Germaniens und "
aber auch nahe am Winkel des adriatischen Meeres, von welchem er ungfähr 1000 Stadien entfernt ist". Jedenfalls hat Strabon eine Vorstellung, dass Danubius und der Istros der gleiche Strom ist, der Europa in zwei Teile zerlegt (VII,1,289). Strabon kennt die Elbe (Albis), den er richtig als Fluss beschreibt , der sich parallel zum Rhein in den nördlichen Ozean ergießt, erwähnt Flüsse zwischen den beiden, die Amisia (und den Schiffskampf des Drusus auf ihm), lässt die Weser richti wie die Amisia nach Norden strömen (VII,1,291), die Lippe (Luppia) jedoch fälschlich auch, er verortet sie 600 Stadien vom Rhein, und verortet sie im Gebiet der kleineren Brukterer. Strabon erwänht dann noch die Sala als letzten Fluss (thüringische Saale), ebenfalls im Zusammenhang mit den Drususfeldzügen, und Borkum, Burchanis, dass Drusus bei seiner Küstenfahrt erobert hätte. In VII,1,5 lokalisiert er die Donauquelle sehr genau, nördlich des Bodensees, in den der Rhenus fließt. Die Quellen des Rheins bleiben hier jedoch undeutlich. Auch her erwähnt er ein Gefecht, diesmal ein Seegefecht auf während des Alpenfeldzugs, dass Tiberius gegen die Vindeliker führte.
Das sollte an Beispielen genügen, welche geographischen Erkenntnisse durch militärische, kaufmännische und diplomatische Unternehmungen einer gebildeten Schicht erreichten, Wissen und Informationen, das jedoch schwer zu ordnen war, meiner Ansicht nach gut sichtbar in der holpirgen Korrektur Strabons von älterer Vermutungen und Nachrichten über die Quelle des Ister über dem Caput Adria. Erstaunlich finde ich es, dass Strabon die Lippe falsch fließen lässt, den für die römische Logistik der Kriegein Germanien so wichtigen Zugang vom Rhein gegenüber dem Militärlager Vetera.
Auffallend, während Strabon in Gallien zahlreiche Oppida bzw. Hauptorte benennt, z.B. Lutetia/Lukotocia der Parisier oder Duriokortora /Durocortorum (heute Reims) der Remer, bleibt Germanien ein reiner Naturraum ohne Ortsbezeichnungen.
Mir ist noch ein Brief Ciceros eingefallen, in diesem privaten Brief drückt er seine Neugier aus, über die Britannienexpedition Cäsars, bei der er gerne auch aus Abenteuerlust dabei gewesen wäre. Diese Forschungsbegeisterung und das Interesse am Unbekannten wird nicht jeder Römer geteilt haben, oder überhaupt die Muse dafür gehabt haben, in einer gebildeten Schicht wird die Lektüre und Nachrichten von fremden Völkern die Suche nach den Grenzen der Ökomene befeuern. Leider habe ich den Brief noch nicht gefunden.
*Cicero kannte den bekannten Barden Lennonix nicht.